Ich suche immer nach Spielen, die narrative Konzepte originell verpacken. Textboxen klicken kann jeder – in der eleganten Verschmelzung von Erzählung und Gameplay liegt die Kunst. »In Other Waters« versetzt uns in die Position des Bordcomputers einer interplanetarischen Unterwassermission. Die Pilotin erkundet fernab unseres Sonnensystems das erste entdeckte außerirdische Leben – allein in der Tiefsee. In der Rolle ihrer KI-Assistenz unterstützen wir sie auf ihrer Mission, dieses Leben zu erforschen und eine in den Tiefen verschollene Freundin wiederzufinden.


Das gesamte Spielgeschehen findet auf dem größtenteils türkis-gelben topographischen Interface des U-Boots statt. Gleich vorweg: Ich LIEBE Türkis! Türkis (oder noch besser: Mint) ist die am wenigsten männlich-konnotierte Farbe vor Rosa und liegt irgendwo zwischen den großartigen Farben Blau und Grün. Ich würde lügen, würde ich behaupten, dass die Türkis-Dominanz von »In Other Waters« nicht zu meiner Kaufentscheidung beigetragen hätte.

Das Gros des Spiels besteht also aus einer mint-gelben Tiefseekarte. Daneben gibt es noch eine Handvoll anderer Menüs: Einige für spielerische Interaktion wie Item-Verwaltung, andere für narrative Informationen wie Lexikoneinträge zu den fiktiven Tiefseeorganismen. All diese Oberflächen wirken zunächst steril und unspektakulär. Visuell entsteht das einzige Leben durch die verwendeten knalligen Farben sowie minimale Animationen der Punkte und Striche auf der Karte.

Wie erschafft »In Other Waters« dann trotzdem eine mitreißende, dichte Atmosphäre? In erster Linie entsteht die bedrückende Stimmung durch die astreine Klangkulisse. Authentische Tiefseegeräusche und andere sphärische Effekte mit viel Echo kreieren ein Gefühl von Weite, Isolation und Befremdung. Die Untermalung ist so drückend und düster, dass sie die schillernden Mint- und Gelbtöne geradezu ausbleicht. Gleichzeitig sind die Sounds so verträumt, dass ich beim Spielen (nicht nur wegen der Musik) fast dauerhaft mit der Müdigkeit kämpfen musste. Hätte Spielkritik einen Pro-/Contra-Kasten, käme die Ersparnis einer zusätzlichen App mit Einschlafgeräuschen definitiv auf die Pro-Seite.


Nicht zu viel nachdenken

Der Erstkontakt mit »In Other Waters« ist entsprechend dieses Zaubers äußerst faszinierend. Das Spiel führt nach und nach einige Mechaniken ein, die man so nur aus den wenigen anderen Interface-basierten Spielen wie »Nauticrawl« kennt: Navigation per abstrakter Bedienelemente, Anwenden bestimmter Utensilien auf Objekte in der Welt und ähnliches. Von Beginn an bemerkt die Protagonistin zudem, dass ihre Bord-KI nicht ganz perfekt-maschinell agiert und entkräftet so das größte Problem des – in seiner Grundprämisse – sehr ähnlichen »Observation«.

Meine zwei liebsten Arten von Science-Fiction-Geschichten sind erstens: Jene über den frühen Kontakt mit fremden Spezies und zweitens: Solche, die auf fremden Planeten mit lächerlich üppiger Flora stattfinden. (Ja, ich schiele auf dich, Urwaldvenus des frühen 20. Jahrhunderts.) »In Other Waters« verbindet diese beiden Stereotype in abgeschwächter Form und verpackt sie in ein attraktives, wissenschaftlich geprägtes Hard-Sci-Fi-Gerüst.

Schnell wird jedoch klar, dass die Lexikoneinträge zu fiktiven Kleinstorganismen nicht annähernd so spannend sind wie erwartet. Stellt euch vor, man trennte die Kodex-Einträge aus »Mass Effect« oder das Scan-Logbuch aus »Metroid Prime« von der visuellen Repräsentation der beschriebenen Objekte. Gar nicht mal so spannend, oder?

Das Gameplay ist vorerst originell und geht flüssig von der Hand. Es bietet eine Herausforderung, die Spiele uns nicht jeden Tag servieren. Doch es ist nur eine Frage der Zeit – früher oder später keimt der Gedanke: Ich steuere einen winzigen gelben Punkt zwischen feinen Linien zu einem anderen Punkt. »In Other Waters« gibt sich Mühe, die Illusion der Tiefseewelt aufrechtzuerhalten, doch strauchelt es, sobald die ersten Längen auftreten.

Auch die Handlung ist nicht so dominant, wie ich es mir persönlich gewünscht hätte. Sie dient eher als Vehikel, denn als treibende Kraft – zumindest in den ersten zwei Stunden, die mein müder Organismus bewältigen konnte. Emotional, intellektuell und spannungstechnisch geht hier nicht viel ab. Paradoxerweise nehmen sowohl Gameplay als auch Erzählung eine untergeordnete Rolle ein.

Und irgendwie gefällt mir »In Other Waters« dennoch. Ist es meine Liebe zu Minttönen? Ist es die schiere Faszination des ausgefallenen, unkonventionellen Spielkonzepts? Wer sagt überhaupt, dass ein Spiel, das mir sichere Tiefenentspannung beschert, ein schlechtes Spiel sei? Selbst wenn diese Entspannung auf Kosten der Unterhaltung und des berühmten Spielspaßes geschieht. [pg]


In Other Waters
Jump Over The Age / Fellow Traveler, 3. April 2020
Nintendo Switch, PC/Mac (Steam, GOG, Humble)
Designer: Gareth Damian Martin