Eine weltweite Pandemie sorgte dafür, dass die Gamescom in den letzten beiden Jahren nur online abrufbar war. Im Coronajahr 2022 gab es nun aber wieder ein enges, freudiges Zusammentreffen live vor Ort. Ich habe das Risiko auf mich genommen und bin durch die überfüllte Spielmesse getingelt. Dort konnte ich einige Höhepunkte, aber auch Enttäuschungen erleben.
Spektakuläre Vorfreude
Mein erster Messetag sollte erst einmal ganz ruhig, aber auch ereignisreich beginnen. Deshalb habe ich mich gleich in die noch relativ leere Entertainment-Area begeben und nach den größeren Titeln Ausschau gehalten. Mein Blick fiel auf das Sci-Fi-Horrorspiel »The Callisto Protocol«. Während der Opening Night Live am Vorabend gab es schon eine neue Spielszene zu sehen. Ich dachte mir, dass es sich lohnen würde, für ein paar weitere Szenen anzustehen. Nach fünfzehn Minuten Wartezeit war es für mich soweit und ich betrat den Vorschauraum. Dort wurde mir eine Skelettanimation präsentiert, die per Bewegungsteuerung bedient werden konnte. Dann sprang eine Kreatur auf das Skelett zu und die Präsentation war auch schon vorbei.
Bis auf den billigen Jump-Scare – der mich kaltließ – gab es nichts weiter zu sehen. Ich fragte mich an dieser Stelle: Hatte die Präsentation irgendwas mit dem Spiel zu tun? Viele Spieler sind heiß auf den Titel. Mit einer solchen Aktion lässt sich der aufkommende Hype höchstens ruinieren. Mir tut jeder Besucher leid, der dafür länger anstehen musste als ich. Und die Anstehzeiten auf der Gamescom sind oft jenseits von Gut und Böse.
Warten auf Entertainment
Im Entertainment-Bereich gab es aber auch einige Spiele-Demos zu spielen. Mich konnten »Sonic Frontiers« und das Remake von »System Shock« anlocken. Mit der Sonic-Serie kam ich bisher nie so richtig auf Touren – vor allem nicht mit den 3D-Teilen. Im neuesten Abenteuer konnten mich zumindest die solide Spielwelt und die coolen Moves ansprechen. Trotzdem fehlt mir nach wie vor der spielerische Anspruch.
»System Shock« hingegen war eine Bereicherung. Einige der klassischen, grobpixeligen Modelle wurden feinfühlig in eine hochaufgelöste Spielwelt integriert. Der Grafikstil hat Charme und hebt sich von anderen Remakes ab. Und auch das Gameplay findet bisher den richtigen Anschluss: Schlichte Kampfaktionen treffen auf moderne Bewegungsabläufe. Ich habe das Original nie gespielt, aber es wirkt, als würden die Entwickler die Vorlage respektvoll umsetzen.
Das alt wirkende Spieldesign hat mich allerdings ziemlich überrascht. Zumal die »System Shock«-Reihe seit vielen Jahren nicht mehr fortgeführt wurde. Es scheint ein aktueller Trend zu sein, seit Längerem unangerührte Spieleserien neu herauszubringen. »Gungrave G.O.R.E« und »Return to Monkey Island« sind weitere Vertreter, die aus der Versenkung hervorgehoben werden. Ersteres habe ich sogar auf der Gamescom spielen dürfen. Das Gameplay wirkt hier ebenfalls ziemlich altbacken, und leider auch aus der Zeit gefallen. Mich konnte die eintönige Ballerei nicht abholen. Insgesamt gefällt mir der Trend um wiederauferstehende Spielereihen allerdings. In alten Spielkonzepten steckt noch viel Potenzial. Mit der richtigen Umsetzung können sie sogar verdammt innovativ sein.
Mehr gab es für mich im Entertainment-Bereich nicht zu sehen. Ich hatte weder die Zeit, aber noch weniger die Lust dazu. Selbst wenn es größere AAA-Kracher gegeben hätte, würden sich die überlangen Anstehzeiten für ein kurzes Anspielen nicht lohnen. Die geringe Anzahl an großen Titeln störte mich ohnehin nur wenig, da sie im Internet pompös angekündigt werden. Darum ist eine Gamescom mit kleineren Titeln, die sonst kaum Aufmerksamkeit bekommen, umso schöner.
Weniger ist mehr
Diese gab es vorwiegend in der Indie-Area zu sehen. Dort erwarteten mich einige ideenreiche Spiele. Und vor allem hatte ich die nötige Ruhe, sie zu spielen. In anderen Gamescom-Arealen musste ich aufgrund der hohen Besucherzahl durch einige Spiele durchhetzen. Die Indie-Area war dagegen mit der enormen Auswahl an Spielestationen und den geringeren Ansturm wesentlich entspannter.
Das entschleunigte Puzzle-Abenteuer »Tin Hearts« war für mich genau der richtige Titel, um vom temporeichen Messestress herunterzukommen. Hier musste ich Spielzeugsoldaten zum Ausgang führen und auf dem Weg dorthin einfallsreiche Rätsel lösen – ähnlich wie im Klassiker »Lemmings«.
Die gesprächsfreudigen Medienvertreter von Wired Productions erzählten mir etwas zum Spiel und stellten mir weitere Spiele vor, die sie vor Ort präsentierten. Darunter das abgedrehte »Gori: Cuddly Carnage« und den Twin-Stick-Shooter »Tiny Troopers: Global Ops«, der mich spielerisch allerdings nicht überzeugte. Unter den Massen an Spielen kann schließlich nicht jedes begeistern. Und trotz mancher unbefriedigender Durchschnittstitel ist die Indie-Area für Gamescom-Besucher ein idealer Aufenthaltsort. Hier bietet sich die Gelegenheit, mit Entwicklern zu quatschen und mehr von ihren Spielideen mitzubekommen.
Als Pressevertreter hielt ich mich allerdings die meiste Zeit in der Business-Area auf, um meine geplanten Termine wahrzunehmen. Was ich dort erlebte, erfahrt ihr im zweiten Teil meines Erfahrungsberichtes. [dg]
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Bilder: Dennis Gerecke (Fotos von der Veranstaltung)
Danke für die individuellen Eindrücke und nicht zuletzt die Fotos!
Gab es eigentlich auch kreative, exzentrische Stand-Designs? Ich hab ja erst vor Kurzem einige Fotos von der Games Convention 2008 gepostet, wo es teilweise noch ziemlich kreative und stimmungsvolle Stände gab. Deinen Fotos nach zu urteilen, bekomme ich den Eindruck, dass die Gestaltung der Stände auf der Gamescom 2022 ziemlich zweckmäßig (um nicht zu sagen lieblos) war. Oder täuscht der Eindruck?
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Ich habe deine GC-Beiträge gelesen. Der Fakt, dass damals die Stände mit pompösen und teilweise oirginellen Einfällen aufgebaut wurden, hat mich als relativer Messeneuling am meisten überrascht. Auf der heutigen Gamescom ist die Gestaltung eher schlicht gehalten. Der große Torbogen am Sonic-Stand war wohl am eindrucksvollsten. Ein paar kreative cosplays gab es natürlich auch zu sehen. Beim Polizeisimulator wurde eine Polizeiabsperrung und eine uniformierte Messehelferin eingesetzt. Das war für mich der originellste Messestand.
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Der Sonic-Torbogen ist mir auch direkt positiv aufgefallen und war tatsächlich der Grund, wieso ich dazu kam, nachzufragen. Gleichzeitig muss ich sagen: Wenn *das* schon zu den Highlights gehörte, war der überwiegende Teil der Messe wohl tatsächlich eher trist. :D Ich kann es einerseits (gerade in diesem Jahr) nachvollziehen. Andererseits ist es aber auch schade. Ich finde, spektakuläre Stand-Designs gehören zu den Dingen, die eine Spielemesse im Vergleich zu anderen Formen des Marketings zu etwas Besonderem machen.
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Sehr informativer und schön subjektiv gehaltener Bericht. Ich tendiere auch dazu, auf Spiele-Messen eher die kleiner Indie-Studios aufzusuchen, die sich freuen, etwas zeigen zu können … während die Triple- und Quattro-A-Spiele vor lauter Embargos oft nur lahme Rendersequenzen oder auf größte Aufmerksamkeit getrimmte Levels zeigen …
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Besten Dank für deinen Kommentar! Mir würde es da ähnlich gehen. Früher, als es in der Branche diesen großen Graben zwischen AAA und Indie noch nicht gab (mit wenig dazwischen), war es bei mir tatsächlich auch schon so, dass ich viel mehr Spaß damit hatte, die Spiele anzuspielen, die ich entweder noch gar nicht kannte oder unter denen ich mir wenig Konkretes vorstellen konnte. Ich gehörte eh nie zu denen, die „es kaum erwarten“ können, das neueste Zelda oder das nächste Metal Gear Solid zu spielen, *obwohl* ich Fan der Reihen bin. Klar, wenn man mir anstrengungslos die Gelegenheit dazu gibt, dann nehme ich die gern war. Aber wenn ich anstellen soll, für ein Spiel, von dem ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weiß, dass es mindestens „gut“ wird, und dass ich es unabhängig von meinem Messeeindruck ohnehin kaufen werde, dann tendiere ich doch dazu, diese Zeit lieber in eine Handvoll andere Titel zu investieren, die ich nicht schon auf der Liste habe. Hands-on-Eindrücke von Spielen aus der zweiten Reihe fand ich im Vergleich viel wertvoller, weil da der Messeeindruck durchaus auch mal ausschlaggebend für einen späteren Kauf sein konnte. Und selbst dann, wenn ein Spiel einen eher schlechten Eindruck hinterließ, war die Zeit nicht verloren. Immerhin durfte ich ein Spiel ausprobieren, das ich unter anderen Umständen möglicherweise nie gespielt hätte. Und das ist als Erfahrung doch nachhaltiger, als das erste Level von Blockbuster XYZ zu spielen, obwohl ich das ein paar Monate später ohnehin spielen werde.
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Ich kann dir nur zustimmen. Bei Quadro-A-Spiel fällt mir sofort Cyberpunk 2077 ein, das ich auf der Gamecom 2019 sehen durfte. Die Gameplay-Präsentation war sogar noch weniger ansprechend als die damlige Watch Dogs: Legion-Vorführung von Ubisoft. Mein Cyberpunk-Hype wurde damit schon vor dem Release zunichte gemacht. Über das desaströs erschiene Spiel muss ich an der Stelle keine Worte mehr verlieren. Hoffentlich läuft es mit The Callisto Protocol besser.
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