Es war gewiss kein leichtes Erbe, das »God of War: Ascension« im Jahre 2013 anzutreten hatte. Es handelte sich um den sechsten Teil der »God of War«-Reihe in acht Jahren, deren Geschichte seit »God of War III« (2010) eigentlich auserzählt war. In zwei Ablegern für die PlayStation Portable war der zornerfüllte Antiheld Kratos bereits zum Erbrechen mit eigentlich entbehrlicher Hintergrundgeschichte aufgeladen worden, und wollte man die Serie nicht vollends auf neue Füße stellen – wie es 2018 dann geschah – so musste man sich fragen, was es denn noch zu erzählen gäbe, was nicht schon breitgetreten war.
I. Alles muss, nichts kann
Doch eine Reihe vom Kaliber eines »God of War« darf nicht einfach sterben – sie muss gemolken werden. Und wenn ein Fortschreiben der Geschichte nicht länger möglich ist, weil schlichtweg keine der Figuren mehr am Leben sind, dann braucht es eben noch ein Prequel. Dann muss noch eine weitere Klasse von Gottwesen (diesmal die Furien) aus dem Hut gezaubert werden, die irgendwo und irgendwann ihre Finger im Spiel hatten. Dass bei alledem kaum Spannung aufkommen kann, bedingt sich nicht nur dadurch, dass Kenner der Vorgänger wissen, wie das alles ausgeht; sondern auch die Frage, wie Kratos der wurde, der er ist, wurde in den anderen Serienteilen so erschöpfend behandelt, dass das Auserzählen der letzten kleinen Leerstellen, wie »Ascension« es betreibt, den vielschichtigen Antihelden Kratos eher entzaubert, als dass es seinem Mythos noch etwas hinzufügen könnte.
Und nicht nur erzählerisch muss »God of War: Ascension« tief graben, um noch etwas Verwertbares zu finden. Auch spielerisch war mit »God of War III« das Ende der Fahnenstange erreicht und die seit dem Erstling kaum veränderte Formel perfektioniert und (vielleicht ein wenig zu sehr) glattgeschliffen worden. Dass der letzte Teil der Hauptreihe trotz allem spürbar weniger Eindruck hinterließ als seine Vorgänger, lag aber auch am veränderten Marktumfeld, in dem es geradlinige Actionspiele nicht einfach hatten. Der Trend ging zu Endlos-Abenteuern, und wenn schon keine Open World, dann musste zumindest ein Mehrspielermodus her, der deshalb auch in »God of War: Ascension« nicht fehlen darf. Eine absurde Idee – doch nicht das Thema dieses Textes.
Es ist auch nicht das einzige Feature, das der Reihe frischen Wind einhauchen soll, und man kann den Entwicklern vom Santa Monica Studio nicht vorwerfen, dass sie Innovationen nicht zumindest versucht hätten. »Ascension« ist durchaus kein »weiter so«. Immerhin drei Jahre ließen sich die Entwickler Zeit, um nach »God of War III« einen neuen Teil der Reihe auf die Beine zu stellen. Der zunehmenden Stagnation der Serie waren sie sich dabei offenbar bewusst. So macht »Ascension« einige Dinge anders als seine stets sehr traditionsbewussten Vorgänger. Das Kampfsystem insbesondere, das den Grundfesten von »God of War« zwar weiter verpflichtet ist, seine Schwerpunkte allerdings anders setzt und andere Strategien begünstigen will.
Dabei hatte sich gerade das Kampfsystem von seinen etwas ungelenken Anfängen zu einer der Perfektion sehr nahen, angemessen komplexen Erfahrung in »God of War III« entwickelt, sodass sich Kratos vor Dante oder Bayonetta durchaus nicht verstecken musste. »Ascension« versucht sich an Veränderung um der Veränderung willen – nicht, weil es etwas zu verbessern gab. Das Resultat ist in seinen besten Momenten solide und in den schlechteren ein Krampf.
Und was für das Kampfsystem gilt, gilt auch für die meisten anderen Aspekte von »God of War: Ascension«. Der Wille, neue Ideen ins Spiel zu integrieren, sich der einen oder anderen Altlast zu entledigen, ist stets erkennbar. So spielt sich »Ascension« tatsächlich etwas frischer als das 2010er Duo »God of War III« und »God of War: Ghost of Sparta«, die vor allem in den ersten Spielstunden den Eindruck ›mehr vom selben‹ hinterließen – bei aller Qualität und allem Feinschliff, den dieses ›selbe‹ auch hatte. Doch leider heißt ›frischer‹ im Fall von »Ascension« nicht ›besser‹. Keine der neuen Ideen kann vollends überzeugen oder wird auf interessante Weise genutzt, viele der alten Qualitäten bleiben auf der Strecke, und vieles wurde einfach verschlimmbessert. Bei den Göttern des Olymp, selbst die serientypischen QTEs (Quick-Time-Events) weiß »Ascension« zu vermasseln, obwohl, oder gerade weil, das Spiel auch hier der Meinung ist, es müsse Dinge anders und vermeintlich raffinierter machen.
Echte Fortschritte hat lediglich die Grafik gemacht, die in technischer Hinsicht zum Besten gehört, was die PlayStation 3 zu bieten hat. Im Vergleich zu »God of War III« wirken die Umgebungen sehr viel plastischer und lebendiger, die Ausleuchtung dynamischer und sanfter. Schön anzuschauen ist auch, wie sich Spielwelt an bestimmten Stellen im Spiel in Echtzeit verändert, zerstörte Ruinen wieder auferstehen oder in Windeseile in sich zusammenfallen.
Ein (audio)visueller Genuss ist »God of War: Ascension« trotzdem nicht; im Gegenteil. Das Art-Design des Spiels unterscheidet sich deutlich von dem siner Vorgänger, ist ordinärer, nutzt eine weit dunklere Farbpalette. Die Figuren-Designs sind ein Graus, egal of Freunde, Feinde oder Endgegner. Die Spielumgebungen lassen nicht nur jegliche Schönheit vermissen, sondern auch das Flair des antiken Griechenlands, das stets einen wirkungsvollen Kontrast bildete zur Verderbtheit der sich dort zutragenden Taten. Die Welt von »God of War: Ascension« ist dunkel und hässlich, die Architektur ein wildes Sammelsurium von Versatzstücken aus allen Epochen und allen Teilen der Erde. Sie könnte mit wenigen Änderungen fast überall auf der Welt verortet sein oder als generisches Fantasy-Setting dienen. »Ascension« ist ›dark‹ und ›gritty‹ – und ohne jedes Stilgefühl.
Der letzte Teil der klassischen »God of War« Reihe scheitert somit beim Versuch, eine stagnierende Mega-Franchise zu modernisieren, ohne die Reihe tatsächlich neu zu erfinden (wie es 2018 schließlich doch noch geschah). »Ascension« versinkt im Mittelmaß – und schon das ist dieser Reihe nicht würdig. Einer Reihe, die sich bis dahin keinen Ausrutscher und keinen Schnellschuss erlaubt hatte, und die stets vor allem eines nicht war: Mittelmaß.
II. Mit Hass gebacken
Doch ich würde diese Kritik nicht schreiben, wenn der Absturz in die Mittelmäßigkeit das Einzige wäre, was »God of War: Ascension« vorzuwerfen ist. Schwerer wiegt, wie »Ascension« es geschafft hat, mich richtiggehend anzuwidern – mit seinem obszönen, geistlosen Look, seiner selbstgefälligen Stümperhaftigkeit, seiner ganzen Boshaftigkeit, für die es mir schwer fällt, Worte zu finden.
»God of War: Ascension« ist ein zutiefst unsympathisches Spiel. Ein Spiel, so unangenehm, dass ich in die Schublade mit dem Esoterik-Vokabular greifen muss, um zu sagen: »Ascension« ist ein Spiel voll von negativen Energien. Es ist die Art Kunstwerk, die entsteht, wenn Frust und Selbstgefälligkeit zusammentreffen und jedes Maß auf der Strecke bleibt; wenn auf exzellente Arbeit noch eins draufgesetzt werden soll – ja draufgesetzt werden muss, weil die Provokation und das Streben nach Extremen Markenkern sind, und wenn bei alledem der Spaß und die Menschlichkeit auf der Strecke bleiben. Geradeso als habe Kratos’ Zorn im Laufe der Zeit auch seine Schöpfer erfasst und blind gemacht.
Ich möchte den Entwicklern nichts unterstellen und man sollte von einem Werk nicht auf die Umstände seiner Entstehung schließen (oder umkehrt). Aber den Eindruck, den »Ascension« bei mir hinterlässt, ist der eines Spiels, dessen Entwicklung nicht von Liebe, sondern von Hass getrieben wurde, das nicht das Produkt von Kreativität und Freude am eigenen Schaffen ist, sondern von Druck und übersteigerten Erwartungen. Welche Faktoren hier zusammenspielten, vermag ich nicht zu sagen. Genauso gut kann ich mich irren. Möglich, dass die Entwicklung harmonisch und mit viel positiver Hingabe verlief, und dass »Ascension« genau das Spiel ist, das seine Macher gern erschaffen wollten. Dann möchte ich es ihnen nicht verdenken.
Dennoch fällt es mir schwer, das zu glauben, wenn ich das Ergebnis vor mir habe. Kann von Herzen kommen, was kein Herz hat? »Ascension« ist eben nicht nur schlechter als sein drei Jahre älterer Vorgänger. Es ist ein unsympathisches, ein unangenehmes, ein ekelerregendes Spiel. Wäre dieses Spiel ein Mensch, ich möchte nicht allein mit ihm in einem Zimmer sein. Sei es das vulgäre Art-Design, die lieblose Implementierung der neuen Features, die gleichsam lieblose Gestaltung der Menüs und der Grafiken, oder aber das vollkommene Desinteresse an der Figur Kratos, der hier einfach nur da ist und sein Repertoire abspult, ohne irgendwelche Emotionen zu wecken. Durch das gesamte Gewebe des Spiels zieht sich eine schwarze Seele, die mir Wut und Unbehagen bereitet.
Ich habe God of War 1-3 erst dieses Jahr nachgeholt und hatte bisher nur den vierten Teil gespielt. Für mich ist die Serie damit auch auserzählt. Die Hauptreihe brennt ein Feuerwerk nach dem anderen ab, sodass ein weiteres Spiel eventuell nur Ballast wäre. Ich freue mich wahnsinnig auf Ragnarök, aber die Prequels hinterlassen bei mir weder spielerisch noch erzählerisch einen besonderen Eindruck. Manchmal lohnt es sich auch eine Spielereihe in ihrer Genialität ruhen zu lassen.
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