Barney Stinson in »How I Met Your Mother« kann ich mir heute nicht mehr geben. „Aber wieso!? Wieso laufen plötzlich alle mit einen unfehlbaren Moralkompass herum?“ Let me tell you: Meine Abneigung gegen Barney Stinson hat nichts damit zu tun, dass ich Barney Stinson im gesellschaftlichen Klima des Jahres 2020 nicht mehr mögen sollte, sondern damit, dass mein eigenes Wertesystem heute mit Beißreflex auf diesen Alltagssexismus der 2000er reagiert.
Anstößig, frech, alles nur ein Spaß. »Huntdown« von Easy Trigger Games, quasi ein »Contra« mit Deckungsshooter-Anleihen, suhlt sich in solchen Stereotypen wie eine synthetische Cyber-Sau. Es ist eines dieser Spiele, bei denen sofort klar wird: Dieses Entwicklerteam besteht ausschließlich aus Männern. Männern, die Cyberpunk auch heute noch so geil finden wie in den 1980ern – und zwar nicht für das sozialkritische Potential, sondern für den Smog, die fetten Wummen und die abgebrühten Oneliner.
An vielen Flecken ist dieser Sumpf aus Blut und Schrott so seicht, dass der Ekel nur bis an die Fußknöchel reicht. Die Repräsentationen lasziver Frauen, schmutziger Gossen-Gangs und weiser Asiaten sind schon so tief aus der Zeit gefallen, dass sie am Boden der vierten Dimension aufschlagen. Gleichzeitig ist das Augenzwinkern der Entwickler so energisch, dass der Wind des Wimpernschlags von Schweden bis nach Deutschland reicht.
»Huntdown« versucht, das Barney Stinson-Problem zu umtänzeln, indem es zu oberflächlich bleibt, um wirklich anstößig zu sein. Die Entwickler wussten offenbar, dass sie die Klischees der 1980er, deren ambivalente Ästhetik sie so lieben, nicht komplett unreflektiert in ein Spiel von 2020 einbauen können. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist lange überschritten, aber einige Leute stehen eben auf bitteren Pudding.
Um diesen Geschmack zu übertünchen ist jeder Pflasterstein der Metropole larger than life. 90 Prozent der Population ist kriminell, aber es scheint niemanden so richtig zu interessieren, ob wir das Kopfgeld der Bösewichte gewinnen. Hauptsache das Echo jedes Pistolenschusses schallt noch zwei Sekunden später durch die Lautsprecher – begleitet von einem BOOM-SHAKALAKA!
Überzogene Ironie ist kein Allheilmittel für Repräsentationen dieser Art. Ganz im Gegenteil – sie wird nur allzu häufig als Entschuldigung für »schwarzen Humor« herangezogen. »Huntdown« jedoch ist so banal und kindisch – ob beabsichtigt oder nicht – dass ein kollektiver Facepalm ausreicht. Es tanzt barfuß ums Feuer, passt aber auf, dass allerhöchstens der kleine Zeh in die Glut strauchelt.
Ein bisschen peinlich ist das schon. Die komplette Reizüberflutung stellt aber zumindest eines sicher: Egal, was ihr im Kopf habt, wenn ihr den Begriff Cyberpunk hört – »Huntdown« hat es, irgendwo zwischen seinen Gegnerwellen und protzigen Pixel-Sprites. Es liefert uns fragwürdige Genüsse in einem Eintopf, der immerhin das Abführen im Nachgang erspart.
Cyberpunk ist nicht gleich Cyberpunk
»Cloudpunk« vom deutschen Studio Ion Lands erkundet das andere Extrem des Cyberpunk. Beide Spiele direkt hintereinander zu spielen, war eine Erfahrung, die ich jeder Person empfehlen würde, die sich sowohl mit Explosionen und Dauerfeuer als auch mit einer narrativen Lieferservice-Simulation anfreunden kann.
In den meisten Cyberpunk-Geschichten begleiten wir Charaktere, die genauso ranzig sind wie ihre Umgebung. Geboren im Cyberpunk, wurden sie zum Cyberpunk. Unsere Protagonistin in »Cloudpunk« jedoch erkundet den absurden Hyperkapitalismus als Migrantin. Spätestens als der erste Charakter sie fragt, wieso sie sich freiwillig in diesen Sündenpfuhl einer Metropole stürzt, zerbricht die erwartete Illusion einer technokratischen Utopie.
Die meisten ihrer Erkenntnisse sind nichts Neues. Unterm Strich lassen sich die meisten Minitragödien von »Cloudpunk« immer noch unter einer geteilten Kausalität zusammenfassen: Jede Person ohne eine Million auf dem Konto ist nichts wert.
Das Ganze hautnah mitzuerleben, immer wieder neue missliche Schicksale mitzuerleben – das haut schon anders rein. Einiges ist kurios, anderes tragisch – am Ende lautet die Lösung meist: Das Problem ist größer als wir. Oder zumindest ist es das, bis »Cloudpunk« gegen Ende etwas größenwahnsinnig wird.
Viele der Twists und Tropen haben wir schon zuhauf in anderen Büchern, Filmen oder sogar Spielen gesehen. Zum Glück beweist »Cloudpunk« mehr als genug Scharfsinn und Charisma, um seine Klischees mit Leben zu füllen.
Obwohl das gesamte aus (hervorragend vertonten) Dialogen und Lieferfahrten besteht, gab es nur wenige Zeilen im üppigen Skript, die mich nicht interessierten. Vor allem hätte ich nicht erwartet, dass die beiden Hauptfiguren, Reina und ihr digitaler Hund Camus, mir in diesem Slalom zwischen Wolkenkratzern so eng ans Herz wachsen würden. [pg]
Huntdown
Easy Trigger Games / Coffee Stain Publishing
Xbox One, PS4, Nintendo Switch, PC / Mac / Linux (Epic) [12. Mai 2020]
Lead Designer: Tommy Gustafsson
Cloudpunk
Ion Lands / Ion Lands, Maple Whispering
PC [23. April 2020], Xbox One, PS4, Nintendo Switch [2020]
Director: Marko Dieckmann
Story: Thomas Welsh
Quelle Screenshots: Pressematerial / Eigene Screenshots