Bis zum 22. April 2021 verschenkt der Epic Store das Indie-Spiel The First Tree. Die Store-Beschreibung verspricht uns zwei ineinander verflochtene Geschichten. Wie wohl eine Füchsin auf der Suche nach ihrem Nachwuchs und ein nicht näher beschriebener »Sohn« zusammenpassen? Das zwei- bis dreistündige Spiel nimmt uns mit auf eine existenzielle Reise rund um Leben und Tod, Schuldgefühle und Versöhnung, die nicht nur psychologisch interessant ist.


In David Wehles The First Tree (2017) erwachen wir als Füchsin in einer verschneiten Berglandschaft. Während wir die ersten Meter im gleißenden Licht der Sonne zurücklegen, hören wir aus dem Off den Dialog des Paares Rachel und Joseph. Es scheint Nacht zu sein – sie fragt ihn, ob er nicht schlafen könne. Nein, er habe einen Traum von einer Füchsin gehabt, die auf der Suche nach etwas gewesen sei. Ihre Augen gingen ihm nicht aus dem Kopf.

In den nächsten Stunden steuern wir also diese Füchsin, die wenige Meter von ihrem Fuchsbau entfernt das erste ihrer verlorenen Jungen findet: tot. Zwei weitere Junge scheinen noch in der Wildnis verschollen und müssen gefunden werden. Unterwegs graben wir allerlei Erinnerungen aus dem Leben des träumenden Joseph aus der Erde aus, der in gewisser Weise ebenfalls etwas verloren hat: die Beziehung zu seinem Vater. Während wir die Füchsin durch abwechslungsreiche Landschaften begleiten, erfahren wir ausschnittartig Geschichten aus dem Leben des Mannes und seiner schwierigen Vater-Sohn-Beziehung. Dabei handelt es sich um keine bombastische Lebensgeschichte, sondern um eine, die gerade in ihrer Alltäglichkeit und Alltagstragik Resonanz in uns auslösen kann.

Zwischen den einzelnen Erzählungen und Gedanken von Joseph, die immer wieder von Rachel kommentiert werden, tun sich je nach Spielstil längere Lücken auf. Wir haben viel Freiheit, die kleinen Open-Worlds zu erkunden und glitzernde Sterne einzusammeln, können uns aber auch einigermaßen linear durch das Spiel bewegen. Untermalt werden die Streifzüge von atmosphärischen Soundtracks, die zum Nachsinnen über das Gehörte einladen.


Die psychologische Dimension

The First Tree ist im Kern ein Walking Simulator. Allerdings ist auch hier die Genre-Bezeichnung eine schlechte Spielanleitung. Wer nur in Speedrunner-Manier durch das Spiel kommen will, wird wenig Freude haben. In diesem Fall sind die Lücken zwischen den narrativen Teilen zu lang. Wer sich aber darauf einlassen kann, diese Leerstellen der Erzählung mit eigenen Assoziationen zu füllen und sich beim Erkunden auch mal in Gedanken treiben lassen kann, investiert seine Zeit vermutlich gewinnbringend. Mit der existenziellen und gleichzeitig alltäglichen Thematik bietet das Spiel dabei genügend Anknüpfungspunkte an eigene Erfahrungen und Gedanken.

The First Tree erzählt in kleinen Häppchen eine Geschichte, wie sie das Leben schreibt. Durch den Traum des Erzählers eingehüllt in eine symbolische Form, die auch niemals konkret ausgedeutet wird, wirft uns das Spiel regelmäßig auf uns selbst zurück. Nutzen wir die Gelegenheit, die Leerstellen zu füllen und uns von dem auch grafisch reduzierten, aber ansprechenden Spiel treiben zu lassen, schreiben wir womöglich an unserer eigenen Geschichte mit. Wer mit einer entschleunigten, persönlichen Erfahrung etwas anfangen kann, ist mit David Wehles The First Tree gut bedient. [jk]


The First Tree
David Wehle
Windows, Mac, Playstation 4, Nintendo Switch, Xbox One, Android [2017/2020]

Quelle Bilder: eigene Screenshots der PC-Version.