Ein frohes neues Jahr alle miteinander, und herzlich willkommen zu Lesenswert #142!

„Alles auf Anfang“ – so lautet der Titel eines Artikels von Mirko Lemme, der die Faszination eines in den Werkszustand zurückversetzten Spiels ganz wunderbar einfängt und daher bestens geeignet ist, die 2021er Saison von Lesenswert zu eröffnen.

Ein Highlight dieser Ausgabe ist ein Artikel ein wenig abseits des Tellerrandes, in dem es zwar nicht exakt um Videospiele geht, aber um Game Design generell – und was die QAnon-Verschwörungstheorien damit gemeinsam haben. Auch vor dem Hintergrund des Angriffs auf das US-Kapitol sehr lesenswert.

Ebenfalls mit dabei: Andi Dittmann, dessen Reihe „Ethik und Moral in Computerspielen“ ich lese, wann immer eine neue Folge erscheint. Dom Schott über eine Brücke in Assassins’s Creed: Valhalla, die dort nicht hingehört. Damien McFerran über den Mann, dessen Spiel für Nintendo nicht gut genug war, weshalb Nintendo das NES für 3rd-Party-Software öffnete. Und als Rausschmeißer: Seniorgamer Harzzach über Indiana Jones als Möchtegern-Tomb-Raider.

Dazwischen: Twin Mirror. Meine Aversionen gegen Spiele aus dem Hause DONTNOD sind kein Geheimnis und entsprechen etwa denen, die andere Leute gegen David Cage und Quantic Dream hegen (mit bekannten Ausnahmen). Da muss es schon mit seltsamen Dingen zugehen, dass ich hier einen Artikel empfehle, der ein DONTNOD-Game in höchsten Tönen lobt (und generell: dass ich hier ein Review verlinke). Doch Benja Hillers Review liest sich wunderbar und hat bei mir doch tatsächlich das Interesse an einem Titel geweckt, der mich zuvor kaum weniger hätte interessieren können, dessen Stärken die Autorin jedoch fabelhaft darzulegen weiß.

Und ist es nicht das, was einen guten Artikel ausmacht: Eine andere Perspektive nachvollziehbar zu machen und das Potential zu haben, eine vorgefertigte Meinung zu ändern?

Last minute schafft es außerdem auch noch ein heißer Anwärter auf den Titel „missverstandenster Gaming-Artikel des Jahres“ in die Auswahl: Francesco Giammarco über ein vermeintliches Hobby für Kinder, das sich als vielschichtiger herausstellt als erwartet – wie sein Artikel auch.

Den Abschluss bilden auch diesmal zwei Hörempfehlungen. Mehr zu denen weiter unten. Viel Spaß! [sk]


Alles auf Anfang
(wall-jump.com, Mirko Lemme)

[…] Ein Haufen grauer Plastik-Cartridges liegt vor mir auf dem Boden. Heute stehen mir nur zwei Stunden TV-Zeit zu, die ich mit Gaming verbringen will und ich versuche mich zu entscheiden. Ich habe sie alle bereits gespielt, bis zum Ende. Die Welten, aus denen ich wählen kann, sind mir vertraut. Ich entscheide mich für Wave Race 64, lösche den Speicher und fange von vorne an. […]

A Game Designer’s Analysis Of QAnon
(medium.com, Reed Berkowitz)

[…] In one of the very first experience fictions (XF) I ever designed, the players had to explore a creepy basement looking for clues. The object they were looking for was barely hidden and the clue was easy. It was Scooby Doo easy. I definitely expected no trouble in this part of the game. But there was trouble. I didn’t know it then, but its name was APOPHENIA. Apophenia is: “the tendency to perceive a connection or meaningful pattern between unrelated or random things (such as objects or ideas)”. […]

Twin Mirror Review | Gedankenversunken
(welcometolastweek.de, Benja Hiller)

[…] DONTNOD Entertainment gelten seit Life is Strange als Meister des Geschichtenerzählens. Doch ungefähr genauso lange verfestigt sich in Social Media Bubbles und Rezensionen immer wieder die Ansicht, dass sie ebenfalls nie wieder so gut gewesen sind. […] Dass im Videospielbereich dann vor allem die Erzählung um die Teenager an der Kunstschule breiteren Zuspruch erfährt, als die über den knapp 40 Jährigen, der in seinen Heimatort zurückkehrt, mag da wenig überraschend sein. […]

Ethik und Moral in Computerspielen // The Westport Independent
(textualien.wordpress.com, Andi Dittmann)

[…] Es ist geradezu absurd, wie platt das Zeitungsmachen dargestellt wird. […] Hinzu kommt, dass ich meinen Redakteur*innen ja im Prinzip vorschreibe, welche Botschaft ihr Artikel haben soll und welche Informationen sie weglassen sollen. Das hat mit gutem Zeitungs-Journalismus wenig zu tun und erinnert an sich ja schon an ein autoritäres Regime. […]

Mitgefühl für die Zombies
(zeit.de, Francesco Giammarco)

[…] Dann las ich, dass auch dieses Spiel etwas Besonderes macht: Es lässt einen nicht nur in die Haut der Protagonistin schlüpfen, sondern auch in die der vermeintlich bösen Antagonistin – als eine große, interaktive Lektion in Empathie und Perspektivwechsel. Ich habe die Konsole dann einen Monat früher zurückgegeben. Mir wurde einfach klar, dass Gaming eher was für Kinder ist. […]

Warum steht diese Brücke in Assassin’s Creed Valhalla?
(okcool.space, Dom Schott)

[…] In Assassin’s Creed Valhalla steht eine Brücke, die dort eigentlich nicht stehen darf. Davon war ich überzeugt, als ich sie zum ersten Mal entdeckte. Sie überspannt einen fast ausgetrockneten Bach mitten in der frühmittelalterlichen Open-World-Pampa Englands auf eine derart spektakulär angewinkelte Weise, dass ich mich einfach fragen musste: Wer baut solche Brücken, wo drei nebeneinander gelegte Holzbretter vollkommen ausgereicht hätten? […]

Best Of 2020: The Unsung Genius Who Tempted Nintendo’s President To Pick Up A Joypad
(nintendolife.com, Damien McFerran)

[…] Scarff may not be a household name, but he was unwittingly instrumental in opening up the third-party licencing business for Nintendo’s Famicom in Japan […]. While Nintendo had signed licensing agreements with arcade companies like Capcom, Konami and Namco […], it was sceptical that home computer companies would understand how to make successful console titles, which resulted in the Famicom getting a selection of games that arguably didn’t accurately reflect the trends in the Japanese games industry – RPGs, for example, were pretty much the sole preserve of home computers like the PC-88 and Sharp X1 at this time. […]

Späte Reue
(seniorgamer.blog, Harzzach)

[…] Nicht länger schnarchig und langweilig den Bildschirm nach dem einen manipulierbaren Pixel absuchend, sondern sich zopf- und hüftwackelnd durch verlassene Ruinen und andere exotische Lokalitäten fetzen. […] Und weil damit so dermaßen viel Asche zu machen war und Adventures sich auf dem Weg in die Nische deutscher Indie-Entwickler begeben hatten, wurde das neue Herr Jones-Spiel folgerichtig auch als Action-Adventure im Stile von Frau Crofts lukrativen Abenteuern gestaltet. […]


Hörenswert

Folge 58: Bücher über Spiele und gespielte Bücher
(Kapitel Eins; 30.11.2020; 01:27:53)

Huch, ein Buch-Podcast in einem Games-Format? Ja, richtig. Nach Jahren des regelmäßigen Hörens von Kapitel Eins hab ich nun endlich die Gelegenheit, auch diesen Podcast einmal zu verlinken – wenn auch nicht in der gewohnten Besetzung mit Falko Löffler und Jochen Gebauer, sondern mit Ersatz-Jochen Sebastian Stange. Der diskutiert mit Falko nicht nur zwei neue Bücher über die Geschichte von Sierra Entertainment und Firmenchef Ken Williams, sondern schafft es auch, seine Faszination für einen mehrere Hunderttausend Zeichen langen Fantasy-Fortsetzungsroman mit RPG-Setting zu vermitteln. [sk]

Pitfall! (SF 104)
(Stay Forever; 29.11.2020; 01:40:36)

Ein ganz großer Klassiker der Videospielgeschichte ist das Thema dieser Folge von Stay Forever. Pitfall! – das Spiel mit dem Ausrufezeichen, das Activision bekannt machte. Wer sich fragt, was es sonst noch zu einem fast 40 Jahre alten, spielerisch simplen Titel knapp zwei Stunden lang zu sagen gibt, der kennt offenbar zum einen Stay Forever nicht, und zum anderen nicht die spannende Entstehungsgeschichte des Jump-and-Run-Klassikers. Am interessantesten fand ich dabei die Erörterung der technischen Hintergründe, wie es möglich war, atemberaubende 255 einzigartige Levels in ein 4-Kilobyte-Cartridge zu pressen, die zufallsgeneriert, jedoch nicht zufällig sind. Hä? [sk]


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Beitragsbild dieser Ausgabe: Promo-Artwork zu The Westport Independent, Coffee Stain Studios 2016.