Die Firmenlogos auf dem Weg ins Hauptmenü muten vielversprechend an, weisen sie »White Knight Chronicles« doch als Co-Produktion von Sonys legendärem Japan Studio und den Rollenspiel-Experten von Level-5 aus. Letztere zeichnen nicht nur für die PS2-Spät(meister)werke »Dragon Quest VIII« und »Rogue Galaxy« verantwortlich, sondern feierten seit dem Erscheinen des Nintendo DS auch und vor allem auf Nintendo-Handhelds große Erfolge (»Professor Layton«, »Inazuma Eleven«, »Yo-kai Watch«).

Ein Beitrag aus der Reihe Reingestreamt: Speed-Dating mit der PS3-Bibliothek.


In die Professor-Layton-Hochphase fällt auch »White Knight Chronicles«, ein High-Profile-Japan-Rollenspiel, das in seiner Urform im Dezember 2008 exklusiv auf der PlayStation 3 veröffentlicht wurde (europäische Spieler mussten sich bis März 2010 gedulden). Man kann in »White Knight Chronicles« wohl den Versuch sehen, eine neue PlayStation-exklusive Rollenspielserie zu etablieren, derweil die vormals exklusive »Final Fantasy«-Reihe im Verlauf der siebten Konsolengeneration multiplattform ging. Der Nachfolger »White Knight Chronicles II« folgte 2010/11. 

Für japanische Rollenspiele eher untypisch und deshalb durchaus zu meiner Überraschung beginnt »White Knight Chronicles« mit einem Charakter Editor, mit dem ich – ebenfalls zu meiner Überraschung – doch so einige Zeit verbrachte. Unerwartet kommt aber auch, dass der dort erstellte Charakter im Spiel selbst nur eine Nebenrolle spielt, und ich per default einen gähnend langweiligen Tidus-Doppelgänger steuere. Zwar darf ich zu meinem selbsterstellten Avatar wechseln, was ich nach all der Mühe auch getan habe, doch hat der – in den knapp zwei Spielstunden, die ich mit »White Knight Chronicles« verbracht habe – nichts zur Handlung beigetragen, was der Rest des Casts nicht auch alleine hinbekommen hätte. Ich vermute, dass mein selbsterstellter Charakter für den Mehrspielermodus von Belang sein wird, den ich allerdings nicht ausprobiert habe (zumal ich bezweifle, dass die Server noch online sind) und der bei Release des Spiels auch die stärkste Kritik einstecken musste.


Der erste Eindruck vom eigentlichen Spielgeschehen war auch eher negativ. Das ist vor allem der Bedienung und dem Interface geschuldet, die mindestens aus heutiger Sicht ganz schön sperrig (und seltsam ›unresponsive‹) wirken. Die Grundzüge der Spielmechanik und das Kampfsystem werden mir in vielen Texttafel-Tutorials nahegebracht. Das ist nicht nur dröge, sondern auch viel zu viel auf einmal, als dass ich das im Rahmen eines kurzen Anspielens verarbeiten kann und möchte. Glücklicherweise ist das Spiel sehr leicht, oder fängt zumindest sehr leicht an, sodass ich auch ohne ein tieferes Verständnis des Kampfsystems keine Probleme hatte, die ersten Kämpfe zu überstehen und sogar einen ersten Boss niederzustrecken. Wie gut das Kampfsystem tatsächlich ist, vermag ich nach weniger als zwei Stunden nicht einmal im Ansatz einzuschätzen. Für ein Echtzeit-Kampfsystem wirkte es allerdings ziemlich undynamisch.

Gemischte Gefühle bereiten mir Grafik und Artstyle des Spiels. »White Knight Chronicles« breitet die bekannte Vulgarisierung des europäischen Barock vor mir aus, und bedient sich dabei eines Looks, der mehr 08/15 kaum sein könnte. Damit will ich explizit nicht sagen, dass das Artdesign des Spiels schlecht ist – es ist halt einfach nur der absolute Standard, dem das gewisse Etwas fehlt, das insbesondere die »Final Fantasy«-Reihe aus der Masse der J-RPGs stets hervorhebt.

Entzücken konnten mich immerhin die Naturdarstellungen, die es zu sehen gibt, sobald man die Residenzstadt, in der das Spiel beginnt, verlassen hat (was ziemlich bald geschieht). Hier überzeugt die Spielwelt durch Weite und Lebendigkeit – und spielt damit zwar nicht auf dem Niveau eines »Xenoblade Chronicles«, aber immer noch eine Liga über »Final Fantasy XIII«. Und wenn es schließlich im Sonnenuntergang wieder zurück gen Stadt geht, schaut »White Knight Chronicles« auch da zwar nicht originell, aber wirklich ziemlich malerisch aus.


Dass ich überhaupt so lang am Ball blieb, ist allerdings der Erzählung zu verdanken. Schnell werden verschiedene Fraktionen eingeführt und persönliche und politische Konflikte umrissen, die mein Interesse so weit weckten, dass ich die betont bodenständige Einführungs-Quest (»Geh ins Nachbardorf und hole den Wein für die Feier im Schloss!«) abschließen und sehen wollte, was passiert. (Spoiler: Nichts, was man nicht erwarten würde, aber ganz nett umgesetzt ist es allemal.) Es wäre übertrieben, wenn ich sagte, dass die Story mich in ihren Bann gezogen hätte, und so generisch und klischeebeladen wie »White Knight Chronicles« in anderen Punkten anmutet, gehe ich nicht davon aus, eine Geschichte zu erleben, wie ich sie nicht schon hundertfach erlebt habe. Aber erfahren, was »als nächstes passiert«, das möchte ich tatsächlich ganz gerne. Kurzum: »White Knight Chronicles« hat einen gewissen Charme, der mich erwägen lässt, noch ein, zwei Stündchen dranzuhängen, um zu sehen, wo die Story (und ggf. das Kampfsystem) hinführen. [sk]


Reingestreamt-Fazit: »White Knight Chronicles« mutet trotz erkennbar hoher Produktionswerte recht generisch an. Die Qualität des bislang steifen Gameplays kann ich nicht beurteilen, auch weil grässliche Textbox-Tutorials die Auseinandersetzung mit dem Kampfsystem unattraktiv machen. Doch die Story ist überdurchschnittlich gut erzählt und macht Lust auf mehr.

  • Spielspaß: ♥♥♥♡♡
  • Zugänglichkeit: ♥♥♥♡♡
  • Fortsetzungswahrscheinlichkeit: ♥♥♥♡♡
  • Erkenntniswert: ♥♥♥♡♡

White Knight Chronicles
Level-5 & Japan Studio / Sony Computer Entertainment, 2008-2010
Director, Producer, Designer & Writer: Akihiro Hino
Gespielt auf PlayStation 3 (via PS Now). Nicht auf anderen Systemen erhältlich.