Der dreijährige Sohn des Lead Directors warf seinen Teller Miracoli an die Wand und der Lead Director schlug die Arme über den Kopf: „Heureka! Das ist der Protagonist unseres nächsten Spiels!“
Der Elevator Pitch von »Carrion« ist so simpel wie überzeugend: Stell dir vor, du spielst ein Horrorspiel, aber DU bist das Monster!
In »Carrion« steuern wir ein Knäuel klaffender Mäuler, Blutwurst und Bolognese durch finstere Schächte. Das Monster ist die pixelgewordene Manifestation des fliegenden Spaghettimonsters aus religiöser Überlieferung. Sogar Anhänger dieses Kults würden beim Anblick vor Ehrfurcht erstarren.
Jedes Geräusch, das die Kreatur und ihre Gepeinigten von sich geben, ist hässlich. Wir reißen Menschen die Gliedmaßen ab und Eingeweide fliegen durch die Gegend; der Powertrip funktioniert exakt so wie das Marketing des Spiels es anmuten ließ. Was die Trailer nicht gezeigt haben: Wie gut unser Monster im Lösen von Puzzles ist!
Schnell stellen wir also fest: »Carrion« ist ein verkappter Puzzle-Platformer. Nun könnte man meinen, all diese Exkurse vom munteren Menschenweitwurf seien ein Dealbreaker. Dabei sind sie die Erdbeere auf dem grotesken Kuchen aus Hack.
Denn was ist furchteinflößender als ein Monster, das Menschen in der Mitte zerreißt und mit ihren Gliedmaßen jongliert? Richtig! Ein Monster, das im Anschluss daran Sicherheitstüren enthebelt und sich mit Tarnkappe durch Laserschranken manövriert!
Ein offensichtlich intelligentes Monster funktioniert auch viel besser in Harmonie mit den Spieler*innen. Schließlich haben im Optimalfall auch die Menschen am Controller mehr als einen Haufen Biomasse im Kopf. Purer Animalismus hätte sich auf Dauer abgenutzt. Dadurch, dass das Monster aber mehr als rohe Gewalt einsetzt, wird erst recht ersichtlich, wie zwecklos der Widerstand der Menschen ist.
Ohne diese zusätzliche Substanz hätte »Carrion« auch als »Goat Simulator«-ähnliche Sandbox funktioniert. Ein unbeschwerter Spielplatz, auf dem wir lustig Wissenschaftler und Space Marines wegkegeln.
Dass »Carrion« uns zum Beispiel mit seinen Rätseln zwingt, das Monster zu schrumpfen, um mit einem kleinen Tentakel Schalter zu betätigen, bringt erst die nötige Dynamik ins Spiel. Viele der Umwege in »Carrion« machen uns angreifbar und schwach; manchmal erfordern sie sogar eine Prise Stealth. Dass unser Monster all diese respektablen Hürden dennoch bewältigt, macht es erst wahrhaft zur Schreckenskreatur. [pg]
Carrion
Phobia Game Studio / Devolver Digital
Xbox One, PS4, Nintendo Switch, PC, Mac, Linux [23. Juli 2020]
Quelle Screenshots: Steam
(Das Marketing geht so wenig auf Puzzles ein, dass ich keine Bilder zu Puzzles gefunden habe. Mein eigener PC möchte aus unerfindlichen Gründen keine Screenshots von »Carrion« machen.)