News, so alt, dass sie schon wieder neu sind: Für diese Rubrik blättere ich in alten Ausgaben des Nintendo-Magazins „big.N“ und suche nach (vergessenen) News und anderen Neuigkeiten, die es lohnen, ihnen auf den Grund zu gehen. Was war an der Sache dran? Wie haben die Dinge sich entwickelt?

In dieser Folge: Die „erste deutsche Spielemesse“ IGEX in Düsseldorf.


Die heutige News stammt ausnahmsweise nicht aus dem Nachrichtenteil der big.N, sondern aus einem der drei auf der Titelseite angeteaserten „Riesenfeatures“. Das nannte sich „Messefieber 2000“, hatte einen Umfang von immerhin fünf Seiten, und entsprang den Federn des Chefredakteurs-Duos Martin Mirbach und Florian Seidel. Messen waren also Chefsache bei der big.N und insgesamt sieben solche Veranstaltungen werden in dem Feature vorgestellt, begleitet von Vorhersagen, mit welchen Neuigkeiten dort (möglicherweise) zu rechnen ist.

Schön pointiert werden auf einer Skala von 1 bis 5 Punkten die „Erwartungen“ der Redakteure an das jeweilige Event abgebildet, wobei die Electronic Entertainment Expo (E3) in Los Angeles das Ranking wenig überraschend anführt. Die Älteren unter uns erinnern sich vermutlich auch an die ECTS in London, die lange Zeit die wichtigste Gaming-Messe in Europa war. Nachdem das dort Gezeigte im Vorjahr allerdings enttäuscht habe, illustrieren die Redakteure ihre gedämpften Erwartungen mit mittelprächtigen 3 von 5 Punkten. Etwas besser schneiden die Tokyo Game Shows ab. Richtig gelesen, Plural. Damals fand die Tokyo Game Show nämlich noch im Halbjahresrhythmus statt. Für beide Ausgaben geben die Redakteure ihre Erwartungen mit 4 von 5 Punkten an.

Damit sind wir mit den Schwergewichten auch fast durch. Lediglich die „Internationale Spielwarenmesse“ in Nürnberg zählt nominell noch zu den Großen, ist sie doch bis heute die größte derartige Fachmesse weltweit. Ihre Bedeutung für die Digitalspiel-Branche war zwar schon damals überschaubar, doch in Deutschland existierte um die Jahrtausendwende keine relevantere – jährliche – Veranstaltung. Nicht zuletzt Nintendo war traditionell als Aussteller zugegen. So geben die Redakteure ihre Erwartungen mit 2 von 5 Punkten an – mehr, als die Messe heute wohl erhalten würde.


Ebenfalls in Deutschland wurde die CeBIT Home abgehalten. Dabei handelte es sich um einen Ableger der CeBIT in Hannover, einstmals eine der weltgrößten Messen für Informationstechnik, die um die Jahrtausendwende bis zu 830.000 Besucherinnen und Besucher anzog. Zwar stand auch die CeBIT dem allgemeinen bzw. privaten Publikum offen; dennoch versuchten sich die Veranstalter in den Jahren 1996 und 1998 an einem auf Produkte für den Heimanwender spezialisierten Ableger, eben jener CeBIT Home. Leider enttäuschte die Schwesterveranstaltung von Anfang an, wie auch die Redakteure der big.N festhalten. Für die für 2000 geplante Ausgabe kam erschwerend hinzu, dass das Messegelände in Hannover gar nicht zur Verfügung stand. Da fand in jenem Jahr nämlich die pompöse EXPO 2000 statt. Die CeBIT Home sollte deshalb auf das damals noch fast taufrische Messegelände in Leipzig ausweichen.

Die Erwartungen der big.N-Chefredakteure an die Veranstaltung tendierten gen Null, sodass die CeBIT Home als einzige Messe mit der Minimalwertung von 1 von 5 Punkten abgestraft wurde. Doch selbst Martin Mirbach und Florian Seidel rechneten offenbar nicht damit, dass die Messe schlussendlich ganz abgesagt werden sollte. Dies geschah „mangels Ausstellerinteresse“, wie bei Wikipedia zu lesen ist, und bedeutete auch langfristig das Aus für die CeBIT Home. Zu der für 2002 geplanten Rückkehr nach Hannover kam es nicht.


Die Interactive Games Expo (IGEX 2000) in Düsseldorf

Doch kommen wir zum eigentlichen Thema dieses Artikels, der „Interactive Games Expo“, kurz IGEX, in Düsseldorf. Nie davon gehört? Kein Wunder, denn – so viel sei verraten – auch diese Messe sollte nie stattfinden.

Mit einer Terminierung auf den 24. bis 27. August 2000 ähnelt das angepeilte Datum dem der späteren Games Convention bzw. Gamescom, und auch sonst weist das Konzept der IGEX einige Gemeinsamkeiten auf. Als „erste Messe ausschließlich für Video- und Computerspiele auf dem europäischen Festland“ war die IGEX geplant, und obwohl es sich im Kern um eine Publikumsmesse handeln sollte, waren auch Fachbesuchertage und -bereiche vorgesehen.

„Bleibt die Frage, inwieweit Industrie und Publisher das vielversprechende Konzept der IGEX unterstützen werden“, merken die Chefredakteure der big.N an. „Bis zu unserem Redaktionsschluss war jedenfalls noch kein einheitlicher Tenor feststellbar. Während einige Publisher wie Codemasters bereits ihre Teilnahme und volle Unterstützung zugesagt haben, verhalten sich andere eher zurückhaltend. […] Und bei Infogrames hält man die Idee zwar für sehr vielversprechend, ‚aber vielleicht für ein, zwei Jahre verfrüht.‘ Ob der Markt für elektronische Spiele tatsächlich schon groß genug ist, um hierzulande eine ganze Messe allein zu füllen?“, fragten die Redakteure skeptisch.

Im Rückblick kann man antworten: Eine Messe vielleicht, aber nicht derer zwei oder drei. Eine kurze Recherche offenbart, dass die IGEX bereits im Februar 2000 wieder abgesagt wurde, also nur wenige Tage nach Erscheinen der hier besprochenen Ausgabe 2/2000 des big.N-Magazins. Aus der Begründung spricht die Ironie des Schicksals: „Der Wunsch der Industrie nach einer eigenen Spezialmesse für 2000 stand im Konflikt mit der bereits angelaufenen Vorbereitung einer Teilnahme an der Cebit Home Leipzig. Deshalb hat die Messe Düsseldorf auf die Realisierung einer IGEX 2000 verzichtet“, zitiert die Website ChannelPartner einen Mitarbeiter der Messe Düsseldorf GmbH.

ChannelPartner schreibt weiter: „Den endgültigen Todesstoß hat der IGEX die Empfehlung des Verbandes für Unterhaltungssoftware (VUD) zugunsten der Cebit Home versetzt.“ Der VUD war der Vorläufer des 2005 gegründeten BIU (Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware) und fungierte ab 2002 als ideeller Träger der Games Convention. Allerdings wollten sich bereits im Februar 2000 längst nicht alle großen Publisher der Empfehlung des VUD anschließen, der unter anderem THQ und CDV eine Absage erteilten, wie bei ChannelPartner weiter zu lesen ist. Als Begründung wird der im Vergleich zur Nürnberger Spielwarenmesse viermal höhere Preis für einen Messestand angeführt, sowie die zeitliche Nähe zur etablierten ECTS in London.


Schlussendlich war das Gerangel um Aussteller viel Lärm um nichts, denn wie oben schon erwähnt, sollte auch die CeBIT Home begraben werden, bevor sie zum geplanten Gastspiel in Leipzig antreten konnte. Das wurde Ende Mai 2000 verlautet, nachdem sich eine Woche zuvor auch Sony zurückgezogen hatte, die in Leipzig eigentlich die PlayStation 2 hatten vorstellen wollen.

Ob die IGEX eine Chance gehabt hätte, wenn es das vorübergehende, und schlussendlich für beide Seiten unfruchtbare, Konkurrenzverhältnis zweier Totgeburten nicht gegeben hätte? Hätte, wäre, könnte…


Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass noch eine dritte Messe ein Wörtchen mitzureden hatte, und zwar die altehrwürdige IFA (Internationale Funkausstellung) in Berlin. In den 90er Jahren war die Publikumsmesse für die Spielebranche durchaus von Bedeutung. 1995 präsentierte Sony dort die PlayStation, 1997 hatte Nintendo das Nintendo 64 im Gepäck, und auch 1999 „waren die drei großen Player Sega, Nintendo und Sony gemeinsam vertreten“. Dass die IFA im Kalender der big.N fehlt, hat allerdings einen einfachen Grund: So fand die IFA lediglich alle zwei Jahre statt (wie die kurzlebige CeBIT Home ja auch) und das Jahr 2000 war ein IFA-freies Jahr.

Derweil verfolgten die Veranstalter der IFA allerdings Pläne, selbst eine neue Messe auf die Beine zu stellen, die diese Lücke im Kalender schließen sollte. Meldungen vom Spätsommer 1999 stellten die so genannte „E-Home“ (später e/home) als Konkurrenz zur schon damals als gescheitert betrachteten CeBIT Home dar. Im Laufe der nachfolgenden Monate mussten sich diese Pläne jedoch geändert haben, denn was im November 2000 – und nicht wie zunächst geplant im August – tatsächlich stattfand, war eine wenig spektakuläre „Kongressmesse für das intelligente Heim“, die im Internet kaum Spuren hinterlassen hat, aber wohl bis 2010 bestand. Unterhaltungselektronik im engeren Sinne spielte dort keine große Rolle, und Games schon gar nicht.


Wer zuletzt lacht…

Doch natürlich bedeutete die Absage der IGEX nicht das Ende der Bestrebungen, eine erste dedizierte Digitalspielmesse in Deutschland zu etablieren. Allerdings: Statt Düsseldorf machte Leipzig das Rennen. Nicht nur hatte der VUD bereits der CeBIT Home den Vorzug gegeben (und damit mindestens indirekt zum Scheitern der Düsseldorfer IGEX beigetragen). Der Standort Leipzig hatte beim Verband der Unterhaltungssoftware Deutschland offenbar auch sonst einen Stein im Brett: 1999 hatte der Verband dort bereits seine Jahresversammlung abgehalten, und als die Mitglieder des VUD der CeBIT Home 2000 schließlich doch fernblieben, betonte man, „dass dies sich nicht gegen den Standort Leipzig gerichtet habe“. Der Grund sei vielmehr die Unzufriedenheit mit den mangelhaften Konzepten der Deutschen Messe AG Hannover gewesen, die auch in Leipzig als Veranstalter der CeBIT Home fungiert (und die Hallen von der Leipziger Messe nur gemietet) hätte.

Nach der Absage der CeBIT Home intensivierten der VUD und die Leipziger Messe GmbH ihre Gespräche und kündigten schließlich im Herbst 2000 eine Messe an, die zu diesem Zeitpunkt noch den Namen „Game On“ tragen sollte. Der Rest der Geschichte lässt sich in diesem Artikel bei Heise schön nachlesen, in dem übrigens die Düsseldorfer IGEX mit keinem Wort erwähnt wird.

Mit der Ankündigung der „Game On« durch den VUD und die Leipziger Messe war das Schicksal der IGEX als Totgeburt zugleich besiegelt, nachdem das Branchenmagazin GamesMarkt am Jahresanfang noch berichtet hatte, dass sich deren Zukunft in der zweiten Jahreshälfte entscheiden solle.

Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte. Die „Game On“ wurde schließlich unter dem Namen „Games Convention“ im Jahr 2002 erstmals über die Bühne gebracht (auf eine Premiere im Jahr 2001 verzichtete man, um der IFA aus dem Weg zu gehen) und entwickelte sich zum durchschlagenden Erfolg. Es folgten 2009 der De-facto-Umzug nach Köln, dort weiteres Wachstum, und zuletzt schwierige Jahre aufgrund von COVID-19.


Die Pläne für eine Spielemesse in Düsseldorf verschwanden in irgendeiner Schublade und offenkundig auch aus dem kollektiven Gedächtnis. Mehr als 20 Jahre sollten ins Land ziehen, bis sich im Oktober 2021 erneut eine Spielemesse für Düsseldorf ankündigte. Das sogenannte G4L Gaming Expo-Festival, das vom 11. bis 13. Februar 2022 hätte stattfinden sollen.

Bei SPIELKRITIK betrachtete ich das Konzept und vor allem den Termin von Beginn an eher skeptisch, wäre aber froh, wenn meine Befürchtungen sich nicht bewahrheitet hätten: So wurde das Event wegen erneut steigender Corona-Fallzahlen bereits im letzten Dezember wieder abgesagt und soll nun ein Jahr später – im Februar 2023 – seine Premiere feiern.

Ob es dann endlich klappt? Wer auf dem Laufenden bleiben möchte, dem empfehle ich unseren Gaming-Event-Kalender, der regelmäßig aktualisiert wird: Hier.


Eine letzte Frage bleibt: Wie zutreffend haben nun eigentlich die Redakteure der big.N die Situation eingeschätzt? Dass schlussendlich sowohl die IGEX als auch die CeBIT Home abgesagt würden, konnte niemand ahnen und kam Martin Mirbach und Florian Seidel verständlicherweise nicht in den Sinn. Ansonsten stellen sich ihre Einschätzungen und Vorhersagen allerdings als ziemlich akkurat heraus. Die Rolle der CeBIT Home kommentierten sie wie folgt: „Langfristig dürfte die CeBIT HOME für den Spielemarkt mehr und mehr an Bedeutung verlieren, erst recht, wenn sich die IFA in Berlin und die IGEX mit ihren besseren Konzepten etablieren werden. Für alle ist eben doch kein Platz im Boot.“

Das Konzept der IGEX hielten die Redakteure also für vielversprechender, und ich denke, dass man dem Konzept als solchem auch keine großen Vorwürfe machen kann (zumal es dem der späteren Games Convention schon recht nahekam). Mit 3 von 5 Punkten beziffern die Redakteure ihre Erwartungen an die IGEX, was vor dem Hintergrund der Zusage einiger Publisher auch nachvollziehbar erscheint. Die Skepsis anderer Firmen, wie auch die Frage, ob der Markt in Deutschland für eine reine Spielemesse bereits groß genug ist, kommen hinreichend zur Sprache.

Eklatante Fehleinschätzungen weist der Artikel damit ebensowenig auf wie offensichtliche Fehlinformationen oder sonstige Seltsamkeiten. Eine interessante Fußnote ist, dass im Text zur IGEX von einem „in Kürze zu gründenden Verband EMAC – European Marketing Council for Electronic Entertainment“ die Rede ist, über den ich im Internet jedoch rein gar nichts finden konnte. Zwar existiert eine Marketing-Agentur namens EMAC, allerdings schon sehr viel länger und ohne erkennbaren Bezug zu Games. Ich gehe daher davon aus, dass die proklamierte Verbandsgründung entweder scheiterte oder unter gänzlich anderem Namen erfolgte. Denkbar ist auch, dass es sich um einen Fehler handelt: Denn warum sollte das Akronym für „European Marketing Council for Electronic Entertainment“ EMAC lauten?

OK, einen Kritikpunkt habe ich noch: Die Bebilderung der einzelnen Messe-Porträts und die dazugehörigen Bildunterschriften mussten sich die Redakteure kräftig aus den Fingern saugen, wie man gerade auf der Doppelseite zu IGEX und CeBIT Home schön sieht. Unfreiwillig komisch ist der „klein[e] Lageplan“ des Leipziger Messegeländes, auf dem „alle die noch nie in Leipzig waren“ aufgrund seiner Briefmarkengröße genau nichts erkennen können. Na vielen Dank auch. ;) [sk]


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Quelle Bilder: Eigene Scans der Seiten 12 bis 16 des big.N-Magazins 2/2000. „Messefieber 2000“, von Martin Mirbach und Florian Seidel. Eine digitalisierte Version des vollständigen Hefts findet sich bei kultmags.com. Die Urheberrechte liegen bei den entsprechenden Rechteinhabern.