Fast 20 Jahre lang wurde die Geschichte um Samus Aran und die Metroids nicht weitererzählt. Mit »Metroid Dread« erweitert MercurySteam das Science-Fiction-Universum nun endlich um ein weiteres Kapitel. Dieses schließt genau da an, wo »Metroid Fusion« aufgehört hat – sowohl erzählerisch als auch spielerisch. »Metroid Dread« greift aber auch Elemente aus anderen Serienvertretern auf und setzt sie würdevoll um.


Die Fortsetzung zu Metroid Fusion

Ein Kernelement der Metroid-Reihe ist das Gefühl der Einsamkeit. Wir werden auf menschenverlassenen Planeten ausgesetzt und müssen die dort verborgenen Geheimnisse lüften. Einige Ableger weichen allerdings von dieser Formel ab. »Metroid Fusion« aus dem Jahr 2002 ist der erste derartige Ausreißer gewesen. Samus Aran musste in ihrem vierten Abenteuer Missionsanweisungen von einem sprechenden Computer entgegennehmen. Sie konnte sich dadurch weniger frei in der Welt fortbewegen, bekam dafür aber umso mehr Monologe zu hören. »Metroid Fusion« hielt somit reichlich Lesestoff bereit, aber ebenso viel Gameplay – Erzählung und Erkundungen entwickelten einen angenehmen Rhythmus.

Der sprechende Computer kehrt in »Metroid Dread« zurück – sogar mit vertonter Sprachausgabe. Die monotone Stimme klingt zwar etwas ohrenbetäubend, unterstreicht aber wunderbar seinen seelenlosen Charakter. Zu Beginn des Abenteuers spuckt der Computer leider viele unnötige Hinweise aus. Der ermüdende Prolog erinnert mehr an einem 3D-Zelda-Titel, statt an die gewohnt packenden Einstiege eines 2D-Metroid-Ablegers. Nach dem Prolog gewinnt das Spiel jedoch an Tempo und der Computer unterbricht das Spielgeschehen nur selten. Er ist weniger präsent als in »Metroid Fusion«, bringt die Story aber dennoch ansprechend voran. Seine Hinweise geben nur minimalen Aufschluss über das nächste Missionsziel. Dieses Ziel müssen wir selbstständig – im Rahmen der Möglichkeiten – erreichen. Schade nur, dass die Möglichkeiten viel zu oft begrenzt sind.

So verzichtet »Metroid Dread« zwar komplett auf Missionsmarker, führt uns ansonsten aber geradlinig durch seine einzelnen Abschnitte. Manchmal springen wir einen Abhang hinunter, der eine Rückkehr unmöglich macht. Anderswo fehlt uns ein Item, um eine Alternativroute einzuschlagen. Sobald wir dieses Item erlangt haben, schließt sich hinter uns eine Schleuse, sodass wiederum nur ein einzelner Pfad offen steht. Die meisten Metroid-Ableger nutzen solche Orientierungshilfen, um uns behutsam durch die Levels zu führen. »Metroid Dread« presst uns allerdings durch die Levels regelrecht hindurch. Es zählt damit zusammen mit »Metroid Fusion« zu den lineareren Vertretern der Reihe.

Ebenfalls wie »Fusion« hält »Dread« aber auch viele abwechslungsreiche Aufgaben bereit: Wir reaktivieren Generatoren, leiten Energiezufuhren um und flüchten vor übermächtigen Wachrobotern, genannt E.M.M.I. Diese Roboter erinnern stark an den Parasiten SA-X aus »Metroid Fusion«. Als unaufhaltsame Verfolger sorgen auch sie für eine furchteinflößende Bedrohung. Im Gegensatz zum SA-X, das in nur wenigen kurzen Abschnitten vorkommt und relativ leicht zu umgehen ist, suchen die E.M.M.I. jedoch einen Großteil der Karte ab. Jeder E.M.M.I. verfügt zudem über eine zusätzliche Fähigkeit – die Gefahr steigt mit jeder Begegnung und die Konfrontationen sind abwechslungsreich und fordernd. Sollte sie erwischt werden, erleidet Samus den sofortigen Tod. Nur ein perfekt getimter Konter – der selten gelingt – kann uns dann noch aus der Notlage befreien.

Neben den Fluchtsequenzen wurde noch eine weitere Eigenart aus »Metroid Fusion« übernommen: Das Einsammeln mancher Items gestaltet sich in »Metroid Dread« mindestens genauso schwierig – wenn nicht noch schwieriger. Das Finden der Items mag zwar weniger ein Problem darstellen, da die Karte vage Hinweise auf ihren Fundort gibt. Doch um den ein oder anderen Missile-Container oder Energietank tatsächlich einzusammeln, müssen pervers fummelige Eingaben getätigt werden. Wer eine hundertprozentige Item-Kollektion anstrebt, übt daher am besten schon einmal präzise Wandsprünge und reaktionsschnelle Air-Dashs mit dem Speedbooster.


Die Fortsetzung zu Metroid: Samus Returns

Die Entwickler knüpfen mit »Metroid Dread« aber auch an den hauseigenen Vorgängertitel an. Das ebenfalls von MercurySteam entwickelte »Metroid: Samus Returns« aus dem Jahr 2017 gehört meiner Meinung nach allerdings zu den schwächeren Teilen der Serie. Die spektakulär inszenierten Bosskämpfe konnten überzeugen, das eintönige Gegner- und Leveldesign keineswegs. Im gesamten Abenteuer erlebten wir nur wenige Höhepunkte. Glücklicherweise haben sich die Macher mit »Metroid Dread« deutlich weiterentwickelt und letztendlich erlöst.

MercurySteam baut gekonnt auf den Gameplay-Mechaniken des eigenen Vorgängerspiels auf: Konterangriffe und freies 360-Grad-Zielen gehen besser von der Hand als auf dem 3DS. Samus steuert sich flott und komfortabel – auch wenn einige Aktionen etwas Übung erfordern. Ansonsten ist »Metroid Dread« genau die Weiterentwicklung, die man von einem modernen 2D-Metroid erwarten darf. Neben der Steuerung wurden auch Gegnertypen und Level-Architekturen überarbeitet. Jedes Gebiet stellt ein eigenständiges, abwechslungsreiches Biotop dar. Dort treffen wir auf unterschiedlichste Kreaturen mit jeweils unterschiedlichen Angriffsmustern. Von einer riesigen Krabbe bis hin zu einer Laser feuernden Kampfdrohne ist alles dabei.

Die Gegner sind überdies besser platziert als im direkten Vorgänger. Wir müssen beispielsweise in einem langen Korridor zahlreiche Widersacher beseitigen, die an der Decke entlanglaufen und aus dem Boden emporschießen, um letztendlich einen erfrischenden Energietank einzusammeln. Die ansprechende Level-Architektur lässt die lineare Spielstruktur fast schon verzeihen. Selbst gegen Ende tauchen Variationen bereits angetroffener Gegner auf und bis auf ein paar sich wiederholende Zwischenbosse bietet »Metroid Dread« immer genügend Vielfalt. Auch in den Level-Umgebungen  passieren diverse aufregende Ereignisse: Ein Hitzekurzschluss sorgt dafür, dass wir vor feurigen Stichflammen entkommen müssen. Später friert der Planet ein. Dadurch entstehen Eisplattformen, die den Level leicht abändern.

Der oftmals eintönige Spielablauf aus »Samus Returns« wurde ebenfalls aus der Welt geschafft. Weder laufen wir durch ein tunnelartiges Schlauchlevel, noch müssen wir den gesamten Tunnel gegen Ende noch einmal durchqueren, um alle Items einzusammeln. Die Bereiche in »Metroid Dread« sind wunderbar verknüpft. Und auch wenn das Spiel einen linearen Pfad vorgibt, lässt es uns die Welt ab einem bestimmten Fortschritt frei erkunden. Wir dürfen dann in bereits besuchte Gebiete zurückkehren und zuvor unerreichbare Items einsacken. 

Die Aufrüstung von Samus Waffenarsenal weicht dabei angenehm von der gewohnten Metroid-Formel ab. Der Morphball wird in »Metroid Dread« nicht als erstes eingesammelt, sondern es vergeht eine gewisse Zeit, bis wir endlich durch Schächte rollen können. Auch werden wir nach dem ersten schwerfälligen Marsch unter Wasser nicht sofort mit dem Gravity Suit belohnt. Vorerst zieht der Grapple Beam uns aus überfluteten Arealen heraus. Danach überwinden wir mit dem Space Jump die Trägheit des Wassers. MercurySteam fügt bekannten Spielelementen neue Facetten hinzu. Wenn wir nach langer Zeit den Gravity Suit endlich besitzen, fühlt es sich umso erlösender an, geschmeidig durch das kühle Nass zu gleiten.


Die Fortsetzung zu Metroid: Other M

Die meisten Metroid-Fans sind sich wahrscheinlich einig, dass »Other M« zu den schwächeren Teilen der Serie zählt. Team Ninja versuchte, eine Brücke zwischen einem 2D- und 3D-Metroid aufzubauen – das Konstrukt brach jedoch auseinander. Zum einen störte die stets wechselnde Kameraperspektive: »Other M« war ein wilder Mix aus Third-Person, Ego-Perspektive und Draufsicht. Dem Spiel fehlte eine klar definierte Übersicht. Zum anderen machte das unflexible Gameplay nur wenig Freude: Wir hatten kaum Einfluss auf die Schussrichtung – Missiles konnten lediglich aus dem Stand in der Ego-Ansicht, der Beam nur in der Third-Person abgefeuert werden. So setzte »Metroid: Other M« zwar neue Impulse. Diese wirken aber leider mehr als unausgegoren.

»Metroid Dread« dagegen zeigt eine klassische Side-Scrolling-Perspektive in einer modernen 3D-Umgebung. Die Kamera wechselt zwar auch hier die Ansicht: Sie zoomt bei einem erfolgreichen Konter leicht ins Bild hinein und bewegt sich bei einem Finishing-Move um einige Bosse herum. Doch fügen sich diese kurzzeitigen Perspektivwechsel harmonisch ins Spielgeschehen ein, sodass wir selbst bei temporeichen Actionszenen einen klaren Überblick behalten. Dazu gesellt sich ein dynamisch geerdetes Gunplay ohne viel Schnickschnack. Eine Omega-Kanone in Schusshaltung macht uns zwar bewegungsunfähig – ähnlich wie der Missile-Einsatz in »Other M«. Ihr Gebrauch gestaltet sich aber interessanter, da ihr aufgeladener Schuss präzises Timing gegen die heranstürmenden E.M.M.I. erfordert. 

Neben der Gameplay-Optimierung verleiht MercurySteam auch der Story neuen Glanz. Diese lässt den fehlgeleiteten Werdegang von Samus Aran aus »Other M« vergessen. Unsere Heldin ist nicht länger eine flennende Heulsuse, die schmerzerfüllte innere Monologe von sich gibt, sobald ihr ein furchteinflößender Gegner gegenüber steht. Samus Aran ist die altbekannte, gefürchtete Kopfgeldjägerin. Ihre Aktionen und Bewegungen sprechen für sich: Sie schießt eine gewaltige Riesenechse kommentarlos ins Gesicht, ohne überhaupt hinschauen.

In Zwischensequenzen erfahren wir dennoch mehr über Samus und ihre Verbindung mit der mysteriösen Chozo-Rasse. Auf eine dialoglastige und melodramatische Möchtegern-»Metal-Gear«-Inszenierung wie in »Other M« wird dabei allerdings verzichtet. Vielmehr spannen überzeugende Bilder den Handlungsbogen. In Samus Augen lassen sich ihre Emotionen und Gedanken ablesen: Ihre Blicke erzählen mehr als tausend Worte. Das heißt nicht, dass »Metroid Dread« auf Dialoge komplett verzichtet. Es kommt sogar eine frei erfundene Sprachausgabe zum Einsatz, die der Science-Fiction-Geschichte mehr Tiefe verleiht – besonders da Samus das einzige menschliche Lebewesen auf dem fremden Planeten ist. Und im Gegensatz zu dem künstlichen Gebrabbel aus manch anderen Nintendo-Spielen hört sich die Sprache in »Metroid Dread« angenehm authentisch an.

Das effektive Zusammenspiel zwischen Sprache, Augenkontakt und visueller Inszenierung kann vor allem in der finalen Zwischensequenz seine volle Wucht entfalten. Dort wird ein Plottwist präsentiert, der einigen Metroid-Fans die Kinnlade herunterklappen lässt. Ich will an dieser Stelle natürlich nicht verraten, was in der finalen Szene gezeigt wird, will aber andeuten, was sie symbolisiert: Wir erleben einen Gegenentwurf zu dem ikonischen Moment im ersten Metroid, als Samus am Ende ihre weibliche Identität preisgab. Denn in »Metroid Dread« zeigt sich, dass sie nicht primär eine Frau ist, sondern vielmehr eine Waffe im Kampfanzug. Eine Waffe, die wir als Spieler über das gesamte Abenteuer vernichtend eingesetzt haben. [dg]


Metroid Dread
Nintendo EPD & MercurySteam / Nintendo
Nintendo Switch (08. Oktober 2021)
Producer: Yoshio Sakamoto
Directors: Jose Luis Márque; Fumi Hayashi

Quelle Screenshots: eigene Screenshots.


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