Nachzügler
Kurios: Olympische Spiele Tokyo 2020 – Das offizielle Videospiel kam am 22. Juni 2021 in den Handel und ist doch schon zwei Jahre alt: Bereits am 24. Juli 2019 erschien der Titel in Japan, wenn auch zunächst nur für die PlayStation 4 und die Nintendo Switch. Geschlagene 23(!) Monate später dürfen sich nun auch Spieler außerhalb Japans in 18 Disziplinen messen, Xbox- und PC-Besitzer eingeschlossen.
Dass Sega den nun erfolgten Europa-Release Ende Mai – also mit einer Vorlaufzeit von gerade einmal einem Monat – überhaupt erst angekündigt hat, lässt vermuten, dass man sichergehen wollte, ob und wann die Olympischen Sommerspiele in Tokyo auch tatsächlich stattfinden. Das hauseigene Konkurrenzprodukt für die Switch – Mario & Sonic bei den Olympischen Spielen: Tokyo 2020 – kam nämlich bereits im November 2019 weltweit in den Handel, und die coronabedingte Verschiebung der ursprünglich für Juli und August 2020 geplanten Olympischen Spiele wird sich auf die Verkaufszahlen des Titels kaum positiv ausgewirkt haben.
Hinzu kommt, dass offizielle Videospiele zu Olympischen Spielen auch unter „normalen“ Umständen offenbar nicht die Lizenz zum Gelddrucken sind, für die man sie vielleicht halten könnte. Oder wie ist es zu erklären, dass die letzte „realistische“ Olympia-Simulation im Jahr 2012 in den Handel kam? In den Olympia-Jahren 2014 und 2016 hielten einzig Mario & Sonic die Flamme am Lodern, und 2018 noch nicht einmal die. Gerade einmal eine Sonderedition von Ubisofts Game-as-a-Service-Machwerk Steep begleitete die Winterspiele in PyeongChang 2018.
Es ist dann vermutlich auch dem aus Sicht japanischer Spieleentwickler attraktiven Austragungsort geschuldet, dass Sega anlässlich der Sommerspiele in Tokyo 2020 einen neuen Anlauf wagt und neben Mario und Sonic auch wieder echte Menschen an den Start schickt. Echte Menschen? Nun ja, fast. Wer eine realistische Simulation sucht, ist auch bei Olympische Spiele Tokyo 2020 an der falschen Adresse. Das Spiel bedient sich eines Comiclooks und nimmt es mit den Realitäten des Hochleistungssports auch sonst nicht so genau. Was ich persönlich davon halte, verrate ich in einem separaten Text in der kommenden Woche.
Blitzstart oder Resterampe?
Bemerkenswert ist auch, dass Olympische Spiele Tokyo 2020 vom Start weg fast schon verramscht wird. Zum einen kommt es zum Budget-Preis von 39,99 Euro in den Handel. Zum anderen ist es bereits seit Anfang Juli in Sonys PlayStation Now Service enthalten. Zur Erinnerung: Das ist Sonys zweiter Abo-Service, neben PlayStation Plus, der Zugriff auf rund 700 meist ältere Spiele bietet, die auch gestreamt werden können. Grob vergleichbar also mit dem Xbox Game Pass, mit dem entscheidenden Unterschied, dass brandneue Spiele in der Regel kein Teil des Services sind.
Schon im Vormonat machte Sony eine Ausnahme, als neben der üblichen Handvoll älterer Titel auch das „neue“ Virtua Fighter 5 Ultimate Showdown zum Service hinzugefügt wurde. Ein PlayStation-exklusives Remaster des Prügelspiels aus der PlayStation-3-Ära, das zeitgleich auch bei PS Plus „kostenlos“ dabei war und regulär mit 19,99 Euro zu Buche schlägt. Also doch eher ein kleines Kaliber. Olympische Spiele Tokyo 2020 ist zwar auch kein Vollpreistitel, aber schon eine Nummer größer. Sein Auftauchen bei PS Now deutet darauf hin, dass entweder Sony zunehmend mehr Geld in die Hand nimmt, um den Service gegen Microsofts Game Pass in Stellung zu bringen und künftig auch topaktuelle Titel ins Angebot aufzunehmen. Oder aber Sega traut dem Titel im Angesicht mangelnder Olympia-Euphorie so wenig zu, dass er Sony vergleichsweise günstig angeboten wurde.
Dahinter könnte die Hoffnung stehen, dem von dem Presse weitgehend ignorierten Titel mehr Reichweite zu verschaffen (was offenbar schon bei Virtua Fighter 5 Ultimate Showdown ganz gut funktionierte) und in letzter Konsequenz auch den einen oder anderen Nicht-Abonnenten zum Kauf zu bewegen.
Darauf deutet auch hin, dass die Windows-Fassung von Olympische Spiele Tokyo 2020 seit gestern und noch bis Montag (also grob übers Wochenende) kostenlos gespielt werden kann (via Steam). Ein Olympia-Spiel während des Eröffnungswochenendes kostenlos anzubieten, macht, denke ich, nur, wer ganz dringend mehr Aufmerksamkeit braucht (eine Gesamtzahl von gut 300 Steam-Reviews deuten auch nicht auf einen großen Erfolg hin). Zumal – und das verdient mein uneingeschränktes Lob – Olympische Spiele Tokyo 2020 ganz ohne Microtransactions und In-Game-Käufe daherkommt, und Sega also nicht auf diese Weise dazuverdienen kann.
Wer das Spiel länger als ein Wochenende spielen, aber nicht notwendigerweise für 39,99 Euro kaufen möchte, für den ist PS Now die günstigste Möglichkeit: 9,99 Euro kostet ein Monat, wobei hervorzuheben ist, dass Sony den Service vor einigen Monaten dahingehend verbessert hat, dass der Online-Multiplayer für alle bei PS Now enthaltenen Online-Games schon inklusive ist. Ihr müsst also nicht gleichzeitig PlayStation Plus abonniert haben, um das Herzstück von Olympische Spiele Tokyo 2020 – den Online-Modus – spielen zu dürfen.
Kurzum: PC-Spieler, die Olympische Spiele Tokyo 2020 einfach einmal ausprobieren möchten, haben dieses Wochenende via Steam die Gelegenheit dazu. PlayStation-Besitzer, die das Spiel ein wenig länger spielen möchten, ohne es direkt zu kaufen, können dies für kleines Geld via PlayStation Now.
Für einen Zehner kann ich Olympische Spiele Tokyo 2020 guten Gewissens empfehlen. Ich mag es nach einigen Spielstunden ganz gern, aber sein Umfang ist doch recht überschaubar. Hätte ich volle 39,99 Euro für den Titel ausgegeben, würde ich es möglicherweise bereuen. [sk]
Nachtrag vom 24. Juli 2021: Auch auf der Xbox kann Olympische Spiele Tokyo 2020 bis einschließlich den 25. Juli 2021 „kostenlos“ ausprobiert werden – Voraussetzung ist allerdings ein (kostenpflichtiges) Xbox Live Gold-Abo. Danke an x28grey für den entscheidenden Tipp!