Ein mysteriöser Tod, ein Bergdorf wie aus einer Parallelwelt, verschlossene Bewohner und ein junger Mann auf der Suche nach Antworten – viele Zutaten für ein interessantes Spiel. Das Schweizer Horror-Mystery-Adventure Mundaun erfuhr zu seiner Veröffentlichung im März 2021 allerdings insbesondere wegen seines außergewöhnlichen Artstyles große Aufmerksamkeit: Der Director und Künstler Michel Ziegler hat alle Texturen von Hand mit Bleistift und Graphitblöcken auf Papier gezeichnet und eingescannt, um die an das real existierende Schweizer Dorf Mundaun angelehnte Welt auf den Bildschirm zu bringen. Seine besonders beklemmende Atmosphäre vermittelt das Spiel allerdings nicht nur durch seine Grafik: Uns erwartet ein Abenteuer zwischen Traum und Albtraum.
Ein alter Bus schlängelt sich die Serpentinen einer einsamen Bergstraße hinauf. Der einzige Passagier ist ein junger Mann namens Curdin. Durch seine Augen blicken wir auf einen Brief vom Pfarrer seines Heimatdorfes Mundaun. Während Curdin den Brief vorliest, erhaschen wir durch die Fenster des Busses erste Blicke auf die einsame und raue Landschaft, die wir in den nächsten Tagen erkunden werden. Unser Großvater Flurin sei bei einem Scheunenbrand ums Leben gekommen und schon beerdigt; es gebe keinen Grund, nach Mundaun zurückzukommen. Wir sollten aber wissen, dass er uns sehr geliebt habe.

Wieso der ausdrückliche Hinweis, man brauche nicht nach Mundaun zurückkehren? Das ist nur die erste einer langen Reihe von Merkwürdigkeiten, die uns im Spiel stutzig werden lassen. In der alten Heimat angekommen, führt uns unser erster Weg zur abgebrannten Scheune des Großvaters. Zu unserer Verwunderung entdecken wir neben der Scheune eine Staffelei mit einem Bild – auf dem genau diese Scheune brennt. Nur bleibt das Gemälde nicht einfach stehen, sondern es weitet sich aus, greift förmlich nach uns – und zieht uns in das Bild hinein. Dort machen wir Bekanntschaft mit einem geheimnisvollen Wesen und finden uns danach im Inneren der abgebrannten Scheune wieder. Zusammen mit den verkohlten Überresten von Großvater Flurin. Wenn er also noch hier ist, wer oder was wurde dann begraben? Sollten wir deswegen nicht zurückkommen? Und was war das gerade mit dem Bild?
Eine andere Welt
Bereits diese ersten Spielminuten machen klar: Wir befinden uns in einem völlig anderen Universum. Nicht nur die Busfahrt auf den Berg und die Nebelwand zum Tal hin trennen Mundaun vom Rest der Welt, sondern auch das, was in dem kleinen Bergdorf geschieht. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht und die friedlich anmutende Landschaft kann darüber nicht hinwegtäuschen. Dabei fängt der extravagante Artstyle des Projekts die vom Spiel vermittelte Atmosphäre perfekt ein und unterstreicht sie zusätzlich: Das Grau des Graphits, mal ganz verwaschen, mal messerscharf hervorstechend in harten Konturen, ruft ein bedrückendes Gefühl hervor.

Im Verlauf des Spiels treffen wir auf einige Bewohner*innen des Dorfes, aber auch sie bleiben seltsam unwirklich. Das mag einerseits an den holzschnittartigen Texturen und den hölzernen Animationen liegen, aber auch an dem, was sie sagen und uns vermitteln. Vieles ist schwer greifbar und vor allem zu Beginn kaum einzuordnen. Ein Gefühl des Unwirklichen zieht sich durch das gesamte Spiel und erinnert immer wieder an einen (Alb-)Traum. Auch Träumen haftet nach dem Aufwachen häufig etwas Unwirkliches an. Auch in ihnen geschehen Dinge, die in der Realität unmöglich erscheinen. Ein Bild, das einen einsaugt? Kein Problem! Eine kopflose Ziege, die uns den Weg weist? Es gab schon Seltsameres!

Stoff für Träume und Albträume
In Albträumen herrscht eine beklemmende Stimmung oft schon bevor tatsächlich etwas Beängstigendes geschieht. So auch in Mundaun. Zeitweilig lässt das Spiel es zu, dieses ungute Gefühl abzuschütteln und sich wie im Urlaub zu fühlen. Man möchte beinahe eine Bergtour planen. Spätestens wenn wir mit einem Sessellift Richtung Gipfel fahren, fühlt sich jede Skifahrer*in im Urlaub angekommen. Das Rattern der Räder, über die das Stahlseil läuft, die Hinweisschilder zum Schließen und Öffnen des Bügels, das Schaukelverbotsschild …, alles ist liebevoll ins Spiel übernommen und lässt einen kurz vergessen, dass eigentlich ein wohlgehütetes Geheimnis zu lüften ist. Dabei müssen wir uns auch immer wieder in Gefahr begeben. Ohne zu viel zu verraten: Genau an diesen Stellen kippt der Alpen-Traum regelmäßig in einen Albtraum. Manchmal verändert sich plötzlich die gesamte Landschaft, manchmal begegnen wir unheimlichen Gestalten, die uns angreifen. Der Schwierigkeitsgrad des Spiels lässt sich übrigens in den Einstellungen anpassen – wer für die Geschichte kommt, tut gut daran, diese Möglichkeit zu nutzen …
Nach und nach tauchen wir also tiefer in die Umstände des mysteriösen Todes unseres Großvaters ein und finden heraus, dass sein Schicksal mit der Geschichte des gesamten Dorfs verwoben ist. In der Welt von Mundaun sind dabei eine Menge Hinweise versteckt, die wir teilweise in unser Notizbuch eintragen und später betrachten können. Manche bleiben aber auch ganz subtil und laden zum Rätseln ein. Das Spiel nimmt uns meistens an die Hand und führt uns mit (nicht immer kopflosen) Ziegen, Tagebucheinträgen und einigem mehr durch das Abenteuer.
Horror und Mystery Hand in Hand
Der Horror liegt dabei einerseits im stets wiederkehrenden Übernatürlichen der Geschichte und andererseits in lebensbedrohlichen Begegnungen mit albtraumhaften Wesen. Im Verlauf des sechs- bis neunstündigen Abenteuers verschlägt es uns immer wieder an Orte, die mit der Realität wenig gemein haben – sei es, weil wir in ein Gemälde gezogen werden, über einen See laufen oder anderweitig von den Mysterien Mundauns überrascht werden. Unseren Protagonisten scheint das wenig zu stören. Auch hier liegt die Parallele zum Traum nahe: Plötzliche Szenenwechsel irritieren auch dort in den wenigsten Fällen, sondern fungieren häufig als gekonnter Kniff, um schnell an einen für den Trauminhalt passenden Ort zu gelangen. Die Implementierung dieser Mechanik ins Spiel spart mitunter nicht nur lange Wege, sondern unterstreicht abermals den (alb-)traumhaften Charakter von Mundaun.
Diese besondere Spiellogik wird gerahmt von der beklemmenden Atmosphäre, die durch Graphitzeichnungen gekonnt unterstrichen wird. Auf blutige und detaillierte Grausamkeiten verzichtet Mundaun komplett, vielmehr spielt es immer wieder mit der Angst des Ausgeliefertseins, die sich sowohl in der übergeordneten Geschichte wiederfindet als auch vermutlich im Protagonisten und uns selbst. So könnte man jedenfalls die eindrückliche Verwandlung von Curdins Spiegelbild interpretieren – deren Ergebnis hier natürlich nicht vorweggenommen werden soll.


Mundaun ist ein im wahrsten Sinne des Wortes beeindruckendes Spiel. Es hinterlässt Eindruck; es bedrückt. Das Spiel mit dem Unwirklichen und dem Beängstigenden wird durch den extravaganten, handgezeichneten Artstyle gekonnt unterstrichen. Dabei macht die Geschichte rund um den jungen Curdin und seinen Großvater Flurin neugierig und trägt gut durch die Spielzeit. Ein Abenteuer, das gekonnt auf dem Grat zwischen entspannendem Wanderausflug und bedrohlichem Albtraum balanciert. [jk]
Mundaun
Hidden Fields / MWM Interactive
Director, Artist, Game Designer: Michel Ziegler
Gespielt auf: Windows PC / Auch für: PS4 & PS5, Xbox One & Series X/S, Nintendo Switch
Erstveröffentlichung: 16. März 2021
Quelle Bilder: Eigene Screenshots
Der Steam-Key wurde uns von Marchsreiter Communications kostenlos zur Verfügung gestellt.
Mehr zum Thema und zu ähnlichen Spielen:
- Lokal ist nicht schlau: Ein Interview mit Mundaun-Entwickler Michel Ziegler von Christof Zurschmitten auf videogametourism.at – Vorsicht, das Interview enthält Spoiler und sollte ggf. erst nach dem Spielen gelesen werden.
- Kritik: Year Walk
- Kurzkritik: Spannungsreiche Zwischenräume – The Space Between