Die »Uncharted«-Reihe ist für ihre mitreißende Story bekannt, wogegen ein »Call of Duty« nur sinnlose Popcorn-Unterhaltung darstellen soll. Beide Spiele-Reihen genießen dabei auch den Ruf, kein besonders durchdachtes Gameplay zu haben. Bei genauerer Betrachtung gibt es aber Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die völlig anders sind als erwartet.


Sympathische Killer

Ein Freund von mir hat einmal erwähnt, dass er die Uncharted-Spiele nur wegen der Story und den sympathischen Charakteren spielen würde. Das Gameplay sei ihm dabei weniger wichtig. Bei mir ist es allerdings genau umgekehrt. Ich mag die intensiven Feuergefechte in Kombination mit den Parkour-Einlagen. Die sinnfreie Geschichte holt mich dagegen weniger ab. Zumindest das erste »Uncharted« erzählt noch eine geerdete und teilweise schlüssige Handlung. Spielerisch mangelt es dem 2007 erschienenen Serienerstling allerdings noch an Spieltempo, Abwechslung und Inszenierung. In diesen Bereichen konnte das im selben Jahr veröffentlichte »Call of Duty 4: Modern Warfare« überzeugen.

Die Fortsetzung »Uncharted 2: Among Thieves« hat sich einige Spielelemente aus Call of Duty exzellent abgeschaut und sogar verfeinert. Die packende Verfolgungsjagd mit dem Helikopter sticht dabei besonders hervor. Dank der Klettermechanik unterhält diese in »Uncharted 2« sogar etwas mehr als in »Call of Duty 4«. Ansonsten mangelt es beiden Shootern an spielerischem Anspruch. Viele Waffen sind austauschbar. Sie unterteilen sich hauptsächlich in Fern- und Nahkampfwaffen, die ihren ballistischen Zweck erfüllen, aber kaum in Erinnerung bleiben. Um die Gesundheit der Spielfigur muss man sich auch nur wenig Gedanken machen, da sie sich automatisch regeneriert. Im Vordergrund steht eine solide Deckungsballerei, mit einer leichten taktischen Komponente.

Die Waffen werden allerdings von unterschiedlichen Charaktertypen abgefeuert. Einerseits von dem charmant scharfsinnigen Nathan Drake und zum anderen von austauschbaren, seelenlosen Soldaten. Die Spielfiguren in Call of Duty haben kaum menschliche Züge an sich und zeigen auch nur wenige Emotionen. Denn sie kämpfen in einem ebenso unmenschlichen Krieg, in den Emotionen keinen Platz haben. Zwar wird die Spielereihe für ihre charakterlosen Spielfiguren gerne kritisiert. Ich jedoch muss sie dafür loben.

Mir gefällt es, stumme Soldaten zu spielen, die ohne Widerwillen ihre Befehle ausführen. Denn als Spieler erledige ich ebenfalls stur meine Aufgaben. Solche Figuren passen damit viel besser in die kriegerischen Auseinandersetzungen als ein Nathan Drake. Zumindest in den früheren Call of Duty-Ablegern, in denen ich noch stumme Soldaten spielen durfte. Ab »Call of Duty: Black Ops« ist die Serie zu sprechenden Spielfiguren übergegangen, die versuchen ihre Taten moralisch zu rechtfertigen. Ich soll nicht länger ein notwendiges Übel betrachten, sondern bei einem gerechtfertigten Krieg mitfühlen. In den Zwischensequenzen von der »Call of Duty: Modern Warfare«-Neuauflage lässt sich die angesammelte Wut meiner Spielfigur in ihrem Gesicht ablesen. Das äußere Erscheinungsbild bekomme ich in den Call-of-Duty-Klassikern erfreulicherweise niemals zu sehen.

»Uncharted« demgegenüber lässt mich bereits von der ersten Szene an mit den Figuren mitfühlen. Der Dialog zwischen Nathan und Elena vermittelt eine angenehme Stimmung. Sie necken einander und man erkennt, dass sich der Dialog zuspitzt. Doch als Piraten ihr Boot attackieren, finden beide zueinander, um den Angriff zu stoppen. Und ich als Spieler muss mich aus der Situation hinausschießen. Töten ist dabei scheinbar die einzige Option, an einer Flucht wird gar nicht erst gedacht. Im ersten »Uncharted« könnte Nathan Drake noch als Opfer seiner Umstände betrachtet werden. Er jagt einem Schatz hinterher und sitzt mit seinen Begleitern auf einer Insel fest, umgeben von schießwütigen Piraten. Doch in seinen nachfolgenden Abenteuern ändert sich die Situation.

Sein zweiter Ausflug findet an mehreren Orten auf der Welt statt. Das sorgt spielerisch für wesentlich mehr Abwechslung. Es zeigt aber auch, dass Nathan ein gieriger Sturkopf ist, der sein Leben riskiert und die Leben anderer nimmt, nur um sein Ziel zu erreichen. Er bringt sogar seine Freunde in Gefahr, die ihm bei jeder noch so waghalsigen Aktion ergeben folgen. Doch seine arroganten Charakterzüge haben kaum Folgen. Denn er geht immer als Gewinner hervor. Sein Handeln hat nie fürchterliche Auswirkungen, sondern rettet am Ende sogar die Welt vor einem skrupellosen, militärischen Anführer.

Die Bösewichte sind durch die Reihe hinweg ein Klischee allen Übels. Sie gleichen mit ihren einseitig geschriebenen Monologen einem bösen General aus jedem beliebigen Call of Duty-Ableger. Eventuell benötigt die Geschichte eindimensionale Antagonisten, damit meine Protagonisten umso mehr glänzen können. Ihre lockeren Konversationen lenken mich zudem vom Ernst des Geschehens ab: Sully erzählt mir etwas über seine versauten Erlebnisse in Bordellen, Elena kontert Nathans Sprüche und Chloe flirtet gerne. Dabei sind sie meistens von Gegnern umgeben oder führen waghalsige Manöver aus. Doch der Tod scheint ihnen nichts anzuhaben. Er lässt sie eher als Gemeinschaft zusammenwachsen.

Im Serienfinale sind Elena und Nathan letztendlich verheiratet. Außerdem taucht Nathans verschollener Bruder Sam auf, der zuvor merkwürdigerweise nie erwähnt wurde. Sully darf als liebgewonnener Onkel, der auf Nathan aufpasst, natürlich auch nicht fehlen. Und natürlich stürzen sie sich allesamt in Gefahr und bringen zahlreiche bewaffnete Truppen um, nur um einen verschollenen Piratenschatz zu ergattern. Meine letzte Aufgabe im Spiel besteht allerdings darin, Nathans Bruder zu retten, der dem Schatz unnachgiebig hinterherjagt. Schließlich geht es nicht um Reichtum, sondern um Familienwerte. Es ist eine Familie, für die man töten würde. Und genau das tue ich auch.


Amerikanische Ein-Mann-Armee

Es wird gerne behautet, dass die Call of Duty-Serie einen amerikanischen Heldenpathos bedient. Dass diese oberflächliche Behauptung nicht zutrifft, lässt sich wunderbar an den Anfängen der Serie beobachten. Diese startete in den frühen 2000ern als zweiter Weltkriegsshooter. Im Gegensatz zum Serienkonkurrenten »Medal of Honor« spielte man in den Call of Duty-Spielen keinen einzelnen G.I., der im Alleingang das Dritte Reich niedermäht. Stattdessen begleiteten mich in jedem Kriegseinsatz treue Kameraden.

Zwar gab es in einigen Medal of Honor-Missionen ebenfalls verbündete Soldaten zu sehen und im Playstation-Ableger »Medal of Honor: Underground« durften Spieler sogar in die Rolle einer französischen Widerstandskämpferin schlüpfen. Die jeweilige Fraktion wurde dennoch sehr einseitig geschildert. In »Call of Duty« kämpften Spieler anschließend mit unterschiedlichen Armeen an unterschiedlichen Fronten. Amerika war nicht länger der alleinige Hauptdarsteller, sondern ein Mitstreiter unter vielen. Und auch wenn zwischen den verschiedenen Ländern keine große Diversität erkennbar war, sorgte der Fraktionswechsel innerhalb der Serie für eine angenehme Vielfalt.

Die Uncharted-Reihe zeigt dagegen mit seinen Protagonisten eine einseitige und auch ziemlich amerikanische Sicht. Denn obwohl Nathan Drake die weite Welt entdeckt, zieht er fast ausschließlich mit US-Bürgern in die Schlacht. Zwar kommt mit Chloe auch eine Inderin zum Einsatz. Sie handelt aber ausschließlich in Nathans Interesse und bleibt innerhalb der Hauptreihe eine Nebenfigur.

Im zweiten und dritten Teil findet immerhin ein kurzer Kulturaustausch statt, in dem nicht nur Englisch, sondern auch Tibetisch und Arabisch gesprochen wird. Die kulturelle Völkerverständigung dient aber letztendlich auch hier nur dazu, eine kriegerische Auseinandersetzung gegen Nathans Gegner voranzutreiben. Im Kampf nehmen plötzlich alle Verbündeten eine amerikanische Haltung an.

In »Uncharted 2: Among Thieves« mutieren friedfertige tibetische Dorfbewohner zu Killermaschinen, sobald ihr Dorf angegriffen wird. In ihren Hütten lassen sich plötzlich schwere Waffen vorfinden. Als wäre das Second Amendment weltweit in Kraft gesetzt worden. Natürlich wird dem Spieler mitgeteilt, dass er für die gute Sache kämpft. Das Ziel in der Uncharted- und in der Call of Duty-Reihe ist immer die Rettung der Welt. Doch wird dabei nicht letztendlich auch die amerikanische Weltordnung geschützt?

Nathan nutzt sein Waffenrecht in vollen Zügen aus. Er trägt eine Handfeuerwaffe an jedem erdenklichen Ort auf der Welt – selbst dort, wo es verboten ist. Letztendlich entsteht auch überall eine Kriegszone, wo er nach Schätzen sucht. Seine Kontrahenten haben zwar größere Kanonen dabei. Allerdings ist es ein Leichtes, sie zu entwaffnen. Ich kann mit Nathan jede Waffe mit tödlicher Präzision anwenden – egal ob eine Panzerfaust oder ein fettes MG. Seine Nahkampfangriffe sind ebenfalls sehr effektiv. Kurz gesagt: Nathans Fähigkeiten gleichen eher einem Call of Duty-Soldaten, als einem klassischen Abenteurer.

Noch bemerkenswerter ist aber Nathans unerbittliches Durchhaltevermögen, mit dem ihn jede Militäreinheit auf der Welt wärmstens willkommen heiße würde. Aufgeben ist für ihn keine Option. Seine Mission hat oberste Priorität. Selbst wenn er ohne Wasservorräte stundenlang durch eine brennend heiße Wüste laufen muss. Die Hitze zieht ihn dabei keine Lebensenergie ab. Er überlebt und meistert jede noch so brenzlige Situation im Alleingang. Egal ob ein Zugunglück, Flugzeugabsturz oder Schiffbruch. Nur mein spielerisches Missgeschick stoppt seine maximale Erfolgsbilanz.

In der Call of Duty-Serie regeneriert sich die Lebensenergie zwar genauso wie in den Uncharted-Spielen. Ein unbesiegbarer Held wird in den ähnlich pompösen Action-Szenarien allerdings nicht abgebildet. In einigen Zwischensequenzen fallen die spielbaren Soldaten verletzt zu Boden und in manchen Szenen sterben sie auch. Mit dieser Darstellung glorifizieren die neueren Serienableger leider oft den notwendigen Heldentod. Der erste Modern Warfare-Ableger zeigte dagegen noch das beiläufige Sterben auf dem Schlachtfeld – besonders in seiner berühmten Atombombenszene.

Meine Spielfigur geht qualvoll an der radioaktiven Strahlung zugrunde. Der spielerische Erfolg verpufft in einer abschließenden Zwischensequenz. Es zeigt den amerikanischen Niedergang mit einer erzählerischen Wucht, die in den Uncharted-Spielen nirgends zündet. Nathan Drake würde die massive Druckwelle einer Atombombe überleben, die Strahlung fressen und mit einem leichten Husten den nächsten Hinweis auf einen Schatz finden. UV-Strahlen tun ihm schließlich auch nicht weh – auch wenn er als sterblicher Mensch abgebildet wird. Doch warum riskiert Nathan Drake für seine Entdeckungen sein Leben und das seiner Freunde?


Modern Financial Warfare

Ein weiterer Kritikpunkt, an dem sich viele Spieler innerhalb der Call of Duty-Reihe stören, ist die aufdringliche Militärpropaganda. Zu Recht. Der Kriegseinsatz wird niemals infrage gestellt und als einziges Mittel zur Konfliktlösung erachtet. Zahlreiches Hightech-Equipment garantiert außerdem eine zerstörerische Sensationsshow. Doch obwohl ich modernes Kriegsgerät bediene, fühlt sich der Konflikt ziemlich altbacken an. In jedem Ableger kämpfen immer Nationen um die Vorherrschaft. Der Zweite Weltkrieg in »World at War« unterscheidet sich nur minimal von den Ereignissen im futuristischen »Infinite Warfare«. Ich würde die Konflikte sogar als überholt bezeichnen. Leider zeigte ein reales Ereignis dieses Jahr, dass Eroberungskriege nach wie vor aktuell sind. Es wirkt fast schon so, als hätten die moralisch fragwürdigen Call of Duty-Plots sich bewahrheitet.

Der bewaffnete Konflikt in der Uncharted-Serie sieht dagegen zunächst komplett surreal aus. Im ersten Ableger sind Piraten auf einer Insel im Amazonas noch nachvollziehbare Gegner. Ansonsten kämpfe ich gegen eine hoch aufgerüstete Privatarmee an den entlegensten Orten der Welt. Die ortsansässigen Einsatzkräfte mischen sich nicht ein, noch sind sie in irgendeiner Form präsent. Eventuell wird hier der wahre moderne Krieg abgebildet, von dem ein »Call of Duty: Modern Warfare« weit entfernt ist.

Es gelten weder nationale, noch politische Machtinteressen. Die Konfliktparteien tragen einen privaten Wirtschaftskrieg aus, um ihre Profite mit sagenumwobenen Schätzen zu maximieren. Staaten werden nicht länger benötigt. Nathan Drake muss keine Flagge auf dem Arm tragen, wie es bei einem Call of Duty-Soldaten der Fall ist. Im Herzen aber trägt er amerikanische Werte in die Welt hinaus, die zur Entstehung der USA beigetragen haben. Es ist letztendlich die Sehnsucht nach einem unentdeckten Land, die meine Suche im Spiel vorantreibt. Der Titel »Uncharted« trifft somit vollkommen auf die Spiele zu. Und obwohl die Weltkarte bereits komplett aufgedeckt wurde, suche ich nach einem Ort, den kein Expeditionsteam zuvor gesehen hat. Nathan klammert sich an Mythen, die sich immer als Wahrheit herausstellen.

Die versteckten Orte werden mit jedem Spiel absurder. In »Uncharted 2: Among Thieves« entdecke ich eine vergessene Stadt unter den verschneiten Bergen im Himalaya, in »Uncharted 3: Drake’s Deception« wurde eine Stadt in einer freilegenden Wüste übersehen und in »Uncharted 4: A Thief’s End« verschlägt es mich nach vielen Spielstunden zu einer unentdeckten Piratenkolonie im Indischen Ozean. Das Reiseziel hätte mir Google-Maps zwar ebenfalls anzeigen können. Stattdessen musste ich zuvor um die halbe Welt umherirren und nach verstreuten Hinweisen suchen.

Die Suche treibt Nathan Drake jedoch an. Im Laufe seiner Abenteuer giert er nach mehr Entdeckungen und somit auch Erlebnissen. Ein materieller Wert ist ihm dabei weniger wichtig. Er beansprucht nicht den gesamten Reichtum der Funde, wie es seine Konkurrenten tun. Durch die überzeichnete Gier seiner Antagonisten wirkt Nathan fast schon bescheiden. Zumal seine Ausrüstung recht sparsam ausfällt. Er schnorrt sich dafür regelrecht durch. Größere Waffen nimmt er Gegnern einfach ab. Und in dunklen Orten hält sein Bruder Sam ein Feuerzeug für ihn bereit.

In den Dialogen werden finanzielle Erwägungen mitunter angesprochen. Nathan und sein Team unterhalten sich über die Kosten der geliehenen Fahrzeuge und den Verlust ihrer Kaution, wenn diese zerstört wurden. In »Uncharted 4« spricht Sully sogar an, dass er den billigsten Geländewagen gekauft hätte. Er diskutiert mit Nathan über den Nutzen der Seilwinde, während ich sie benutze. Diese soll beim Verlieh viel zu teuer gewesen sein. Es ist ein überaus unterhaltsames Gespräch, das den gewinnorientierten Charakter der Figuren offenlegt.

Und auch wenn Nathan nie den kompletten Gewinn einsackt, lässt er immer eine Kleinigkeit mitgehen. Dies wird besonders in »Uncharted 4« deutlich. Dort lassen sich die Funde der vorigen Abenteuer in seiner Privatsammlung begutachten. Bei einem seiner Schätze erwähnt er, dass viele Männer deswegen gestorben sind. Seine Errungenschaft baut daher auf Blutvergießen auf. Es kommt allerdings nie zu Konsequenzen. Seine Frau Elena ist zwar kurz wütend auf ihn, weil er noch einmal eine gefährliche Schatzsuche annimmt. Die Story erzeugt damit allerdings nur ein künstlich gestrecktes Drama. Denn nach ein paar Kapiteln zieht sie wieder mit ihm in die Schlacht. Die Erklärung für ihren Stimmungswechsel fällt ziemlich banal aus: Sie macht sich Sorgen um ihn und seinen Bruder. 

Nathan ist bei seinem letzten Feldzug natürlich erneut erfolgreich. Und er musste noch nicht einmal den berüchtigten Piratenschatz bergen, um sich seine eigene Insel leisten zu können. Dort spiele ich kurz seine Tochter. Aus ihren kindlichen Augen lässt sich erkennen, wie der amerikanische Traum wahr geworden ist. Nathan besitzt ein idyllisches Grundstück, wo er sich als wohlhabender Mann zur Ruhe setzen kann. Seine Familie ist in Sicherheit, denn seine Gegner wurden beseitigt. Für deren Tode fühlt er sich allerdings nicht verantwortlich. Wahrscheinlich auch, weil ich als Spieler für ihn die Drecksarbeit erledigt habe.  


Ludonarrative Ignoranz

Bis auf den beiläufig erwähnten Piratenangriff aus dem ersten Ableger geht das heitere Happy End auf die gewaltsamen Auseinandersetzungen nicht ein. Auch andere Zwischensequenzen beschäftigen sich kaum mit Nathans Multi-Kills. Ich sehe ihn – innerhalb der kompletten Reihe – lediglich zweimal auf einen Menschen schießen. Diese überleben sogar den Treffer und fallen letztendlich sich selbst zum Opfer. Der Endgegner aus »Uncharted 2: Among Thieves« fleht Nathan sogar an, dass er ihn töten soll. Aber Nathan weigert sich und lässt ihn bei einer Monsterhorde zurück. Ich als Spieler hätte auf seinen Wunsch hin sofort abgedrückt. Schließlich überlässt Nathan mir das Töten. Er macht sich kaum die Hände schmutzig, während ich im Dreck wühle. Nathan darf dafür als sauberer Held auftreten.

Naughty Dog macht sich aus diesem erzählerischen Widerspruch einen kleinen Spaß: Für 1000 Abschüsse gibt es in »Uncharted 4« die Trophäe: »Ludonarrative Dissonanz«. Mich stört ein kleiner Zwiespalt zwischen Story und Gameplay recht wenig. Doch die Uncharted-Reihe verheimlicht regelrecht den finanziell motivierten Krieg. Dieser wird von der Spielfigur auf den Spieler verlagert. Die Konflikte in Call of Duty-Spielen mögen rein erzählerisch oft plump wirken, doch werden diese zumindest spielerisch authentisch abgebildet. Die Call of Duty-Reihe wirbt spielerisch für das Militär. Mit einem ähnlichen Shooter-Gameplay glorifiziert die Uncharted-Reihe allerdings den privaten Waffengebrauch.

Immerhin darf ich in Uncharted-Spielen auch noch Rätsel lösen, klettern und erkunden. Eine willkommene Abwechslung, die mir in den Call of Duty-Spielen fehlt. Nathan ist schließlich auch ein Abenteurer, statt nur ein einfacher Soldat. Sein Charakter orientiert sich an Ikonen wie Lara Croft und Indiana Jones. Das trifft erzählerisch vollkommen zu. Spielerisch hinkt der Vergleich aber etwas hinterher. Denn Klassiker wie »Tomb Raider« und »Indiana Jones and the Infernal Machine« fokussieren sich mehr auf das Abenteuer als auf den Waffengebrauch – zumal das Shooter-Gameplay in diesen Spielen ziemlich missraten ist. Stattdessen muss ich die Umgebungen genau erkunden, Schlüsselgegenstände in mehreren Räumen einsammeln und mit ihnen komplexe Rätsel lösen. Die Kletterpassagen sind ebenfalls ziemlich anspruchsvoll.

Mit Nathan muss ich dagegen meine Sprünge nur minimal berechnen. Er zieht sich automatisch zum nächsten Vorsprung – Abstürze sind eine Seltenheit. Die Klettermechanik ist simpel gestaltet. Dadurch lässt sie sich in den Kämpfen ideal einsetzen und macht dort am meisten Spaß. Das Erkunden kommt durch den linearen Level-Aufbau auch etwas zu kurz. Und die recht einfachen Rätsel lassen sich immer in einem einzelnen Raum bewältigen. Wirklich anspruchsvoll ist nur die Suche nach den optionalen Schätzen, die aber lediglich Kostüme freischalten. Die Outfits von Nathan Drake verbergen daher mehr Geheimnisse als der mysteriöse Ort, den ich gegen Spielende entdecke. Denn die Story führt mich bequem dorthin, ohne dass ich viel erkunden muss.


Toleranter Kollateralschaden

Die Ballerabschnitte sind dafür recht knifflig. Auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad werden sie sogar etwas unfair. Allerdings muss ich nie achtsam mit einer Feuerwaffe umgehen. Meine Begleiter sterben weder durch Eigenbeschuss, noch durch gegnerische Treffer. Als Call of Duty-Soldat darf ich dagegen keine Kameraden beschießen. Nach dreifachem Teambeschuss endet die Mission. Außerdem müssen Geiseln gerettet werden. Allerdings geschieht dies recht selten, denn in den Städten und Dörfern wohnt fast kein Zivilist. Sowohl die ersten Call of Duty-, als auch die Uncharted-Spiele zeigen unbelebte Kriegsschauplätze. Dadurch darf ich ungehindert losfeuern, ohne Leid an der Zivilbevölkerung anzurichten.

In »Uncharted 2: Among Thieves« erinnert vor allem die Stadt in Nepal an die urbanen Kämpfe aus »Call of Duty 4: Modern Warfare«. Der große Unterschied ist nur, dass Nathan den dortigen Bürgerkrieg ignoriert. Er schaut vollkommen unparteiisch zu, wie die einheimischen Rebellengruppen von seinen Gegnern niedergeschossen werden. Mir als Spieler ist es noch nicht einmal möglich, ihnen zu helfen. Das Gemeinwohl der Bevölkerung wird scheinbar zur Nebensache, wenn der persönliche Reichtum lockt. Als Call of Duty-Soldat unterstütze ich immerhin Rebellen im Kampf. Die Moralvorstellungen mögen zwar häufig etwas einfältig daherkommen. Doch wenigstens zeigt »Call of Duty 4« eine aufrechte Attitüde, vor der sich »Uncharted 2« feige zurückhält.

Wirklich lächerlich wird es aber erst in »Uncharted 4« im elften Kapitel. Dort fahre ich mit einem Jeep durch eine dicht besiedelte Stadt und versuche lästige Verfolger loszuwerden. Bei der temporeichen Hetzjagd zerstört meine Spielfigur Läden und Obststände. Dass er damit die Lebensgrundlagen der Bevölkerung ruiniert, scheint ihm egal zu sein. Wenn ich einen Wäscheständer umfahre, informiert mich mein Beifahrer Sully, dass die Wäsche sauber gewesen sei. Nathan antwortet darauf: »Dann waschen sie halt noch mal!« In einem anderen Dialog erinnert mich Sully, dass ich niemanden überfahren soll. Nathan sagt einfach: »Sorry!« Mich würde interessieren, ob er die gleiche Antwort ausspucken würde, wenn ich einen Zivilisten überfahren könnte.

Glücklicherweise kommen keine Menschen zu Schaden, selbst wenn ich versuche, sie mit vollem Tempo zu rammen. Die witzigen Gespräche würden dann nicht mehr zünden. »Call of Duty: Modern Warfare« von 2019 zeigt dagegen schonungslose Kampfhandlungen, in denen Zivilisten getötet werden können. Zwar mangelt es den Szenen an Kontext. Und auch die Folgeschäden bleiben leider aus. Call of Duty schreckt allerdings nicht davor zurück, die grausame Wirklichkeit abzubilden.

»Uncharted 4« demgegenüber zeigt bestenfalls realitätsnahe Sachschäden. Am Ende der Verfolgungsjagd schieße ich auf einen Panzerwagen, sodass er sich brennend überschlägt und damit eine komplette Baustelle in Brand setzt. Die darauffolgende Zwischensequenz weist sogar kurz auf meine zerstörerischen Handlungen hin. Sie zeigt einen fassungslosen Bauarbeiter – allerdings im Hintergrund, am rechten Rand des Bildes. Im Vordergrund steht ein lächelnder Nathan, der kurz winkt und anschließend mit seinem Bruder verschwindet, statt beim Löscheinsatz zu helfen. Die Szene verdeutlicht, dass der erwirtschaftete Verlust des Proletariats eine untergeordnete Rolle spielt. Menschen, die versuchen, sich ihren Reichtum zu erbeuten, werden bevorzugt. Sie kommen ungehindert davon, denn die lokalen Behörden schreiten erst gar nicht ein.


Technische Überlegenheit

Viele Spieler dürften Nathans unmenschliche Taten jedoch verzeihen. Wahrscheinlich auch deshalb, weil er wie ein lebensechter Mensch aussieht. Grafisch hat Naughty Dog mit jedem erschienenen Serienteil stets neue Maßstäbe gesetzt. »Uncharted 4« ist sogar das letzte Spiel gewesen, das mich grafisch umgehauen hat. Vor allem die detaillierten Wassereffekte und die sauberen Gesichtsanimationen sind nach wie vor beeindruckend. Naughty Dog spielt aber nicht nur optisch in der höchsten Liga mit. Das Schauspiel übertrifft ebenso andere Spiele, die meist nur ein übliches Rede-Antwort-Dialogschema bieten. Uncharted-Charaktere rattern ihre Sätze nicht einfach runter. Sie pausieren beim Sprechen, atmen tief ein und fallen sich auch mal gegenseitig ins Wort. Ich sehe Videospielfiguren zu, die mir menschlich erscheinen.

Ganz anders als ein Call of Duty-Soldat, der überwiegend krächzende Laute über Funk mitgeteilt bekommt. Die Zwischensequenzen sind meistens ermüdend – trotz ansehnlicher Grafik. Denn Gestik und Mimik ähneln sich bei jeder Figur. Die Betonung in den Gesprächen variiert ebenso wenig. Ein Großteil der Kritiker stört sich aber vor allem am militärischen Sprachgebrauch. Durch ihn wirkt jeder Charakter wie eine platte Kriegsressource.

Die heiteren Alltagsgespräche zwischen Nathan, Sully, Sam und Elena lassen dafür eine fühlbare Nähe zu. Jedes Wort ist wunderbar vertont und auch vernünftig geschrieben worden. Das Skript glänzt mit pointierten Dialogen und kann durchaus mit einigen Hollywood-Drehbüchern mithalten. Die sauber geschriebene Geschichte verschleiert aber den stumpfsinnigen Inhalt. Und dennoch wird sie häufig lobend hervorgehoben. Das liegt wohl nicht zuletzt an der emotionalen Tragweite.

Videospiele gleichen in der Hinsicht Disney-Filmen: Viele Emotionen bedeuten überzeugende Geschichten, selbst wenn sie fragwürdige Themen behandeln. Auf mich wirkt die Story der Uncharted-Reihe ähnlich abschreckend wie die Militärpropaganda aus den Call of Duty-Spielen. Ich kann aber nicht bestreiten, dass sie mich in vielen Szenen gefesselt hat. Auch wenn mir der selbstsüchtige Egotrip von Nathan Drake nicht zusagt. Vor allem bereitet mir aber das akrobatische Shooter-Gameplay Freude. Es ist für mich der gleiche anspruchslose Actionspaß, den mir die meisten Call of Duty-Spiele bieten. Wenn ich allerdings einen hochwertig erzählten Shooter genießen will, dann spiele ich »Call of Duty 4: Modern Warfare«. [dg]


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Bildquellen: Titelbild-Collage: Call of Duty: Modern Warfare 2 & Uncharted 3: Drake’s Deception – Presskit; Bilder aus der Uncharted-Reihe: eigene Screenshots von der Playstation 5; Call of Duty: Modern Warfare Remastered & Call of Duty: Modern Warfare aus den PC-Versionen.