Es gibt Games, die zu Klassikern wurden, weil sie berühmte Spielereihen in die dritte Dimension beförderten. Und es gibt ihre Nachfolger: Sequels, die sich der schwierigen Transition von 2D zu 3D nicht mehr stellen mussten, die stattdessen aber eine andere Bürde trugen: Größer, schöner, besser sein zu müssen als ihre ohnehin schon exzellenten Vorgänger. Im letzten Teil dieser Reihe ging es um Zelda: Majora’s Mask. Heute geht es um Metroid Prime 2: Echoes.
II. Licht und Schatten: Metroid Prime 2: Echoes
Insbesondere Nintendo bewies ein glückliches Händchen, wenn es galt, etablierte Serien in die dritte Dimension zu hieven. Super Mario 64 und Zelda: Ocarina of Time sorgten dafür, dass sich die Erfolge der beiden Reihen im 3D-Zeitalter fortsetzten und wirkten prägend auf die weitere Entwicklung des Mediums. Das heißt allerdings nicht, dass die Transition mit allen Serien gleichermaßen schnell gelang: Die Arbeiten an Earthbound 64 aka. Mother 3 wurden schließlich eingestellt und das, was vom Spiel fertig war, erschien sechs Jahre später in klassischer 2D-Pixelform für den Game Boy Advance. Edelknödel Kirby schaffte es über 2,5D bis heute nicht hinaus. Und auch die Transition der Metroid-Reihe bereitete Nintendo Kopfzerbrechen, weshalb ein lange gemunkelter N64-Ableger ein sehr frühes Entwicklungsstadium nie verließ.
Erst auf dem GameCube kehrte Samus Aran auf die Heimkonsole zurück, in dem von den Retro Studios entwickelten Metroid Prime (2002). Wie Ocarina of Time war auch Metroid Prime aus dem Stand heraus ein Meisterwerk. Es brachte nicht nur eine seit geraumer Zeit brachliegende Reihe in die Gegenwart, sondern inspirierte eine Generation von Entwicklern und etablierte Genre-Konventionen, die nicht nur das First-Person-Shooter-Genre bereicherten. Kommerziell erfolgreich war es obendrein.
Und ebenfalls wie bei Ocarina of Time stellte sich auch hier die Frage, wie sich ein Spiel, das so nahe an der Vollkommenheit war, auf ein und derselben Hardware und in einem kürzeren Entwicklungszeitraum (von maximal zwei Jahren) noch toppen ließ. Denn auch hier hatte der Vorgänger auf so hohem Niveau vorgelegt, den Sprung in die dritte Dimension so genial vollzogen, dass es mit simplen Verbesserungen nicht getan war, wollte man das Publikum noch einmal begeistern.
Größer und komplexer lautet die Devise in solchen Fällen häufig. Und tatsächlich mutet das, was den Entwicklern der Retro Studios einfiel, auf den ersten Blick recht konventionell an: Spielwelt und Spielmechanik werden erweitert, sozusagen multipliziert, durch die Einführung einer Parallelwelt. Der neue Schauplatz Aether hat einen dunklen Doppelgänger: Ein düsteres, lebensfeindliches Zerrbild des ursprünglichen Planeten, entstanden durch einen Meteoriteneinschlag und im ewigen Krieg mit seinem Zwilling.
Die Vorzüge dieses inzwischen sehr beliebten Konzepts liegen auf der Hand: Die Größe einer Spielwelt kann durch eine solche Schatten- oder Paralleldimension mit vergleichsweise wenig Aufwand verdoppelt werden, ohne dass tatsächlich – das heißt von Grund auf – eine doppelt so große Welt entworfen werden muss. Möglichkeiten für ein komplexeres Gameplay ergeben sich dabei wie von selbst, denn selbstverständlich sind beide Welten miteinander verbunden und viele raffinierte Rätsel bauen auf den Unterschieden als auch auf den Verschränkungen zwischen den Welten auf. Einen intuitiv erfassbaren Ausgangspunkt für eine Erzählung bietet die klassische Hell-Dunkel-Dichotomie obendrein.
Ist dieser Ansatz originell? Das sicherlich nicht. Mit der Originalität des Zeitsystems von Majora’s Mask kann die Licht-und-Schatten-Dichotomie von Metroid Prime 2: Echoes nicht mithalten. Zwar war das Konzept im Jahr 2004 etwas unverbrauchter als heute, aber „neu“ war es schon damals nicht: Das offensichtlichste (und erklärte) Vorbild ist natürlich Zelda: A Link to the Past (1991). Auch dort steht der gewohnten Welt ein durch ein Böses korrumpiertes Zerrbild gegenüber, eine „Dark World“, die schlussendlich auch die Welt des Lichts bedroht. Wie beide Welten verbunden sind und welche Rätsel sich daraus ergeben, ähnelt dem Konzept, das Echoes verfolgt, sehr. Ein anderes Beispiel, das Echoes vorausgeht, ist Legacy of Kain: Soul Reaver (1999). Dessen Held Raziel bewegt sich zwar nicht zwischen zwei Welten, aber doch zwischen zwei Realitätsebenen – einer materiellen und einer spektralen Ebene.
Wenn das Ganze schon nicht originell ist, ist es dann wenigstens herausragend umgesetzt? Jein. Echoes muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass die künstlerische Gestaltung seiner Schattenwelt mit der Gestaltung der lichten Welt nicht mithalten kann. Das liegt einmal daran, dass die einzelnen Areale des Dunklen Aether einander zu stark ähneln und den Abwechslungsreichtum der hellen Areale (und der Areale des Vorgängers) vermissen lassen. Zwar ist die surreale Ästhetik der Schattenwelt grundsätzlich gelungen, und einen erfrischenden Kontrast zu den „natürlichen“ Biotopen des Vorgängerspiels bietet sie obendrein. Doch merkt man dieser Hälfte der Spielwelt an, dass sie eben „nur“ ein etwas aufwändigerer Re-Skin der hellen Welt ist, dessen Ästhetik sich relativ schnell abnutzt.
Bis hierher war das ziemlich viel Kritik und mag sich anhören, als sei Metroid Prime 2: Echoes eine unoriginelle Fortsetzung und ultimativ das schwächere Spiel. Einige Zeit lang dachte ich das auch – aber nur, bis ich Echoes selbst gespielt hatte. Schlussendlich ist es nämlich nicht die Licht-und-Dunkel-Dichotomie, die Metroid Prime 2 zu einem herausragenden Spiel macht und über seinen Vorgänger erhebt, sondern eine Reihe von subtileren Designentscheidungen, die Echoes von seinem Vorgänger, aber auch innerhalb der Metroid-Reihe emanzipieren.
Schauen wir dazu noch einmal auf Metroid Prime und auf die Art und Weise, wie es die Metroid-Reihe in die dritte Dimension überführte, dann sehen wir abermals Parallelen zu Zelda: Ocarina of Time. Die Spielstruktur und die Atmosphäre der Metroid-Reihe wurden gekonnt in die dritte Dimension übertragen, wobei die Spielmechanik als solche, sowie die Steuerung und das Interface, umfassende Veränderungen erfuhren, die dem argwöhnischen Publikum erst einmal nahegebracht werden wollten. Sicherlich auch deshalb wurde an den Serienkonventionen, die den Wechsel von 2D zu 3D nicht direkt betreffen, sehr bewusst kaum gerüttelt. An der Auswahl der verschiedenen Biotope zum Beispiel: Dschungelwelt, Eiswelt, Feuerwelt, Ruinen? Das wirkte bereits 2002 sehr konventionell und formelhaft (so stimmungsvoll die Umsetzung der Areale dann auch war). Gleiches gilt für die Hintergrundgeschichte, die sich einmal mehr um Metroids, Weltraumpiraten und das Volk der Chozo drehte. Wenn wir Ocarina of Time als A Link to the Past in 3D bezeichnen dürfen, dann ist Metroid Prime Super Metroid in 3D. Was ja erst einmal nichts Schlechtes ist. Doch möchte man Metroid Prime in seiner ganzen Exzellenz eine Sache vorwerfen, dann vielleicht, dass es über weite Strecken ziemlich überraschungsarm war, und Teile seiner künstlerischen Gestaltung etwas, nun ja, gewöhnlich anmuteten.
Um die Blasphemie auf die Spitze zu treiben, lässt sich deshalb auch argumentieren, dass das zeitgleich für den Game Boy Advance erschienene Metroid Fusion, trotz klassischer 2D-Perspektive, das in vielerlei Hinsicht originellere Spiel war, das sich eher traute, mit den Konventionen der Reihe zu brechen – nur eben mit dem 2D-Gameplay nicht. Im Grunde genommen war es in einer ähnlichen Position wie später Metroid Prime 2 (oder das im letzten Artikel besprochene Majora’s Mask): Es konnte Super Metroid mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, eigentlich nicht mehr toppen. Und weil es anders als Metroid Prime nicht einfach in die dritte Dimension gehen konnte, musste es andere Dinge anders machen, um neu und innovativ zu sein.
Das musste zwei Jahre später auch Metroid Prime 2: Echoes. Die Beinahe-Perfektion seines Vorgängers war aber nicht nur eine Bürde, sondern auch eine Chance. Metroid Prime war darauf bedacht gewesen, an möglichst viele Konventionen der Reihe anzuknüpfen, um ungeachtet der Umbrüche in Präsentation und Bedienung als Metroid erkennbar zu sein. Umgekehrt hält Echoes an allem fest, was Metroid Prime der Serie hinzugefügt hatte, während es dort neue Impulse setzt, wo Metroid Prime sich sehr eng an Super Metroid orientiert hatte: Ästhetik, Erzählung und spielerische Herausforderung. Hätten die Retro Studios bereits im ersten Anlauf ein Spiel wie Echoes entwickelt, wäre dem Titel möglicherweise vorgeworfen worden, kein „echtes“ Metroid zu sein. Allerdings war Metroid Prime so gut aufgenommen worden, dass es fortan selbst die Referenz darstellte, an der ein Nachfolger sich orientieren und von der er abweichen konnte. So ist Echoes selbst ein Echo – der verzerrte, abnorme Widerpart des aufgeräumten Originals (eine weitere Parallele zu Majora’s Mask).
Die Freiheiten (wie auch ein gewisser emanzipatorischer Reifeprozess) zeigen sich zum einen im Artstyle und in der weniger formelhaften Gestaltung der Spielareale. Denn wenn ich schon kritisierte, dass die visuelle Gestaltung des Dunklen Aether vergleichsweise eintönig ist, dann muss ich auch sagen, dass für den Hellen Aether das Gegenteil gilt: Dessen Areale wirken ungleich origineller als die des Vorgängers und beeindrucken mit feinen Details, die glaubwürdig den Eindruck einer fremden Welt und Kultur vermitteln.
Ich gebe zu, dass die hellen Areale von Metroid Prime 2: Echoes auf Screenshots ziemlich „graubraun“ wirken, aber im Spiel selbst entfaltet das zurückgenommene, detailverliebte Artdesign eine ganz besondere Sogwirkung. Auch der Helle Aether ist eine Welt im Niedergang (oder hat den Niedergang eigentlich schon hinter sich). Wo einst fruchtbare Ebenen waren, erstrecken sich nun Wüsten aus verbrannter Erde. Schwermut und Trauer liegen über der Spielwelt und obschon die Themen der einzelnen Biotope von Echoes weniger intuitiv erfassbar sind als die prototypischen Feuer- und Eisareale des Vorgängers, sind sie deshalb nur umso glaubwürdiger und gehen einem näher. Das letzte Hauptareal – die Geheiligte Festung – ist ein ungewohnt anorganischer Schauplatz für ein Metroid-Spiel und unterstreicht die Tragik einer feingeistigen Zivilisation, die mit all ihrer hochentwickelten Kriegsmaschinerie den Veränderungen ihrer Umwelt nicht trotzen konnte.
Dass Metroid Prime 2 eine so intensive Erfahrung ist, liegt aber auch am gehobenen Schwierigkeitsgrad. Echoes ist fordernder und vertrackter als sein Vorgänger. Seine Macher sahen nicht länger die Notwendigkeit, Spieler in die Metroid-Reihe ein- und an die Spielmechanik von Prime heranzuführen, und so richtet sich Echoes an Kenner des Vorgängerspiels, denen man das Laufen nicht mehr beibringen muss. Es ist mit Sicherheit nicht der Teil der Trilogie, der Neulingen als Einstieg empfohlen werden sollte, aber es ist ihr Höhepunkt: Ein Abenteuer, so schwer und komplex wie es nur sein wollte. Das befreit war von der Bürde, Tutorial für eine neue Art von Actionspiel und Showcase neuer Technologien zu sein (wie es drei Jahre später Metroid Prime 3: Corruption noch einmal war).
Echoes führt seine Spieler ins tiefste Dunkel. Dorthin, wo kein Licht dringt und keine Gefangenen gemacht werden. An einen Ort, wo Heldin und Spielerin gleichermaßen an ihre Grenzen stoßen. Echos hallen zwischen den Wänden der innersten Höhle und es ist keinem zu verdenken, der im Angesicht der Dunkelheit ans Aufgeben denkt. Doch denen, die sich der Herausforderung stellen, strahlt Metroid Prime 3: Corruption im Anschluss umso heller. Erst das Martyrium, dann die Erlösung. [sk]
Hat dir dieser Beitrag gefallen? Lass doch einen Like oder einen Kommentar da,
oder teile den Beitrag mit Freunden. Herzlichen Dank!
Mehr zu ähnlichen Themen:
Quelle Bilder: Promo-Artwork von Nintendo. Screenshots: Moby Games
Mir haben vor allem die verbesserten Geschicklichkeitspassagen und Puzzlemechaniken gegenüber dem Vorgänger gefallen. Metroid Prime setzt in viel zu vielen Räumen auf turmartiges Plattforming. Eine bekannte Herausforderung aus den 2D-Ablegern, die in der dritten Demension weniger überzeugt. Plattforming aus der Ego-Perspektive wirkt weniger dynimisch. Darum hat Metroid Prime: Echoes mit dem Einsatz der Screw Attack und dem horizentralen Leveldesign einiges richtig gemacht.
LikeGefällt 1 Person
Es ist leider zu lange her, dass ich mich in diese Details noch erinnern könnte, aber ich glaube dir das gern. Eigentlich wird es auch Zeit, dass ich Metroid Prime 2 tatsächlich wieder einmal durchspiele. Evtl. nehme ich mir aber vorher Metroid Prime 3 vor. Obwohl das weniger lang her ist, sind meine Erinnerungen daran am undeutlichsten. Vielleicht rolle ich die Reihe also einfach vom Ende her noch einmal auf.
LikeGefällt 1 Person