Wenn man sich von allem löst, alle Menschen, die man kennt, hinter sich lässt, sollte ein Neuanfang doch nicht so schwierig sein. Sich komplett neu zu erfinden, komplett man selbst zu sein. Eine Idee, die auch in »If found…« lediglich zu noch größerem Leid geführt hat.

Ausgerechnet die wichtigsten Personen im Leben der Transgender-Protagonistin Kasio scheinen sich nicht einmal Mühe zu geben, sie zu verstehen. Auch die Flucht in ein neues Leben ist kein Flicken für dieses Loch im engsten Umfeld.

Kasios komplettes Leben zerfällt buchstäblich unter unseren Fingern. Anstatt schnöde Textboxen wegzuklicken, radieren wir jede einzelne Szene ihrer Erinnerung eigenhändig aus. Nicht, um ein Vakuum zu kreieren, sondern um Platz für Neues zu schaffen.

Anders als andere Visual Novels gewährt »If found…« uns keinerlei Entscheidungsfreiheit – alles muss raus. Das Löschen von Text oder Zeichnungen per Fingerstreich (oder Mauszeiger) hat eine unmittelbare Energie. Es riss mich stärker mit als andere Arten der Interaktion, die wir aus Visual Novels kennen. Hinter jeder Bewegung in »If found…« offenbarte sich eine neue Überraschung. Auch der Verstand bleibt wacher, wenn beim Spielen mehr als nur der A-Knopf gestreichelt werden will. Das destruktive Machtgefühl entfaltet zudem insbesondere in einigen der abstrakteren Szenen eine geradezu hypnotisierende Wirkung.

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»If found…« zeigt uns intime Momente voller zermürbendem Leid, das mit ein wenig mehr Toleranz, ein wenig mehr Mitgefühl hätte vermieden werden können. Gleichzeitig gewährt es uns alltägliche Moments voller Glück, in dessen Licht die Protagonistin nur mit einer Gesichtshälfte baden kann. Es liegt an uns, diese dunklen Wolken wegzuwischen. [pg]


If found…
Dreamfeel / Annapurna Interactive
iOS, PC / Mac [19. Mai 2020]
Director / Writer: Llaura McGee
Lead Artist: Liadh Young