Vorsichtig linse ich um eine Ecke. Der Gang vor mir liegt im Dunklen, aber unheildrohende Geräusche lassen Böses ahnen. Ich funzle mit meiner Taschenlampe in den Gang. Rostige Wände, umherliegender Müll und kaputtes medizinisches Material, ansonsten ist nichts zu sehen. Also krieche ich vorsichtig aus meiner Deckung und stapfe mutig auf ein Schott zu, das ich in der Ferne entdecken kann.
Zwei Sekunden später taucht kreischend ein Mutant vor mir auf und grapscht mit klauenbewehrten Armen nach mir. Beherzt zücke ich meinen Plasmacutter, schieße dem Vieh zunächst in die Beine, um es zu verlangsamen, und schicke es dann in die ewigen Jagdgründe. Als Beute lässt es Munition fallen, die ich, nach einem prüfenden Blick auf meine Waffe, auch gut brauchen kann. Meine Gesundheit hat etwas gelitten, aber es besteht noch kein Anlass, ein wertvolles Medikit zu verbrauchen. Ich atme tief durch und gehe weiter auf das Schott zu…
Gib mir mehr Infos!
Ein paar Stunden bin ich jetzt im Remake von Dead Space unterwegs und die düstere Atmosphäre hat mich schon nach ein paar Minuten in seinen Bann gezogen. Das Original habe ich damals nur kurz angespielt und spiele deshalb sozusagen blind. Ich hatte Dead Space mehrfach empfohlen bekommen mit dem Hinweis, dass das Remake durchaus gelungen sei und in vieler Hinsicht besser als sein Vorgänger aus dem Jahr 2008. Allerdings bringe ich die schlechtesten Voraussetzungen für diese Art Spiele mit: Ich bin definitiv eine Niete in Shootern und in Horrorspielen stehe ich alle fünf Minuten kurz vor einem Herzkasper. Trotzdem habe ich mich mutig ins Abenteuer gestürzt.
Als Issac Clarke, einem Raumschifftechniker, fliege ich mit ein paar Kollegen auf einer Instandhaltungsmission zum gigantischen Bergbauschiff USG Ishimura, um dort ein paar routinemäßige Wartungsarbeiten durchzuführen. Doch irgendwas ist auf diesem Schiff gewaltig schiefgelaufen. Die Crew wurde massakriert, jegliche Arten von Monstern bevölkern jetzt die USG Ishimura und die sind offensichtlich alle darauf aus, mich zu töten. Deshalb ich versuche bald nur noch verzweifelt am Leben zu bleiben und zu entkommen.
Was mir beim Einstieg allerdings sofort aufgefallen ist und was ich immer noch feiere, ist die Tatsache, dass Dead Space kein vertrautes HUD (Head-up-Display) besitzt, wie es in vielen Videospielen üblich ist. Die Darstellung ist hier eine völlig andere. Ein HUD soll dem Spieler den derzeitigen Zustand seiner Spielfigur widerspiegeln und Informationen zur näheren Umgebung präsentieren. Das können im Regelfall Infos zum Gesundheitszustand, eine Übersicht der zur Verfügung stehenden Ressourcen, wie z.B. Munition, Heiltränke oder auch der Inhalt der eigenen Geldbörse sein. Hinzu kommen Zielmarker, die die Richtung zum nächsten Checkpunkt vorgeben, oder auch Minimaps, die einen keinen Ausschnitt der Umgebung und damit eventuell auch Gegner in der Nähe zeigen. Daneben gibt es gefühlt unzählige weitere Anzeigen, die von Spiel zu Spiel sehr unterschiedlich sein können.
Alles Wichtige im Blick
Normalerweise werden diese Informationen einfach mehr oder weniger phantasievoll über die angezeigte Szene gelegt. Bei Dead Space geht man hier aber einen anderen Weg. Hier sind die verschiedenen Elemente in die Spielwelt integriert. Beispielsweise zeigt mir ein leuchtender Balken auf dem Rücken des Raumanzugs meines Protagonisten seinen Gesundheitszustand an. Ist der Balken komplett gefüllt und leuchtet blau, ist alles in Ordnung. Fehlen einige Segmente und die Farbe wechselt zu gelb, dann sollte ich schnell zu einem Heilmittel greifen.

Obwohl das nirgends erklärt wird, fühlt es sich sofort logisch und irgendwie angenehm an. Meine Augen bleiben eher an meiner Spielfigur haften, als dass ich sie ruhelos über den ganzen Bildschirm gleiten lasse, um mir immer wieder verschiedene Informationen zu holen. Auch die Einsatzbereitschaft meines Stase-Moduls, das Gegner oder Gegenstände verlangsamen kann, wird mir über ein farbiges Element auf dem Anzug mitgeteilt. Das verschafft mir ein entspannteres Gefühl, da ich immer alles gleich im Blick habe, soweit es Entspannung in diesem Game überhaupt gibt…
Dead Space verzichtet auch bewusst darauf, mir Informationen anzuzeigen, dir ich im Moment gar nicht benötige. Was für einen Sinn hätte es zum Beispiel, mir ständig einzublenden, wie viele Credits (die Ingame-Währung) ich bereits eingesammelt habe, wenn ich die sowieso erst am nächsten Shop benötige. Und eine Anzeige, wieviel Munition noch in meiner Waffe steckt, bekomme ich auch erst dann, wenn ich die Waffe anlege. Zwar kann ich das natürlich auch zwischendurch checken, wenn ich mich gerade nicht in einem Kampf befinde, aber diese Info ist eben in vielen Situationen nicht relevant.
Bei Dead Space konzentriere ich mich dadurch wirklich mehr auf mein Umfeld. Es gibt mir zudem viel mehr Befriedigung, auf mich selbst gestellt ein Ziel zu erreichen, ohne vom Spiel ständig durch irgendwelche Anzeigen unterstützt zu werden.
Ich habe übrigens auch den Verdacht, dass die Entwickler mich teilweise bewusst in die Irre führen wollen und auch ziemlich geschickt darin sind. Da ich keinerlei Information in irgendeiner Form darüber habe, ob sich in meiner Umgebung vielleicht Gegner rumtreiben, muss ich mich auf mein beschränktes Sichtfeld und mein Gehör verlassen. Und das kann täuschen, wie ich mehrfach leidvoll erfahren musste. Auch wenn Gebrüll hinter einer Ecke vielleicht auf ein schleimiges Monster schließen lässt, bedeutet Stille im Umkehrschluss nicht, dass sich nicht gleich hinter mir ein menschenfressendes Etwas fast aus dem Nichts heraus materialisiert. Und das, obwohl ich mich doch gerade mindestens fünfmal umgesehen habe. Hier hätte ich mir gerne einen Scanner wie in Alien: Isolation gewünscht, aber das ist ein anderes Thema…

Wo zum Henker muss ich hin?
Obwohl Dead Space auf den ersten Blick ziemlich linear aufgebaut zu sein scheint, habe ich mich dennoch oft verlaufen. Zu verschachtelt sind die Gänge und Räume, als dass ich mich hier sofort zurechtgefunden hätte. Zugegebenermaßen bin ich auch eine totale Niete, wenn es darum geht, in einem Spiel die Orientierung zu behalten. Hier nimmt mich das Game bewusst nicht an die Hand. Kein Zielmarker, keine Minimap, kein Kompass… und ich find’s großartig!
Gefühlt kann ich dadurch viel mehr ins eigentliche Spielgeschehen eintauchen und werde nicht ständig durch unwichtige Anzeigen abgelenkt. Ich ertappe mich bei vielen anderen Spielen nämlich immer wieder dabei, dass ich die einzelnen Elemente des HUDs checke und meine Augen eher an der Minimap kleben, als an der teils wundervollen und detailreichen Spielumgebung.

Natürlich habe ich eine Map, auf die ich im Zweifelsfall einen Blick werfen kann, und durch einen Tastendruck wird mir die Richtung kurz angezeigt, in der es weitergeht, aber diese Information ist eben nicht omnipräsent. Ich darf selbst Gänge und Räume inspizieren, in Sackgassen laufen oder vor verschlossenen Türen stehen, ohne dass mir ständig gesagt wird, dass ich doch eigentlich ganz wo anders hinmüsste. Ich habe wirklich das Gefühl, mir den Weg durch das angeranzte Raumschiff selbst zu erarbeiten und feiere deshalb jeden erreichten Checkpunkt als kleinen persönlichen Erfolg.
Frühe Integration? Leider oft Fehlanzeige
Wenn die Minimierung des HUD doch so viel zur Immersion beiträgt, warum wird davon in den wenigsten Spielen etwas in dieser Richtung umgesetzt?
Oft habe ich den Eindruck, dass mit der Entwicklung des endgültigen HUDs erst spät während der Entstehung eines Spiels begonnen wird. Eigentlich erwarte ich doch, dass ein HUD doch ein wesentlicher Bestandteil eines jeden Spiels sein sollte und deshalb früh Aufmerksamkeit verlangt.
Meine persönliche Vermutung ist allerdings, dass man sich normalerweise lieber zum eigentlichen Gameplay oder der Story Gedanken macht, als um die geschickte Integration von Statusanzeigen und Wegweisern. Hier müsste man das Spiel nämlich von Anfang an dementsprechend planen und umsetzen. Da ist es doch in vielen Fällen wesentlich einfacher, schneller und wahrscheinlich kostengünstiger, am Ende ein paar Anzeigen auf den Screen zu klatschen.
Wie gerne hätte ich beispielsweise Indikatoren für die Gesundheit meiner Spielfigur, die nicht nur aus schnöden Balken und Zahlen bestehen. Eine Trübung des Gesichtsfelds oder trägere Bewegungen wären da vielleicht ein schöner Ansatz. Oder wie wäre es mit mehr akustischen Indikatoren für bestimmte Ereignisse oder Zustände? Aber auch bei der Wegfindung könnten die Entwickler meiner Meinung nach etwas einfallsreicher sein. Eine Minimap ist zwar praktisch, aber wie cool wäre es, sich auf andere Weise im Spiel zurechtfinden zu müssen. Hier höre ich oft das Argument, dass große Open-World-Spiele ohne Minimap oder Questmarker gar nicht funktionieren würden. Das mag für viele Spiele auch gelten, allerdings machen es Elden Ring oder Ghost of Tsushima vor, dass es eben doch auch anders geht.

In beiden Spielen habe ich mich nie verloren gefühlt, auch wenn ich keine bestimmte Richtung vorgegeben bekam. In Elden Ring folgte ich dem riesigen goldenen Erdenbaum oder den glitzernden Staubfahnen der Orte der Gnade, in Ghost of Tsushima ließ ich mir vom Wind oder kleinen Tieren den Weg weisen oder folgte immer wieder einer Rauchfahne, die eine nahegelegene Siedlung ankündigte.
Auch die Metro-Reihe kommt ohne permanent sichtbare Wegführung aus und integriert viele Statusanzeigen in Gerätschaften, die ich sowieso mit mir herumtrage. Hier knipse ich mein Feuerzeug an, um Spinnwegen zu verbrennen oder mir eben den Weg zeigen zu lassen. Die kleine Flamme neigt sich hier nämlich immer in die Richtung, die ich einschlagen sollte. Einen Kompass habe ich zwar auch, aber den muss ich immer erst aus der Tasche ziehen.

Neue Ideen sind gefragt und gewünscht
Wie dem auch sei. Dead Space überrascht und überzeugt mich jedenfalls in dieser Hinsicht. Auch wenn es viele wundervolle Spiele gibt, die mich mit Lebensbalken, Minimap und anderen Anzeigen versorgen, so würde ich mir doch manchmal wünschen, dass vieles anders gelöst wird, um mich besser auf die Umgebung und die Story konzentrieren zu können.
Wo es möglich und sinnvoll ist, schalte ich diese Anzeigen in anderen Spielen deshalb manchmal auch aus. Vielleicht muss ich dann länger nach einer Klettermöglichkeit suchen, um einen Zugang zu einem anderen Gebiet zu erreichen, oder ich sterbe einmal öfter, weil ich die Zeichen des Siechtums zu spät erkannt habe. Aber dafür gehe ich mit dem guten Gefühl aus einem Spiel, doch einiges mehr erreicht zu haben, als es mir die Entwickler vielleicht zugetraut hätten.
Liebe Spielentwickler, traut euch und geht hier auch mal ungewöhnliche Wege, die euer Spiel auch angenehm von der Masse abheben. Wir, die Spielerinnen und Spieler, werden es euch danken. [me]
Dead Space
27. Januar 2023, Motive Studio / Electronic Arts
PlayStation 5, Xbox Series, Windows PC
Directors: Roman Campos-Oriola & Eric Baptizat
Producer: Philippe Ducharme
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Bildquellen: Eigene Screenshots
Ein schöner Einstand! Einige Dinge, die mir am Artikel gut gefallen, sagte ich ja vorab schon. :)
Dead Space muss ich irgendwann auch noch nachholen, egal welche Version. Bisher kenne ich nur den (sehr guten) Shooter-Ableger Dead Space: Extraction, den ich gleich mehrmals durchgespielt habe.
Ghost of Tsushima erwähnst du zwar nur am Rande, aber das erhielt auch anderswo viel Lob. Als ich darüber gelesen habe, mochte ich mich dem Lob auch anschließen, als ich das Spiel dann aber selbst gespielt habe, war das nicht mehr der Fall. Die Idee mit dem Wind, und auch mit den Tieren, ist schon nett, doch sind das meines Erachtens auch nur schöner verpackte Wegpfeile, die das Spiel überhaupt nur deshalb braucht, weil es sonst so furchtbar schlecht darin ist, ein Gefühl für die Topographie seiner Spielwelt zu vermitteln.
Es fehlt im Spiel an echter Weitsicht, an Landmarken, und an wirklich einzigartigen geographischen Merkmalen, anhand derer ich mich orientieren könnte. So charmant der Wind als Kompassersatz auch ist, so wird die Idee doch schnell entzaubert, wenn ich mich gefühlt fast nur an diesen wenig subtilen Darstellungen der Luftströme orientieren kann, die ich noch dazu immer wieder neu auslösen muss. Währenddessen werde ich genauso blind für meine Umgebung wie in anderen Spielen, die mich auf Minimaps oder Wegpfeile starren lassen.
Und auch die Füchse, die einem den Weg zu versteckten Schreinen zeigen: Auch hier, Idee schön, Umsetzung kontraproduktiv. Sie hätten ein subtiles Indiz sein können, dass den eigenen Entdeckerdrang befördert, aber in der Praxis rannte ich denen genauso mechanisch hinterher wie irgendwelchen Vögeln in der Assassin’s Creed-Reihe (und wusste am Ende nicht mehr, wo ich eigentlich war).
Dabei macht es auch Assassin’s Creed mittlerweile, oder zumindest in Origins, besser. Dort wusste ich immer erstaunlich gut, wo ich gerade bin, was der enormen Weitsicht und den weithin sichtbaren Landmarken (vor allem den Pyramiden von Gizeh) zu verdanken ist. Ich glaube, Breath of the Wild hatte das auch schon in ähnlicher Weise vorgemacht, aber das habe ich selbst noch nicht gespielt.
Elden Ring mit seinem riesigen Erdenbaum erwähnst du ja auch. Der erinnert mich an den Signalturm von Dear Esther, dessen Leuchten zugleich eine unheimliche Anziehungskraft hat.
Ein Positivbeispiel wäre für mich auch noch Kingdom Come: Deliverance, das eine sehr schöne Karte und einen ziemlich misslungenen Kompass hat, ABER: Ich hab immer den Eindruck, dass dort jedes Feld und jeden Hügel so individuell ist, dass ich sie wiedererkenne und immer genau weiß, wo ich bin. Ich frage mich, ob das daran liegt, dass die Spielwelt einem real existierenden Landstrich nachempfunden wurde oder daran, dass sie realistischer proportioniert ist, aber das Gefühl einer „echten“ Welt fand ich dort ziemlich einzigartig.
Und genau das fehlte mir bei Ghost of Tsushima, wo sich die Welt für mich bei aller Schönheit immer kulissenhaft anfühlte. Ich irrte durch sie durch wie durch den Nebel von Turok damals auf dem Nintendo 64 und verlor wohl auch deshalb irgendwann das Interesse am Spiel.
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Das ist interessant, wie jeder die Wegführung anders empfindet. In Ghost of Tsushima habe ich mich oft nur treiben lassen. Da habe ich mir manchmal kein Ziel vorgenommen, sondern bin einfach nur an der Küste entlang geritten oder habe einen besonders schönen Wald erkundet. Ganz automatisch bin ich dann irgendwann auf neue Aufgaben oder Entdeckungen gestoßen. Wenn ich in der Story vorankommen wollte habe ich mir natürlich gelegentlich ein paar Wegmarken gesetzt, aber trotzdem habe ich es sehr genossen, einfach nur durch die Welt zu reiten und einfach mal (fast) nichts zu tun.
Assassin’s Creed spiele ich (leider) schon seit Jahren nicht mehr. Das ist mir einfach alles zu riesig geworden. Origins habe ich damals allerdings noch gespielt, kann mich da aber nicht mehr so ganz erinnern, wir ich mir da meinen Weg gesucht habe. Ich meine aber, dass ich da viel mit dem Adler gearbeitet hatte, um mir meine Ziele zu suchen.
Offensichtlich ist es auch immer sehr individuell, wie viel oder wenig Zielführung noch als angenehm oder eher störend empfunden wird.
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