Einer geht noch. Im letzten Teil unseres statistikfokussierten Jahresrückblicks geht es um Beiträge, die weniger gut liefen. ICYMI: Den allgemeinen Teil des Jahresrückblicks findet ihr hier, den mit den erfolgreichsten Artikeln hier.
Gab es also Enttäuschungen? Ja, die gab es. Allerdings nicht in dem Maße, dass sie eine Neuauflage unserer „Perlen der B-Seite“ rechtfertigen würden.
Natürlich wünscht man immer allen Artikeln mehr Aufmerksamkeit – und einigen Beiträgen ganz besonders, wenn man den Aufwand kennt, der hinter ihnen steckt. Gerade im unteren Mittelfeld tummeln sich doch einige Artikel, die mit sehr viel Zeit und Mühe verbunden waren, sei es beim Schreiben selbst oder im Rahmen eines ausgedehnten Lektorats, und deren bescheidene Seitenaufrufe das eigentlich nicht rechtfertigen (wenn wir denn allein nach solchen Kriterien arbeiten würden). Bei Beiträgen zu Nischenthemen kommt das allerdings nicht überraschend; da können die noch so aufwändig sein.
In gewisser Weise ist das schade, weil es halt bedeutet, dass Qualität und Originalität eben doch nur bedingt zählen, und Popularität (entweder der Spiele oder des jeweiligen Hot Topics) mehr. Aber verwunderlich ist das natürlich nicht.
Betrachtet man die weniger erfolgreichen Artikel nüchtern und in Relation zu dem, was realistischerweise zu erwarten war, dann gab es 2020 eigentlich keine Artikel, die richtig schlimm performt haben.
Die Artikel auf den allerletzten Plätzen sind dort soweit auch verständlich. Auf der einen Seite sind das nämlich Kurzkritiken, vornehmlich zu (oftmals recht obskuren) Indie-Spielen. Ein paar Beispiele. Indie-Games bringen selten viele Klicks (mit Ausnahmen) und es gibt zwar keinen Grund, warum Kurzkritiken per se weniger Aufrufe erhalten sollten als große Features – aber es ist zumindest weniger ärgerlich, weil der Aufwand nicht derselbe war. Außerdem hatten selbst unsere erfolglosesten Kurzkritiken immer noch mehr Aufrufe als vergleichbare Artikel vor, sagen wir, zwei Jahren.
Die anderen Artikel auf den letzten Plätzen, die keine Kurzkritiken sind, sind fast ausnahmslos in den letzten Monaten des Jahres erschienen. Auch hier einige Beispiele. Kleinvieh macht auch Mist, und diese Beiträge hatten schlicht weniger Zeit, die paar Handvoll Aufrufe zu sammeln, die im Anschluss an den Veröffentlichungszeitraum niedertröpfeln. Oder vielleicht sogar den großen „Durchbruch“ noch zu schaffen, wie die schon erwähnte Kritik zum Capcom Home Arcade, die unter etwas anderen Umständen auf den letzten statt den vordersten Plätzen gelandet wäre. Erfolg und Misserfolg trennt oft ein schmaler Grat, der sich unserem Einfluss entzieht.
Der erfolgloseste Artikel
Eine aktuelle Liste der numerisch erfolglosesten Artikel würde somit fast nur Artikel enthalten, bei denen es nicht überrascht, dass sie auf den hinteren Plätzen landen, oder aber solche, die nur deshalb dort auftauchen, weil sie spät im Jahresverlauf erschienen sind. Das würde ein falsches Bild vermitteln, welche Artikel denn tatsächlich enttäuschend liefen, und deshalb will ich wie schon im Vorjahr auf die „Perlen der B-Seite“ verzichten (auch wenn ich 2018 und 2019 stets viel Freude damit hatte).
Um euch nicht ganz unbefriedigt zurückzulassen, will ich dennoch zumindest den letzten Platz zu nennen: Das ist tatsächlich die Kurzkritik zu „The Space Between“, dem mutmaßlich nischigsten Titel, den wir im letzten Jahr besprochen haben.
Und selbst hier gilt: Es gab schon Schlimmeres. So war der erfolgloseste Beitrag in 2019 (und eigentlich der einzige, der in jenem Jahr so richtig schlecht performte) weit aufwendiger, erhielt aber sogar noch weniger Aufrufe. Das war ärgerlich. „The Space Between“: im Rahmen seiner Möglichkeiten akzeptabel.
Konkrete Zahlen nenne ich wie üblich nicht (nicht, weil sie supergeheim wären, sondern aus Mangel an Vergleichbarkeit). Aber um zumindest die Relationen zu verdeutlichen: Unser erfolgreichster Artikel (also Conker) wurde ziemlich genau 100-mal so häufig aufgerufen wie der erfolgloseste neue Artikel, also The Space Between. In den Jahren 2017 und 2018 betrug diese Spanne lediglich das 50-fache, 2019 allerdings das 130-fache. Der Anstieg in den letzten beiden Jahren erklärt sich dadurch, dass wir inzwischen einige Bestandartikel haben, die durch ihr Ranking bei Google einfach extrem gut laufen.
Übrigens lief auch der letzte Artikel des Jahres, der durch sein spätes Erscheinen traditionell schlechte Chancen hat, weit oben zu landen, in diesem Jahr weit besser als der letzte Artikel des Vorjahres.
Black Lives Matter?
Eine Sache erscheint mir erwähnenswert bzw. stimmt mich nachdenklich, und zwar der ambivalente „Erfolg“ der Lesenswert-Spezialausgabe unter dem Motto Black Lives Matter, die eine Auswahl von Videospiel-Artikeln schwarzer AutorInnen versammelte.
Schauen wir uns die Aufrufe dieser Ausgabe an, dann ist es gar nicht einmal nicht so, dass sie rundheraus schlecht gelaufen wäre – unter den Lesenswert-Ausgaben des Jahres 2020 liegt sie im unteren Mittelfeld. Vor dem Hintergrund, dass es sich „nur“(?) um ein Best-of vergangener Empfehlungen handelte, und zudem um englischsprachige Artikel, ist das zunächst einmal kein ganz schlechtes Ergebnis. Dann wiederum sind fast alle Lesenswert-Ausgaben, die weniger Aufrufe erzielten, erst gegen Jahresende erschienen (die BLM-Ausgabe jedoch im Sommer). Die BLM-Ausgabe könnte deshalb in Zukunft eher noch Plätze verlieren. Die absoluten Zahlen sind und bleiben dennoch okayisch.
Dass das Ganze die Erwähnung wert ist, hat einen anderen Grund: Und zwar die ungewöhnlich große Resonanz auf den Artikels bzw. den zugehörigen Tweet bei Twitter. Der erzielte, soweit ich das überblicken kann, nämlich weit(!) mehr Likes und Retweets als jeder(!) andere Lesenswert-Hinweistweet vor ihm. Und das, obwohl er ohne Mentions der AutorInnen (und damit ohne deren potentielle Retweets) auskam.
Doch tatsächlich auf den Link draufgeklickt, und die dort empfohlenen Artikel auch tatsächlich gelesen, das haben offenbar nur wenige. Was das (möglicherweise) über soziale Medien sagt, kann sich jeder selbst überlegen.
Das soll jetzt auch kein Rant werden (und natürlich freue ich mich über jeden Like und Retweet, ohne die die Aufrufe wohl noch niedriger gelegen wären). Ich finde es allerdings einmal anmerkenswert, wie in diesem Fall Zustimmung (=Likes) und Unterstützung (=Retweets) und tatsächliches Interesse an der Materie (=das Anklicken und Lesen, speziell auch der in der Auswahl verlinkten Texte) augenscheinlich auseinanderklaffen.
Ein naheliegender Gedanke ist die Vermutung einer gewissen Scheinheiligkeit, wie sie den Diskursen in sozialen Medien oft unterstellt wird: Unterstützung bekunden, aber sich dann nicht wirklich für das Thema interessieren. Einen Like, Retweet, Kommentar absetzen, für das gute Gewissen und den Applaus der anderen, aber darüber hinaus nicht tatsächlich aktiv werden. Das ist natürlich möglich, aber nicht die einzig denkbare Erklärung.
Eine andere Erklärung ist die, dass die Liker und Retweeter den Beitrag sehr wohl auch aufriefen (mehr Link-Klicks als Likes hat er allemal), aber eben sonst fast niemand. Mit anderen Worten: Es gab ein ausgeprägtes Interesse und Unterstützung von einer engagierten kleinen Gruppe, bei weitgehender Gleichgültigkeit seitens der Masse?
Die Verlierer
Ganz zum Schluss noch ein paar Worte zu Artikeln, die 2019 sehr erfolgreich waren, 2020 allerdings nicht mehr.
Hier ist zunächst die zweite PRESSEKRITIK zu nennen, die genau genommen schon Ende 2018 erschien, den Löwenanteil ihrer Aufrufe allerdings 2019 und damit dort Platz 3 erzielte. Da der Artikel im letzten Jahr über einen längeren Zeitraum Aufmerksamkeit erhielt, ist die freie Fall im Jahr 2020 umso erstaunlicher. Die Aufrufe, die die Kolumne 2020 noch erzielte, lassen sich buchstäblich an wenigen Händen abzielen. Gleiches gilt für die erste PRESSEKRITIK vom Sommer 2018, die auch 2019 noch gut lief, 2020 allerdings fast gar nicht mehr.
Nur kurzer Ruhm war auch Pascals Konzertkritik beschert, die im letzten Jahr auf Platz 5 landete, aber fast alle ihre Aufrufe im Monat ihres Erscheinens generierte – und danach nur sehr wenige. Auch Johannes‘ Kommentar „Schwierigkeitsgrade – Worüber reden wir eigentlich?“ erzielte nach dem großen Anfangserfolg kaum noch Aufrufe. Das Gleiche gilt für Pascals Kommentar: „Lasst Death Stranding in Ruhe! – Ein frustrierender Diskurs“.
Das ist natürlich alles nicht sehr überraschend, da es sich dabei um Kommentare zu aktuellen Diskursen handelte. Vor diesem Hintergrund erstaunt dann wiederum die Langlebigkeit von Amons Artikel: „Starforge, CodeHatch und wieso wir eine Steam-Filterung brauchen“. Dieser Artikel vom Sommer 2018 war unter den erfolgreichsten Beiträgen in 2019. 2020 tauchte er zwar nicht mehr auf den vorderen 30 Plätzen auf, konnte aber auch weiterhin eine stattliche Zahl von Aufrufen sammeln.
Fazit
Und die Moral von der Geschichte? Ich denke, dass wir mit den Aufrufen, vor allem aber mit unserer Arbeit als solcher, zufrieden sein können. Allein schon die Tatsache, dass wir seit über vier Jahren auf gleichbleibendem (was Beitragsanzahl und Kommentare angeht) bzw. stetig wachsendem Niveau (was Besucher und Aufrufe angeht) existieren, ist nicht selbstverständlich.
Denn wie viele Projekte habe ich im selben Zeitraum kommen und gehen sehen, wirklich spannende Blogs, die aus den verschiedensten Gründen nach ein, zwei Jahren ihre Segel strichen, ins Wachkoma fielen – oder aufs Podcasten umschwenkten. Es ist dann immer sehr bedauerlich, wenn ich (z.B. auf der Suche nach neuen Lesenswert-Artikeln) sehen muss, dass der letzte Beitrag eines geschätzten Blogs nun auch schon über ein Jahr her ist – und ich, statt einen Artikel für Lesenswert zu haben, viel eher entscheiden muss, ob ich die Verlinkung in unserer Blogroll belasse oder nicht.
So schaut die deutschsprachige Games-Blog-Landschaft gegenwärtig leider ziemlich trist aus. Umso wichtiger ist es, vielversprechende Projekte mit offenen Armen zu empfangen und zu unterstützen, auf dass ihnen ein längerer Atem und ein größerer Erfolg beschert sein mögen. Exemplarisch möchte ich WALL JUMP nennen, die im Juni 2020 online gingen. Deren Texte lesen sich wunderbar frisch und unverbraucht und machen den Blog so zu meiner liebsten Neuentdeckung des vergangenen Jahres. Schaut doch mal vorbei.
Unabhängig davon, wie man die Entwicklung von SPIELKRITIK.com in den letzten fast fünf Jahren sieht, ist zumindest Inaktivität keine Gefahr, die hier jemals bestanden hat (oder in naher Zukunft bestehen dürfte). Das liegt, denke ich, zu einem erheblichen Teil auch daran, dass wir unsere zwei, drei fixen Rubriken haben, die dafür sorgen, dass es auch in etwas ruhigeren Monaten eben nie ganz still wird.
Nun denn. Auf nach 2021 und – ab April dann – auf ins sechste Jahr! [sk]