Kennt ihr das Gefühl, festzustellen, dass eine Sache doch ganz anders war, als eure Erinnerung euch glauben machen wollte? Ein wenig so ist es auch mit »Loop Hero«. Nicht nur, weil es das Los des Helden ist, ein dem Hitzetod zum Opfer gefallenes Universum kraft seiner Erinnerungen wieder zum Leben zu erwecken. »Loop Hero« bedient auch alle Rollenspiel-Klischees der 80er und 90er. So scheint es. Denn bei näherem Hinsehen ist alles völlig anders. Und dieser finstere Palast dort drüben – der war doch gestern noch nicht da!?


Fast alles an »Loop Hero« ist vertraut: Als Krieger, Schurke oder Nekromant streifen wir durch eine düstere Rollenspielwelt. Wir besuchen alte Ruinen, dunkle Wälder und leidgeplagte Dörfer. Untote, Riesenspinnen und grüner Schleim fallen unseren Klingen zum Opfer und belohnen uns mit stärkeren Rüstungen, Waffen und Zauberbüchern, oder einfach nur mit Crafting-Materialien. Mit denen bauen wir unser Lager aus, um uns einige Statuspunkte stärker ins nächste Abenteuer zu stürzen.

Doch der erste Eindruck trügt: Unter seinem vertrauten Äußeren ist »Loop Hero« anders als jedes andere Rollenspiel. Das beginnt damit, dass unser namenloser Held ein echter ›Selbstläufer‹ ist: Zwar dürfen wir entscheiden, welche Ausrüstung er tragen und wann er das sichere Camp verlassen oder dorthin zurückkehren soll, doch den Rest macht er von ganz allein. Unermüdlich folgt er dem ihm vorgegebenen Pfad und stellt sich tapfer allen Feinden, ohne dass es unserer Befehle bedürfte. Das tut er, bis er an den Ausgangspunkt zurückkehrt, dort einmal »über Los« geht, einige Gesundheitspunkte regeneriert, und schließlich in die nächste Runde – den nächsten ›Loop‹ – eintritt. Fortan ist nicht nur die Stärke der Gegner um einige Prozentpunkte erhöht, sondern hoffentlich auch die unseres Helden. »Loop Hero« spielt sich buchstäblich von selbst.


Angewandter Weltenbau

Wer nun aber glaubt, es mit einem besonders anspruchslosen Genre-Vertreter zu tun zu haben, der irrt. Tatsächlich könnte unsere Aufgabe verantwortungsvoller kaum sein: Statt den Helden durch eine vorgegebene Welt zu navigieren, erschaffen wir die Welt, die unser Held bereisen soll.

Dazu nutzen wir Kärtchen, die Landschaften oder Gebäude repräsentieren, und platzieren sie entlang des Pfades. Auf diese Weise erschaffen wir Wüsten, Wälder und Bergketten, die so majestätisch sind, wie die 8-Bit-Optik es zulässt. Wir schicken unseren Helden durch stinkende Sümpfe, unheimliche Friedhöfe und trügerische Weizenfelder, wo jeweils andere Gegner und Belohnungen auf ihn warten. Kurzum: Wir machen ihm das Leben schwer. Warum? Damit er an den Herausforderungen wächst, Ausrüstung und Erfahrungspunkte sammelt, um sich neuen, schwierigeren Hürden und schlussendlich einem Endgegner zu stellen.


Viel Feind, viel Ehr

Bei alledem gilt es, die richtige Balance zu finden. Denn keinesfalls sollte der Held an unseren Herausforderungen zugrunde gehen: Stirbt er, statt in kontrollierter Manier den Rückmarsch anzutreten, geht der Großteil seiner Beute verloren.

Ein Beispiel: Eine der wichtigsten Karten ist das Dorf, das genau die Funktionen hat, die man von einem Dorf in einem Rollenspiel erwartet: Beim Durchqueren wird ein Teil der Lebenspunkte des Helden regeneriert, was wichtig ist, um auch fernab des eigenen Lagers neue Kraft zu tanken. Darüber hinaus erhält der Held bei jedem Besuch eines Dorfes eine Quest, was bedeutet, dass ein zufälliger Gegner als Ziel markiert und gestärkt wird. Für diese zusätzliche Herausforderung winkt – natürlich – eine Belohnung.

Doch die Eigenschaften eines Dorfes können sich ändern, je nachdem welche anderen Karten wir auf den umliegenden Feldern platzieren. Eine Vampir-Villa verwandelt den einstigen Safe-Place in einen düsteren Ort, an dem statt Heilung eine Horde von Untoten wartet. Doch die versprechen nicht nur Erfahrungspunkte und reichere Beute: Nach drei ›Loops‹ gilt das heimgesuchte Dorf als befreit und ist anderen Dörfern in mehrerlei Hinsicht überlegen. Ein Dorf mit Vampir-Vergangenheit regeneriert mehr Lebenspunkte und schickt den Helden auf herausforderndere Quests mit dementsprechend wertvolleren Belohnungen.

Abhängigkeiten wie diese und ein gepfefferter Schwierigkeitsgrad sorgen dafür, dass »Loop Hero« schnell verstanden, doch schwer zu meistern ist. Denn um tatsächlich einen Bossgegner zu schlagen, braucht es ein genaues Verständnis der Effekte und Wechselwirkungen der unterschiedlichen Karten. Stupider Grind hilft nicht weiter – was nicht bedeutet, dass »Loop Hero« ganz ohne auskommt: Der Ausbau der Basis, der für schwierigere Expeditionen unerlässlich ist, erfordert mehr Ressourcen, als uns vielleicht lieb ist.


Erinnerungskultur

Dass »Loop Hero« mehr ist als eine spannende Fingerübung in Sachen innovatives Game-Design, verdankt es seiner schaurigen Hintergrundgeschichte. Die erklärt nicht nur die innovative Spielmechanik, sondern befeuert auch die Fantasie. Die Vorstellung eines zum Tode verurteilten Universums ohne Zeit und Raum ist gleichermaßen beklemmend wie faszinierend. Nur die Erinnerungen einiger weniger trotzen dem Vergessen und schicken sich an, dem kosmischen Chaos wieder Form zu geben, gegen den Willen seines Schöpfers. Realität ist, was man weiß. Gedächtnis und Einbildungskraft werden eins, werden alles.

Diese Prämisse passt ganz wunderbar zur nostalgisch-düsteren Pixeloptik, die genau den Abstraktionsgrad hat, der die Vorstellungskraft einlädt, den Rest zu machen. Ein wenige Dutzend Pixel großer Friedhof wird so zum Inbegriff aller Friedhöfe, auf denen wir je Skelette verdroschen haben. Jedes Dorf, jeder Gipfel und jeder Fluss ist uns schon einmal begegnet – in Büchern, Spielen, Träumen. Und zumindest ich habe meine Karten nie allein nach praktischen Gesichtspunkten platziert. So wird mir »Loop Hero« nicht zuletzt durch seine Erzählung und Atmosphäre in Erinnerung bleiben. Dem kleinen russischen Indie-Studio Four Quarters ist ein formvollendetes Kleinod gelungen, das das Zeug zum Klassiker hat. [sk]


Dieser Artikel erschien zuerst im Juni 2021 in Ausgabe #17 des GAIN Magazins. Ein Download-Code wurde mir bzw. dem GAIN Magazin vom Hersteller zur Verfügung gestellt.

In der aktuellen Print-Ausgabe #18 des GAIN-Magazins geht es unter anderem darum, wie 9/11 die Gamesbranche und Popkultur veränderte. Das aktuelle Heft sowie vorangegangenen Ausgaben können auf gain-magazin.de bestellt werden.


Loop Hero
Entwicker: FourQuarters / Publisher: Devolver Digital
04. März 2021 (PC, Mac, Linux), 09. Dezember 2021 (Nintendo Switch)

Quelle Bilder: eigene Screenshots der macOS-Version.


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