VA-11 Hall-A: Cyberpunk Bartender Action, kurz Valhalla, ist monoton. Beizeiten beschreibt „langweilig“ es treffender. Ein notwendiges Übel, das Valhalla für sein unerschütterliches Selbstbewusstsein in Kauf nehmen musste. Mit Erfolg.


Auf die Frage, wie es heißt, stützt Valhalla seine Ellenbogen auf den Tresen, sein Kinn auf seine horizontal gefalteten Hände und blickt in die Augen der Fragestellenden. Die Antwort enthält nicht nur einen Namen, sondern ein Versprechen: VA-11 Hall-A: Cyberpunk Bartender Action. Ein wenig flunkert es. „Action“ ist euphemistisch. Mit „Action“ meint Valhalla zuhören, lesen, sich entspannen.

Eine der Angestellten des Valhalla ist Jill, die Protagonistin. In einer Kurzschlussreaktion entschied sie sich, ihre wissenschaftliche Laufbahn und ihre Freundin zu verlassen, aus Angst vor Freiheitsverlust. Nun lebt sie in Glitch City, von Rechnung zu Rechnung und mischt Drinks unter summenden, grellen Neonlampen. Ein monotoner Prozess. Die Getränkekarte ist überschaubar, ebenso die jeweiligen Anleitungen im Rezeptbuch. Manchmal fauchen die sprechenden Verkaufsautomaten vor der Tür Gäste für ihren erbarmungswürdigen Musikgeschmack an – oder tasern sie.


Einmal das Übliche

Eine Bar ohne Gäste ist bestenfalls eine deprimierende Alkoholausstellung. Für Valhalla – das Spiel und das Etablissement – bedeuten Gäste die Welt. Buchstäblich. Ohne ihre Geschichten würde Glitch City nur aus den Räumen bestehen, die Jill selbst besucht: die Bar, ihre Wohnung, ein Shop. Das Bild, das sie von der Stadt zeichnen, enthält zahlreiche stereotype Motive des Cyberpunk-Genres: Megakonzerne ersetzen den Staat, Korruption ist omnipräsent und 80 Dollar reichen nicht für ein Mittagessen. Die öffentliche beziehungsweise digitale Ordnung wird durch Gewaltakte und Hackerangriffe bedroht. Menschen leben Seite an Seite mit Lilim, humanoide, empfindende Roboter. Augmentationen dienen nicht bloß als Prothesen, sondern zur Selbstverbesserung.

Valhalla ist sogar schön, wenn es weint. Aber noch schöner, wenn es lacht. Zwar bestehen die Dialoge oft aus Erlebnisberichten aus der Dystopie, existenziellen Problemen und manchmal Fragen der Human- und Medizinethik. Doch es ist der Humor, der das Writing des Spiels trägt. Wenn Jill fragt, warum die Tierärztin Beatrice Albert ihre Lehrerin in einem großen Graffiti als „Fotze“ beleidigt hat, antwortet Albert: „Weil sie eine Fotze war.“ Running Gags wiederholen sich nie öfter, als sie willkommen sind. Teils vereint Valhalla ihren Aufbau und ihre Pointe in einem Wort – ohne dass der Witz an Klarheit verliert.

Auf den ersten Blick wirkt Valhalla wie ein maßgeschneidertes Spiel für den im Internet aufgewachsenen, japanophilen, konservativen Reddit-Nutzer. Der von Violett- und Blautönen dominierte Artstyle Valhallas erinnert an einen 80er-Jahre Retrofuturismus. Ein Stil und eine Epoche, die im Internet geborene Mikrogenres wie Future Funk idolisieren – ebenso wie ihre Zuhörer*innen, wenn man ihren Kommentaren glaubt. Selbst der Soundtrack orientiert sich an der typischen Klanglandschaft der Achtziger, mit seinen halllastigen Drums, synthetischen Bässen und prominenten Keys. Auf Knopfdruck fliegen vorbestimmte Phrasen über den Bildschirm, vergleichbar mit Chatnachrichten auf japanischen Livestreaming-Plattformen. Eine Besucherin des Valhalla heißt, unverschämt offensiv, Streaming-Chan. Viele Frauen sind großbrüstig und makellos, ähneln eher griechischen Statuen als Menschen (oder Humanoiden).

Der Eindruck täuscht. Nur Frauen sprechen sich gegenseitig auf ihre Körper an. Männer, die Frauen objektifizieren, werden deutlich als Chauvinisten bezeichnet. Homo- und Bisexualität sind respektvoll behandelte Themen; gleichermaßen werden homo- oder bisexuelle Personen nicht fetischisiert. Dorothy Haze, Lilim und Sexarbeiterin, berichtet so unbeschwert wie schmerzhaft detailliert über ihren Alltag, als drücke man sanft lächelnd eine Zigarette auf einem Augapfel aus. Durch ihre überzeichneten Ausführungen blitzt ein Funke von Sexpositivität. Vielleicht klingen sie nur überzeichnet, weil ein gnadenlos nüchterner Austausch über Sex immer noch weitestgehend verpönt ist.


Das Ico der Dienstleistungssimulatoren

Valhalla ist kein Spiel für Individualist*innen. Als Barkeeperin muss Jill die Wünsche ihrer Gäste erfüllen. Raum für kreative Freiheiten bleibt selten. Einige Rezepte erwähnen optionales Karmotine, die Alkoholkomponente. Größere Mengen resultieren schneller in gelockerten Zungen. Manche Gäste bestellen beizeiten ergebnisoffen, verlangen statt einem Piano Man oder Zen Star einen „süßen“ oder „klassischen“ Drink. An der Routine ändert das jedoch wenig. Am Ende wandert immer ein Drink über die Theke in die Hände der Gäste. Dieser Prämisse müssen Spieler*innen ihr Selbstverwirklichungsbedürfnis unterordnen.

Mehr als Bestellungen zu befolgen und zu lesen, bietet Valhalla nicht. Der Abwechslung zuliebe hätten die Entwickler*innen andere Aufgaben von Barkeeper*innen einführen können, wie das Lokal zu wischen. Schließlich beauftragt Besitzerin Dana einen von Jills Kollegen, Gill, oft mit der Reinigung der Bar. Doch mehr bedeutet nicht wertvoll.

Spieldesigner Fumito Ueda entschied sich während der Entwicklung von Ico für einen radikalen Minimalismus. Entfernt wurde, was nicht einhundertprozentig dem Ziel seines Spiels diente: Eine gefangene Prinzessin aus ihrem Schloss zu lotsen. Raumpuzzle bestimmen den Gameplayloop Icos, unterbrochen von gelegentlichen Kämpfen. Erfahrungspunkte, Geld oder Fanfaren winken dafür nicht. Gespeichert wird auf Bänken. Das war’s. Heute gilt Ico unter anderem wegen dieser Philosophie als Kunstwerk. Hidetaka Miyazaki, Präsident von From Software (Armored Core, Demon/Dark Souls, Bloodborne, Sekiro: Shadows Die Twice), nennt es eine seiner größten Inspirationen. Zuzuhören bedeutet für Valhalla, eine Welt zu konstruieren. Für Jill ist der beste Ort zum Zuhören hinter der Theke. Jede Abweichung im Gameplay hätte davon abgelenkt – und damit von der Selbsterschaffung des Spiels. Dessen ist sich Valhalla bewusst. Die Monotonie ist unbequem, aber essenziell.

Das heißt nicht, Valhalla verböte Individualismus. Er versteckt sich nur dort, wo auch Jill sich entfalten darf. Vor beiden ihrer täglichen Schichten darf sie die Jukebox des Valhalla mit zwölf Songs füllen. Auf Wunsch auch mit zwölfmal demselben Lied. Niemand wird sich beschweren. Vor jedem Arbeitstag kann Jill außerdem in einem Shop nach neuer Einrichtung stöbern. Darunter Actionfiguren, Idol-Poster, holografische Zimmerpflanzen oder Videospielkonsolen. Ihre Wohnung entwickelt sich langsam auch zur eigenen. Neben dem Ausflug zum Schaufenster können Spieler*innen entweder durch die Apps auf Jills Handy scrollen, unter anderem „The Augmented Eye“, die Zeitung Glitch Citys, oder das Reddit-eske „DangerU“, oder direkt zurück zur Bar gehen.

So wiederholt sich Jills Trott, an dem Spieler*innen für 19 Tage teilnehmen. Ein stetiger Sprung hinter die Theke, in die Neonfarben, die Unterhaltungen, den Zigarettenqualm. Zurück in ihre Wohnung, zum Schaufenster und wieder von vorn. Eintönigkeit kann doch attraktiv sein. [ek]


VA-11 Hall-A
Sukeban Games, Wolfgame / Ysybryd Games, Wolfgame, Playism, Limited Run Games
PC, Mac, Linux, PlayStation Vita, Nintendo Switch, PlayStation 4 [Erstveröffentlichung: 21. Juni 2016]
Programmer & Writer: Fernando Damas
Designer & Artist: Christopher Ortiz


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