Disclaimer: Der folgende Artikel beschäftigt sich mit wirtschaftlichen Gefahren von Mikrotransaktionen in Videospielen. Weiterführende Informationen und Hilfestellungen zum Umgang mit Glücksspielsucht findet Ihr auf der Webseite der deutschen Suchtberatung.


Das neue Spiel der Genshin-Impact-Entwickler Hoyoverse, ehemals Mihoyo, ist ein Sci-Fi-Rollenspiel namens Honkai: Star Rail. Das Game ist seit zwei Wochen auf PC und mobilen Endgeräten (iOS/Android) verfügbar und es ist ein echter Hingucker. Die hochwertige Präsentation im Anime-Stil wird von flotten Animationen und einer gelungenen Sprachausgabe (in Englisch und Japanisch) begleitet. Das spielerische Highlight ist das rundenbasierte Kampfsystem, das überraschend viel Tiefe bietet, obwohl es uns nur wenige Optionen an die Hand gibt. Neben den taktischen Gefechten gibt es zahlreiche kleine Rätsel und Nebenaktivitäten, die zwar nicht wahnsinnig originell ausfallen, aber immerhin etwas Abwechslung bieten.

Die Entwickler werden ihr frisches Live-Service-Projekt in unregelmäßigen Abständen mit frischen Spielinhalten aktualisieren und ausbauen. Aus diesem Grund gibt es einen flexiblen Story-Rahmen, der es den AutorInnen und Game-DesignerInnen von Hoyoverse erlaubt, sich auch in Zukunft kreativ auszutoben. Im Moment folgt Honkai: Star Rail einem Trupp mächtiger Space-Cowboys und -girls, die in einem intergalaktischen Zug durch das All reisen und astrale Phänomene untersuchen. Die jeweiligen Stationen, von denen es aktuell drei im Spiel gibt, umfassen eigenständige, aber nicht notwendigerweise abgeschlossene Erzählungen. Auf dem zugefrorenen Planeten Jarilo-VI beschäftigen wir uns etwa mit den gesellschaftlichen Problemen einer geteilten Stadt, während wir die Hintergründe des anhaltenden Schneesturms ergründen.


Optionale In-App-Käufe und die Gacha-Mechanik

Genau wie seine geistigen Vorgänger (allem voran Honkai Impact 3rd und Genshin Impact) ist Honkai: Star Rail eine Free-to-Play-Erfahrung, die grundsätzlich vollkommen kostenlos spielbar ist. Gerade zu Beginn werden AbenteurerInnen mit großen Mengen an wertvollen Belohnungen überhäuft, doch wer die florierende Anfangsphase hinter sich lässt, landet irgendwann zwangsläufig im monotonen Ressourcen-Grind. Diese künstliche Fortschrittsschranke lässt sich natürlich umgehen – wenn man bereit ist, echtes Geld in die Hand zu nehmen.

Ebenso wie Hoyoverses frühere Titel ist dieses Spiel nämlich ein Vertreter des umstrittenen „Gacha“-Genres. Der Begriff stammt aus dem Japanischen und bezeichnet Kapselmaschinen (und damit ist keine Kaffeemaschine gemeint). Das Prinzip ist schnell erklärt: Man zahlt einen festgelegten Beitrag, woraufhin man einen zufällig ausgewählten Gegenstand aus einem großen Preispool erhält. Dank virtueller Währungen und realen Geldeinsätzen ist dieses simple Prinzip in den letzten zehn Jahren zu einer perfiden Geschäftspraktik herangewachsen, mit denen gigantische Gewinne im Videospielsektor erwirtschaftet werden. Da sich hinter diesem System eine gefährliche Suchtspirale verbirgt, beschäftigen sich unlängst auch Verbraucherschützer und Politik mit dem Thema.

Um das umstrittene Monetarisierungsmodell von Honkai: Star Rail zu überprüfen, ziehe ich nach Abschluss der aktuellen Inhalte (v1.0.5) eine erste Zwischenbilanz. Ein Blick in mein Inventar offenbart allerhand Startgeschenke, mit denen neue SpielerInnen zu Beginn ihrer interstellaren Reise angefixt werden. Die meisten aktuellen Herausforderungen des Spiels lassen sich mit den kostenlosen Charakteren und Waffen bewältigen, die man sich in dieser Anfangsphase ohne große Anstrengungen verdient. Spätere Aktivitäten und höhere Schwierigkeitsgrade setzen jedoch unterschiedlichste Teamkompositionen voraus, weshalb die ursprüngliche Party irgendwann nicht mehr ausreicht. Da neue Spielfiguren und Waffen vorrangig über die Gacha-Mechanik verfügbar werden, betrachte ich diese Komponente im Detail.


Abrechnung: Der Vergleich mit der Wirklichkeit

In den ersten zwei Wochen hat mir das Game genügend Ressourcen zur Verfügung gestellt, um aus der virtuellen Gacha-Maschine insgesamt 270 Items (Waffen und Charaktere) unterschiedlicher Wertigkeit zu ziehen. Ein einziger „Warp“ – so werden in diesem Titel die einzelnen Gacha-Pulls genannt – entspricht 160 Einheiten der Spielwährung „Stellar Jade“. Diese Währung könnt ihr entweder erspielen (dazu später mehr) oder sie im Echtgeld-Shop eintauschen, für umgerechnet circa 2,50 bis 3,20 Euro. Je nach Wechselkurs beläuft sich der reale Gegenwert für 270 Warps somit auf satte 700 bis 800 Euro.

Für die Rechnung müsst ihr wissen, dass die Qualität der Belohnungen entscheidend ist. 94 Prozent der Items sind irrelevantes Füllmaterial, das direkt wieder verschrottet und weiterverwertet wird. Interessant wird es erst bei den 4-Sterne-Waffen und Charakteren, die spätestens nach zehn Versuchen zum Vorschein kommen. Die besten Gegenstände und Figuren im Spiel gehören in die 5-Sterne-Schublade, die sich mit einer verschwindend geringen Wahrscheinlichkeit von nur 0,6 Prozent öffnet. Um die schlechte Erscheinungsrate dieser Belohnungen zu verbergen, wurde ein Mechanismus implementiert, der NutzerInnen für 80 bis 90 Warps (umgerechnet circa 250 Euro) einen Gegenstand der höchsten Qualitätsstufe garantiert.

Statistisch gesehen liegt die erwartete Gewinnausschüttung für 270 Versuche somit bei mindestens 30 Waffen und Spielfiguren der Qualitätsstufe 4 Sterne oder höher. Zieht man die Startgeschenke aus der Rechnung ab, bin ich ziemlich glimpflich davongekommen, denn der Gacha-Lotterie habe ich bis zum jetzigen Zeitpunkt insgesamt 45 Gegenstände der Wertigkeit 4 oder höher zu verdanken. So viel Glück wird aber leider nicht jeder von euch haben, denn Hoyoverses Gacha-System hat noch ein paar weitere Eigenheiten, über die neue SpielerInnen Bescheid wissen sollten.


Aussicht auf Erfolg?

Beim Gacha-Lotto stehen in der Regel mehrere Preispools zur Verfügung, die Banner genannt werden. Jeder dieser Banner umfasst eine Auswahl an Charakteren und Waffen, die man mit einem Warp potentiell ergattern könnte. Im Vergleich zu den restlichen Belohnungen der gleichen Qualitätsstufe werden die Erscheinungsraten der beworbenen Items innerhalb eines Angebots minimal erhöht, weshalb es rechnerisch etwas wahrscheinlicher ist, sie freizuschalten. Es gibt nur leider keine Garantie, dass ihr genau den Gegenstand erhaltet, auf den ihr es womöglich abgesehen habt.

Wenn ihr zum Beispiel einen seltenen 5-Sterne-Charakter aus einem der zeitlich limitierten Sonderbanner ziehen wollt, dann braucht ihr neben Spielwährung für umgerechnet 250 Euro immer auch etwas Glück. Denn selbst wenn der unwahrscheinliche Fall eines 5-Sterne-Warps eintritt, entscheidet letztlich ein Münzwurf darüber, ob ihr euren Hauptgewinn oder einen Trostpreis mit nach Hause nehmt. Ähnlich wie bei Sammelkarten könnt ihr beim Gacha zudem auch einfach Pech haben und Items doppelt oder dreifach kassieren. Identische Kopien von Charakteren und Waffen lassen sich aber immerhin zu besseren Varianten zusammenfügen, was mit Bonuseffekten und gesteigerten Werten einhergeht.

Zum Abschluss möchte ich noch einmal auf die Spielwährung „Stellar Jade“ zu sprechen kommen. Dieses Währungssystem ist eine ständige Begleiterscheinung, denn für abgeschlossene Aufgaben und gesammelte Belohnungen erhalten wir mikroskopische Mengen davon. Leider sind die Jade-Vorräte begrenzt, vor allem wenn ihr bereits sämtlichen relevanten Spielinhalten nachgegangen seid. Content-Updates bringen in der Regel frische Belohnungen mit sich, doch die lassen manchmal monatelang auf sich warten. Wer allein durch die täglichen und wöchentlichen Hausaufgaben genügend Spielwährung akkumulieren möchte, um sich per Warp ein garantiertes 5-Sterne-Item zu erarbeiten, müsste im Schnitt etwa drei Monate lang täglich Honkai: Star Rail spielen.

Dass man sich überhaupt fragen muss, ob man lieber Zeit oder Geld in ein Spiel stecken sollte, um Fortschritte (schneller) zu erzielen, sagt meiner Meinung nach schon eine Menge über ein Produkt aus. Hoyoverse hat inzwischen zwar einen kleinen Warnhinweis zum Thema Glücksspielsucht in ihren Echtgeldmarkplatz eingepflegt, damit können sie aber kaum über das heikle Verhältnis zwischen Spielfortschritt und Monetarisierung hinwegtäuschen, an dem sie selbst kräftig verdienen. Am besten macht ihr einen möglichst großen Bogen um das gesamte Thema, denn dann spart ihr euch nicht nur Geld und Nerven, sondern habt auch mehr Zeit für gute Spiele[sb]


Was sind eure Gedanken zum Thema? Was haltet ihr von den Spielen des Entwicklers oder vergleichbaren Angeboten? Macht Stefan aus einer Mücke einen Elefanten oder habt ihr ähnliche Erfahrungswerte? Klagt uns euer Leid und stoßt die Diskussion in den Kommentaren an.


Weiterführende Informationen und Lese-/Podcast-Empfehlungen:

  • Leon Y. Xiao auf Gamesindustry.biz: „Loot box State of Play 2022: Regulatory and policy research developments“, verfasst im Dezember 2022
  • Michael Graf auf Gamestar.de: „Glücksspiel statt ‚Killerspiele‘: Die neuen Prioritäten beim Jugendschutz“, verfasst im Januar 2023
  • Gameswirtschaft.de: „Rechtskräftig: FIFA-Lootboxen sind illegales Glücksspiel (Update)“, verfasst im Oktober 2022
  • Robert Glashüttner auf RadioFM4: „Warum ich nicht mehr ‚Marvel Snap‘ spielen werde“, verfasst im März 2023