Der 29. Juni 2000. Ein besonderer Tag für Action-Rollenspiel-Fans in Ost und West: In den USA und in Kanada kommt „Diablo II“ in die Läden. Auf der anderen Seite des Pazifiks erscheint am selben(!) Tag das Diablo-like „Record of Lodoss War: Advent of Cardice“ (später in Europa einfach nur: Record of Lodoss War). Letzteres basiert auf einer multimedialen Fantasy-Marke, dem, äh, japanischen Herr der Ringe.


Eines der beiden Spiele wurde zur Legende, das andere zum Geheimtipp unter Kennern. (In Europa erschien Diablo II übrigens schon am 30. Juni 2000, während Record of Lodoss War bis zum 15. Dezember auf sich warten ließ.)

Nun erhält die Legende ein Remaster – „Diablo II: Resurrected“ – während der Geheimtipp exklusiv für die Sega Dreamcast erschien und nie auch nur portiert wurde. Es ist ein kleines Wunder, dass der damalige Europa-Vertrieb über Swing! Entertainment offenbar so (übertrieben) viele Exemplare in den Umlauf brachte, dass die PAL-Version des Spiels noch heute für moderate Summen oder sogar im originalverpackten Neuzustand zu kriegen ist. (Entwickelt wurde das Spiel übrigens von Neverland, die auch Lufia machten. Originalverpackte Exemplare davon entpuppten sich erst neulich als begehrter.) Freilich braucht man eine Dreamcast, um es dann auch spielen zu können.


Diablo II war das Ergebnis von drei Jahren Entwicklungszeit und eineinhalb Jahren Crunch. Das kümmerte damals die wenigsten und galt schlimmstenfalls sogar als Qualitätsmerkmal. Es scheint im Rückblick auch heute kaum jemanden zu kümmern. Die aktuellen Zustände („Zustände“ ist exakt das richtige Wort) im Hause Activision Blizzard allerdings schon eher. Von Sexismus und systematischer Diskriminierung ist die Rede. Mehrere Klagen stehen im Raum und natürlich ließen auch Proteste und Boykottaufrufe nicht lange auf sich warten.

Diablo II: Resurrected ist die erste Veröffentlichung aus dem Hause Blizzard, die erscheint, seit die Vorwürfe publik wurden und die von solchen Boykottaufrufen unmittelbar betroffen sein könnte. Aus diesem Grund fühlten sich auch die für das Remaster zuständigen Entwickler bei Vicarious Visions bemüßigt, ein Statement abzugeben, obschon das Studio in Albany, NY von der Klage gegen Blizzard in Kalifornien nicht unmittelbar betroffen ist. Die Spieler sollten tun, „what they feel is right“, heißt es da, und, tja, was soll man dazu noch groß sagen.

Eine anderes Thema sind sexistische Tendenzen in den Spielen selbst: Diablo II mag nicht das erste Spiel sein, das bei dieser Problematik in den Sinn kommt, aber frei von Sexismus sind Spiele aus dem Jahre 2000 natürlich selten. Die Figur der Amazone sah aus, wie weibliche Kriegerinnen in düsteren Fantasy-Rollenspielen damals eben aussahen, und erfuhr deshalb für das Remaster ein (nachvollziehbares) Redesign. Sämtliche Figuren sollten aussehen wie Krieger und nicht wie Leute, die gerade „aus einem Nachtclub kommen“, begründet der zuständige Charakterdesigner die Änderung.

Das hält News-Redakteure halbverhungerter Gaming-Verlage nicht davon ab, einen direkten Zusammenhang mit der Klage gegen Blizzard zu mutmaßen, mit vielen Konjunktiven und maximaldistanzierenden Wortgruppen wie „für dringend notwendig gehalten haben sollen“.

Nun war die Original-Amazone des Jahres 2000 vermutlich nicht als langersehnte Identifikationsfigur für weibliche Spielerinnen konzipiert, sondern eher als Protagonistin in feuchten Männerträumen. Doch immerhin, es gab sie – genauso wie eine Zauberin und später eine Assassine. Denn auch in dieser Hinsicht war Diablo II ein Kind seiner Zeit und das heißt: Ganz so rückständig war man um die Jahrtausendwende eben nicht mehr, als dass weibliche Heldinnen in einer mittelalterlichen Fantasy-Welt komplett gefehlt hätten. Es sei denn…


Es sei denn, man ist ein Krieger in Record of Lodoss War.

„Hahahahaha! Für eine Frau bist du ganz schön mutig. Aber du glaubst doch nicht etwa, dass du mich mit diesen dünnen Ärmchen töten kannst, oder?“, lacht der Dunkle Herrscher Ruselb der Elfe Deedlit ins Gesicht.

Und auch der Schwarze Feldherr Ashram (ein Hammer, die Namen) lässt die Dunkelelfe Pirotess wissen, dass er sie auf seinen Expeditionen lieber nicht dabei haben möchte: „Nein, das geht nicht. Um ehrlich zu sein, du hast einfach nicht genug Kraft. Es ist zu gefährlich, dich mitzunehmen.“

„Bitte, bitte nimm mich…“, appelliert Pirotess in der, nicht nur an dieser Stelle, etwas unglücklichen deutschen Übersetzung.

In Person des Helden dürfen wir uns auf die Seite der Kriegerin stellen, müssen das aber nicht:
„Nimm‘ sie doch mit!“
„Frauen mitzunehmen, davon habe ich genug.“

Das intellektuelle Niveau des Helden ist mit diesen beiden Optionen übrigens recht akkurat umrissen. Selbstbeschreibung sinngemäß: „I bims, der stärkste Held.“

Nur die Frauen, die sind ihm nicht geheuer. Mit den Worten „Ich glaube kaum, dass eine Frau mir helfen kann“ darf der Spieler (seltener vermutlich die Spielerin) auch die Priesterin Leylia als Party-Mitglied ablehnen. Ein Spiel für Männer, ein Herz für Chauvinisten.

Und dann ist da noch Deedlit, die sich nach überstandenen Strapazen beim Helden bzw. Spieler bedankt, woraufhin der den Dank selbstverständlich höflich erwidert. Richtig? RICHTIG!? „Eine Schönheit wie du kann sich auch anders bedanken.“ Autsch!

Nun würde mich interessieren, wie die stolze Hochelfe Deedlit (und nebenbei gesagt auch der dabeistehende Parn) auf diesen Spruch reagiert, aber leider hatte ich keinen ausreichend zeitnahen Spielstand, als dass ich diese Gesprächsoption tatsächlich hätte ausprobieren wollen.


Dass das Spiel die Stärke seiner weiblichen Figuren derart infrage stellen lässt, ist einigermaßen kurios, wenn man weiß, dass es in den Manga- und Anime-Umsetzungen der RoLW-Franchise gerade die Hochelfe Deedlit und die Dunkelelfe Pirotess sind, die als nahezu unbezwingbare Kämpferinnen gelten. Einigermaßen vielschichtige Persönlichkeiten sind sie (wie auch die Graue Hexe Karla) obendrein. Deedlit bekam 1998 (also in zeitlicher Nähe zum Spiel-Release) sogar einen eigenen Shojo-Manga spendiert (abweichend von der Shonen-Ausrichtung anderer RoLW-Manga). Auch die neueste RoLW-Romanreihe, Diadem of the Covenant, macht Deedlit zur Protagonistin.

Erst kürzlich erhielt die Elfe auch ein eigenes Spiel, das überdies recht gut sein soll: „Deedlit in Wonder Labyrinth“ nennt sich das Metroidvania aus dem Hause Ladybug (die Macher von Touhou Luna Nights). Es soll im Dezember auch für Konsolen erscheinen und zeigt, dass die Helden von Record of Lodoss War noch nicht vergessen sind. Es ist außerdem das erste RoLW-Spiel, das seit mehr als 20 Jahren im Westen erscheint.

Ich würde ja hoffen, dass sich irgendwann auch irgendwer an das Diablo-like aus der Dreamcast-Ära erinnert. Record of Lodoss War ist sicher kein perfektes Spiel, aber es muss ja auch nicht gleich als Hochglanz-Remaster à la Diablo II: Ressurrected auferstehen. Und um Missverständnissen vorzubeugen: Der unterschwellige Sexismus ist natürlich eines der geringeren Probleme des Spiels. Eher handelt es sich um ein amüsantes Kuriosum, das äußerst punktuell seinen Ausdruck findet und womöglich auch der generell sehr hemdsärmeligen deutschen Übersetzung geschuldet ist. [sk]


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Bilder: Eigene Offscreen-Fotos aus Record of Lodoss War. Diablo II: Promo-Artworks.