Das »beste Rennspiel des Jahres«, 92 Punkte auf Metacritic, 100 Prozent Empfehlung auf OpenCritic. Derselbe Tanz alle zwei Jahre für das letzte Jahrzehnt. Die Traumwertungen der »Forza Horizon«-Reihe sind so wenig überraschend wie ihr Spieldesign. Dabei ist »Forza Horizon 5« konservativer und seelenloser als sogar »Far Cry 6«, über das Waypoint zuletzt diesen Verriss veröffentlicht hat.
Mehr als jedes vermeintlich apolitische Ubisoft-Spiel ist »Forza Horizon 5« ein deutscher Politiker, der bloß niemandem auf die Füße treten will. Die Ingame-Radiostationen liefern dazu den idealen Soundtrack: Mainstream-Rennspiel im Jahr 2021 oder Wahlparty der Jungen Union? Den Unterschied erkennen wir nur anhand der bemüht enthusiastischen Anmoderationen. Selbst der XTREME-Sender flüchtet sich in Ausreden für aufregende Musik wie die letzten Singles der Foo Fighters.
Die Spotify-App der Xbox ist kein Ersatz für diesen wichtigen Teil der Identität eines Renn- oder Sportspiels. »Gran Turismo« und »Ridge Racer« gehören für mich zu den wenigen legitimen Anlässen, ein Sakko zu tragen. Die stilvolle, eindeutig handverlesene Musik bereitet die Bühne für diese ebenso stilvollen Rennspiele.
Nicht umsonst sind auch Soundtracks wie die der »Tony Hawk’s Pro Skater«- oder »Burnout«-Reihe bis heute legendär. Ähnlich eklatant wie der musikalische Graben um »Forza Horizon« ist das Gefälle zwischen »Forza Horizon« und »Burnout Paradise«, wenn es um die »beste Rennspiel-Open-World« geht, als die viele Magazine »Forza Horizon 5« bezeichneten.
Es gibt nur ein Burnout Paradise
»Burnout Paradise« polarisierte zum Erscheinen im Januar 2008 die Gemüter. Das bis heute populärste Argument, dass die Action nicht mehr an »Burnout Revenge« oder »Burnout 3: Takedown« heranreiche, dürfte jedoch ausschließlich der zeitlichen Nähe geschuldet sein, in der »Burnout Paradise« sich damals im direkten Vergleich mit seinen Vorgängern messen musste. Nur, weil es keine Crash-Kreuzungen mehr gab, wurde »Burnout Paradise« verkannt. Seitdem ist es gereift wie Aktien in autonomes Fahren.
»Burnout Paradise« war seiner Zeit voraus – mindestens vierzehn Jahre, um genau zu sein. Denn bis heute gibt es kein anderes Spiel, das so ist wie »Burnout Paradise«. Wie zahlreiche andere heutige Rennspiele verfolgt »Forza Horizon 5« einen ungesunden Realitätsanspruch. Diese kreative Handbremse macht die Städte, Wälder und Hügel in Mexiko statischer als die City-Trial-Arena in »Kirby Air Ride« anno 2003. Mit endlos langen Straßen verlockt »Forza Horizon 5« zum Rasen, doch off-road geschieht nichts. So weniges befindet sich in der mexikanischen Prärie, dass es sich selten lohnt, auf gut Glück zu erkunden – also lassen wir es besser sein. Collectibles sind ohnehin auf der Karte markiert, weil sie sonst zwischen Felsen und Kakteen verschwinden. Die Open-World könnte genauso gut ein Levelauswahlmenü sein.

»Forza Horizon 5« zwang mich regelmäßig, für das nächste Haupt-Event quer über die Karte zu brettern. In diesen jeweils zehn Minuten habe ich nichts entdeckt, das mich auf dem Sprint von A nach B abgelenkt hätte. Polygon hat sogar einen Artikel darüber veröffentlicht, wieso es unbezahlbar ist, als Ergebnis einer exzessiven Sammelaufgabe kostenlose Schnellreisen freizuschalten. In »Burnout Paradise« hingegen gibt es kaum eine Kreuzung ohne zwei aufregende Rampen, Abkürzungen oder Geheimrouten. In der einen Sekunde brettern wir durch Paradise City, in der nächsten zertrümmern wir Sammelplakate im Baseballstadion oder springen vom Dach eines Parkhauskomplexes. Auf den Straßen und Gebirgswegen zwischen diesen Knotenpunkten sieht es nicht weniger aufregend aus.

Paradise City ist kompakt, verschlungen und vertikal. Die bis heute geradezu avantgardistische Entscheidung, während der Rennen weder Leitplanken noch Checkpoints einzubauen, denkt das Konzept »Rennspiel-Open-World« so konsequent zu Ende wie kein anderes Rennspiel seitdem: Es gibt einen Start, es gibt eine Ziellinie – der Rest ist laissez-faire. Dass »Burnout Paradise« dennoch immer gleichen Querfeldein-Strategien entgegenwirkt, spricht für die Konstruktion der Open-World. Hier waren Game Designer am Werk, keine Städteplaner*innen.

Zwischen den Rennen gibt es passive Straßenrekorde, die berühmten Crash-Events (in abgewandelter Form) sowie Rivalen, die plötzlich am Bildschirmrand vorbeizischen und binnen Millisekunden für impulsive Planänderungen sorgen. Denn wer diesen Rivalen schnell hinterhereilt und sie aus dem Verkehr rammt, erhält ihr Auto als Geschenk.
Dass diese Fahrzeuge ausschließlich fiktiven Marken angehören, könnte einer der Gründe sein, weshalb selbst das »Burnout«-Studio Criterion diese überdrehte Meisterleistung später mit »Need for Speed« nie mehr replizieren konnte. Lackschäden, Fassrollen und Vandalismus sind Porsche zu riskant für ihr Markenimage. Sogar die zahme Forza-Reihe kann ein Lied von solchen Querelen mit Fahrzeugherstellern singen. Deshalb brettern wir in »Forza Horizon 5« durch Bäume, Leitplanken und Betonmauern als wären sie Staub, ohne dass unser Auto eine Beule davonträgt.
Reifen ohne Reibung
»Forza Horizon 5« ist eine Machtfantasie, wie viele Spiele sie heute verfolgen. Nicht nur ist unser Auto unzerstörbar; seit »Forza Horizon 3« sind wir buchstäblich die Chefs des Horizon-Festivals (oder schmücken eine ähnlich wichtige Rolle). Die NPCs vergöttern unseren Charakter und kriechen gleich nach dem Startbildschirm in seinen Auspuff, dass die toxische Positivität nur so aus den Fenstern schießt. Das erste Auto, das »Forza Horizon 5« uns schenkt, ist ein Lamborghini. Schließlich könnten Xbox Game Pass User, die nur kurz reinschnuppern, abspringen, würde das Spiel sie mit einem VW Golf begrüßen.
»Forza Horizon« ist heute wie »Animal Crossing« seit »New Leaf«. Es reicht nicht mehr, der Normie zu sein, der mit anderen Figuren koexistiert. Nein, wir sind jetzt Bürgermeister*innen! Dabei sehne ich mich nach der Reibung und der Spannung. Ich will, dass Tom Nook ein Kapitalistenschwein ist, das mich mit überzogenen Zinssätzen abzieht.

Natürlich sind Autorennen strukturell beschränkt darin, tiefe Aussagen über die Conditio humana zu treffen. Dennoch vermag jeder »Fast and Furious«-Film, die Konzepte Verbundenheit und Familie zu vermitteln – genau wie jedes »Need for Speed« der frühen 2000er eine charmante Underdog-Story über das Leben im illegalen Untergrund erzählte. Egal, wie hoch der Trashfaktor war – einige der Konkurrenten aus »Need for Speed: Most Wanted« (2005) sind bis heute unvergessen, weil sie solch einzigartig überzeichnete Karikaturen realer Alltagsmobber waren. Sogar der neueste Ableger, »Need for Speed Heat« ist thematisch fesselnder als »Forza Horizon 5«. Allein, weil es auf die klassische Underdog-Formel setzt.
Werden wir in »Forza Horizon 5« zweimal am Stück nicht Erstplatzierte*r, empfiehlt das Spiel, den Schwierigkeitsgrad zu senken. Dabei machen Rennspiele am meisten Spaß, wenn es ein tatsächliches Wettrennen gibt – bestenfalls von der ersten bis zur letzten Sekunde, selbst wenn es am Ende nicht für eine Trophäe reicht.
Die einzige Schwierigkeitskurve, die »Forza Horizon 5« aber kennt, ist die, die wir selbst einstellen. Wollen wir mehr Schmerz, deaktivieren wir ABS und Traktionskontrolle. Leider sind Spieler*innen nur selten die besten Game Designer. Dennoch vertrauen sogar die NPCs unserem Gespür bei der Fahrzeugauswahl. Wenn wir uns in einen Sportwagen setzen, fahren sämtliche NPCs ebenfalls mit Sportwägen ähnlicher Klasse. Setzen wir uns beim selben Event in einen rappeligen Oldtimer, ist die Konkurrenz auch damit d‘accord. Nie werden wir gezwungen, uns für ein 1970s Muscle Car Event in eine Karre zu setzen, die zunächst widerborstig ist. Sofern wir uns nicht bewusst dagegen entscheiden, fahren wir bis zum Ende des Spiels kein Rennen unter 200 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit.

Aber wir wären ja auch schön blöd, uns selbst in die Karten zu pfuschen, wenn »Forza Horizon 5« wie zuvor »Forza Motorsport 7« das Sammeln von Fahrzeugen zum Kern des Spiels macht. Die 500 leeren Plätze unseres Auto-Pokédex fordern Moneten. Und das meiste Geld gewinnen wir nicht für spannende Rennen, sondern für erfolgreiche.
Auf diesem Weg des geringsten Widerstands wirken die wahnwitzigen Tuning-Einstellungen für Auto-Nerds deplatziert… sollten wir uns denn in dieses Menü verirren. Ähnlich wie die Strategie- und Aufstellungsoptionen in »FIFA« ist diese High-Level-Optimierung für mich ein Buch mit sieben Siegeln und Zentralverriegelung. Da »Forza Horizon 5« aber wirklich jede*n abholen will, dürfen auch Einstellmöglichkeiten für die Krümmung der Radachse nicht fehlen.

Funracer mit Sicherheitsgurt
Wieso lieben Kritiker*innen »Forza Horizon 5«, obwohl es so langweilig ist? Immer gleiches Gameplay mit Glanzlack bieten auch FIFA, NBA und Madden. Doch kriegen Sportspiele auf den Deckel, wenn sie jährlich statt »nur« alle zwei oder drei Jahre erscheinen. Und auch »Far Cry« und »Assassin’s Creed« sind vor Kritik am Zyklus nicht gefeit, obwohl seit 2012 ähnlich viele »Forza Horizon«- wie »Far Cry«-Spiele erschienen sind – mit dem Unterschied, dass Forza keine Abstecher in die Steinzeit oder den Cyberpunk gemacht hat. Raptoren auf Rennpisten oder Autos, die Saltos machen, gibt es heute nur noch in Nischenspielen wie »Cruis’n Blast«.
Profitiert »Forza Horizon 5« vom Prestige, das es als einer der letzten großen Xbox-First-Party-Titel genießt? Oder ist es einfach die Pizza Margherita, die allen ein bisschen schmeckt? Ein widerstandsloses Open-World-Rennspiel, ein zwangloser Spielplatz – weder Simulation noch Funracer. Wenn es das ist, was die Masse will, ist »Forza Horizon 5« zumindest nicht das, was das Rennspielgenre gerade braucht. [pg]
Forza Horizon 5
Playground Games / Microsoft Game Studios
Xbox Series X/S, Xbox One, PC
Erstveröffentlichung: 5. November 2021
Burnout Paradise
Criterion Games / Electronic Arts
PS3, Xbox 360, PC, PS4, Xbox One, Nintendo Switch
Erstveröffentlichung: 22. Januar 2008
Quelle Bildmaterial: Forza Horizon 5 (eigene), Burnout Paradise (burnout.fandom.com #1, #2), Animal Crossing: New Horizons (Twitter @finalfrantasy)
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Mir mundet die Pizza Margherita der Rennspiele zwar ausgesprochen gut, weil ich sie eben gerne mit den eigenen Zutat verfeinere, deinen Artikel fand ich aber auch köstlich. 😅
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Danke für die „Ernüchternde Wahrheit“! Das Spiel ist sooo langweilig 🥱.. Gott sei Dank im Game Pass angeschaut und nicht 70 Monetas ausgegeben. Mir fehlen echt die Worte! 😴
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German-Kappes. 😄
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