Größer, schöner, optimierter. Videospielfortsetzungen versuchen oft, ihre Vorgänger zu überbieten – sowohl grafisch als auch spielerisch. Meistens gelingt es auch. Schließlich lernen die Entwickler während ihres Schaffens dazu. Sie holen sich Meinungen von der Community ein, schauen auf die Schwächen des Erstlingswerks, und versuchen, beim Nachfolger mit ihrer hinzugewonnenen Erfahrung mehr herauszuholen.
In Spielen wie »Resident Evil« und »Uncharted« lässt sich zwar ein starkes Fundament erkennen. Doch erst deren zweite Ableger gelten heute als Meisterwerke. Daneben gibt es aber auch meisterliche Debüttitel, die kaum Wünsche für Verbesserungen offen lassen. Eine Fortsetzung wird ihnen dennoch spendiert. Schließlich wollen noch weitere Ideen von den Entwicklern umgesetzt und die Spieler mit mehr Inhalt gefüttert werden. Mich haben jedoch einige Nachfolger übersättigt, obwohl mir das Spielrezept als Grundzutat durchaus schmeckt. Hier stelle ich vier überladene Sequels zu Meisterwerken vor und verrate, warum sie mir zu lang erscheinen.
The Last of Us Part II
Joel und Ellie sind zwei unvergessliche Spielfiguren. Das liegt vor allem an den vielseitigen Ereignissen, die wir im ersten »The Last of Us« mit den beiden erleben. Ihre gemeinsame Beziehung brilliert durch den geradlinigen Roadtrip, der sich vollkommen auf die Charaktere fokussiert. Jede Spielsituation trägt etwas zur Handlung bei. Die fließenden Übergänge zwischen Gameplay und Zwischensequenzen runden die Story perfekt ab. In »The Last of Us Part II« gerät die Erzählung leider häufig ins Stocken. Die Ereignisse werden zwar schlüssig fortgesetzt, allerdings mit einigen unnötigen Nebenhandlungen. Es treten viele neue Figuren in Erscheinung, die aber allesamt zu kurz kommen.
Die neu etablierte Liebesbeziehung zwischen Ellie und Dina mag interessant sein, doch kommt sie nach dem ersten Kapital kaum noch zur Geltung. Das Dreiecksverhältnis mit Jesse ist ebenfalls eine Randerscheinung. Er trifft auf Ellie, dann ziehen sie gemeinsam los, nur um anschließend wieder zurück zu Dina zu gelangen. Ellies Rachefeldzug kommt dadurch nur schleppend voran.
Das Spiel wirft zahlreiche Gegnerkonfrontationen wild durcheinander, ohne etwas Bedeutsames für die Handlung beizutragen. Ich habe bereits in einem Videobeitrag auf YouTube erwähnt, dass die zusammengewürfelten Gegnertypen nicht immer zur jeweiligen Spielsituation passen. Leider fehlt auch eine nennenswerte Gameplaysteigerung im weiteren Spielverlauf. Obwohl die gelungenen Shooter- und Stealthmechaniken gegenüber dem Vorgänger verbessert wurden, können sie die Masse an Konfrontationen nicht über die gesamte Spielzeit tragen. Die mangelnde Abwechslung wird zwischendurch nur mit langgezogenen Laufpassagen kaschiert.
Gelegentlich tauchen zwar erinnerungswürdige Momente auf – sowohl spielerisch als auch inszenatorisch. Vor allem die Konfrontation zwischen den beiden Spielfiguren überzeugt. Bis es zu diesem Großereignis kommt, gilt es jedoch einige Handlungsstränge zu absolvieren, die ins Leere laufen: Yara wird gerettet, medizinisch versorgt und am Ende stirbt sie im Kugelhagel. Es ist eine unabgeschlossene Charakterentwicklung, die der Geschichte nichts Besonderes hinzufügt. Die Figur fühlt sich nach Zeitverschwendung an. Denn durch ihr werden nebensächliche Spielereignisse hinzufügt, die den zentralen Konflikt der Hauptfiguren ausblenden.
God of War Ragnarök
Hierbei handelt es sich um einen Sony-Wiederholungstäter. Das Spiel fühlt sich ähnlich langgezogen an wie »The Last of Us Part II«, nur mit noch mehr Spiellänge. Es kommen weitere Charaktere hinzu und auch die Geschichte wird künstlich gestreckt. »God of War Ragnarök« erzählt viel, sagt aber nur wenig. Der Wechsel zwischen den Figuren ist auch hier spielerisch interessant, doch ebenso etwas ziellos. »Bei The Last of Us Part II« steuern die Protagonistinnen auf ein langgezogenes Finale zu, aber wenigstens mit Konsequenzen. In »God of War Ragnarök« wird ein großes Unheil erwähnt, doch wartet man darauf vergeblich.
Der blutrünstige Krieg der nordischen Mythologie findet im letzten Spielabschnitt lediglich im Hintergrund statt. Dabei hatten die Zwischensequenzen zuvor eine imposante Schlacht angekündigt. Leider musste ich mich im Finale mit standardisierten Gegnerwellen begnügen, die mir das Spiel bereits im Prolog viel zu häufig um die Ohren gepfeffert hat. Das geniale Kampfsystem verliert dadurch seinen Reiz.
Der Speer als neu hinzugekommene Waffe sorgt kurz für frischen Wind, verkommt aber durch das Fehlen von passenden Gegnertypen schnell zu einem seichten Lüftchen. Er ist lediglich für einen einzelnen Bosskampf interessant. Dieser hat mich dafür umso mehr überwältigt. Und auch die restlichen Bossgegner sind absolute Highlights, auf die man aber häufig viel zu lange warten muss. Das Gegnerdesign hat sich im Vergleich zum Vorgänger auf jeden Fall nochmal gesteigert.
Die Welten sind ebenfalls größer und zahlreicher geworden. In ihnen lassen sich noch mehr Nebenquests absolvieren. Diese sind für sich genommen zwar ziemlich motivierend, aber auch wesentlich schwächer in die Hauptstory integriert als im vorigen Abenteuer. Gegen Ende fühlen sie sich sogar etwas nach Fleißarbeit an. So gerne ich in den Welten alle Aufgaben abgeschlossen habe, war es doch teilweise recht mühsam.
Super Mario Galaxy 2
In einem Interview hat Shigeru Miyamoto einmal erwähnt, dass er zu »Super Mario Galaxy« ursprünglich nur eine Erweiterung herausbringen wollte. Dem Entwicklerteam sind dann aber noch massig Spielideen eingefallen, sodass eine vollständige Fortsetzung entwickelt werden musste. Und genauso fühlt sich »Super Mario Galaxy 2« für mich auch an: wie ein Add-on mit einer übermäßigen Ansammlung von Spielideen. Einige davon sind wirklich spaßig. Andere nutzen sich zu schnell ab. Der wiederholte Einsatz eines Heiß/Kalt-Levels kommt nicht an die Qualität der Eisvulkan-Galaxie des Vorgängers heran. Manche Items wie die Wolkenblume reichen maximal als Gimmick. Mir hätten die besseren Ideen als kurzer DLC für »Super Mario Galaxy« daher vollkommen ausgereicht. Auch wenn eine Umsetzung durch den geringen Speicherplatz im E-Shop-Kanal wohl etwas schwierig gewesen wäre.
Ich will damit nicht abstreiten, dass es sich bei »Super Mario Galaxy 2« um einen vollwertigen Titel handelt. Schließlich bilden die Welten ein komplett eigenständiges Abenteuer. Das kommt allerdings ziemlich mau daher. Denn die Levels bestehen vorwiegend aus aneinandergereihten Plattformen, ohne erinnerungswürdige Umgebungen. Die Glitzerstrand-Galaxie mit ihrer Weitläufigkeit ist mir als einzige Welt im Gedächtnis geblieben. Ansonsten fehlen mir die nahbaren Levels aus Teil eins: das Bienenkönigreich, der Bowser-Spielzeugroboter oder der kanonenbestückte Kampffelsen. Das waren Orte, an denen ich die Aufgaben gerne bewältigte. In »Super Mario Galaxy 2« arbeite ich eine Stage lediglich ab, um noch mehr Stages freizuschalten.
Mit einer durchschnittlichen Spielzeit von zwölf Stunden sind beide Galaxy-Ableger in etwa gleich lang und auch recht kurzweilig. Der zweite Teil schießt mit seiner hohen Anzahl an Challenges allerdings etwas über das Ziel hinaus. Es sind schlicht mehr Aufgaben, die schneller bewältigt werden. Darüber hinaus ist »Super Mario Galaxy 2« das erste 3D-Mario, das die 120-Sterne-Marke sprengt. Insgesamt gibt es 242 Sterne zu sammeln. Dadurch wird der Zusatzinhalt mit Sternen und Challanges nach dem Abspann zusätzlich überstrapaziert.
Banjo-Tooie
Collectathon-Spiele sind heute rar gesät. »Banjo-Kazooie« zählt zu den wenigen Meilensteinen in diesem Genre. Das liegt vor allem an seinem hervorragend gestalteten Levels, in denen sich durchdacht platzierte Items aufsammeln lassen. Die Entwickler von Rare hatten danach weiter an ihrer Erfolgsformel getüftelt. Allerdings konnten sie mit ihren Nachfolger-Projekten nicht an die Genialität von »Banjo-Kazooie« anknüpfen. Als geistige Fortsetzung muss ich kurz »Donkey Kong 64« erwähnen, das mit seinen unzähligen Collectibles zu einer mühseligen Sammelorgie mutiert ist. In der direkten Fortsetzung »Banjo-Tooie« wurden die Sammelobjekte wiederum auf ein Wesentliches reduziert. Dafür sind die Welten umso größer und es ergeben sich längere Laufwege.
Durch die neu hinzugekommenen Verwandlungen müssen einige Orte zudem mehrmals angesteuert werden, um mit speziellen Fähigkeiten eine Aufgabe zu lösen. Der Schamane Mumbo Jumbo – ein NPC aus dem Vorgänger – tritt nun als spielbarer Charakter in Erscheinung. Bis auf ein paar Zaubersprüche auf speziell dafür vorgesehenen Magie-Plattformen gibt es mit ihm allerdings nichts zu tun. Sein verschwendeter Auftritt sorgt leider nur für unnötige Spiellängen. Durch die komplexeren Aufgaben müssen sogar die überdimensionalen Welten oft mehrmals bereist werden. Der angenehme Sammellauf des ersten Teils geht in diesem gewaltigen Abenteuer verloren.
Doch auch wenn »Banjo-Tooie« mit seinen riesigen Levels übertreibt, weiß es immerhin seine Größe richtig einzusetzen. Es hebt sich von seinem Vorgänger ab: weniger sammeln, mehr rätseln. Die versteckten Puzzleteile lassen sich nicht einfach schnell einsacken. Um sie zu erhalten, wird viel Hirnschmalz benötigt. Durch den höheren Aufwand entsteht allerdings ein ebenso hohes Belohnungsgefühl.
Im Gegensatz zu »The Last of Us Part II«, »God of War Ragnarök« und »Super Mario Galaxy 2« hebt sich »Banjo-Tooie« als Fortsetzung entsprechend ab. Es reicht zwar ebenso wenig an den genialen Erstauftritt heran. Doch der Bär und die Vogeldame bieten mir in ihrem zweiten Ausflug ein eigenständiges Spielerlebnis, das mehr als nur eine Erweiterung darstellt. Videospiele müssen ihren Vorgänger nicht überbieten, sollten ihn aber verändern. [dg]
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Bildquellen: Titelbild-Collage: The Last of Us Part II, God of War Ragnarök, Super Mario Galaxy 2, Banjo-Tooie – Presskit.