Liebe Leserinnen und Leser,
heute dürfen wir einen Freund der ersten Stunden im Quest-Log begrüßen: Roberto Kracht aka. Polygonien leitet nicht nur einen der älteren, noch existierenden Spiele-Blogs Deutschlands, sondern schrieb vor gut fünf Jahren auch einen der ersten Gastartikel für SPIELKRITIK.com.
Heute teilt er mit uns sein Inventory und seine Meinung zum Thema des Monats: Hässliche Schale, leckerer Kern: Spaß mit Spielen, die visuell abstoßen?
Es soll dabei um Spiele gehen, die uns grafisch abstoßen – sei es, weil die Grafik einfach „schlecht“ ist, oder (und das ist vielleicht das interessantere Thema) weil wir den Stil nicht abkönnen. Welche Spiele konnten euch faszinieren, obwohl ihr sie extrem hässlich findet? Oder: Um welches Spiel habt ihr bislang einen Bogen gemacht, weil die Grafik euch missfällt, obwohl ihr wisst, dass das Spiel sehr gut sein soll?
Sagt es uns im Kommentarbereich! [sk]
INVENTORY: Die aktuellen Favoriten der Redaktion
Sylvio @spielkritik
Spielt: Mass Effect 1 & 2: Legendary Edition, Through the Darkest of Times, Split/Second: Velocity
Liest: Tom Clancy: Gnadenlos (“Nur” noch 150 Seiten!)
Schaut: King of Queens (Staffeln 5 und 6), New Kids Nitro, House of Gucci
Hört: Shiina Ringo: Watashi To Hoden
Und sonst? Wünschte, das Schreiben von Spielkritik‑Artikeln ginge schneller, weil er nie alle Ideen umsetzen kann.
Pascal @pascalthehoff
Spielt: Horizon: Forbidden West, Pokémon Legends: Arceus, Donkey Kong Country 3
Liest: Hanya Yanagihara: To Paradise, Tarjei Vesaas: The Ice Palace, Osamu Dazai: No Longer Human
Schaut: Dune, Severance, Malignant, Trois Couleurs (Trilogie)
Hört: Mitski, Black Country New Road, Pauls Jets, L’Eclair, alte Jazz-Alben in Dolby Atmos
Und sonst? Habt das gesamte bisherige Jahr so gut wie nichts gespielt, ist aber zuversichtlich, dass Elden Ring seinen müden Geist beleben wird.
Jessica @JessicaKathmann
Spielt: Rain on Your Parade
Liest: Alte Lernkärtchen aus dem Studium, um sie dann zu entsorgen.
Schaut: De Avondshow met Arjen Lubach
Hört: Nichts Bestimmtes.
Und sonst? Freut sich, dass die ersten Osterglocken auf ihrem Balkon blühen und sorgt sich wegen der politischen Lage.
Dennis @VG_Analyse
Spielt: Horizon Zero Dawn, diverse Half-Life-Mods
Liest: Stanley Milgram: Das Milgram Experiment
Schaut: Helden der Wahrscheinlichkeit, Licorice Pizza, Minari
Hört: Billy Talent: Crisis of Faith
Und sonst? Hat mal wieder an einer LAN-Party teilgenommen und feststellen müssen, dass sein Counter-Strike-Aim – wahrscheinlich durch moderne Shooter – ruiniert ist.
Freund des Hauses: Roberto @polygonien
Spielt: Cursed Mountain, Half-Life Alyx, schon wieder zu viel Natural Selection 2
Liest: Dune: Der Wüstenplanet, WASD #6
Schaut: Der Dunkle Kristall: Ära des Widerstands, bald die neue Staffel Drive to Survive
Hört: Hot Mulligan: You’ll Be Fine, Knuckle Puck: While I Stay Secluded
Und sonst? Kämpft aktuell gegen den Feature Creep und das Impostor-Syndrom an, um das Spinoff-Projekt seines Blogs mal langsam auf die Zielgerade zu bringen.
MEINUNGSKASTEN: Hässliche Schale, leckerer Kern: Spaß mit Spielen, die visuell abstoßen?
Pascal meint:
Spiele, deren Look im konventionellen Sinne abstoßend ist, kenne und liebe ich zuhauf. Zuletzt bewies Cruelty Squad, wie ein grotesk verzerrtes, digitales Lo-Fi-Abbild unserer Realität im besten Spiel 2021 münden kann. Cruelty Squads auf den ersten Blick willkürlichen Ekeltexturen sind ausdrucksstärker als jegliche realitätsnahe Repräsentation der Welt es sein könnte. Grundsätzlich dürften Ausbrüche dieser Art einer der effektivsten Wege sein – insbesondere als kleines Spiel – den Wettbewerb um immer mehr Polygone zu umgehen. Spiele wie Psycholonials, Infini, Hylics oder About an Elf (letzteres ganz frisch erschienen) wecken auf Screenshots sofort mein Interesse. Dass die Grenze zwischen hässlich-hässlich und ansprechend-hässlich so schwammig und undefiniert bleibt, erklärt, weshalb wir nicht noch mehr Erfolge dieser Art sehen.
Dennis meint:
Ich gehöre zu den wenigen Menschen, die mit dem Look der 90er-Jahre-3D-Spiele etwas anfangen können. Die minimalen Texturen sorgen für eine optische Klarheit innerhalb der Spielwelt. Dadurch sehen für mich viele Titel aus der Ära ziemlich ansprechend aus. Final Fantasy VII gehört allerdings nicht dazu. Schon die unförmigen Charaktermodelle und die fehlenden Mund-Nasenpartien laden zum Wegschauen ein. Doch die leblos vorgerenderten, verschwommenen Kulissen sind eine optische Vollkatastrophe. Ich hatte oft Schwierigkeiten den richtigen Weg ausfindig zu machen, da eine dreidimensionale Raumgestaltung kaum erkennbar ist. Hinzu kommt, dass sich der Grafikstil in den Zwischensequenzen, Kämpfen und Spielpassagen jeweils unterscheidet. Dennoch konnte mich der Rollenspielklassiker mit seiner Inszenierung und dem JRPG-untypisch temporeichen Pacing überzeugen. Bereits im Prolog – zu dem ich ein Video veröffentlicht habe – gibt es einen spielerischen Höhepunkt nach dem anderen. Damit ist Final Fantasy VII für mich das hässlichste Top-Spiel, das ich jemals gespielt habe.
Jessica meint:
Das vermutlich hässlichste und schwer zu ertragendste Spiel, das ich dennoch durchgespielt habe, ist The Space Between (das ich sogar für Spielkritik rezensiert habe). Der sehr eigene Grafikstil mit verwaschenen Texturen in einer Low-Poly-Welt mit wabernden Kanten hat mich neugierig gemacht: Was verbirgt sich hinter einem (vermutlich) absichtlich so „hässlich“ gehaltenem Spiel mit einem aus psychologischer Sicht vielversprechendem Titel? Tatsächlich hat es sich gelohnt, am Ball zu bleiben und dem Spiel in seiner Verhandlung von menschlichen Grundfragen rund um Nähe und Intimität zu folgen, um schließlich festzustellen, dass genau dieser Grafikstil in besonderer Weise die Grundstimmung des Spiels transportiert und verstärkt. Dennoch war ich froh, als das Spiel vorbei war und ich wieder in meiner realen Welt ohne wabernde Texturen war. ;) Pascals Vorschläge machen mich jedenfalls neugierig – mal sehen, in welche „hässliche“ Welt es mich als nächstes verschlägt…
Roberto meint:
Puh, meine erste Einladung zum Quest-Log und dann gleich so ein kniffliges Thema. Natürlich gibt es hässliche Spiele und sicher ziehe auch ich irgendwo die Grenze. Die immer gleichen Assets vieler RPG-Maker-Games zum Beispiel oder auch diese grauenhaften vorgerenderten Character-Sprites aus den 90ern bringen meine Augen nicht gerade zum Leuchten. Wenn mir andere Elemente richtig gut gefallen, dann kann ich für gewöhnlich aber auch Grafik-Gurken noch genießen. Als jemand, der vor allem Indie- und Retro-Games spielt, hat man da aber vielleicht sowieso einen etwas anderen Blick drauf. Andererseits muss ich aber auch zugeben, dass ich Chrono Trigger und Dragon Quest unter anderem deswegen bis heute noch nie gespielt habe, weil ich Toriyamas Zeichenstil nicht ausstehen kann.
Sylvio meint:
Eine technisch schwächere Grafik ist nichts, was mich vom Spielen eines Titels abhält. Anders schaut es aus, wenn mir die Ästhetik eines Spiels missfällt: Es gibt Stile, die mich aktiv abstoßen, sodass ich schon deshalb einen Bogen um entsprechende Spiele mache: Hades zum Beispiel hat weiß Gott keine „schlechte“ Grafik, aber ich persönlich kann den Zeichentrick-Look so wenig ausstehen, dass ich in dieser Spielwelt nicht versinken möchte. Auch mit der Ästhetik der meisten westlichen Spiele der 80er und frühen 90er kann ich nichts anfangen. Den Look westlicher Rollenspiele empfinde ich als besonders deprimierend. Wann immer ich von Planescape: Torment und Baldur’s Gate höre, bin ich fasziniert von diesen Spielen und möchte sie nachholen. Dann sehe ich Screenshots und verliere augenblicklich jede Lust. Ich merke allerdings auch, dass diese Abneigung – je älter ich werde – Risse bekommt: Wie der Musikgeschmack eines Menschen sich im Laufe des Lebens wandelt, lerne ich, bestimmte Looks zu schätzen, die mich früher (stärker) abgestoßen hätten, und erkenne Komplexität und Schönheit im vermeintlich Hässlichen.
Logbucheintrag Ende. Ende März melden wir uns wieder. Ein neuer Freund (oder eine neue Freundin) des Hauses und ein neues Thema des Monats werden natürlich auch dabei sein. Lasst euch überraschen. Bis dahin!
Beitragsbild dieses Quest-Logs: Metro 2033 Redux (4A Games & Deep Silver, 2014). Stark nachbearbeitet.
Ein sehr schöner Quest-Log. Die Replies zum Thema des Monats sind wunderbar unterschiedlich (und zahlreich: Wenn ich mich nicht verguckt habe, ist zum ersten Mal seit Juni wieder der gesamte aktive Teil unseres Teams mit einem Kommentar vertreten).
Es ist interessant, wie stark unsere Assoziationen zum Thema „abstoßende Grafik“ sich unterscheiden und welche unterschiedlichen Reaktionen bzw. Gefühle sie hervorrufen. Gemeinsam scheint mir, dass auch hässliche Grafik irgendwie in Erinnerung bleibt…
LikeLike