Wer träumt nicht davon? Einmal als fette Tarantel durchs Innere eines rostigen Pickups krabbeln und saftige Maden aus dem Handschuhfach futtern. Oder: Einmal Skorpion sein, einem verschwitzen Redneck in den Schritt kriechen und voller Inbrunst in die Weichteile zwicken. Deadly Creatures – ein viel unterschätztes Wii-Spiel aus dem Jahr 2009 – macht diese und andere Träume wahr.


Für Freunde von Pikmin…

Die Prämisse von Deadly Creatures ist zweifellos originell: Statt einen Menschen, ein menschenähnliches Wesen oder ein anthropomorphes Tier zu steuern, wie in vermutlich 99 Prozent aller charakterzentrierten Videospiele, schlüpfen wir in die Haut, Pardon, das Exoskelett lebensechter Arachniden. Im Wechsel steuern wir eine Tarantel und einen Skorpion durch insgesamt zehn Level und machen Gebrauch von den artspezifischen Fähigkeiten der kleinen Racker. Die Tarantel kann springen, an Decken krabbeln und klebrige Fäden spucken, der Skorpion sticht mit dem Stachel, kann sich einbuddeln, und nutzt seine Scheren, um blockierte Wege freizuräumen.

Doch eine originelle Idee allein macht bekanntlich noch kein gutes Spiel und es wäre keinem zu verdenken, der mit Blick auf die folgenden Attribute erstmal skeptisch ist: Deadly Creatures ist ein – Motion-Control-lastiges – Wii-Spiel aus dem Jahre 2009. Vertrieben wurde es vom „alten“ THQ und entwickelt von den Rainbow Studios, einem Studio in Phoenix, Arizona, das davor – und danach – nur selten etwas anderes entwickelt hat als Rennspiele. Nicht die mit den edlen Karossen, sondern die schmutzigen: Motocross, ATVs, Monster Trucks.

Und dazwischen also: Spinnen und Skorpione. Offensichtlich ließen sich die Entwickler von der Natur vor der eigenen Haustür inspirieren und setzten der oft tödlichen Fauna der Sonora-Wüste ein Denkmal, wie es in Videospielen einzigartig sein dürfte. Zwischen Kakteen und vertrockneten Baumwurzeln entspinnt sich ein staubiger, oft ekliger Mikrokosmos, in dem „fressen oder gefressen werden“ ganz wörtlich zu verstehen ist: Obschon selbst mit den schönsten Mordwerkzeugen ausgestattet, müssen Spinne und Skorpion gegen Klapperschlangen und Eidechsen ums Überleben kämpfen. Und es schließlich auch mit dem Menschen aufnehmen: Zwei besonders fiese Exemplare der beinmäßig benachteiligten Art suchen im staubigen Boden der Sonora-Wüste nach einem Schatz und sind so gar nicht drauf erpicht, der heimischen Tierwelt mit Respekt zu begegnen.

Dabei begeht Deadly Creatures nicht den Fehler, seine Protagonisten in eine vermenschlichende Geschichte zu zwängen, sondern bleibt im Kern realistisch und erzählt das wenige bisschen Story buchstäblich im Hintergrund. Dass die gierigen Rednecks von keinen Geringeren als Billy Bob Thornton und Dennis Hopper gesprochen werden, ist indes nur einer von vielen Belegen, dass Deadly Creatures kein ambitionslos hingeschludertes B-Game ist. Und wenn wir schon bei der Akustik sind: Die Musikuntermalung – die vor allem in den Bosskämpfen zu dramatischen Höhenflügen ansetzt – hat ebenfalls ein dickes Lob verdient.

Gerade vor dem Hintergrund, dass Deadly Creatures der erste Vorstoß der Rainbow Studios auf dem Gebiet der erzählenden Spiele war, beweisen die Entwickler ein erstaunliches Gespür für Inszenierung. Als in einem der späteren Levels am Horizont ein Haus auftauchte, wähnte ich es weit entfernt – bis sich zeigte, dass es tatsächlich ganz nah war, aber scheinbar die Proportionen nicht stimmten: Die für handgroß gehaltene Tarantel war plötzlich breit wie ein Türrahmen. Ein Versäumnis der Entwickler, ein Mittelfinger in Richtung Realismus? Nein – ein Puppenhaus! Aber natürlich.


…und Freunde von God of War.

Apropos Puppenhaus: Ein Spiel für Kinder ist Deadly Creatures nicht: Wie in Pikmin sind wir der Natur ganz nah und sehen die Welt aus ungewohnt „bodenständiger“ Perspektive. Doch Insekten, Reptilien und natürlich Spinnen und Skorpione schenken sich nichts – die Begegnungen zwischen den Wüstenbewohnern sind brutal und blutig. Überhaupt ist das Gameplay am ehesten mit der God-of-War-Reihe vergleichbar. Deadly Creatures ist kein Plattformer und im Spektrum von Action bis Adventure überwiegt die Action. Es reiht sich Kampf an Kampf, und ist ein Gegner erst hinreichend geschwächt, darf unser Skorpion zu Kratos-gleichen Finishern ansetzen, bei denen „aufspießen“ und „in Stücke reißen“ eine prominente Rolle spielen.

Das alles erreicht natürlich nicht die Fluffigkeit des spielmechanischen Vorbilds. Deadly Creatures spielt sich oft ein wenig hakelig – und das liegt nicht einmal an den Motion-Controls, die gut funktionieren und viel zur Intensität des ansonsten schlichten Kampfsystems beitragen. (Eine Idee fand ich besonders cool: Um den Skorpion ins Erdreich einzubuddeln, muss die Wii-Remote kurzerhand umgedreht werden. Wird sie zurückgedreht, folgt ein Überraschungsangriff auf arglose Feinde.) Neben den Bewegungssensoren nutzt Deadly Creatures allerdings auch die Infrarot-Funktion der Wii-Remote (zum Umsehen und um Spinnenfäden auf Feinde zu schießen). Gerade die reagiert seltsam schwammig und verzögert – eine Wii-Kinderkrankheit, die Spiele dieses Jahrgangs eigentlich längst überwunden hatten.

Ein wenig Exploration (Maden!) und Wegfindung dürfen natürlich nicht fehlen, auf echte Denkaufgaben verzichtet Deadly Creatures aber fast völlig. In der Summe ist die spielerische Seite des Titels nicht mehr als Standardkost. Doch sie funktioniert und steht den Stärken des Spiels – dem originellen Setting und der technisch wie inszenatorisch überzeugenden Präsentation – nur selten im Weg.

Gerade wenn der initiale Originalitätsbonus verflogen ist und Deadly Creatures ein, zwei Levels lang den Eindruck erweckt, dass seine Spielidee sich abnutzen und das Gameplay über die Länge des Spiels nicht tragen würde, legen die Entwickler noch einmal nach und führen ihre Protagonisten in einen Außenposten dessen, was der „Apex Predator“ (so der Titel des letzten Levels) Zivilisation nennt: In einer versifften Tankstelle erfahren wir, was „lebensfeindliche Umgebung“ aus Arachniden-Sicht bedeutet. Was bis dahin ein Kampf Natur gegen Natur war, wird nun zwischen Natur und Menschen ausgefochten, mit ökologisch-kritischen Untertönen.

Der unvermittelte Qualitätssprung gilt überraschenderweise auch für die Grafik: Während die stellenweise recht kargen Landschafen der ersten Spielhälfte mit einer aus heutiger Sicht manchmal grenzwertigen Framerate über den Bildschirm zuckeln, stellen die detailverliebten Interieurs der letzten beiden Levels die Engine vor keine solchen Probleme. Sogar einen ansehnlichen Tiefenunschärfe-Effekt kriegt Deadly Creatures plötzlich hin, wie man ihn der Wii kaum zugetraut hätte. (Die Polygonmodelle und Animationen der Tiere sind ohnehin so lebensecht, dass mich die Kontrolle der Tarantel einige Überwindung kostete.)


Deadly Creatures ist ein Wii-exklusives Kleinod, dessen Setting und Präsentation bis heute einzigartig sein dürften. In einer gerechteren Welt wäre ihm der Klassikerstatus sicher. Dass es den nicht hat, hat immerhin den Vorteil, dass es für einstellige Euro-Beträge zu haben ist. Lediglich Menschen mit ausgeprägter Arachno- oder Motion-Control-Phobie sollten um diese fiese kleine Ode an die Wüste Arizonas einen weiten Bogen machen. [sk]


Deadly Creatures
Rainbow Studios / THQ
Designer: Jordan Itkowitz
Komponist: David Lowmiller
Sprecher: Dennis Hopper, Billy Bob Thornton
Gespielt auf und erhältlich für: Nintendo Wii
Erstveröffentlichung: 13. Februar 2009

Quelle Bilder: Eigene Screenshots (off-screen)


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