Im April 2019 wurde das Capcom Home Arcade angekündigt und die ersten Fotos machten die Runde. Auch ich war damals eher belustigt als angetan: Das Design empfand ich als pure Geschmacksverirrung und der angekündigte Preis schien für eine Sammlung von 16 Arcade-Games aus den Jahren 1988 bis 2001 auch recht happig. Hat man die Plug & Play-Konsole allerdings einmal in natura gesehen und live in Aktion erlebt, dann relativiert sich dieser Eindruck schnell.
Fast fünf Kilogramm schwer, 74 mal 22 cm groß. Ja, das Capcom Home Arcade schaut tatsächlich ziemlich fett aus, um nicht zu sagen protzig. Es ist ein Klotz im besten Sinne, der meinen Wohnzimmertisch fast in der gesamten Breite für sich beansprucht. Inmitten von anderen Konsolen wirkt das Gerät ungefähr so zurückhaltend wie ein Hummer-SUV in einer bundesdeutschen Innenstadt und ich kann verstehen, dass man sich davon abgestoßen fühlen kann. Andererseits: Wann waren Arcade-Automaten-Designs zuletzt geprägt von Minimalismus, Feinsinn und Zurückhaltung? Eben. Insofern passt das laute, fast schon vulgäre Design des spielbaren Capcom-Logos wenn schon nicht ins Wohnzimmer, dann immerhin wie die Faust aufs Auge.
Den Eindruck, den es macht, verdankt das Gerät aber nicht nur schierer Größe, sondern auch einer sicht- und spürbar guten Verarbeitung und der Wertigkeit seiner Eingabekomponenten. Metallene Sticks und die großen, zweimal sechs Aktionstasten aus dem Hause Sanwa versprechen echte Arcade-Qualität und dürften ein Hauptgrund für den stolzen Preis der Konsole sein. Durch die Arcade-getreuen Maße können zudem auch zwei Personen bequem an dem Gerät sitzen. Und da wackelt und verrutscht nichts; das Ding steht bombensicher. Um es einmal klar zu sagen: Im direkten Vergleich lässt das Capcom Home Arcade in Größe und Wertigkeit nicht nur alle anderen Plug & Play-Minis, sondern auch die meisten ausgewachsenen Konsolen und Controller wie »billige« Spielzeuge aussehen. Eigentlich.
Hallo, Qualitätskontrolle?
Denn leider war bei meinem Rezensionsexemplar der Plexiglas-Einsatz über dem Capcom-Logo unsauber gearbeitet, sodass er sich auf der rechten Seite des Geräts, um die Tasten des zweiten Spielers herum, um einige Millimeter noch oben wölbte. Auch wenn Funktionsfähigkeit und Spielkomfort darunter nicht litten: Für ein Gerät, das gut 200 Euro kostet und dessen Wertigkeit eines seiner Verkaufsargumente ist, ist das ein No-Go und wäre für mich ein definitiver Reklamationsgrund.
Da mir ähnliche Fälle nicht bekannt sind[1], möchte ich das Ganze unter Einzelfall verbuchen. Definitiv kein Einzelfall sind allerdings die WiFi-Probleme. So weigerte sich mein Capcom Home Arcade beharrlich, eine Verbindung zum WLAN herzustellen, zeigte aber auch keine Fehlermeldung an. Eine Fehlersuche gerät so zum Trial und Error. Auch wenn ich persönlich den Online-Leaderboards keine Träne nachweine, ist das doch ziemlich ärgerlich. Die Rezensionen in anderen Magazinen und Kundenbewertungen in Onlineshops zeigen, dass ich zumindest mit diesem Problem nicht allein dastehe. Vielleicht das Ärgerlichste daran ist, dass ohne funktionierende Internetverbindung logischerweise auch keine Firmware-Updates heruntergeladen werden können, die genau solche Probleme beheben könnten.
Seltener wird auch von Kompatibilitätsproblemen mit einigen TV-Geräten und Monitoren berichtet, sowie über eine unzuverlässige Stromversorgung über den USB-Anschluss des Systems. Dazu sei gesagt, bei mir lief alles bestens, sodass ich mich diesen Kritikpunkten aus eigener Erfahrung nicht anschließen kann. Sollten das verbreitete Probleme sein, wären aber auch das deftige Patzer, die mich denken lassen, dass das Gerät etwas vorschnell auf den Markt gebracht wurde.
Raritätenkabinett
Doch was nützt die (zumindest in der Theorie) schönste und beste Hardware, wenn man an eine Vorauswahl von Spielen gebunden ist, die nichts taugt? Glücklicherweise ist das trotz der selbsterklärenden Beschränkung auf Spiele aus dem Hause Capcom nicht der Fall. 16 in der Mehrzahl hervorragende Titel sind auf dem Home Arcade vorinstalliert, die ursprünglich für die CPS (Capcom Play System) I oder CPS II Arcade-Boards entwickelt wurden und vom Capcom Home Arcade perfekt emuliert werden – alle originalen Slowdowns inklusive.
Auch in Hinblick auf Genre und Epochen ist die Zusammenstellung sehr ausgewogen: Die vier auf dem System enthaltenen Shoot ’em ups zeigen, dass Capcom mehr konnte als Fighting Games und Brawler. Das vertikal scrollende »1944: The Loop Master« (2000) ist vermutlich der bekannteste und beste Titel in diesem Quartett, während sein Genre-Kollege »Giga Wing« (1999) in neonbunte Bullet-Hell-Sphären aufsteigt. »Eco Fighters« (1993) ist einer von zwei Horizontalscrollern im Bunde und fällt durch seine ungewöhnliche und herausfordernde Steuerung auf – sowie durch sein ökokritisches Setting. Besonders hat es mir allerdings »Progear« (2001) angetan, das nicht nur relativ einsteigerfreundlich ist, sondern, als eines der jüngsten Spiele in der Compilation, auch außerordentlich hübsch anzusehen.
Ob es unter 16 Spielen allerdings ebenfalls gleich vier, in ihren grundlegenden Spielmechaniken sehr ähnliche Beat ’em ups sein mussten? »Final Fight« (1989) hat den Auftritt auf jeden Fall verdient; nicht nur weil es ein anerkannter Klassiker ist, sondern auch, weil es auch heute noch Laune macht und für ein Spiel seines Alters hervorragend ausschaut. Spielmechanisch sehr ähnlich, aber tatsächlich in jeder Hinsicht noch etwas besser, ist »Alien vs. Predator« (1994). Das spielt sich genauso famos, wie es ausschaut und ist genreübergreifend ein Highlight der Compilation. »Armored Warriors« (1994) und »Captain Commando« (1991) fand ich dagegen höchst durchschnittlich, nicht zuletzt im direkten Vergleich mit ihren eindrucksvolleren Geschwistern.
1-on-1-Prügelspiele sind ebenfalls in vierfacher Ausführung vertreten: »Street Fighter II: Hyper Fighting« (1991) ist ein weiterer essentieller Klassiker, der nicht fehlen darf, konnte mich nach seinen zahlreichen neueren Interationen und Ports allerdings nicht mehr lange fesseln. Das gelang schon eher »Darkstalkers: The Night Warriors« (1994), das zudem noch immer großartig ausschaut. Mein Highlight ist allerdings das weit weniger bekannte »Cyberbots: Fullmetal Madness« (1995), in dem hochhaushohe Mechs aufeinander einschlagen. Da das Spiel für jeden der Mech-Piloten eine eigene Storyline mitbringt, werden auch Solospieler einige Zeit beschäftigt sein. Im weitesten Sinne ein Prügelspiel ist auch »Mega Man: The Power Battle« (1995). Der vollkommen zu Recht nicht sehr bekannte Titel orientiert sich zwar am Bewegungsrepertoire der Mega Man-Platformer, ist allerdings nichts anderes als eine non-lineare Abfolge von Bosskämpfen und als Fighting Game ganz schön unspektakulär.
Unter den restlichen vier Titeln finden sich dann aber doch noch zwei waschechte Platformer. Darunter auch hier ein Klassiker, um den man schwer herumkommt: »Strider« (1989). Während Setting und Teile seiner Inszenierung noch immer ziemlich originell sind, zeigt das Spiel sein Alter spielerisch wie technisch inzwischen aber deutlich. Auch »Ghouls ’n Ghosts« (1988) ist ganz schön in die Jahre gekommen und außerdem auch mit unbegrenzten Continues noch frustrierend schwer. Ich hätte mir deshalb zumindest in diesem Fall gewünscht, meinen Spielstand speichern zu können.
Komplettiert wird die Sammlung einerseits von »Super Puzzle Fighter II Turbo« (1996). Das ist zwar nicht annähernd so eingängig wie Tetris und Co., entpuppt sich nach einer gewissen Eingewöhnungsphase aber zweifellos als gutes Spiel. Auf dem Capcom Home Arcade schaut es zudem um Längen besser aus als sein PlayStation-Port auf der PlayStation Classic. Das ist, wenn man so will, aber auch das Problem: Der Titel wurde längst für diverse Konsolen umgesetzt und spielt sich mit einem gewöhnlichen Controller eigentlich viel angenehmer.
Im »Capcom Sports Club« (1997) dürfen wir uns schließlich noch im Tennis-Einzel, 5-gegen-5-Fußball (mit Banden) und 3-gegen-3-Basketball messen. Im Einzelspielermodus kommt das Spiel einem Totalausfall gleich, entpuppte sich dann aber als die Überraschung im Multiplayer. Vor allem die Fußball-Variante ist echt stark, humorvoll inszeniert und angenehm chaotisch.
Fazit
Das Capcom Home Arcade überzeugt vor allem dort, wo es darauf ankommt: Bei der Qualität und grundlegenden Funktionalität der Hardware sowie bei der Emulation und Auswahl der mitgebrachten Spiele. Letztere bietet zumindest qualitativ keinen Anlass zur Kritik: Von den 16 enthaltenen Spielen konnte mich ein knappes Dutzend wirklich begeistern, was ich für eine sehr gute Quote halte. Dazu kommt, dass viele der Spiele Raritäten sind, die man nicht unbedingt schon kennt und die es anders als die meisten Spiele von SNES Mini, PlayStation Classic und Co. nicht allerorten zu kaufen gibt. Aus diesem Grund bin ich auch mit der Anzahl der gebotenen Spiele sehr zufrieden. Ich kann allerdings verstehen, dass manch einer sich einige Spiele mehr gewünscht hätte, zumal konkurrierende Mini-Retro-Konsolen mehr Titel bieten und weniger als die Hälfte kosten. Doch der Preis des Capcom Home Arcade ist auf andere Faktoren zurückzuführen und die hochqualitative Hardware vermittelt ein Spielgefühl, das so dicht an einer echten Spielhallen-Erfahrung ist, wie man es sich in den eigenen vier Wänden nur wünschen kann.
Leider erlaubt sich Capcom ärgerliche Patzer, die deutliche Abzügen in der B-Note nach sich ziehen. Der Feinschliff und das gesamte Drumherum, etwa die Funktionalität und der Funktionsumfang der Firmware, lassen zu wünschen übrig. Gerade die Probleme mit der Internetverbindung sind in ihrer Häufigkeit nicht von der Hand zu weisen. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Das sind alles keine Gamebreaker und seine Kernkompetenzen erfüllt das Capcom Home Arcade tadellos. Doch wenn ich 200 Euro oder mehr für eine Konsole mit 16 fest installierten Spielen ausgeben soll, dann erwarte ich ein Gerät, das rundum geschliffen ist – und das lässt sich über das Capcom Home Arcade leider nicht sagen. Mit nur etwas mehr Sorgfalt in der Umsetzung hätte das ein legendäres Stück Hardware werden können. [sk]
Diese Kritik erschien zuerst im Dezember 2019 in Ausgabe #12 des GAIN Magazins. Ein Leihexemplar des Capcom Home Arcade wurde mir bzw. dem GAIN Magazin von Koch Media zu Reviewzwecken zur Verfügung gestellt.
Für die aktuelle Print-Ausgabe #13 des GAIN-Magazins schrieb ich auf acht Seiten den ersten Teil eines groß angelegten Features über weibliche Protagonistinnen in den First-Person-Shootern der 1990er und frühen 2000er Jahre. Das Heft kann auf gain-magazin.de bestellt werden.
Capcom Home Arcade
Capcom / Koch Media, 25. Oktober 2019
- »Eco Fighters« (1993)
- »Giga Wing« (1999)
- »1944: The Loop Master« (2000)
- »Progear« (2001)
- »Final Fight« (1989)
- »Captain Commando« (1991)
- »Alien vs. Predator« (1994)
- »Armored Warriors« (1994)
- »Street Fighter II: Hyper Fighting« (1991)
- »Darkstalkers: The Night Warriors« (1994)
- »Cyberbots: Fullmetal Madness« (1995)
- »Mega Man: The Power Battle« (1995)
- »Ghouls ’n Ghosts« (1988)
- »Strider« (1989)
- »Super Puzzle Fighter II Turbo« (1996)
- »Capcom Sports Club« (1997)
Quelle Screenshots: Koch Media Press-Kit; Quelle Fotos: eigene, Xuân Pham.
[1] Mit Ausnahme dieses Tests von Golem.de, der exakt denselben Makel beschreibt. Da der Hersteller das Capcom Home Arcade als Leihexemplar zur Verfügung stellte, ist allerdings davon auszugehen, dass Golem dasselbe Testmuster erhielt, das ich bzw. das GAIN Magazin auch erhalten hatten. In anderen Tests, aber auch in Reviews bei Amazon oder in Foren, war von Problemen mit dem Plexiglas nirgendwo die Rede.