Es ist an der Zeit, ein Fazit zu ziehen, und diese – gar nicht mal so kleine – Retrospektive zum Abschluss zu bringen. Ich kenne nicht viele Spieleserien, deren Veröffentlichungshistorien und Namensgebungs-Konventionen so verworren sind, wie die von Advance Wars (oder Famicom Wars, oder Game Boy Wars, oder Battalion Wars). Doch die Frage, die sich mir am Ende dieses Rückblicks vor allem stellt, ist: Warum fand die Reihe nach 2008 ein solch abruptes Ende? Zumal zu einem Zeitpunkt, als sie dem äußeren Anschein nach expandierte?

Ich kann nur spekulieren. Doch auch ohne Einblicke in die Entscheidungsfindung hinter den Kulissen zu haben, drängen sich die folgenden drei Gründe auf.


Grund 1: Der unstete Stand der Reihe in Japan

Grob lässt sich die Geschichte der Wars-Reihe in zwei Phasen unterteilen. Erstens: Die japanische Phase von 1988 bis 2001, mit den Originalspielen von Intelligent Systems, die auf drei verschiedenen Plattformen die Grundlagen schufen, und den diversen Game-Boy-Ablegern aus dem Hause Hudson Soft. Zweitens: Die westlich dominierte Phase, beginnend ab 2001, als die Reihe unter dem Namen Advance Wars auch die USA und Europa erreichte und ein goldenes Zeitalter erlebte, und ihr von Kuju Entertainment ein actionlastiges Echtzeit-Spin-off an die Seite gestellt wurde.

Doch obwohl die Geschichte der Reihe in Japan sehr viel weiter zurückreicht als im Westen, erschienen die Spiele dort seit 2001 nur noch unregelmäßig. Von allen Episoden, die Intelligent Systems nach Super Famicom Wars (1998) entwickelten, kam einzig das 2005er Dual Strike auch in Japan direkt nach Fertigstellung in den Handel. Schon beim nachfolgenden Days of Ruin hakte es wieder. Das ist umso erstaunlicher, als die beiden Battalion Wars-Spiele, die in Großbritannien entwickelt wurden, ohne größere Verzögerungen auch in Japan in den Handel kamen (und dort, anders als im Rest der Welt, sogar unter dem gewohnten Namen Famicom Wars veröffentlicht wurden).

Im Westen, vor allem in den USA, war die Reihe erfolgreicher und die Veröffentlichungen beständiger. Allerdings waren auch hier die Verkaufszahlen in der Tendenz eher rückläufig und ein plötzlicher Durchbruch nicht mehr zu erwarten.

Last, but not least muss man anerkennen, dass die Reihe auch während der oben beschriebenen „japanischen Phase“ nicht die höchste Priorität genoss. Nach den beiden Erstlingswerken für Famicom und Game Boy war es sechs Jahre still. Der Ableger für das Super Nintendo kam zu einer Zeit, als die Konsole längst zum alten Eisen gehörte, und erschien noch nicht einmal physisch. Und so umtriebig Hudson Soft auf dem Game Boy auch war: Diese Veröffentlichungen waren das Ergebnis des Engagements von Hudson. Nintendo und Intelligent Systems nahmen sich der Reihe dort nicht an.

Der japanische TV-Spot für das Original-Famicom Wars (mit engl. Untertiteln).
Der japanische TV-Spot für das Original-Game Boy Wars.
Der japanische TV-Spot für Famicom Wars DS aka. Advance Wars: Dual Strike.
Und der amerikanische Spot für dasselbe Spiel.

Grund 2: Die unbequeme Militärthematik

Nintendo ist, anders als Nintendo-ferne Gamer gern behaupten, keineswegs ein Unternehmen, das nur und ausschließlich gewaltfreie Spiele für Kinder und Familien auf den Markt bringt. Zum Portfolio des Unternehmens gehören auch zwei der innovativsten First-Person-Shooter der Spielegeschichte, eine lange Tradition der Förderung von Horrorspielen, sowie hin und wieder eine nicht nur nach Nintendo-Maßstäben rabiate Metzelei wie Devil’s Third. Es ist also nicht so, dass Nintendo Spiele, in denen geschossen und getötet wird, rundheraus ablehnte.

Dennoch ist Advance Wars ein etwas seltsames Gewächs. Es versucht den Spagat zwischen einer niedlichen, geradezu kindgerechten Präsentation einerseits, und einer sehr „puren“ und unverhüllten Kriegsthematik andererseits. Wie ich ganz zu Beginn dieser Retrospektive schon argumentierte: Advance Wars ist ein „Kriegsspiel“ im Wortsinne. Es simuliert „Krieg“ – die Schlachten, nicht das Leid – und bedient sich der Metapher noch viel unbekümmerter als die Call of Dutys und Battlefields dieser Welt. Und während der Umgang mit der Militärthematik in Japan seit jeher etwas lockerer war als in vielen anderen Ländern (siehe die obigen Werbespots), deutet einiges darauf hin, dass Nintendo bei dem Setting nicht immer ganz wohl war.

Seit den goldenen Jahren der Advance Wars-Reihe scheint die Sensibilität für das militärische Setting im Hause Nintendo noch einmal gewachsen zu sein: Während auf dem Backcover von Dual Strike im Jahr 2005 noch ganz salopp zu lesen war, dass „war has never been more fun“, ist Nintendo darauf bedacht, das Wort „Krieg“ in der offiziellen Produktbeschreibung von Advance Wars 1+2: Re-Boot Camp noch nicht einmal zu nennen. Stattdessen spricht der Text auf der Nintendo-Website gleich zweimal davon, dass es im Spiel darum ginge, „den Frieden aufrechtzuerhalten“. Eine nachgerade absurde Formulierung orwellscher Güte.

Ich hatte deshalb zuerst eine etwas unglückliche Übersetzung in Verdacht, aber nichts da: Auch in der englischen Produktbeschreibung heißt es gleichsam sinnbefreit „keep the peace“, und nicht etwa „restore peace“ oder ähnlich. Es ist ja nichts dagegen einzuwenden, eine Verharmlosung oder gar Glorifizierung von Krieg zu vermeiden, aber diese Wortwahl ist, egal aus welcher Perspektive, Quatsch. Ich vermute, solche krummen und schlussendlich widersinnigen Formulierungen kommen zustande, wenn ein Texter angewiesen ist, bloß nicht irgendwo anzuecken, und muten dann ungewollt zynisch an. Was kommt als Nächstes? Eine Umbenennung zu Advance Special Military Operations?

Diese rhetorische Frage soll natürlich nur verdeutlichen, wie absurd der Versuch ist, ein Gute-Laune-Kriegsspiel als Mission zur Friedenswahrung zu framen. Was den Krieg in der Ukraine angeht, so hat Nintendo mit der Verschiebung des Remakes Sensibilität bewiesen, was ich am Anfang dieses Special schon lobte. Aber auch hier gilt: Nicht alle Spiele-Publisher hätten (oder haben) so reagiert. Auch diese Entscheidung unterstreicht also, dass Nintendo sich die Veröffentlichungen dieser Reihe ganz genau überlegt.

In dieses Bild passt auch die nochmalige Verniedlichung sämtlicher Militärtechnik im Spiel, die im Remake einen ausgeprägten Plastiksoldaten-Look à la Army Men erhalten soll, der noch einmal eine Ecke abstrahierter ausschaut, als die Grafiken des Originals. Bei den Artworks zeigt sich diese Entwicklung ähnlich; so ist der Panzer auf dem ansonsten identisch arrangierten Bild um einiges knuffiger als anno dazumal. Das muss trotzdem nicht heißen, dass diese Veränderungen das Ergebnis einer Direktive von ganz oben sind: WayForward steht schließlich auch sonst für zuckersüße Charakter-Designs.


Grund 3: Der unverhoffte Erfolg der Fire Emblem-Reihe

Der möglicherweise wichtigste Grund für das Aus der Reihe ist aber einer, der mit Advance Wars selbst nur indirekt zu tun hat: So erlebte wenige Jahre nach der Veröffentlichung des letzten Advance Wars-Spiels die Fire Emblem-Reihe ihren großen Durchbruch, die ebenfalls von Intelligent Systems stammt und zwei Jahrzehnte lang als eine Art Schwesterserie koexistierte.

Genau wie Advance Wars ist nämlich auch Fire Emblem eine vergleichsweise alte Reihe, deren Geschichte bis ins Jahr 1990 zurückreicht. Ebenfalls genau wie Advance Wars erschien auch Fire Emblem lange Zeit ausschließlich in Japan und schaffte erst auf dem Game Boy Advance (rund zwei Jahre nach Advance Wars) den Sprung in den Westen, befördert dadurch, dass zwei ihrer Protagonisten im GameCube-Megahit Super Smash Bros. Melee (2001) auftauchten und damit erstmals auch außerhalb Japans einem größeren Publikum bekannt wurden.

Bei Intelligent Systems sind die Entwicklungsgeschichten der beiden Reihen eng verknüpft: Die Programmierung von Famicom Wars im Jahr 1988 legte den Grundstein für die Entwicklung von Fire Emblem: Shadow Dragon and the Blade of Light, das 1990 erschien. Auf Super Famicom Wars folgte das exzellente Fire Emblem: Thracia 776, ebenfalls ein ultraspäter Super-Nintendo-Titel, und ebenfalls zunächst über den Nintendo Power Service vertrieben. Das glücklose Advance Wars: Days of Ruin wiederum bildete die technologische Basis für Fire Emblem: Shadow Dragon, dem ersten Teil der Reihe für den Nintendo DS.

In die Reihe selbst will ich an dieser Stelle gar nicht tiefer einsteigen. Bedeutsam ist, dass (exzellenten Kritiken zum Trotz) auch die Fire Emblem-Reihe am Ende der Nullerjahre nicht mehr die Verkäufe erzielte, die Nintendo sich wünschte, und deshalb vor dem Aus gestanden habe. Das Handheld-Comeback für den 3DS macht deshalb viele Dinge anders. Mit Erfolg: Fire Emblem: Awakening (2013) schlug ein wie eine Bombe und anstelle von ein paar Hunderttausend verkaufte dieses Spiel mehrere Millionen Exemplare. Unversehens war der Reihe der Sprung aus der Nische in den Mainstream gelungen, und in den letzten zehn Jahren durfte Fire Emblem zu den wichtigsten Franchises im Hause Nintendo gezählt werden.

Der gegenwärtige Erfolg der Reihe wird auch dem charakterzentrierten Storytelling zugeschrieben, das zwischen den Gefechten (noch stärker als früher) zum Tragen kommt und fast schon Visual-Novel-Charakter hat. Ich persönlich kann damit eher wenig anfangen, weite Teile des Publikums schätzen die ausufernden Dialoge und Beziehungsdramen aber. Laut Nintendo-Produzent Hitoshi Yamagami ließe sich diese Art der Interaktion in Advance Wars nur schwer umsetzen. Ob das so stimmt oder nicht doch nur ein Vorwand ist, um nicht zwei ähnliche, aber unterschiedlich erfolgreiche Reihe zu verfolgen, sei einmal dahingestellt. Sicher ist: Intelligent Systems hat mit Fire Emblem alle Hände voll zu tun – und verdient daran sehr gut.


Es wird also kein Zufall sein, dass das kommende Remake nicht nur nicht bei Intelligent Systems entsteht, sondern noch nicht einmal in Japan. Ja tatsächlich ist eine Veröffentlichung von Advance Wars 1+2: Re-Boot Camp in Japan bislang noch nicht einmal angekündigt, was einmal mehr den seltsam niedrigen Stellenwert der Reihe in ihrem Heimatland verdeutlicht (und das, obwohl die Namensgebung der Compilation an den japanexklusiven Doppelpack Game Boy Wars Advance 1+2 anzuknüpfen scheint).

Auch sollte man annehmen können, Nintendo spiele es mit dem Remake von Advance Wars 1+2 safe. Wie viel kann schon schief gehen, bei der Umsetzung zweier spielmechanisch geschliffener Rundenstrategiespiele vom Game Boy Advance auf die Nintendo Switch? Offenbar doch so einiges: So konnte schon der ursprüngliche Veröffentlichungstermin im vergangenen Dezember nicht gehalten werden, aus Qualitätsgründen. Und dann, als man annehmen durfte, dass das Spiel fertig ist – die veröffentlichte Boxart zeigt bereits die USK- und PEGI-Einstufungen – kam, salopp gesagt, der Ukraine-Krieg „dazwischen“.

Die Veröffentlichung von Advance Wars steht also wieder einmal unter keinem guten Stern und während ich die Verschiebung des Spiels als richtig erachte, bleibt zu hoffen, dass es bei einer Verschiebung bleibt – und der neue (alte) Teil der Reihe nicht für Jahre im Boot-Camp versauert, wie es bei ein paar anderen Serienteilen der Fall war.


Das war es von meiner Seite zur Advance Wars-Reihe. Vorläufig. Denn in Kürze erwartet euch bei SPIELKRITIK eine umfassende Reihe zur Militärästhetik in Battalion Wars. Dessen realweltliche Bezüge will ich einmal kritisch unter die Lupe nehmen, und ich freue mich, wenn ihr mich dabei begleitet. Bis dahin! [sk]

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