Es gab einmal eine Zeit, in der waren Jump-and-Runs das marktbestimmende Genre auf Spielekonsolen, in etwa so, wie heute Open-World-Games und narrative Third-Person-Actionspiele. Beträchtlichen Anteil an ihrer Popularität hatten ihre jeweiligen Protagonisten, die sich – ob „knuffig“ oder „cool“ – nicht selten zu Maskottchen der einzelnen Konsolenplattformen (respektive ihrer Hersteller) entwickelten. Als Blaupause fungierte selbstverständlich Super Mario und andere Plattforminhaber eiferten Nintendo nach.

Sega hatte zunächst Alex Kidd, dessen Problem es allerdings war, dass keines seiner Nachfolge-Abenteuer an seinen fulminanten Auftakt in Miracle World heranreichte. Mit Sonic the Hedgehog schuf das Unternehmen jedoch einige Jahre später den bis heute einzigen Jump-and-Run-Helden, dessen Popularität zumindest ansatzweise mit der von Super Mario vergleichbar ist. Der von Crystal Dynamics entworfene Gekko Gex sollte dem 3DO zum Erfolg verhelfen und war ebenfalls als bewusstes Gegenstück zu Sonic und Super Mario konzipiert, auch wenn er aufgrund des geringen Erfolgs der 3DO-Konsole ziemlich schnell auf Konkurrenzsysteme auswanderte. Der Beuteldachs Crash Bandicoot (und in geringerem Maße Spyro the Dragon) standen zumindest zeitweise synonym für die erste Sony PlayStation. Und auch das eine oder andere reine Software-Unternehmen hielt sich seinen persönlichen Vorzeige-Hüpfer, Ubisoft zum Beispiel Rayman und Titus, nun ja, Titus den Fuchs.


Hudson Soft in Saft und Kraft

Doch vor allem im auserlesenen Kreis der Konsolenhersteller waren Jump-and-Run-Maskottchen gerade in den 1990ern nicht wegzudenken. Einen solchen Rang hatte einst auch Hudson Soft inne – Konami habe es selig – das zusammen mit NEC die „PC Engine“ auf den Markt brachte. Das Gerät erschien 1987 (zwei Jahre nach dem Sega Master System und ein Jahr vor dem Sega Mega Drive) und wird gemeinhin als die erste Konsole der 16-Bit-Ära (also der sogenannten „vierten“ Konsolengeneration) angesehen, auch wenn es tatsächlich nur eine 8-Bit-CPU besaß (aber immerhin einen 16-Bit-Grafikprozessor).

Nach damaligen Maßstäben war der PC Engine im Heimatland Japan ein enormer Erfolg beschert, der sich in den USA allerdings nicht wiederholte, wo das Gerät auf den Namen „TurboGrafx-16“ umgetauft wurde. Noch schlechter lief es in Europa, wo die Konsole (aufgrund der enttäuschenden Verkaufszahlen in den Vereinigten Staaten) ohnehin nur in wenigen Ländern in nennenswerter Stückzahl in Umlauf geriet – Deutschland ausgeschlossen.

Man könnte sogar sagen, dass die PC Engine erst dank der Nintendo Wii auch in Europa zu größeren Ehren kam, als zahlreiche Titel – immerhin mehr als 60 – auf der sogenannten Virtual Console der Wii wiederveröffentlicht wurden. Auch ich lernte das TurboGrafx-16 – wie es im Zuge dieser digitalen Re-Releases nun auch hierzulande hieß – auf diesem Wege kennen und fand sehr schnell Gefallen an den klaren, farbintensiven Grafiken und der ungewohnt geschmeidigen Spielbarkeit.

Doch auch wenn ich dank der Virtual Console zahlreiche TGX-16-Klassiker kennenlernen und die meisten davon mit großer Begeisterung spielen durfte – das Maskottchen der PC Engine war mir lange fremd geblieben. Bevor nun in Kürze – bedingt durch die bevorstehende Schließung des Wii U eShop im kommenden März – ein weiteres Mal eine TGX-16-Bibliothek im digitalen Äther verschwindet, dachte ich mir, dass es an der Zeit ist, das zu ändern und diese videospielhistorische Bildungslücke zu schließen. Begrüßen wir also einen kleinen Mann mit einem großen Kopf: BONK.


Bonk Does What Master Higgins Don’t

Bei Hudson Soft und Maskottchen denken die meisten sicherlich zuerst an Bomberman, die vermutlich bekannteste Figur des Unternehmens (und dessen Fehlen als spielbarer Charakter in Super Smash Bros. ich deshalb sehr bedaure, zumal weil Hudson und Nintendo im Laufe der Jahre immer wieder eng zusammenarbeiteten – man denke nur, aber nicht allein, an die Mario-Party-Reihe).

Genau genommen ist allerdings nicht Bomberman das offizielle Maskottchen des Unternehmens, sondern Hachisuke. Hatschi-wer!? Hachisuke ist der Name des fröhlichen Bienchens im Firmenlogo von Hudson. Das trat selbst allerdings nie als Videospiel-Charakter in Erscheinung. Das heißt, mit einer Ausnahme: In „Super Mario Bros. Special“ stellte Hachisuke ein sammelbares Item dar, das immerhin 8000 Extrapunkte einbringt. „Super Mario Bros. Special“ – was ist das denn nun wieder? Eine offizielle Umsetzung bzw. Fortsetzung von Super Mario Bros., die 1986 von Hudson Soft für verschiedene Heimcomputer entwickelt wurde. Wie gesagt, Hudson und Nintendo arbeiteten immer wieder eng zusammen.

Einen originären Jump-and-Run-Helden hatte Hudson Soft seit 1986 auch im Portfolio: „Master Higgins“ aus Adventure Island. Das hatte seinen Ursprung allerdings auf dem Famicom und dem in Japan weit verbreiteten Heimcomputer MSX und war außerdem nur eine Adaption von „Wonder Boy“ unter anderem Namen. In Serie ging Adventure Island ohnehin erst in den 1990ern, und obschon es dann auch für die PC Engine erschien – zum Maskottchen reichte es für Master Higgins nie.

Diese Ehre wurde schließlich einem gleichermaßen glatz- wie großköpfigen Höhlenmenschen zuteil, der zumindest im Zuge der US-Veröffentlichung auf den eingängigen Namen „Bonk“ getauft wurde. Etwas zu eingängig für das britische Publikum übrigens, wo „to bonk“ nach Auskunft einschlägiger Internetseiten auch so viel wie „bumsen“ oder „vögeln“ bedeutet und man seinen Namen lieber vage ans japanische Original anlehnte. Dort ist der Kerl nämlich als „PC Genjin“ bekannt, ein Wortspiel mit dem Namen der Konsole PC Engine. Genjin bedeutet dabei so viel wie „Höhlenmensch“ oder ganz präzise „primitive man“, während „PC“ schönstes Pseudo-Latein für „Pithecanthropus Computerurus“ ist.

In Europa hieß „Bonk“ dann zunächst „PC Kid“, im Zuge der Portierung auf andere Systeme schließlich auch „B.C. Kid“, was offenkundig für „Before Christ“ stehen soll. Gar nicht mal so dumm. Im Zuge der Veröffentlichungen auf der Wii-Virtual-Console hat sich inzwischen aber auch in Europa der Name „Bonk“ eingebürgert, meines Wissens ohne im Vereinigten Königreich für Irritationen zu sorgen.


Bonks Weg zum Maskottchen

Bemerkenswert ist aber auch, dass Bonk bzw. PC Genjin zunächst gar nicht als Maskottchen der Konsole konzipiert war, und noch nicht einmal als Videospielheld. Stattdessen begann PC Genjin seine Karriere in einer Serie von Comicstrips im japanischen Spielemagazin „PC Engine Monthly“. Die Figur wurde sofort populär und entwickelte sich zum Maskottchen der Zeitschrift. Aufgrund dessen fasste Hudson Soft den Entschluss, gemeinsam mit Red ein tatsächliches Spiel zu entwickeln. „Red“? Red Company bzw. Red Entertainment existieren noch heute und sind ein Urgestein der japanischen Spieleindustrie. Auf der PC Engine zeichneten sie neben Bonk auch für die exzellenten Shoot ’em ups Gate of Thunder und Lords of Thunder verantwortlich.

Bonk’s Adventure aus dem Jahre 1989 zählte zu den ersten Spielen des Studios, wurde allerdings noch gemeinsam mit Atlus entwickelt (und zwar in gerade einmal drei Monaten). 1991 entwickelte Red unter dem Titel Bonk’s Revenge die Fortsetzung. Der dritte und letzte Teil auf der PC Engine erschien abermals zwei Jahre später 1993 unter dem Titel Bonk 3: Bonk’s Big Adventure. Dieses Spiel wurde jedoch nicht mehr von Red entwickelt; stattdessen beauftragte Hudson Soft das kleine Studio A.I.

Nicht nur der Vollständigkeit halber seien auch Air Zonk (1992) und Super Air Zonk (1993) erwähnt, zwei Shoot ’em up-Ableger für die PC Engine bzw. deren Super-CD-ROM-Erweiterung. Hier zeigt sich der Maskottchen-Status von Bonk – bzw. hier nun „Zonk“ – vielleicht am deutlichsten, da in diesen Spielen die bekannte Figur, wenn auch modifiziert, in ein vollkommen anderes Genre versetzt wurde. Etwas, das bekanntlich auch Nintendo und Sega mit Super Mario bzw. Sonic taten, um zwischen den Jump-and-Run-Releases keinen Leerlauf aufkommen zu lassen und nahezu jedem beliebigen Spielkonzept das gewisse (wiedererkennbare) Etwas zu verleihen.

Gleichzeitig war mit Air Zonk wohl die Hoffnung verbunden, dass Zonk, dargestellt als futuristischer Punk mit Sonnenbrille, den buchstäblich steinzeitlichen Bonk als Maskottchen ablösen und dem TurboGrafx-16 ein moderneres Image verschaffen würde. Daraus wurde allerdings nicht viel. Und während das erste Air Zonk als eines der besten „Shmups“ auf dem TGX-16 gilt (und das TGX-16 ist reich an starken Shmups), fällt Super Air Zonk: Rockabilly-Paradise dem Vernehmen nach deutlich ab.


Bonk im Überlebenskampf

Spätestens 1994 zeichnete sich ab, dass auch diverse Hardware-Erweiterungen (dazu ein andermal mehr) die Lebensspanne der PC Engine nicht unbegrenzt verlängern konnten. Bonk wollte allerdings nicht aussterben, sondern versuchte sein Glück auf anderen Systemen. Für Nintendos Game Boy erschienen 1994 einerseits eine Bonk-Minispielsammlung (namentlich GB Genjin Land: Viva! Chikkun Kingdom) und andererseits Bonk’s Revenge, das mit dem 1991er Heimkonsolentitel allerdings nur den Namen gemeinsam hat und ansonsten ein komplett neues Spiel ist.

Ebenfalls 1994 kam Super Bonk (bzw. Super Genjin oder Super B.C. Kid) auf das Super Nintendo, dem 1995 noch Super Genjin 2 nachfolgte, das allerdings nur in Japan erschien. Wie schon der dritte Teil für die PC Engine wurden auch die beiden SNES-Spiele von A.I. entwickelt. Super Genjin 2 gilt als Geheimtipp und ist vermutlich der beste Bonk-Titel dieses Studios. Trotzdem konnte sich Bonk gegen die starke Plattformer-Konkurrenz auf der Nintendo-Konsole nur schwer behaupten. Das lag sicherlich auch daran, dass die beiden Spiele nahezu zeitgleich mit Donkey Kong Country respektive Yoshi’s Island in die Läden kamen.

Danach ging auch Bonk den Weg der Dinosaurier. Verschiedene Fortsetzungen und Spin-offs waren geplant, wurden aber nie sehr weit entwickelt (unter anderem ein Rollenspiel, ein mögliches Rundenstrategiespiel und ein Ableger für Nintendos Virtual Boy-Desaster). Eine gut getarnte Ausnahme gibt es allerdings: Bomberman Hero – das 1998 für das Nintendo 64 erschien – war ursprünglich als Bonk-Spiel geplant und sollte (angelehnt an den Arbeitstitel der Konsole) „Ultra Genjin“ heißen. Dieser spezielle Entstehungshintergrund dürfte einer der Gründe sein, warum Bomberman Hero sich von den anderen Bomberman-Spielen auf dem N64 so stark unterscheidet und unter anderem keinen Mehrspielermodus bietet, aber das nur am Rande.


Paleo-Revival

Insbesondere der erste Teil der Bonk-Reihe erfuhr im Laufe der Jahre Umsetzungen auf zahlreiche andere Plattformen, die mal mehr, mal weniger stark vom Original abwichen. Als besonders gute Portierung des Erstlings gilt die Amiga-Version, die 1992 von Factor 5 entwickelt und von der Fachpresse in höchsten Tönen gelobt wurde. Heute kann man diesen Port auf der Webseite von Factor 5 kostenlos herunterladen. 2003 erschien im Rahmen der Hudson Selection-Reihe außerdem ein waschechtes Remake, lange bevor Spiele-Remakes wie Pilze aus dem Boden schossen. Das Spiel für den GameCube und die PlayStation 2 ist aber leider kaum bekannt und – man ahnt es schon – schaffte es aus Japan nicht heraus.

Im Zeitalter der digitalen Spiele-Distribution wurden Bonk schließlich verschiedene Mobile-Umsetzungen und Wiederveröffentlichungen zuteil. Die klassischen Bonk-Spiele vom TurboGrafx-16 ließen sich ab 2006 zunächst auf der Virtual Console der Nintendo Wii erleben, ab 2016 dann auch auf der Wii U (wo noch bis zur Schließung des eShop im März 2023 die Möglichkeit besteht, die Spiele zu erwerben). Auf der Retro-Konsole TurboGrafx-16 Mini (bzw. PC Engine Mini oder PC Engine CoreGrafx Mini) sind Bonk’s Adventure und Bonk’s Revenge enthalten (sowie Air Zonk); der dritte Teil der Reihe fehlt dort allerdings.

Das bislang letzte neue Bonk-Spiel hört auf den Namen Bonk’s Return und ist ein Mobile-Game aus dem Jahr 2006 (also aus der Zeit vor iPhone und App Store). Entwickelt wurde es von Two Tribes („Toki Tori“) aus den Niederlanden. Bedenkt man, dass es sich um ein vergleichsweise frühes Mobile-Game handelt, kommt Bonk’s Return den Originalspielen aus dem Hause Red erstaunlich nahe.

Ebenfalls ein westliches Produkt war das im Herbst 2009 angekündigte Heimkonsolen-Comeback Bonk: Brink of Extinction, das bei den Pi Studios in Texas in Arbeit war. Eine Preview konnte von der Fachpresse sogar schon angespielt werden, doch schlussendlich erblickte Brink of Extinction nie das Licht der Download-Stores. Im Zuge der Übernahme von Hudson Soft durch Konami wurde das Projekt im März 2011 auf Eis gelegt, obwohl das Spiel dem Vernehmen nach fertig war. Da im selben Monat allerdings auch die Pi Studios die Pforten schlossen, ist nicht vollständig klar, was hier Ursache und was Konsequenz war. Auf jeden Fall wäre es spannend, wenn dieser verlorene Reboot irgendwann den Weg an die Öffentlichkeit fände – vorausgesetzt, er schlummert noch auf irgendeinem Speichermedium.


Gut drei Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung der klassischen Bonk-Trilogie oder mehr als eineinhalb Jahrzehnte nach meinem persönlichen Erstkontakt mit den Spielen der TurboGrafx-Konsole habe kürzlich auch ich ein erstes Mal an ein Abenteuer des kahlköpfigen Höhlenjungen Hand angelegt. Wie mir meine Expedition in die Steinzeit gefallen hat, lest ihr hier bei SPIELKRITIK in wenigen Tagen. [sk]


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