George Batchelors Far from Noise (2017) ist eines der Games, die ich per Zufall beim Durchscrollen des Bundle for Racial Justice and Equality von itch.io entdeckt habe. Eine junge Frau, gefangen in einem Auto, das an der Kante einer Küstenklippe hängt. „The sun is setting behind the horizon and night will soon fall. With no immediate means of escape, perhaps all that’s left is to attempt to feel some connection with the world at the end of it all“, entnehmen wir der Beschreibung.
Schauplatz des etwa eineinhalb bis zwei Stunden dauernden Spiels ist einzig die Klippe, wo wir aus der Beobachterperspektive das dort gefährlich schwankende Auto sehen und den Sonnenuntergang über dem Meer beobachten. Über dem Auto erscheinen Gedankenblasen, in denen wir mögliche Gedanken der Protagonistin lesen können und häufig zwischen beruhigenden und pessimistischen auswählen dürfen. Bald gesellt sich ein Hirsch zu uns, dem wir unsere Fragen und Ängste mitteilen können und der überraschenderweise antwortet.
Wir klicken uns also durch Dialoge, die gespickt sind mit existenziellen Themen, der Schönheit der Natur und dem Wahrnehmen des Augenblicks. Manchmal balancieren diese Dialoge genauso gefährlich wie das Auto auf der Klippe zwischen „irgendwie abgedroschen“ und „ernsthaft tiefsinnig“. Allerdings werden sie gekonnt mit einer ordentlichen Portion Sarkasmus der Protagonistin gewürzt und dadurch nicht langweilig. Im Gegenteil – je weiter die Sonne sinkt und je mehr man bereit ist, sich tatsächlich auf das Geschehen einzulassen, desto mehr berühren die Dialoge. Sie regen dazu an, sich selbst in die junge Frau im Auto zu versetzen und über die eigene Perspektive auf das Leben nachzudenken. Bin ich bereit, eine neue Perspektive einzunehmen? Bin ich bereit, mich von der Nacht verwandeln zu lassen?
Auch der Artstyle trägt dazu bei, dass man sich dem Erlebnis des Sonnenuntergangs und dem Faszinosum des unendlich scheinenden Sternenhimmels hingeben kann. Fotorealismus sucht man hier vergeblich; in den klaren Linien und der texturarmen Umgebung leuchten die Farben allerdings umso mehr und unterstreichen die Botschaft, das Wesentliche zu sehen. Wesentlich für mich waren dabei die Dialoge mit dem Hirsch. Wer einen Menschen hat, mit dem er die Nacht so teilen kann wie die Protagonistin mit dem Hirsch, kann sich glücklich schätzen. Wem dieser Mensch fehlt, wird sich einen solchen nach dem Spielen von Far from Noise wünschen.
Far from Noise ist eine der unbekannten Perlen des Bundles. Wer auf der Suche nach Action ist, wird hier nicht fündig. Wer allerdings bereit ist, sich auf existenzielle Themen einzulassen, balancierend an der Kante des (virtuellen) Tods, der wird die Gespräche mit dem Hirsch und die vielen wunderbaren Dinge, die dazwischen geschehen, genießen. In welchem anderen Spiel erinnert man sich daran, wie das Lieblingsplüschtier von genau so einem Dachs geklaut wird, wie er gerade auf das Auto springt? Oder erfindet man abstruse Geschichten zu Sternbildern, während man über die großen Themen des Lebens philosophiert? Far from Noise ist eines der Spiele, die man nicht fertig spielt und sich danach sofort gedanklich in etwas anderes stürzen kann. Es bietet eine Erfahrung, die nachklingt. [jk]
Far from Noise
George Batchelor
PC (Windows) & Mac [14. November 2017]
Schöne Review zu einem nachdenklich machenden Spiel. Zudem noch mit einem echt schönen Stil. Wäre noch interessant, inwieweit das Spiel alternative Wege oder Enden bietet und natürlich die Frage, wie sie dahergekommen ist.
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Lieber Lenny,
erstmal vielen Dank für deine Zeilen!
Wie sie in die missliche Lage geraten ist, wird nicht genau geklärt. Sie spricht zwar mit dem Hirsch darüber, aber kann es selbst nicht ganz rekonstruieren.
Alternative Enden gibt es meines Wissens nicht.
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ACHTUNG: SPOILER!!
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… aber das Ende ist nicht eindeutig und bietet insofern doch Material für alternative „Enden“. ;)
LG,
Jessica
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Ich hab mir ziemlich schnell gedacht, dass sie sich umbringen wollte. Zumindest deutet meines Erachtens vieles darauf hin, was sie sagt und wie sie über vergangenes denkt
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Ahhh, interessant! Wie sie da so an der Klippe hängt, hat sie große Angst und will definitiv nicht sterben. Was aber natürlich nicht heißen muss, dass sie das im Vorfeld nicht wollte… Man hat allerdings auch die Möglichkeit, als Gesprächsoption „I don’t want to talk about it“ auszuwählen, wenn der Hirsch fragt, wie sie an die Klippe gekommen ist.
Oh, und was ich tatsächlich auch nicht dazu schrieb: ihr Motor ist überhitzt – vielleicht war auch das der Grund für die „Entgleisung“. Aber es bleibt tatsächlich ein bisschen offen und bietet eben genau dadurch auch die Möglichkeit, in viele Richtungen zu fantasieren. :)
Gefällt mir tatsächlich auch besser, als wenn alles bis ins letzte Detail erklärt würde.
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Sehe ich auch so. Ist ja meistens interessanter, wenn da Interpretationsspielraum ist. Ich mache es halt an ihren Aussagen fest die sie so tätigt, aber die wähle ich ja auch aus. Ich hab mir halt die Geschichte ausgedacht, dass sie sich das Leben nehmen wollte, aber kurz vorher ist ihr Auto abgeschmiert und jetzt hängt sie an der Klippe und denkt über das Für und Wider ihrer eigenen Existenz nach und was diese für sie bedeutet, für andere und im großen weiten Ozean.
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Das finde ich eine sehr schöne Deutung!!
Mir wird von Kommentar zu Kommentar von dir unklarer, ob du das Spiel selbst (schon) gespielt hast oder nicht – bitte um Aufklärung. ^^‘
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Oh, das wollte ich eigentlich geschrieben haben. Ja ich hab das Spiel heute gespielt.
Deswegen schrieb ich auch auf Twitter, dass das Spiel unrealistisch sei, weil sie ja keine Babyschildkröten und Dachse mag. Natürlich Scherzhaft gemeint.
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Oooh, bei Twitter hatte ich zwischenzeitlich noch nicht wieder vorbeigeschaut. Dann ist ja alles klar! Danke für die Aufklärung! :D Die Babyschildkröte habe ich leider verpasst… Stimmt, dass manche Ereignisse zufällig getriggert werden und sich dadurch ein gewisser Wiederspielwert gegeben ist, hätte ich in der Kritik noch erwähnen können. :)
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