2017 kündigte The Chinese Room, das Studio hinter »Dear Esther«, einen Hiatus an und entließ beinahe die komplette Belegschaft. Es wurde für kurze Zeit ruhig ums Studio, bis es vom Publisher Sumo Digital gekauft und – sogar mit einigen der Studioveteranen – neu aufgezogen wurde. Nun ist The Chinese Room zurück mit »Little Orpheus«, exklusiv auf Apple Arcade. Ein Spiel, dessen Medienecho in etwa so klein war wie sein Titel es andeutet.


Die 1960er, Kalter Krieg, Space Race. Das sind alles Themen, bei denen ich reflexartig aufhorche. »Little Orpheus« macht sofort klar, dass es eher in eine Klamauk- und Satireecke schlägt. So weit, so gut – bereits Stanley Kubrick hat mit deutlich weniger zeitlichem Abstand gezeigt, dass wir über Atomkrieg auch mal schmunzeln dürfen.

Der Horizont des Humors, den »Little Orpheus« in seinem ersten Drittel zeigt, beschränkt sich jedoch auf wenige Dinge: Wie lustig Russen reden, wie inkompetent unser russischer Entdecker ist und wie trottelig die Russen überhaupt sind, weil sie zum Erdkern statt zum Mond reisen wollen und dabei auch noch eine Atomwaffe verlieren. Denn natürlich gehen Russen verantwortungslos mit Atomwaffen um.

Das Setting ist dabei noch die größte Stärke des Spiels. Das Innere der Erde sieht absolut nicht aus wie der Untergrund eines Planeten. Tatsächlich sieht es nicht einmal aus, als wäre es überhaupt unter irgendetwas. Woher kommt der strahlende Sonnenschein? »Little Orpheus« ist naive Science-Fiction in Reinform. Und ich liebe naive Science-Fiction, wie ich schon in meinem Text zu »Outer Wilds« geschrieben habe. Wissenschaftliche Genauigkeit ist eben nicht annähernd so spannend wie Dinos unter der Erdkruste.

Dennoch fehlt mir der Bezug zur Reise ins Innere der Erde. »Little Orpheus« vermittelt kein Gefühl des Tieferdringens. Es könnte auch irgendwo im Weltraum oder an einem beliebigen anderen fiktiven Ort spielen. Die Kulissen sind kreativ – aber auch nur, sofern wir uns beim Spielen vergegenwärtigen, dass sie verborgen unter unseren Füßen existieren. Und wir müssen aktiv an diesem Gedanken festhalten, denn rein visuell sieht »Little Orpheus« exakt so aus wie »Planet Alpha« – ein Spiel über Erkundung im Weltraum. Beide Spiele langweilten mich nach wenigen Minuten, weil sie mich noch mehr ermüden als das maximal entschleunigte »Dear Esther«.

Gewissermaßen ist The Chinese Room seiner Formel treu geblieben. In »Little Orpheus« verbringen wir die meiste Zeit mit – ihr erratet es bereits – Laufen. Dieses Mal auf zwei Achsen, von links nach rechts, statt dreidimensional in Ego-Perspektive. Was in »Dear Esther« und Co. funktioniert, verliert dadurch jeglichen Schwung. »Little Orpheus« will eine ähnliche narrative Experience zum Miterleben sein, doch fehlt das Präsenzgefühl der Ego-Perspektive. Es fehlt die Immersion. Was bleibt, ist ein Daumenkino mit loser Anmutung eines frühen Technicolor-Films.

Der fortlaufende Dialog aus dem Off – ein Verhör unseres tollpatschigen Entdeckers durch seinen grummeligen General – ist nicht annähernd unterhaltsam oder interessant genug, um dieses kognitive Vakuum interaktiver Monotonie auszugleichen. »Little Orpheus« erfüllt mit Ach und Krach die minimalen Anforderungen, die wir an ähnliche Spiele wie »Limbo« oder «Inside« stellen würden. Ich bin mir nicht sicher, für wen dieses Spiel sein soll, doch ist es garantiert nicht der Paukenschlag, mit dem ein solch renommiertes Studio zurückkehren muss. [pg]


Little Orpheus
The Chinese Room / Sumo Digital
iOS / tvOS / Mac (Apple Arcade) [12. Juni 2020]
Creative Director: Dan Pinchbeck

Quelle Screenshots: Eigene Screenshots