Gleich in der zweiten Folge diese Reihe möchte ich eine Ausnahme machen und ausnahmsweise keine News-Meldung aus dem Nintendo-Magazin „big.N“ aufgreifen, sondern auf eine Reihe von Meldungen im Internet zurückblicken. Das bevorstehende Comeback der Gamescom sowie die Kontroverse um ein Kunstwerk auf der diesjähigen Documenta in Kassel bilden den Hintergrund.

Das Thema diesmal: Als Space Invaders das WTC attackierten. Ein Kunstwerk und sein Shitstorm auf der Games Convention im Jahre 2008.


Die bevorstehende Rückkehr der Gamescom bestimmt die Schlagzeilen in diesem ansonsten ruhigen Gaming-Sommer. Nicht aus den Gründen, die die Veranstalter sich wünschen würden, sondern wegen der bislang sehr zögerlichen Resonanz aufseiten potentieller Aussteller. Größen wie Sony und Nintendo werden fehlen und manch ein Gamer, der sich nach zwei Jahren Corona-Pause auf den Besuch schon gefreut hatte, stellt sich die Frage, ob die Reise nach Köln bei gleichzeitig stark gestiegenen Ticketpreisen überhaupt noch lohnt.

Ebenfalls in den Schlagzeilen war die diesjähige Ausgabe der Kunstausstellung Documenta in Kassel. Aus ganz anderen Gründen, jedoch ebenfalls nicht positiv. In diesem Fall machte vor allem ein mutmaßlich antisemitisches (mindestens aber antisemitische Stereotype reproduzierendes) Gemälde von sich Reden, das an prominenter Stelle des Veranstaltungsgeländes ausgestellt war und schließlich abgebaut wurde. Die Diskussionen um den Vorfall halten bis heute an. Lesenswerte Einordnungen finden sich hier oder hier.

Das Nebeneinander dieser beiden News weckte bei mir Erinnerungen an einen Vorfall auf der einstmals größten Spielemesse der Welt, der Games Convention. Eine Frage in die Runde meiner Follower bei Twitter mag nicht repräsentativ sein, deutet aber an, dass der von mir erinnerte Vorfall zumindest in Deutschland den Einzug ins kollektive Gedächtnis der Spielerschaft nicht gefunden hat. Ein Grund mehr, darüber zu schreiben, und zu schauen, was einen Teil der Weltöffentlichkeit im August 2008 auf die Palme brachte.


Immer für keinen Skandal gut

Skandale – insbesondere Kunstskandale – sucht man auf der Gamescom vergeblich. „Tatsächlich ist die Gamescom angesichts ihrer Größe, angesichts des Stresses in den teils proppenvollen Hallen eine bemerkenswert friedliche und tolerante Veranstaltung. […] Jahr für Jahr zieht es Hunderttausende junge Menschen auf die Kölner Messe, da ist es vielsagend, dass der größte Skandal ihrer Geschichte ein RTL-Beitrag aus dem Jahr 2011 ist, in dem Gamer pauschal diffamiert wurden.“ So fasste Spiegel-Online-Autor Markus Böhm das Skandalpotential der Gamescom im Jahr 2018 zusammen. (Mehr über den von Böhm referierten RTL-Beitrag hier und hier.)

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Diffamierende Kunstwerke wie in Kassel wünscht sich auf der Gamescom selbstverständlich niemand. Dennoch kann man der Meinung sein: Ein bisschen mehr Skandal, ein bisschen mehr Anecken, das würde der Gamescom doch eigentlich ganz gut tun. Na schön, die Werbeplakate der Bundeswehr aus dem Jahr 2018, die kann man in diesem Zusammenhang vielleicht noch erwähnen. Aber ja mei, wie man in Bayern sagen würde. Außerdem wurden die Plakate zwar parallel zum Stattfinden der Gamescom aufgestellt, allerdings handelte es sich nicht um Exponate auf der Ausstellung selbst, wo der Stand der Bundeswehr von Protesten verschont blieb.

Doch wie oben schon erwähnt: Kaum jemand scheint sich zu erinnern, dass auch der Gamescom-Vorläufer in Leipzig – die Games Convention – seinen Skandal hatte. Einen Kunstskandal sogar! Oder doch nur ein Skandälchen? Nicht nur die Reaktionen auf meine Frage bei Twitter, sondern auch die Suchergebnisse bei Google legen den Schluss nahe, dass der Vorfall im deutschsprachigen Raum keine allzu großen Wellen schlug.

Im englischsprachigen Raum gibt es der Berichte jedoch viele. Was auch daran liegt, dass vor allem Amerikaner sich betroffen bzw. angegriffen fühlten, von dem, was in Halle 2 im fernen Leipzig ausgestellt war.


GC Art 2008: From Outer Space

Stein des Anstoßes war ein Exponat der sogenannten GC Art zum 30. Geburtstag des Spielhallen-Klassikers Space Invaders.

Bei der GC Art handelte es sich um einen von der Leipziger Messe und dem Computerspiele Museum Berlin kuratierten Bereich der Games Convention, der seine Premiere im Jahr 2006 feierte. Damals sorgte vor allem die Painstation für Aufsehen und wunde Randrücken. 2007 folgten Ausstellungen zu den Themen „Digitales Spiel und öffentlicher Raum“ und „Telespiele 1972-2007“.

2008 – im letzten Jahr der Leipziger Games Convention vor ihrem Quasi-Umzug nach Köln – kam es schließlich zur besagten Space-Invaders-Ausstellung. Unter dem Titel „GC ART Special: Space Invaders. From Outer Space“ bildete sie den Höhepunkt unter den vier Teilausstellungen des GC Art-Bereiches.

Eine Vorankündigung der Ausstellung lässt sich hier nachlesen. Der Mitteilung ist zu entnehmen, dass es sich beim GC ART Special: Space Invaders. From Outer Space um eine Kooperation des Computerspiele Museum Berlin und der Games Convention handelte. Und dass „im Zentrum der Ausstellung […] die interaktive Großinstallation ‚Invaders!'“ steht, geschaffen vom „franco-amerikanischen Künstler Douglas Edric Stanley“. So weit, so unverfänglich.

„Als thematischen Hintergrund hat Stanley den Anschlag auf das World Trade Center im Jahre 2001 gewählt.“

Oh. Aha. Wir kommen der Sache näher. (Man bedenke: Der Anschlag war damals noch nicht einmal 7 Jahre her.)

Die Ankündigung zeigt aber auch, dass man im Vorfeld durchaus wissen konnte, was man zu erwarten hatte. Auch die Intentionen des Künstlers kommen offen zur Sprache: „‚Mit meiner Arbeit zeige ich, wie Space Invaders als soziale Erzählung verstanden und mit historischen Erzählungen in Bezug gesetzt werden kann, ohne dabei seine poetische Kraft zu verlieren‘, so Stanley.“ Es handelte sich im Übrigen auch nicht um die erste öffentliche Ausstellung des Kunstwerks, aber dazu später mehr.


Erste Rezeptionen

Unter den deutschsprachigen Breitenmedien wurde das Exponat am 20. August 2008 – also am Fachbesuchertag bevor die GC für das allgemeine Publikum öffnete – von der FAZ aufgegriffen. „Das Computerspiele-Museum Berlin würdigt den dreißigsten Geburtstag des Spielhallen-Klassikers ‚Space Invaders‘, unter anderem mit einer interaktiven Großinstallation, die das Ballerspiel gewagt mit dem Anschlag auf das World Trade Center verknüpft“, berichtet René Meyer nüchtern, der im Vorjahr selbst an der GC Art mitgewirkt hatte. Die Hervorhebung stammt von mir.

Bereits deutlich kritischer äußert sich am selben Tag Andy Chalk im US-amerikanischen „The Escapist“-Magazin:

„Space Invaders are bombing the Twin Towers of the World Trade Center, and while the passage of time may have taken the edge off such a display it doesn’t explain who thought this would be a good idea.“

Es folgt eine recht ausführliche Beschreibung des Kunstwerks und seiner Entstehungsgeschichte. Der Autor schließt mit den Worten: „The whole thing comes across as a little tasteless, but apparently that’s the point of art these days“, gefolgt von einer Verlinkung des Spiels, das den Mittelpunkt der Installation bildet.


Keimzelle des Shitstorms: Kotaku

Ebenfalls auf den 20. August 2008 datiert die erste von mehreren Meldungen bei Kotaku. Autor Michael McWhertor verurteilt die Installation mit deutlichen Worten:

„Honestly, we’re not quite sure what’s going on here quite yet, as we didn’t know the German translation for ‚What the fuck?‘ We do know, however, that the 8-bit tower jumpers and the negative score applied to each WTC tower to indicate damage aren’t going to sit well with, we’re thinking, everyone we know who doesn’t hate freedom.“

Der kurze Beitrag erhielt nicht weniger als 368(!) Kommentare, die sich auch heute noch einsehen lassen. Der Beitrag selbst wurde nach seiner Veröffentlichung korrigiert bzw. aktualisiert: „Update: It is an art exhibit, according the the [sic] French-American artist“, heißt es da, begleitet von einem Link zu einem zweiten Artikel, der ein längeres, erklärendes Statement des Künstlers enthält. Dieser Artikel wurde immerhin noch 229 Mal kommentiert. Nur noch im Internet-Archiv einsehbar ist das Foto, das den Artikel ursprünglich begleitete.

Mir ist nicht ganz klar, was Michael McWhertor dachte, was die Installation sonst sein sollte, wenn nicht „an art exhibit“. Und auch sonst mutet sein Beitrag wie ein etwas unterinformierter Schnellschuss an. So ging McWhertor offenbar fälschlicherweise davon aus, dass es sich um eine „non-interactive installation“ handelte und hat das „non“ im Nachhinein gestrichen (ein Missverständnis, auf das auch Douglas Edric Stanley auf seiner Website hinweist; dazu unten mehr).

Unkorrigiert blieb der eigentlich unbedeutende Fehler, wonach das Kunstwerk „tucked away in Hall Four“ gewesen sei. Alle anderen Quellen sprechen übereinstimmend von Halle 2, sodass auch hier der Eindruck mangelnder Sorgfalt entsteht.


Der Shitstorm erreicht die Breitenmedien (und Taito)

Springen wir zwei Tage in der Zukunft, zum Nachmittag des 22. August 2008. Es ist Freitag und die Games Convention ist bereits den zweiten Tag für das allgemeine Publikum geöffnet. Die Kontroverse um das Kunstwerk scheint sich aber weniger vor Ort als vielmehr in US-amerikanischen Medien abzuspielen, und zwar nicht nur in der Computerspiel-Fachpresse. 

So titelt Wired.com: „Controversial Space Invaders Remix Raises Square Enix’s Ire“ und hält bereits im Teaser fest:

„The Leipzig Games Convention held this week in Germany has been the subject of much controversy.“

Der Artikel von Chris Kohler macht deutlich, dass inzwischen auch amerikanische Breitenmedien das Thema für sich entdeckt hatten: „Outlets like the New York Daily News picked up on the story and asked families of 9/11 victims what they thought of the game. You can guess what their responses were.“

Denen, die nicht „raten“ mögen, hilft der Artikel von Brendan Sinclair bei GameSpot weiter:

„One firefighter called it ‚very, very distasteful,‘ and a woman who lost her adult son in the tragedy labeled it ‚disgusting.‘ They weren’t the only people put off by Invaders, judging from the multiple posters wishing Stanley’s death in the comments section of his own blog.“

Es shitstürmt also kräftig und auf die denkbar unangenehmste Art. Und auch Square Enix hat inzwischen von der Sache Wind bekommen. „Wieso Square Enix?“, mögen sich manche Leser an dieser Stelle vielleicht fragen. Ganz einfach, Square Enix hatte den Space-Invaders-Rechteinhaber Taito im Jahr 2005 übernommen.

GameSpot wie auch Wired zitieren das Statement der Square Enix-Tochter, dessen Kernaussage ist, dass Taito weder mit der Installation „Invaders!“ noch mit der Space-Invaders-Ausstellung insgesamt etwas zu tun habe und dass die Verwendung der Space-Invaders-Inhalte „wholly unauthorized“ sei. Außerdem würde man „seriously considering all available options – including legal actions against the infringer and, if necessary, the Games Convention exhibitor involved“.

Im Ganzen argumentiert Taito „unpolitisch“, das heißt allein unter Verweis auf eine unauthorisierte Verwendung geistigen Eigentums. Die künstlerischen und politischen Dimensionen des Kunstwerks bleiben unkommentiert.

Der Wired-Artikel schließt damit, dass der Künstler der Games Convention die Erlaubnis erteilt habe, die Installation abzuschalten. In Anbetracht von solchen Kommentaren sicherlich verständlich:

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Eindämmung: Kotaku rudert zurück

Die bevorstehende Abschaltung bildet dann auch den Ausgangspunkt eines weiteren Kotaku-Artikels vom späten Abend des 22. August, diesmal verfasst von Brian Crecente. Der Künstler habe die Games Convention gebeten, die Installation „einfach abzuschalten“. Der Artikel zitiert dann ein längeres Statement von der Website des Künstlers, auf das ich weiter unten noch zu sprechen komme.

Brian Crecente schließt seinen vergleichsweise kurzen Beitrag mit den Worten: „I’m not sure where I stand on the piece itself, but I do feel strongly that art, no matter how seemingly crass or insensitive, should be protected.“ Auch unter diesem Beitrag finden sich nicht weniger als 282 Kommentare.

Ein paar Stunden zuvor war bei Kotaku allerdings noch ein weiterer Artikel zum Thema erschienen, auf den Brian Crecente auch Bezug nimmt, und der für sich genommen äußerst bemerkenswert ist: Der Autor des ursprünglichen Kotaku-Beitrags vom 20. August, Michael McWhertor, hatte in der Zwischenzeit nämlich die Gelegenheit, die Invaders!-Installation selbst anzuspielen und kommt nun – große Überraschung! – zu einem ganz anderen Urteil.

Schon im ersten Absatz heißt es nun: „Seeing Invaders! […] is very effective in eliciting an immediate emotional response. That makes it a successful[!] work of art, even if reaction to such confrontational themes are rarely positive.“ Die Hervorhebung stammt auch hier von mir.

Und weiter: „Spending more time absorbing and, of course, playing Invaders! gives one a better perspective on what Stanley was aiming for.“ McWhertor schließt mit dem ausgesprochen wohlwollenden Fazit:

„Invaders! may be unsettling, with its blending of archaic gameplay and modern day catastrophe, but it’s also an impressive accomplishment in that it delivers complex messages via simple means. Despite its perceived insensitivity, Stanley’s ability to use video games as a medium of artistic expression will likely be an important step in the form being taken seriously (by people who take things seriously).“

Es ist vielleicht bezeichnend, dass dieser, der reflektierteste unter den vier Kotaku-Beiträgen, mit „nur“ 205 Kommentaren auskommen muss. Erwähnenswert ist vielleicht noch die Antwort auf die Rückfrage des Lesers Aex: „You said the game delivers complex messages. Can you explain what you felt those messages were?“ McWhertor antwortete: „Briefly, Invaders! captures a sense of helplessness that many people felt in the wake of those attacks and touches on jingoistic violence as entertainment in a surprisingly efficient way.“

Bemerkenswerte Worte von einem, der zwei Tage zuvor – ganz im Duktus der Bush-Ära – noch tönte, dass die Installation niemandem gefallen könne, der „Freiheit nicht hasse“!


Nachschau

Ein Artikel von Tom Bramwell bei Eurogamer fungiert bereits als eine Art Nachbetrachtung. Leider ist dem Beitrag nicht zu entnehmen, wann genau er ursprünglich erschienen ist, sondern nur, dass er am 26. August 2008 zuletzt aktualisiert wurde, am Dienstag nach der Messe also. (Da die Entfernung des Kunstwerks mit „last Friday“ angegeben ist, gehe ich davon aus, dass der Artikel frühestens am 24. August veröffentlicht wurde.)

Der Artikel erkennt in Kotaku eine treibende Kraft hinter der Skandalisierung des Kunstwerks und bezeichnet die ursprüngliche Reaktion der Publikation als wenig überraschend:

„The initial response from the likes of Kotaku was unsurprisingly strong“.

Bradwells Artikel lässt nicht unerwähnt, dass „Kotaku apparently changed its mind once it went hands-on“, wie oben schon beschrieben. Doch auch Bradwell hält fest: „by then it was too late“. Die (uninformierte) Öffentlichkeit hatte ihr Urteil getroffen, und Douglas Edric Stanley den Entschluss, die Installation abzuschalten. 

Die im Artikel erwähnte „message that was subsequently displayed on the Invaders! screen in Leipziger Messe’s Hall 2“, war auch fast das Einzige, was ich selbst von Stanleys Kunstwerk zu sehen bekam. Zwar verschaffte ich mir schon am Donnerstag einen ersten Eindruck von allen Messehallen, wobei das weiter oben gezeigte Foto entstand, auf dem die Installation im Hintergrund sichtbar ist. Eine eingehendere Auseinandersetzung mit der GC Art hatte ich mir aber ganz bewusst für das besucherstarke Wochenende aufgehoben, wenn in den anderen Hallen, wo die großen Publisher ihre Stände hatten, erfahrungsgemäß kaum ein Durchkommen war.

Nachdem ich von der Kontroverse bis dahin nichts mitbekommen hätte, begrüßte mich bei meiner sonntäglichen Rückkehr in Halle 2 nur noch das Statement Stanleys, in eher holpriger deutscher Übersetzung. Ich erinnere mich aber, mich im Nachhinein online informiert zu haben. In Kombination mit dem Gefühl, etwas „verpasst“ zu haben, dürfte das der Grund sein, warum mir die Sache bis heute in Erinnerung geblieben ist.

Der Eurogamer-Artikel schließt mit sarkastischen Untertönen:

„Meanwhile, jubilant US critics including the New York Daily News responded to Stanley’s decision by reminding everyone that the installation was ‚tasteless‘ and that the ‚9/11 families‘ are now happy again.“


Das Statement des Künstlers

Und das ist dann auch fast das Ende der Geschichte. Selbstverständlich will ich aber dem Künstler selbst noch etwas mehr Raum geben. Sein Blog und eine dedizierte Seite zur Invaders!-Installation existieren noch heute und zeichnen den Verlauf der Kontroverse aus der Sicht von Douglas Edric Stanley nach.

Insbesondere wird dort auf die Geschichte des Kunstwerks eingegangen, das in seiner ursprünglichen Form bereits Ende 2001 entstand. Varianten der Installation waren vor der Games Convention bereits an anderen Orten in Europa ausgestellt – ohne Kontroversen auszulösen (eine interessante Parallele zum eingangs erwähnten Kunstskandal von Kassel, der natürlich eine ganz andere Qualität hat, dessen Corpus Delicti aber ebenfalls nicht neu war). Erst unter den Blicken der größtmöglichen (Welt‑)Öffentlichkeit und in der direkten Konfrontation mit den spezifischen Sensibilitäten eines anderen, in diesem Fall des US-amerikanischen, Kulturraums erfuhr Invaders! eine unerwartet kritische, um nicht zu sagen feindselige, Rezeption, die so vermutlich nicht erwartet war.

In seinem Statement betont Stanley, dass es keinen Druck von Veranstalterseite gegeben habe, das Kunstwerk abzuschalten, und kritisiert explizit die amerikanischen Reaktionen auf die Installation:

„the American response to this work has been, frankly, immature, and lacking the sophistication and consideration that other parts of the world have so far shown the work“

Der letzte Eintrag auf der Seite stammt vom 01. September 2008, das ist eine Woche nach dem Ende der Messe. Auch hier zeigt sich Stanleys vergleichsweise Hilflosigkeit, den Attacken zu begegnen, die nicht selten auf krassen Verzerrungen gründen, und eine Emotionalität zeigen, denen mit rationalen Argumenten schwer zu begegnen ist:

„Some people continue to be under the impression that I created a game in which the goal is to bomb the World Trade Center. Herein lies the power of rumor, suggestion, and above all controversy. I made no such game. In Invaders!, you are very clearly defending the towers, on the side of America, and there is no option to play the role of the invaders. […] But I found it quite telling when, yesterday, upon correcting someone poorly informed on this matter, this same person replied, ‚Then what is all the controversy about?‘ Indeed.“


Die Presse und die Folgen

Ich möchte diese Zeitreise auch diesmal mit der Frage beschließen, welche Figur die (Fach-)Presse in der Angelegenheit gemacht hat.

„Let’s file this one under ‚Too Soon'“, begann der Artikel, mit dem Kotakus McWhertor entschieden dazu beigetragen haben dürfte, den nachfolgenden Shitstorm zu entfesseln. Gemeint war natürlich die provokante Bearbeitung des großen amerikanischen Traumas des 21. Jahrhunderts, vergleichsweise kurze 7 Jahre nach seinem Geschehen. Rückblickend und im Angesicht der späteren Revidierung von McWhertors eigener Position wirken die einleitenden Worte wie ein ironischer Kommentar auf den Artikel selbst: Unüberlegt und vorschnell, und journalistische Sorgfalt vermissen lassend, richtete er nicht unbeträchtlichen Schaden an.

Im Nachgang bemühte sich Kotaku um eine differenzierte Betrachtung und die praktisch vollständige Neuevaluation seitens McWhertors, die geradezu in einer Verteidigung des Kunstwerks mündet, verdient Respekt. Sie kam nur leider zu spät, um die aufgeheizte Debatte noch zu entschärfen.

Dennoch ist mir nicht ganz klar, warum Eurogamer die Reaktion von Kotaku explizit als erwartbar bezeichnet. War Kotaku zum damaligen Zeitpunkt für sensationslüsterne oder provozierende Berichterstattung bekannt? Oder gründet die Einschätzung von Eurogamer einfach darauf, dass Kotaku eine amerikanische Seite ist? Wer mehr weiß, möge dies gern im Kommentarbereich kundtun.

Geschadet haben dürfte Kotaku der Fauxpas nicht, fungierten die dortigen Kommentarspalten doch als Dreh- und Angelpunkt der Diskussion des Werks im Internet. Zusammengenommen bescherten die insgesamt vier Artikel zum Thema Kotaku mehr als 1000 Kommentare und mit Sicherheit unzählige Aufrufe. Dass die Erregung kalkuliert war, möchte ich der Seite allerdings nicht unterstellen, da die beiden Redakteure nach dem initialen Schnellschuss zunehmend um Dialog und Differenzierung bemüht waren, und nicht um weitere Skandalisierung.


Dass die Angelegenheit in Deutschland nicht dieselbe Aufmerksamkeit erfuhr, erwähnte ich schon. Denkbar ist aber auch, dass etwaige News-Meldungen einfach nicht mehr online sind, weil nur wenige Publikationen von damals bis heute überlebt haben. (In den USA schaut das etwas anders aus.) Doch mindestens eine Ausnahme gibt es.

In der deutschen Fachpresse nahm sich die GEE des Themas an, die der Kombination aus Games und Kunst im engeren Sinne seit jeher eine größere Aufmerksamkeit schenkte. In der (auch sonst recht kunstlastigen) Oktoberausgabe des Jahres 2008 findet sich ein fast einseitiger Artikel, der die Kontroverse um Invaders! zusammenfasst. Interessant ist auch hier die Formulierung: „hat in den USA einen Kunstskandal entfacht“, und eben nicht in Deutschland bzw. Europa. [sk]


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Quelle Bilder: Eigene Fotos. Eigener Scan der GEE, Seite 82, Ausgabe vom Oktober 2008. Grafik Titelbild: Screenshot aus Invaders!, Douglas Edric Stanley, abstractmachine.net. Die Urheberrechte liegen bei den entsprechenden Rechteinhabern.