Denen, die – wie ich – des Spanischen nicht mächtig sind, sei gesagt: „el silla“ bedeutet nichts anderes als „der Stuhl“, und steht somit in keiner etymologischen Verbindung zum englischen Wörtchen „silly“, wie ich das, in meiner Unkenntnis des Spanischen, aus dem Bauch heraus gemutmaßt hatte. „Der Idiot“, den ich fälschlicherweise im Spieltitel zu erkennen glaubte, war hier also ich. Zu meiner Ehrenrettung darf ich aber sagen, dass auch das ein mehr als treffender Titel für dieses grenzdebile kleine Spiel gewesen wäre.


Meet the chair, man!

El Silla sieht nicht nur aus wie ein Flash-Game aus den frühen 2000ern, sondern hat auch denselben Komplexitätsgrad. Alles, was ihr tun müsst, ist nichtsahnenden Mitmenschen einen Stuhl über den Kopf zu ziehen. Warum? Warum nicht!

In der Bildschirmmitte bewegen sich ein Balken und eine Trefferzone, mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und teils in gegenläufiger Richtung. Wie beim Standard-Kontrollschema vieler Golfspiele besteht eure Aufgabe nun darin, im richtigen Moment – also dann, wenn der Balken möglichst exakt in der Mitte der Trefferzone ist – zuzuschlagen. Zuschlagen, das bedeutet, das GamePad mit einem kräftigen Ruck nach unten zu reißen. Wer unbedingt möchte, darf alternativ auch einfach den A-Knopf drücken – und sich damit selbst den Spielspaß nehmen.

Sofern ihr die rot markierte Trefferzone nicht komplett verfehlt habt, schmettert der zackenhaarige Antiheld seinen Holzstuhl, dass der berstet, egal ob euer Opfer gerade in der Wanne sitzt, einen Burger verspeist, oder in die Büsche kackt. Szenen aus dem Leben also, und dank des wuchtigen Wii-U-GamePads seid ihr mit ganzem Körpereinsatz involviert. Je präziser der Treffer, desto mehr Punkte gibt es – bis zu 1000 pro Level. Besonders zielgenaue Holzstuhlattentäter werden außerdem mit einer Art „Fatality“ belohnt, der in jedem Level anders ausschaut und das Opfer eurer Aggressionen besonders unpässlich zurücklässt. Das Erreichen dieser Animationen fungiert dabei zugleich als eine Art Achievement.


Implizites Endziel der von 8-Bit-Gedudel unterlegten Sitzmöbelzweckentfremdung ist das Schlagen eines vorfabrizierten Highscores von 5000 Punkten, wofür so einige Anläufe vonnöten sein dürften. Verpasst ihr die Trefferzone nämlich auch nur einmal komplett, oder lasst ihr euch beim Vermöbeln zu viel Zeit, dann ist das Spiel vorbei: Der antisoziale Frechdachs wird ertappt und bekommt die verdiente Retourkutsche verpasst.

So geht es durch sechs sukzessive schwieriger werdende Levels, in denen sich die Balken immer schneller bewegen, bis das Ganze wieder von vorn beginnt und relativ bald das Prädikat „unschaffbar“ erreicht. El Silla hat die Spieltiefe eines Klappstuhls und ist dabei so wunderbar primitiv und albern, dass ich schallend lachend vor dem TV saß. Der (Meta-)Witz an der Sache ist nicht zuletzt, dass das Wii-U-GamePad, mit seinem Gewicht und seiner Haptik, wie geschaffen für exakt dieses Spiel ist, und von El Silla auf originellere Weise genutzt wird, als es Heerscharen von AAA-Entwicklern auch nur zu träumen wagten.

Insgesamt verbrachte ich mit El Silla rund eine Stunde, bis ich den Highscore geknackt und alle Achievements unlocked hatte. In dieser Zeit hat mir das primitive Tun einen Heidenspaß bereitet und ich bedauere nur, dass das Gameplay für eine längerfristige Highscore-Jagd leider nicht ausgefeilt genug ist. Dafür kostet das Spiel aber auch nur einen Euro. Im letzten Level erhält man außerdem die Gelegenheit, dem Karma als Erfüllungsgehilfe zu dienen und dem Entwickler, der all den Blödsinn verbrochen hat, selbst eins über die Rübe zu ziehen. Ein selbstreflexives Autorenwerk, wie es auch ein Lars von Trier nicht radikaler hinbekommen hätte!


El Silla passt wie Stuhl auf Hinterkopf und ist vielleicht genau der Abschied, den eure Wii U verdient hat. Außerdem kriegt man für 1,00 Euro heute noch nicht einmal mehr einen Cheeseburger, sondern allenfalls einen Besuch auf der Bahnhofstoilette. Wer an sich halten kann, sieht den Obolus in El Silla besser investiert. Und wer einen zweiten Euro übrig hat: Das ambitioniertere zweite Spiel des Entwicklers, das den Namen „Pad of Time“ trägt, ist anlässlich der bevorstehenden Schließung des Wii-U-eShop für denselben kleinen Preis zu haben. [sk]


El Silla – Arcade Edition
Markanime Studios, 2019
Nintendo Wii U


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