»Ori and the Blind Forest« galt als eines der Wunderkinder des Jahres 2015. Von Kritikern mit Lob überschüttet, von Fans geliebt, konnte es mich dennoch nicht vollends überzeugen. Mich störten vor allem zwei Dinge: Der viel zu lange Anfang mit wenig Mobilität sowie das unbefriedigende und indirekte Kampfsystem. Beide Makel behebt »Ori and the Will of the Wisps« innerhalb der ersten Viertelstunde.
Noch einmal zur Erinnerung: Im Erstling kämpfte Protagonist Ori mittels Lichtblitzen, die durch Drücken der Angriffstaste automatisch auf Gegner geschleudert wurden. Ein sehr origineller Weg zu kämpfen und angemessen grazil für einen Waldgeist. In der Praxis jedoch war es das vielleicht unbefriedigendste Kampfsystem, das ich je in einem Metroidvania erlebt habe. Jeder Knopfdruck hatte die Energie und den Einschlag einer Knallerbse. Das ständige Button Mashing spannte den rechten Daumen so sehr ein, dass andere Manöver während der Kämpfe finger-logistisch schwierig wurden. »Ori and the Will of the Wisps« bleibt da angenehm konservativ und gibt Ori einfach ein Schwert.
Ein Säbel aus Licht mag weniger originell sein, erfüllt aber seinen Zweck. Durch den Gewinn an Flexibilität entstehen im Kampf – vor allem in der Luft – komplett neue Möglichkeiten. So werden die superb (und ich meine absolut SUPERB) inszenierten Bosskämpfe zu einem Highlight des Spiels. In dieser Hinsicht braucht »Ori 2« sich vor Paradebeispielen im 2D-Kampf wie »Cuphead« oder »Dead Cells« nicht zu verstecken.
Mein zweiter Hauptkritikpunkt am ersten »Ori« ist der schleichende Einstieg, dessen Behäbigkeit durch die geringe Mobilität der Figur bedingt war. Es dauerte Stunden, bis Ori ein angenehmes Maß an Agilität erreicht. Seit »Ori and the Blind Forest« vertrete ich die These: Ein Metroidvania mit Fokus auf Platforming wird erst dann spaßig, wenn die Figur sowohl Wand- als auch Doppelsprung beherrscht. »Hollow Knight« ist – trotz geringeren Platforming-Anteils – ein ähnliches Vorzeigebeispiel für diese These.
»Ori and the Will of the Wisps« beginnt mit dem Wandsprung als Standardausstattung und schenkt uns binnen der ersten Spielminuten den Doppelsprung. Kaum eine Stunde später erlangt Ori die berühmte Bash-Fähigkeit (das Nutzen anderer Flugkörper als Katapult bzw. Ausgangspunkt für weitere Sprünge). An diesem frühen Punkt im Spiel hat unsere Mobilität praktisch zum Vorgänger aufgeholt – zumindest, was die wirklich häufig verwendeten Fähigkeiten angeht. Von dort an geht es mit vielen neuen und originellen Fortbewegungsfähigkeiten nur noch bergauf.
Auf diese Weise expandiert »Ori and the Will of the Wisps« den Platforming-Schwerpunkt des Vorgängers gleich zu Beginn. An vielen Stellen haben die Level von »Ori 2« mehr mit »Celeste« gemein als mit »Super Metroid«. Eine interessante Entwicklung des Metroidvania-Genres, die sich in zahlreichen Spielen der letzten Jahre, wie »The Messenger« oder »Blasphemous«, abzeichnete – die jedoch nicht immer vorteilhaft war.
Metroidvania und Platforming – ein kurzer Exkurs
Das Leveldesign der Urväter »Metroid« und »Castlevania« umfasste hauptsächlich lange Korridore, die gespickt waren mit Kämpfen, Fallen und interaktiven Elementen wie Schaltern oder zerstörbaren Blöcke. Kam Platforming vor, so diente es häufig schlicht der vertikalen Fortbewegung. Knifflige Hüpfpassagen waren die absolute Ausnahme. (Moderne Vertreter dieser bewährten Formel wären beispielsweise »Axiom Verge«, »Blaster Master Zero 2« sowie das (grässliche) »Bloodstained: Ritual of the Night«.)
Stoßen offene 2D-Welten mit hohem Backtracking-Anteil jedoch auf knifflige Jump-and-Run-Herausforderungen, die wir wieder und wieder bewältigen müssen, wird Leveldesign zum Drahtseilakt. Zu hoch ist das Risiko, beim sechsten Durchreisen einer solchen Passage zu nerven oder gar zu frustrieren. Einige 2D-Metroidvanias wie »Guacamelee 2« lagern ihre besonders harten Platforming-Passagen in optionale Gänge mit Sackgassen aus und finden so einen effektiven, wenn auch etwas plumpen Mittelweg. »Super Metroid« oder »Metroid Fusion« entschärfen über den Spielverlauf zunehmend die Schwierigkeit des Backtracking, indem sie Samus zunehmend übermächtig machen – sowohl durch bessere Waffen, als auch durch enorme Mobilität wie unbegrenzte Space Jumps.
Dabei ist gut ausbalanciertes Platforming der vielleicht effektivste Weg, das Bereisen einer riesigen 2D-Welt langfristig aufregend zu halten. »Outbuddies« und »Dandara« sind exzellente Beispiele für elegante Mittelwege; und das, obwohl letzteres buchstäblich zu 100 Prozent aus Wandsprüngen besteht. Sogar 3D-Metroidvanias wie »Journey to the Savage Planet« machen Platforming auf sehr gelungene Weise zur Kernmechanik der Interaktion mit einer vertikal strukturierten Spielwelt. Andere Spiele wie »Iconoclasts« oder »Owlboy« werfen Erzählung und Puzzles in den Mix, um die Erkundung aufregend zu halten, erfordern gleichzeitig aber deutlich weniger Backtracking.
Ein offener 2D-Platformer
Die Hauptverkehrsstraßen von »Ori and the Will of the Wisps« sind nicht annähernd so gesäumt von Stacheln, Fallen und bodenlosen Abgründen wie die Pfade in »The Messenger« oder »Blasphemous«. Außerdem setzt »Ori 2« auf ein großzügiges Teleportersystem, das allzu ausgiebiges Backtracking weitestgehend obsolet macht.
Und da wären wir beim Knackpunkt angelangt: »Ori and the Will of the Wisps« gefällt mir als offener (und sehr atmosphärischer) 2D-Platformer deutlich besser denn als typisches Metroidvania. Für mich persönlich ist das kein großer Malus. Gegen Ende des Spiels stellte ich fest, dass ich die zentrale Stadt nur ein einziges Mal besucht habe – ups. Dabei gibt es doch dort die ganzen NPCs, die mir irgendwelche Dinge verkaufen… die ich nicht wirklich brauche. Die Hauptwährung des Spiels war mir dementsprechend relativ egal. Ich brauche keine zusätzlichen Fähigkeiten und umständliches Inventarmanagement, wenn die Knöpfe des Controllers durch meine liebsten Skills bereits vollends ausgelastet sind. Lediglich die passiven Upgrades wie „klebe unbegrenzt lang an Wänden“ sowie die altgedienten Erweiterungen der Lebensenergie nährten meinen Sammeltrieb. Dass die meisten Geheimnisse dieser Art hinter ansprechenden spielerischen Herausforderungen versteckt statt für Währung zu kaufen sind, half ebenfalls.
Die größte Belohnung fürs Erkunden in »Ori 2« ist der Anblick neuer Kulissen. Diese sehen ohne Ausnahmen absolut famos aus. Entgegen aller Erwartungen ist »Ori and the Will of the Wisps« noch deutlich hübscher als sein Vorgänger. Jedes kleinste Objekt der Szenerie reagiert flexibel auf unsere Bewegungen und schwingt in dynamischem Licht. Erkundung in »Ori 2« ist demnach allein aus ästhetischen Gründen ein Genuss. Zuweilen ist nicht ganz klar, ob dieses oder jenes Objekt als Plattform dient oder nur im Vorder- oder Hintergrund schwebt. Jedoch sind solch kleine Unfeinheiten ein geringer Preis für die sonstige visuelle Exzellenz.
Die Lesbarkeit der Umgebungen ist der einzige Wermutstropfen der grandiosen Platforming-Abschnitte von »Ori and the Will of the Wisps«. Ob und wie diese Platforming-Abschnitte in eine große offene Welt integriert sind, wird an dieser Stelle nahezu zweitrangig. Eingangs verglich ich das Platforming in »Ori 2« mit »Celeste«. Ein größeres Kompliment könnte ich kaum aussprechen. Dieser Vergleich spricht Bände darüber, wie »Ori and the Will of the Wisps« von Anfang bis Ende stets originell und experimentierfreudig bleibt. Ein unerschöpflicher Quell eigener aufregender Ideen – »Ori and the Will of the Wisps« zeigt wahres Genie. [pg]
Ori and the Will of the Wisps
Moon Studios / Xbox Game Studios
11. März 2020, Xbox One / PC
Director: Thomas Mahler