Wo liegt der größte Vorteil einer Schallplatte gegenüber jeglichen anderen Tonträgern? Besserer Sound? Vielleicht auf High-End-Geräten. Für mich überzeugt ein Album auf Vinyl in erster Linie durch das gewaltige Cover-Artwork, das der Umschlag einer LP unweigerlich mitbringt. Ein gutes Albumcover weckt nicht nur das Interesse der Betrachtenden; es erweitert den Genuss des ansonsten komplett auditiven Mediums auf eine zusätzliche ästhetische Ebene. Einige der besten Albumcover der Musikgeschichte wie die von Pink Floyd (um mal das offensichtlichste Beispiel zu nennen) ergänzen die dazugehörige Musik auf eine symbiotische Art und Weise. Das eine wäre ohne das andere kaum vorstellbar.

Auch bei Spielen sagt ein gutes Cover-Artwork mehr als tausend Klappentexte. Vor allem vor der Jahrtausendwende waren Impulskäufe im Einzelhandel Gang und Gäbe. Schließlich konnte man sich mangels frei zugänglicher Internetportale nur schwer über Neuerscheinungen informieren. Kund*innen, die Videospiel-Magazine lasen, waren die Ausnahme. Auch klassische Marketingformen wie TV-Werbespots waren für Spiele weniger verbreitet. Das Cover eines Produkts im Ladenregal spielte dementsprechend eine maßgebliche Rolle bei der Kaufentscheidung.


Nun könnte man behaupten, dass aufwendige Cover-Artworks, zusammen mit physischen Spieleverkäufen, langsam aber sicher aussterben. Doch ganz abgesehen davon, dass physische Spiele immer noch beliebter sind, als Statistiken es vermuten lassen, ist diese Annahme nur partiell begründet. 

Es ist wahr, dass Geschäfte heutzutage immer weniger Spiele in klassischen Boxen oder Hüllen verkaufen. Allerdings sind Cover-Artworks weit vom Tod entfernt. Sie tauchen lediglich an anderer Stelle wieder auf: In den Menüs unserer Konsolen-Betriebssysteme und unseren PC-Launcher-Bibliotheken.

Man mag an einigen Stellen merken, dass dieser Artikel ursprünglich Anfang 2018 entstanden ist. Mit dem anstehenden Release neuer – teils exklusiv digitaler – Konsolen, deren UI (user interface) uns bisher unbekannt ist, ist das Thema dennoch relevanter denn je.


Digitale Spielbibliotheken im Vergleich

Die Wurzeln des digitalen Mainstream-Spielevertriebs beginnen bei Handyspielen und Steam. Da ältere Telefone nicht über die Kapazitäten verfügten, aufwendige Cover-Artworks darzustellen, seien diese hier entschuldigt. Mobile Games hatten zur Prä-Smartphone-Ära zudem lange nicht den Stellenwert, den sie heute genießen. Ich verstehe allerdings nicht, wieso iOS den Nutzer*innen bis heute die Möglichkeit verwehrt, ihre Spielbibliotheken auf visuell ansprechende Weise darzustellen. Meisterwerke wie »Gorogoa«, »Her Story« oder »The Banner Saga« wären einer aufwendigeren Präsentation im Home-Menü mehr als würdig. Selbst Apple Arcade, das im September 2019 Games auf iOS noch mehr in den Mittelpunkt rückte, bietet keine ansprechende Katalogisierung abseits der üblichen Homescreen-Ordner.

Steam präsentierte den Spielekatalog in der Standardansicht sehr lange äußerst pragmatisch in Listenform. Selbst die rechteckigen Icons, die optional eingeschaltet werden konnten, sahen kühl, lieblos und unharmonisch aus. Vielleicht weil haptische Spielecover der letzten Jahre traditionell vertikal statt horizontal waren. Eine quadratische Darstellung, wie sie auf den meisten anderen Plattformen üblich ist, wirkt, im Vergleich zum von Steam (damals) gewählten 5:2-Seitenverhältnis, wie die natürlichere Evolution. Das große Update der Steam Library im Ende 2019 verbesserte viele dieser Unfeinheiten. Auch Konkurrenten wie der Epic Games Store oder der GOG Galaxy Launcher wissen, wie sie digitale Bibliotheken präsentieren sollten. Doch wie sieht es mit den Konsolen von (noch) heute und gestern aus?

Das Systemmenü der Nintendo Switch präsentiert Bibliotheken als eine Aneinanderreihung großer, detaillierter Artworks, die klassischen Spielecovers gar nicht so unähnlich sind. Das Scrollen ist schnell, flüssig und von dezenten, aber prägnanten Soundeffekten untermalt. Alternativ zur Standardansicht bietet die Switch ab mehr als zehn Spielen die Möglichkeit, die Bibliothek in einer bildschirmfüllenden Anordnung von Kacheln anzuzeigen. Nintendo fand hierbei einen angenehmen Kompromiss zwischen Symbolgröße und Übersicht. Die Artworks sind weder so klein, dass ihre Schönheit verloren ginge, noch so groß, dass das schnelle Suchen nach einem bestimmten Spiel umständlich wäre. Dadurch, dass die Symbole quadratisch statt horizontal wie bei Steam sind, entsteht beim Scrollen außerdem ein gleichmäßigeres Gefühl auf beiden Achsen der Anzeige.

Das Dashboard der PlayStation 4 bietet einen ähnlichen Ansatz wie das lineare Standardmenü der Switch, versagt aber in einer übersichtlichen Darstellung der gesamten Bibliothek. Hier einmal der Vergleich:

Die PS4 schafft es gerade mal, neun Spiele zur selben Zeit darzustellen. Das ist nicht nur unpraktisch, wenn wir uns durch dutzende Spiele wühlen; es ist auch wenig hübsch, da die Darstellung der Symbole durch unnötig sperrige Textboxen mit Titeln der Spiele verwässert wird.

Während sich die Gesamtübersicht der Nintendo Switch beinahe wie ein Regal voller Spiele anfühlt, wirkt die Übersicht der PS4 lediglich wie das, was sie nunmal ist: Ein Menü in einem Betriebssystem.

Ebenfalls löblich ist, dass Nintendo bei der Switch nicht nur die Symbole der von physischen Cartridges installierten Spielen dauerhaft mit einbezieht, sondern auch die gelöschten Spiele mit einem kleinen „Gelöscht“-Vermerk in der Übersicht behält. So kann man ruhig mal ein wenig Platz im Systemspeicher schaffen, ohne sich darüber sorgen zu müssen, dass das gelöschte Spiel in den Tiefen eines isolierten Kaufverlaufs verschwindet. Auf der Switch sind also zu absolut jeder Zeit sämtliche Spiele im selben Menü sichtbar. Der Blick zum physischen Spieleregal oder in Einkaufsverläufe des eShops wird somit vollkommen obsolet. (Optional lassen sich die richtigen Stinkstiefelspiele natürlich auf ewig aus dem Dashboard verbannen.)

Ich habe mir im Vorfeld des Switch-Releases große Sorgen darum gemacht, ob Nintendo diesmal eine visuell ansprechende Spielebibliothek auf die Reihe bekommen würde. Ihre Ergebnisse bei 3DS und Wii U waren, meiner Meinung nach, absolut beschämend.

Natürlich – diese Menüs sind äußerst übersichtlich. Aber – zumindest für mich – entsteht ein höheres Wertgefühl, wenn meine digitalen Einkäufe auf elegante Weise präsentiert werden. Die minimalistischen Logos der 3DS- und Wii U-Dashboards sehen nicht aus wie Spiele, die Teil meiner Sammlung sind. Sie sehen aus wie Verknüpfungen zu Programmen auf einem Windows PC.

Selbst die PlayStation Vita, bei der ich, aufgrund der abstrus günstigen Sale-Preise, zu 100% auf digitale Games gesetzt habe, präsentiert meine Bibliothek nur wenig ansprechend. Manchmal sehen die kreisförmigen Symbole sogar aus, als hätte man einfach die Ränder eines ursprünglich quadratischen Bilds abgeschnitten.

Immerhin macht sie es aber besser als die PS3, die meine Spiele in einer ellenlangen Liste inklusive kleiner Symbole auflistet. Das ist besonders ärgerlich, wenn man sich anschaut, wie hübsch die direkte Konkurrenz, die Xbox 360, die Softwarebibliothek löst – wenn auch erst nach der zigsten Revision des Betriebssystems. Auch die Xbox One nutzt ein äußerst übersichtliches und elegantes Design. Vor allem die vielen Sortier- und Filterfunktionen machen die Bedienung ziemlich komfortabel. Vor allem in Zeiten diverser Abo-Bibliotheken sind ein paar Filter essentiell für ein Menü ohne Chaos. Die Xbox One-Bibliothek ist nicht so simpel wie die der Switch, ist aber dennoch unheimlich effektiv und vielleicht die bisherige Best Practice auf Konsolen.


Die Renaissance des Cover-Artwork

Doch was wäre die schönste Anordnung digitaler Cover ohne Artworks, die die Augen der Betrachtenden entzücken? Hier liegt der Hund begraben. Es gibt zu viele lieblose digitale Artworks. Zugegeben – die Situation wird von Jahr zu Jahr besser… (schrieb ich Anfang 2018 und dennoch gibt es anno 2020 weiterhin Design-Unfälle wie das Artwork zu »The Last of Us Part II« – einfach nur Schrift auf schwarzem Hintergrund, die das quadratische Format nicht annähernd nutzt.) Bei Publishern und Entwicklern scheint sich noch nicht herumgesprochen zu haben, dass diese augenscheinlich schnöden Kacheln im Dashboard einer Konsole einen wichtigen Teil zur Repräsentation ihres Spiels beitragen.

Wenn es darum geht, Lust auf ein bestimmtes Spiel hervorzurufen, sind diese Kacheln sogar deutlich wichtiger als herkömmliche Cover-Artworks. Bei einem physischen Spieleregal sind es vor allem die Rücken der Spielehüllen, die das Auge locken. (Und auch hier gibt es selbst heute noch etliche Titel, die sich mit dem Spieltitel in schwarzer Schrift auf weißem Hintergrund begnügen.) Die tatsächlichen Cover physischer Spielehüllen bekommen wir im herkömmlichen Gebrauch vergleichsweise selten zu Gesicht. Üblicherweise ist beim Herausnehmen eines bestimmten Spiels aus dem Regalfach die Entscheidung, dieses Spiel zu spielen, schon gefallen.

Bei digitalen Spielebibliotheken jedoch springen die Artworks bei jedem Anschalten des Systems unweigerlich ins Gesicht. Durchschnittliche Nutzer*innen dürften diese Symbole also um ein Vielfaches länger betrachten als die Cover der Spielehüllen in ihrem Schrank. Anzunehmen, dass dieser visuelle Reiz keinen Einfluss auf unser Konsumverhalten hätte, ist ein Irrtum. Wie bei Musikalben kann ein gutes Cover-Artwork locken, während ein schlampiges Artwork abschreckt. Wir reden hier natürlich nicht von binären Entscheidungsprozessen. Wenn ich Lust auf ein Spiel habe, werde ich es spielen, egal wie abscheulich das Cover aussieht. Trotzdem kann ein gelungenes (oder misslungenes) Cover-Artwork im Falle der Unentschlossenheit den entscheidenden Schubs geben.

Hier ein paar positive Beispiele sowie ein paar negative Beispiele, die mir im Frühjahr 2018 einfielen:

Diese sechs speziell erstellten Designs haben zwar nicht sonderlich viel mit der eigentlichen Optik des jeweiligen Spiels zu tun, vermitteln aber trotzdem dessen Atmosphäre. Besonders geschickt ist das »Mega Man Legacy Collection«-Cover, das den 8-Bit-Look des zugehörigen Spiels aufregend ausschmückt. Es unterstützt unsere Fantasie, sodass wir die gezeichneten Charakterdesigns auf die Ingame-Pixelart übertragen können.

In dieser Gruppe legten die Designer*innen größeren Wert darauf, das eigentliche Spielgefühl zu vermitteln. Selbst ohne jegliches Vorwissen dürfte klar sein, woraus das Kerngameplay dieser Spiele besteht. Auch die Emotionen, auf die wir uns einstellen können, werden hier vermittelt.

Sämtliche der letzten zwölf Designs funktionieren auf ähnliche Weise wie herkömmliche Videospiel-Boxarts. Sie nutzen außerdem die quadratische Fläche, die ihnen geboten wird, angemessen und stimmig aus.

Im Musikbereich konnten sich vorm Streaming-Zeitalter nur die bekanntesten (oder die experimentellsten) Künstler*innen den Luxus eines hübschen Covers ohne jegliche Typographie leisten. Bei digitalen Spielen wird der Titel ohnehin neben dem Artwork eingeblendet; von daher stellt die Sichtung hier kein Problem dar. Der Verzicht auf störende Schrift stellt das eigentliche Motiv in den Mittelpunkt. Auch wenn »The Witness« (mittig) und »Firewatch« (rechts) keine besonders aufregenden Designs zur Schau stellen, gibt es hier auf jeden Fall noch ungenutztes Potential. »Everybody’s Gone to the Rapture« (links) ist in diesem Dreiergespann definitiv der Sieger. Von einem »Abbey Road« oder »Dark Side of the Moon« sind wir aber noch weit entfernt.

Wie unschwer zu erkennen sein sollte, sind wir nun bei den Negativbeispielen angekommen. Beginnen wir doch gleich mit meinem liebsten Trope: Spiellogo auf schwarzem Hintergrund. Besonders im Falle von »Batman: Arkham Knight« wäre es keine schwierige Aufgabe gewesen, das überaus hübsche Retail-Cover ein wenig zu modifizieren. »Trackmania Turbo« bekommt Bonuspunkte dafür, dass hier zumindest ein Hintergrund gewählt wurde, der an die LEDs eines Stadionbildschirms erinnert.

Schon ein Stück besser: Spiellogo auf generischem Hintergrund. Ja, Artworks dieser Art sind leider nicht gerade selten. »Stardew Valley« und »Dragon Quest Heroes II« dürften in diesem Fall noch als die Sieger hervortreten. Auch das Cover von »Bound« wirkt in seinem Minimalismus einigermaßen stimmig, verschwendet aber großes Potential, wenn wir bedenken, wie atemberaubend hübsch das Artdesign des Spiels ist.

Dass ausgerechnet das ansonsten so stylische »Persona 5« mit einem derartig faden Cover daherkommt, tut mir in der Seele weh. Jeder einzelne Frame des 100-stündigen JRPGs war visuell ansprechender als dieses Cover. Im Falle von »Blossom Kingdom« hätte eine andere Schriftart bereits Welten an Unterschied ausgemacht. »Riptide GP2« hingegen sieht einfach aus wie ein trashiges Third-Party-Spiel aus der GameCube-Ära. Vielleicht war es in diesem Fall sogar die Intention hinter dem Werk – wer weiß?

Ein besonders schönes Beispiel für die unterschiedliche Wirkung verschiedener Cover bietet die Switch-Version von »SteamWorld Dig 2«. Das ursprüngliche Artwork sieht aus wie das einer frühen Alpha-Version. Die Fans haben sich auf Twitter höflich darüber beschwert und nur wenige Tage später stand per Patch ein deutlich hübscheres Cover parat. Welches der beiden weckt das größere Verlangen, das Spiel zu genießen?

Die Gestaltung eines solchen digitalen Covers dürfte keine Mondpreise kosten. In den meisten Fällen sollte es reichen, einfach das Cover der Retail-Version zu nehmen und gegebenenfalls das Logo des Spiels ein wenig zurechtzurücken, damit alles in einen quadratischen Rahmen passt. Im Optimalfall erstellen die Designer*innen ein dediziertes Cover, das die quadratische Fläche optimal nutzt. Natürlich – jeder Kunde, der diese Symbole sehen kann, hat seine Kaufentscheidung bereits getroffen. Für etwas, das viele Spieler*innen tagtäglich unterbewusst beeinflusst, dürfte es sich aber trotzdem lohnen, diese kleine Zusatzinvestition in ein kompetentes Design vorzunehmen. Gerade im Zeitalter der „Player Recurring Investments“ dürfte ein lockendes Symbol im Dashboard für viele Publisher attraktiv sein. [pg]