Habt ihr schon mal ein VR-Spiel gespielt, in dem man, anstatt zu laufen, dauerhaft von Punkt zu Punkt teleportiert? Selbst für VR-Spiele ist Teleportieren als Fortbewegung eher suboptimal – ein behelfsmäßiges Pflaster für die rissige Kotztüte. Genießen wir VR nicht in erster Linie wegen der Immersion? Und bleibt diese nicht auf der Strecke, sobald eine grundlegende Handlung wie simples Laufen verwehrt bleibt? Das brasilianische Indie-Metroidvania »Dandara« verwandelt das Fortbewegungskonzept des rigiden Springens von A nach B in seine größte Stärke. Allerdings in klassischem 2D, statt in futuristischem VR.
Anstatt wie in nahezu jedem anderen Genrevertreter zu laufen, springt die titelgebende Protagonistin ausschließlich von Wand zu Wand. Normales Gehen ist unmöglich. Wir sind fürs gesamte Spiel darauf beschränkt, mit einem linearen Cursor weiß markierte Wände anzuvisieren und diesen Wänden pfeilschnell entgegenzuspringen. Die Ausrichtung der Wand spielt dabei keine Rolle. Dandara hat nicht nur auf dem »traditionellen« Boden einen felsenfesten Stand; sie klebt gerne gemütlich an der Decke oder seitlich an einer Wand. Von dort aus kann sie mittels diverser Fähigkeiten mit ihrer Umwelt interagieren.

Ursprünglich wurde »Dandara« – laut Aussage der Entwickler*innen – nicht durch das Teleportieren in VR-Welten wie denen von »Skyrim VR« oder »Superhot VR« inspiriert. Stattdessen entstand das gelungene Spielkonzept aus einer anderen Notlösung: Die Entwickler*innen suchten einen Weg, ein klassisches Metroidvania auf dem Touchscreen eines Smartphones spielbar zu machen. Da ein virtuelles Steuerkreuz keine Option war, kamen die Entwickler*innen mit der Idee daher, Dandara einfach mit dem Finger umherzuschnipsen. Die Ideen für PC- und Konsolenports kamen erst deutlich später, als der schwedische Publisher Raw Fury Interesse an dem Spiel gezeigt hat.
Es mag zuerst langweilig klingen, einen Charakter ausschließlich auf diese beschränkte Weise von Wand zu Wand zu steuern. Dass »Dandara« aber alles andere als statisch abläuft, wird bereits zu Beginn des Spiels deutlich. Grund dafür ist die intelligente Steuerung, die für uns mitdenkt und nur selten perfekte Präzision erfordert. »Dandara« korrigiert Sprünge auf nicht-weiße Stellen stets auf die zuletzt mit dem Cursor berührte Kante, wie hier zu sehen ist:

So gerät der Spielfluss nie ins Stocken, selbst wenn wir mal ein paar Zentimeter daneben zielen. Auf diese Weise fliegt Dandara blitzschnell durch Korridore, sofern keine Hindernisse ihren Weg säumen. Gewissermaßen spielt »Dandara« sich also noch flotter als ein herkömmliches Metroidvania… zumindest, sobald wir die Steuerung verinnerlicht haben.
»Dandara« gibt uns absolut keine Hilfestellungen in Form von Wegpunkten oder Zielmarkern. Nach äußerst kurzer Exposition folgt von Anfang bis Ende kompromisslose Erkundung in einer elegant verwobenen Welt. Die originelle Fortbewegung stellt die Herausforderung klassischer Metroidvania dabei buchstäblich auf den Kopf. Springt Dandara an die Decke eines Raumes, fällt die Kameraperspektive zusammen mit der Spielfigur kopfüber. Die Orientierung in den weitläufigen Gebieten ist dementsprechend eine der größten, gleichzeitig aber auch eine der spaßigsten Herausforderungen von »Dandara«. Die Karte liefert eine gute Übersicht, bildet aber nur den Grundriss der kleinteiligen Räume ab. Außerdem dreht die Map sich nicht mit der Kameraperspektive. Es liegt also an uns, die Defizite der Karte mit einem mentalen Lageplan auszugleichen. Dieses buchstäbliche Um-Ecken-Denken hebt die Erkundung in »Dandara« von allen anderen Metroidvania ab. Die kognitive Herausforderung, einen groben Überblick über sich drehende Räume zu behalten, macht ausgedehnte Spielsitzungen fesselnd.

Kämpfe sind in der ersten Hälfte von »Dandara« eher nebensächlich. Sobald genug Zeit vergangen ist, um die grundlegenden Mechaniken zu verinnerlichen, kreuzen zunehmend mehr Widersacher unseren Weg. Die größte Herausforderung der Kämpfe besteht darin, Fortbewegung und Positionierung zu meistern. Der Feind ist sozusagen die Steuerung – ausnahmsweise auf eine positive Weise. Die Tastenbelegung ist simpel und präzise. Trotzdem erfordern die Moves schnelle Reflexe und ein hohes Konzentrationsvermögen.

Wie klassische Metroid-Titel vermittelt »Dandara« seine von brasilianischer Folklore inspirierte Geschichte äußerst subtil und minimalistisch. So ist zum Beispiel die Protagonistin Dandara dem Vorbild einer brasilianischen Freiheitskämpferin des 17. Jahrhunderts entsprungen. Diese historische Kriegerin hat – laut Überlieferung – ihre Kampfkunst genutzt, um geflüchtete Sklaven in der Stadt Palmares zu beschützen. Auch andere Einflüsse brasilianischer Kultur haben es in das Spiel geschafft. So zum Beispiel das moderne Kunstwerk Abaporu von Tarsila do Amaral, das als Inspiration für einen der wenigen NPCs galt.

Dandara dürfte außerdem das erste Spiel auf einer Nintendo-Plattform sein, das ausschließlich von brasilianischen Entwickler*innen geschaffen wurde.
Im mit Metroidvanias überfluteten Indie-Markt hebt »Dandara« sich durch seine originelle Spielmechanik angenehm ab. Es dreht ein einziges Spielelement um 180 Grad und verwandelt auf diese Weise ein ehemaliges Problem in sein größtes Alleinstellungsmerkmal. [pg]

Dandara
Long Hat House / Raw Fury
Nintendo Switch, Xbox One, PS4, Windows PC / Mac OS / Linux, iOS, Android
Erstveröffentlichung: 6. Februar 2018
Design & Development: João Brant, Lucas Mattos
Artist: Victor F. Leão
Quelle Screenshots: Eigene (Nintendo Switch Version)
Quelle Header: Pressematerial
Bild 5, rechte Hälfte: »Abaporu« von Tarsila do Amaral, 1928, Öl auf Leinwand, im Privatbesitz von Eduardo Costantini