Die Games-Lesetipps zum Wochenende sind wieder da! Ausgabe 138.
In der Tat, es ist ein Weilchen her. Zwei Monate um genau zu sein, in denen andere Schreib-Aufgaben mich dazu zwangen, Lesenswert hinten anzustellen. Ganze 75 Bookmarks hatten sich in der Zwischenzeit auf meiner Kandidatenliste angesammelt! Nun gut, die Hälfte davon kommt erfahrungsgemäß nie in die engere Auswahl. Doch selbst das, was dann noch übrig blieb, war allerhand. Kurzerhand habe ich mich deshalb den Artikeln zugewandt, die zu lesen ich gerade Lust hatte.
Es erwarten euch deshalb Texte zu einigen meiner persönlichen Lieblingsspiele: Perfect Dark, Mirror’s Edge, aber auch zum weniger bekannten Wii-Horror-Game Cursed Mountain. Auch zur Pokémon-Snap-Postkarten-Protestaktion habe ich einen direkten Bezug. Einen Mini-Schwerpunkt bildet das Thema Spiele-Journalismus – im Feuilleton ebenso wie in spezialisierten Printmagazinen. Ein oder zwei weitere Schwerpunktthemen reiche ich in der kommenden Ausgabe nach.
Highlights? Machen wir uns nichts vor, die deutschsprachige Spiele-Blog-Landschaft ist in einem bedauernswerten Zustand. Da ist es umso schöner, wenn dann doch einmal ein vielversprechendes Projekt am Horizont auftaucht – so wie wall-jump.com. Habe ich bei anderen Blogs immer häufiger den Eindruck, den Inhalt eines Beitrags schon zu kennen, bevor ich auch nur eine Zeile gelesen habe, kommt Wall Jump erfrischend eigenständig daher und weiß selbst Super Mario 64 noch neue Facetten abzugewinnen. Einer der gelungensten Beiträge des jungen Multi-Autoren-Blogs fungiert deshalb als Headliner dieser Ausgabe – ein anderer als kleiner aber feiner Rausschmeißer.
Halt! Ein Podcast-U-Boot erhebt sich auch noch aus den Tiefen.
Und für den Fall, dass ihr die letzten zwei Monate unter einem Stein verbracht habt: Pascals „Sehenswert“ fehlt nicht, sondern lebt als eigenständige Rubrik weiter. Schaut deshalb nächste Woche wieder rein, falls euch nach aktuellen Video-Empfehlungen dürstet. Und nun viel Spaß beim Lesen! [sk]
Ein Königreich für einen Schlossgarten
(wall-jump.com, Mirko Lemme)
[…] Die Branche huldigt oft und gerne Level 1-1 aus Super Mario Bros. als Vorzeigeexemplar eines intuitiven Tutorials. Ich behaupte, der Schlossgarten aus Super Mario 64 ist das eigentliche Kronjuwel aller Einstiegslevel, in dem Nintendo vor allem von zwei Dingen Gebrauch machte: Raum und Zeit. […] Kein großes Ereignis am Horizont, von dem Mario sich bzw. ich mich anziehen lassen muss, kein Pfeil oder Wegweiser, nicht einmal Musik. Diese Ruhe. Diese Freiheit. Nur meine Neugier und die erwartungsvolle Ganzkörperatmung des Klempners. […]
Die Verdoomung des Feuilletons – Kulturjournalistisches Schreiben über Computerspiele
(54books.de, Christian Huberts)
[…] Im Text wird weniger vom Spiel als seiner Story erzählt und selbstbewusst aber falsch erklärt: »Bis jetzt konnte man sich im Genre [sic] der Computer- und Videospiele, […] nahezu alles vorstellen, aber eben kein Kammerspiel.« Dieser Mangel an Vorstellungskraft ist offenbar symptomatisch für das Schreiben über Games im Feuilleton. […] Sicher, kein Beitrag kann oder muss jeglichen Kontext abbilden, aber wenn Aussagen nur dann tragfähig sind, solange es das Publikum nicht besser weiß, ist das ein Problem. […]
Digitale Welten auf Papier
(companions.de, Merlin Nolte)
[…] Zu den wenigen Überlebenden der digitalen Götterdämmerung haben sich ein paar neue Vertreter des Videospiel-Journalismus gesellt. Ein wenig Wahnsinn und Leidenschaft gehört wohl dazu, heute ausgerechnet über Videospiele auf bedrucktem Papier berichten zu wollen. Und: Jede Menge frische Ideen, um dem Sujet gerecht zu werden und sich auch langfristig halten zu können. Das Bookazine WASD und das Magazin GAIN schaffen das schon seit einigen Jahren. Anlass genug, mal zu schauen, was dort aus dem Scheitern der Vorgänger gelernt wurde. […]
The Relatable Dystopia
(unwinnable.com, Mark Hill)
[…] The bright, sunny days of Mirror’s Edge illuminate a colorful city no more advanced than any on the planet today, and the authorities you encounter have far less firepower than most American police departments. It all looks beautiful – Mirror’s Edge is perhaps best remembered for its serene aesthetics – but it is quietly as restrictive as any overt police state. […] If you can accept having your data mined, your media rendered toothless and your questions left unspoken, you will have a comfortable life in a modern, gorgeous city. […]
Nintendo Not-So-Direct
(pressakey.com, Tim Bissinger)
[…] Keiner von uns ist so naiv zu glauben, Nintendo hätte die Entwicklung neuer Spiele aufgegeben. Aber manchmal möchte man das glauben. Nicht, weil es realistisch wäre. Aber es ist zumindest der Versuch einer Erklärung dafür, warum man nichts mehr von The Legend of Zelda: Breath of the Wild 2 und Bayonetta 3 hört […] und der jüngst veröffentlichte Release-Plan mit Pikmin 3 Deluxe sage und schreibe ein einziges Spiel konkret terminiert – das dann auch noch eine abermals überteuerte Neuauflage ist. […] Was ist da los in Kyoto? […]
Wider die Henry-Fordisierung des (Rollen)Spieles
(seniorgamer.blog, Harzzach)
[…] Und das ist auch der Grund, warum mich viele RPGs in den letzten Jahren immer weniger emotional berührt haben. […] Ich habe keine emotionale Verbindung zum Spiel, zu Story und Charakteren aufbauen können, weil es auf Grund zu vieler (!) Komfortfeatures einen zu großen Abstand zum Geschehen auf dem Bildschirm gab. Wozu mitfiebern, wenn doch alles automatisch abläuft? Wozu sich mit der Gameplay-Mechanik und allen anderen Möglichkeiten im Spiel zu beschäftigen, wenn es doch auch so geht? […]
„Red Dead Redemption 2“: Gebt uns einen Kurzmodus
(derstandard.at, Zsolt Wilhelm)
[…] Was fehlt, ist die Option, eine gestraffte Fassung der Story erleben zu können. […] Damit bekäme man zwar nicht jedes einzelne Detail mit und würde nicht jeden einzelnen Charakter kennenlernen, doch dafür einen vermutlich viel wesentlicheren Gesamteindruck erhalten, um bereit für die Fortsetzung zu sein. Statt „Easy“, „Normal“ und „Hard“ könnten Entwickler es mal mit „Short“, „Normal“ und „Long“ probieren. […]
#durchgeblättert (2): Als Pokémon Snap (N64) in DE gecancelt wurde – und es Protest-Postkarten hagelte
(retrovideospiele.com, Jörn Skowronek)
[…] Die Menschen des Jahres 2000 hatten viele Sorgen. Zum Jahreswechsel fürchteten sie noch den Ausfall sämtlicher Computersysteme. Im März sahen Anleger im Zuge der platzenden Dotcom-Blase ihre Felle davon schwimmen. Zeitgleich ereilte hierzulande die jüngere Generation eine neue Hiobsbotschaft: Nintendo strich Pokémon Snap von der Release-Liste. Mussten sie auf die Foto-Safari um Pikachu, Glumanda und Co. gänzlich verzichten? Doch ein Silberstreif am Horizont war zu erkennen – in Form einer Postkarte. […]
„Foreign Devils not know Mountains!“ (Fallstudie 12: Cursed Mountain)
(hgp.hypotheses.org, Eugen Pfister)
[…] Die Developer Diaries des Spiels […] zeigen in aller Deutlichkeit, dass es den Entwicklern wichtig war, sich ausführlich mit der tibetischen Kultur und dem buddhistischen Mystizismus auseinanderzusetzen. Auch der Versuch, rituelle Handbewegungen in die Spielmechanik zu implementieren, verdeutlicht, dass den Entwicklern nicht einfach nur an einem möglichst exotischen Szenario gelegen war. Und trotzdem bleibt es unbewusst ein europäischer Blick auf einen exotischen, vor allem aber fremden Osten in der Tradition von Edward Saids „Orientalismus“. […]
Variety, inclusion, and diversity the buzzwords in video game development with the addition of Singaporean and Malaysian characters
(scmp.com, Haneesa Begum)
[…] From a fighter robot that speaks in Singaporean slang to a Malaysian influencer who dons a head wrap, a variety of Southeast Asian characters have begun cropping up in video games – giving the region’s gamers a chance to play as someone they can relate to. […]
Questions with: Game Scriptwriters and Friends
(gregbuchanan.co.uk, Greg Buchanan)
[…] Featuring over 20,000 words from a variety of leading game writers and narrative designers reflecting on different genres and topics in their medium. […] 1. How do you get your ideas? 2. Writing romance in games 3. Writing historical games 4. Writing the supernatural in games 5. Writing Telltale games 6. Writing horror in games 7. Writing space in games and other media. […]
Ein Augenblick im Dunkeln
(wall-jump.com, Matthias Mirlach)
[…] Ich sehe den Feind, doch er mich nicht. Ich bin Joanna Dark. Dies ist ist wirklich die perfekte Dunkelheit. […]
Hörenswert
Silent Service (SF 101)
(Stay Forever; 30.08.2020; 01:37:52)
Gunnar Lott und Christian Schmidt zeigen wieder einmal, was sich aus dem Thema Retro-Games herausholen lässt, wenn man es nur richtig anstellt. Hätte ich erwartet, dass mich eine spielfilmlange Unterhaltung über ein mir unbekanntes Game, aus einem für mich uninteressanten Genre, das älter ist als ich, so sehr mitreißen würde wie diese? Bestimmt nicht. Ich habe mindestens so viel über U-Boote und den U-Boot-Krieg im Zweiten Weltkrieg gelernt wie über das Spiel selbst: die 1985er U-Boot-Simulation Silent Service aus den Händen von Sid Meier. Doch nicht nur der geschichtliche Hintergrund des Szenarios wird beleuchtet, sondern auch die gleichermaßen historische zeitgenössische Rezeption des Titels. Dass die deutsche Spielepresse der 80er Jahre Silent Service als unmoralisch empfand, und ob und warum man die „realistische“ Militärsimulation auch heute problematisch finden kann, ist Gegenstand eines intensiven Schlagabtausches zwischen den Podcastern. [sk]
Lust auf mehr? Die Games-Leseempfehlungen gibt es mindestens einmal im Monat auf SPIELKRITIK.com. Die letzte Ausgabe von Lesenswert findet ihr HIER.
Beitragsbild dieser Ausgabe: Super Mario 64, Nintendo 1996. Bildquelle.
Der Red Dead Redemption 2-Beitrag war sehr aufschlussreich. Mich würde wirklich interessieren, wie ein solcher Kurzmodus in Open-World Spielen funktionieren könnte. Müssten Spieler dann nicht mehr stundenlang durch die Landschaft reiten und würden sie mithilfe einer Cutscene zum nächsten Zielort geleitet werden? Mir stellen sich einige spannende Fragen, die ich gerne in der Praxis umgesetzt haben möchte.
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Das sind wirklich spannende Fragen. Ich denke, dass es auf RDR2 bezogen nicht allzu klug wäre, einfach das Reiten durch die Landschaft zu streichen, weil die damit verbundenen Eindrücke das Spiel ja auch irgendwie ausmachen. Im Idealfall sollte eine Kurzfassung die Essenz der Spielerfahrung beibehalten, die im Falle von RDR2 halt auch in der Langsamkeit besteht. Sinnvoller wäre es da, komplette Teile der Story rauszunehmen oder zusammenfassen, im Idealfall auf eine Weise, bei der gar nicht auffällt, dass etwas fehlt.
In Bezug auf existierende Spiele stelle ich es mir sehr schwer vor, so etwas umzusetzen, wie man ja auch einen Roman oder einen Film nicht mir nichts, dir nichts auf die Hälfte der Länge kürzen kann. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass in vielen Fällen eine gewisse Spiellänge notwendig ist, um die Spieler mit der Spielmechanik vertraut zu machen. Gerade weniger fortgeschrittenen Spielern kann man nicht im Stundentakt neue Spielmechaniken hinwerfen, die im Normalfall auch aus Gründen der Eingewöhnung über einen längeren Spielzeitraum verteilt auftauchen. Man müsste also auch den Schwierigkeitsgrad und die Komplexität anpassen.
Das ist alles nicht einfach, aber vermutlich auch nicht unlösbar. Wenn Spiele von Grund auf mit unterschiedlichen Spiellängen im Hinterkopf entworfen werden. Bei Schwierigkeitsgraden ist das ja nicht grundsätzlich anders. Die lassen sich auch nicht reibungslos in Spiele einbauen, die mit diesem Gedanken nicht entworfen wurden. Wir kennen mittlerweile aber auch viele Methoden, um Schwierigkeitsgrade anzupassen. In Bezug auf variable Spiellängen müssten solche Lösungen erst noch entwickelt werden. Wenn ein Spiel aber von Grund auf so entwickelt wird, dann sollte das nicht unlösbar sein.
Bereits heute gibt es ja insbesondere in Open-World-Games Design-Konventionen, die den Spielern erlauben, die Länge ihrer Spielerfahrung zu beeinflussen. Das ist aber in den meisten Fällen noch nicht optimal gelöst. Und generell ist es ja auch noch so, dass die ideale Spiellänge auch davon abhängt, wie viel Spaß man mit einem Spiel hat. Ein Spiel, das man auf „kurz“ beginnt, möchte man, wenn es einem gefällt, dann vielleicht doch lieber auf „lang“ erleben.
Es ist also alles nicht so einfach. Ich denke trotzdem: Wenn man erst einmal anfängt, in diese Richtung zu denken, dann werden sich da interessante Lösungsansätze entwickeln.
Die Königsdisziplin wäre wohl – analog zum adaptiven Schwierigkeitsgrad – eine adaptive Spiellänge. Ein Spiel, das erkennt, ob ich pflichtschuldig von einer Hauptmission zur nächsten renne, weil ich das Ende sehen will, und dass sich dann automatisch kürzer fasst, alles nicht unbedingt Notwendige über Bord wirft. Oder dass mir mehr Missionen zur Pflicht macht, wenn es erkennt, dass ich auch noch 50 Stunden noch Spaß am Erkunden der Spielwelt habe.
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