Ein Gastbeitrag von Jessica Kathmann
im Rahmen des Gastautoren-Specials GASTSPIELER III.
So schwarz wie die Nacht, so schwarz wie ihr Name – der Eule Kuro kommt in „Ori and the Blind Forest“ eine tragende Rolle zu. Man könnte so viele Aspekte beleuchten, beispielsweise die spannende Farbgebung mit Ori als weißem Wesen (Ori ist Hebräisch und bedeutet „mein Licht“[1]) und Kuro als schwarzem Wesen (Kuro ist Japanisch und bedeutet „schwarz“[2]). In solchen Überlegungen ist man allerdings schnell dabei, den Fokus nur auf Kuros dunkle, rachegeleitete Seite zu werfen. Dabei scheint mir Kuro ein weit vielschichtigeres Wesen zu sein, das als Mutter der kleinen Eule Ku, die uns in „Ori and the Will of the Wisps“ begegnet, unsere Aufmerksamkeit verdient. So scheint es eine bemerkenswerte Parallele zwischen der Innenwelt Kuros und dem Zustand von Nibel zu geben, die ich im Rahmen dieses Beitrags aufzeigen möchte.
Achtung! Der folgende Artikel enthält zentrale Spoiler zu „Ori and the Blind Forest“.
Der von den Wiener Moon Studios entwickelte Action-Platformer „Ori and the Blind Forest“ verzaubert seit seiner Veröffentlichung im Jahr 2015 unzählige Menschen. Wir spielen Ori, ein weißes, katzenartig anmutendes Wesen, das während eines großen Sturms im Wald Nibel von seinem Vater, dem Geisterbaum, getrennt wurde. Ein bärenhaftes Wesen namens Naru nimmt sich Oris an, bis erneut Unglück geschieht: Der Geisterbaum ruft in einer großen Lichtzeremonie nach Ori, vermutlich unwissend, dass durch sein Licht die frisch geschlüpften Küken der Eule Kuro sterben.
Kuro entführt daraufhin die Essenz des Geisterbaums, Sein genannt, und lässt Sein in den Wald fallen. Dadurch geraten die Elemente im Wald Nibel aus dem Gleichgewicht, der nun keine Nahrung für seine Bewohner mehr bieten kann. Ziehmutter Naru überlässt Ori die letzten Früchte und verhungert. Wieder ein Waisenkind, macht sich Ori auf den Weg und findet Sein tief im Wald. Von ihr erfährt Ori, dass Wasser, Wind und Wärme in Nibel aus dem Gleichgewicht geraten sind und wiederhergestellt werden müssen, um den Wald und das Leben darin zu erhalten. Im etwa zehn Stunden dauernden Spiel erleben wir so eine Geschichte von Mut, Hoffnung und Liebe, die mit der Heilung des Waldes und einem großen Opfer Kuros endet.
Ein Ereignis, das alles verändert
Wasser, Wind und Wärme sind also aus dem Gleichgewicht geraten, seit Sein dem Geisterbaum entrissen wurde. Die Anlehnung an die Elemente Wasser, Luft und Feuer ist offensichtlich. Es ist also etwas ganz Grundlegendes, das, was „die Welt zusammenhält“, aus den Fugen geraten. Betrachten wir die Cutscenes genauer und hören auf das, was unsere Begleiterin Sein sagt, gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Eule Kuro schon immer eine Gegenspielerin des Geisterbaums gewesen wäre oder in irgendeiner anderen Form „böse“. Bis zu dem Tag, an dem der Geisterbaum nach Ori ausruft, scheint Kuro also eine „ganz normale“ Mutter gewesen zu sein, die sich liebevoll um ihren Nachwuchs kümmerte.
Erst mit dem Tod ihrer Nachkommen scheint Kuro sich zu verändern – unschwer auch zu erkennen an der Veränderung ihrer Augenfarbe von Orange-Rot (Feuer? = Liebe?) zu kaltem Weiß. In großer Wut scheint sie dem Geisterbaum seine Essenz, Sein, zu entreißen und damit Nibel ins Chaos zu stürzen. Schauen wir uns doch einmal genauer an, was in Nibel geschieht und wie das mit Kuros Innenwelt in Verbindung zu bringen ist…
I. Der befallene Ginsobaum und das vergiftete Wasser
Schon früh im Spiel treffen wir auf die ersten Wasseransammlungen und müssen feststellen, dass das Wasser Nibels vergiftet ist – Ori stirbt bei Kontakt binnen kürzester Zeit. Die Wasser Nibels wurden seit jeher durch den Ginsobaum gereinigt, was aber nun nicht mehr geschehen kann, da das Herz des Baums verdorben ist und vom dornigen Befall befreit werden muss – unsere erste große Aufgabe im Spiel. Mit Wasser und Baum begegnen wir an dieser Stelle zwei archetypischen Bildern, deren Bedeutung weit über das hinausreicht, was wir mit Worten fassen können. C.G. Jung, der sich viel mit Symbolen beschäftigt hat, definiert: „Ein Begriff oder ein Bild sind symbolisch, wenn sie mehr bedeuten, als sie bezeichnen oder ausdrücken. Sie haben einen umfassenden <unbewußten> Aspekt, der sich niemals exakt definieren oder erschöpfend erklären läßt“[3]. Wie so viele Symbole, erleben wir hier auch das Wasser in mehreren, umfassenden Bedeutungen: Ihm kommt nicht nur in Schöpfungsmythen eine zentrale Rolle als lebensspendendes Element zu, auch im Fruchtwasser wird seine lebensfördernde Kraft deutlich, wodurch das Wasser oft dem weiblich-mütterlichen Bereich zugeordnet wird. Andererseits kann es auch Zerstörung bringen – dann, wenn es in zu großen Massen auftritt und zu ertränken droht oder, wie in Nibels Fall, wenn es vergiftet ist.
Auch beim Baum handelt es sich um ein archetypisches Motiv, ein Symbol. Bäume spielen in der Menschheitsgeschichte bereits lange eine wichtige Rolle, denken wir beispielsweise an die Bäume im Garten Eden. C.G. Jung sah im Baum aufgrund der Tatsache, dass er in Form von Früchten Nahrung spendet, ebenfalls eine weibliche Komponente. Zugleich sprach er vom Baum als „Stätte der Wandlung und Erneuerung“[4]. Dem Ginsobaum scheint diese Funktion eindeutig zuzukommen in der Reinigung und Kanalisierung des Wassers. Allerdings sehen wir, dass der Baum dieser Funktion nicht mehr nachkommen kann, da er von einer symbolträchtigen „Krankheit“ befallen ist: Dornen.
„Zoomen“ wir nun ein wenig heraus und bringen dies mit Kuro in Verbindung, fällt auf, dass beide Motive, Baum und Wasser, einem weiblich-mütterlichen Bereich zuzuordnen sind, der schwer beschädigt ist: Das Wasser ist vergiftet, todbringend, und der Baum von Dornen bewuchert und im Absterben begriffen. Durch den Verlust ihrer Küken scheint auch in der Mutter Kuro etwas abgestorben, mit schmerzbringenden Dornen überwuchert, vergiftet zu sein. Auch Kuro ist fest entschlossen, „todbringend“ zu werden.
II. Die vereisten Elendsruinen und der ausbleibende Wind
Nachdem wir den Ginsobaum von seinem dornigen Bewuchs befreit haben, ist das Wasser in Nibel wieder klar und fließt; im übertragenen Sinne könnte also etwas im Inneren Kuros wieder ins Fließen gekommen sein. Unsere nächste Aufgabe besteht darin, in den Elendsruinen den Wind wiederherzustellen, indem wir die Windkanäle wieder öffnen.
Auch der Wind gilt in vielen Kulturen als Symbol für Fruchtbarkeit; so sahen beispielsweise die Azteken in ihrem Gott Quetzalcoatl den Wind verkörpert, der das Getreide befruchtet und Tod und Wiedergeburt repräsentiert[5]. Einige Pflanzen nutzen den Wind zur Bestäubung oder zum Weitertragen ihrer Samen – auch hier finden wir also einen lebensspendenden Aspekt. Dehnen wir den Wind zum allgemeineren Element „Luft“ aus, assoziieren wir mit verstopften Windkanälen vielleicht den zugeschnürten Hals, das Ersticken. Der nicht mehr wehende Wind scheint also – genauso wie das vergiftete Wasser – mit einem lebensvernichtenden Aspekt verbunden zu sein. Kuro könnte im übertragenen Sinne an ihren Tränen ersticken, Trauer kann bekanntlich die Kehle zuschnüren; das freie Fließen des (Lebens-)Atems wird verunmöglicht.
Um diesen Zustand zu beenden, müssen wir die Elendsruinen betreten, die von einem dicken Eispanzer überfroren sind. Auch die Symbolik des Eises scheint hier sehr treffend für Kuros innere Landschaft zu sein; die kalt-weiße Farbe ihrer Augen könnte als „eisiger Blick“ verstanden werden. Im Eis erleben wir Wasser in einer weiteren lebensfeindlichen Funktion. Begegnen wir Eis in Träumen, geht es häufig um „erfrorene“ Gefühle, um Erstarrung. Das Eis kann Ausdruck einer seelischen Krise sein, beispielsweise einer Verlusterfahrung[6], wie sie Kuro ja tatsächlich schmerzhaft erleiden musste. Schmerzhaft wie die spitzen Eiskristalle, die den Weg säumen. Wem ein Herz aus Eis zugeschrieben wird, der wird als mitleidslos, unbarmherzig und lieblos gesehen[6] – Eigenschaften, die wir Kuro auch zuschreiben, bis wir von ihren Beweggründen erfahren.
III. Der Horuberg und das außer Kontrolle geratene Feuer
Ist das Element des Windes wiederhergestellt, stehen wir bald vor der letzten Herausforderung: der Wiederherstellung des Elements der Wärme im Horuberg. Beim Horuberg scheint es sich um einen Vulkan zu handeln, vielleicht ist aus dem Berg aber auch erst im Zuge der „Erblindung“ Nibels ein Vulkan geworden. Schon am Fuß des Berges werden wir von Lava und Feuer begrüßt und es wird klar: dieser Berg wird uns spielerisch alles abverlangen, was wir können. Die Kraft, die hinter Feuer und Lava steckt, wirkt zutiefst bedrohlich.
Im Bezug auf Kuro können wir Feuer und Lava als Aggression Kuros in all ihrer zerstörerischen Dimension verstehen. Doch auch die Symbole „Feuer“ und „Lava“ schillern in ihrer Bedeutung: Neben der destruktiven Seite assoziieren wir mit dem Feuer vielleicht auch die brennende, heiße Liebe; und sowohl Lava als auch Feuer können auf Wandlungsprozesse hindeuten: Im Feuer erfolgt die Wandlung durch Verbrennen, in der Lava durch Verschmelzen von Komponenten.
Nach der Wiederherstellung des Elements der Wärme geht dann alles ganz schnell: Kuro taucht auf, verfolgt und verletzt Ori, und raubt Sein. Ori bleibt regungslos auf dem Boden liegen, als die inzwischen wiederbelebte[7] Ziehmutter Naru auftaucht. Bewegt von Narus Trauer um Ori und erinnert an ihre eigene Trauer um ihre verlorenen Küken, blickt Kuro auf ihr entferntes Nest: Sie ahnt, dass dem letzten noch verbliebenen Ei nicht mehr viel Zeit bleibt, bis es vom Feuer (ihrem Hass?) verzehrt wird. Das letzte Lebendige – vielleicht auch das letzte in ihr selbst Lebendige? – will Kuro nicht aufgeben. Und hier kommt der Wandlungsaspekt des Feuers zum Tragen: Kuro beschließt, Sein in den Geisterbaum zurückzubringen, ihre Wut aufzugeben und dem Leben selbst wieder die Regie überlassen. Im gleißenden Licht, das der Geisterbaum durch die Wiedereinsetzung Seins ausstrahlt, löst die „alte“ Kuro sich auf. Heilender Regen beginnt zu fallen und die Feuer im Wald zu löschen.
Der „blinde“ Wald
Namensgebend für das Spiel ist der „erblindete“ Wald, über den wir nun manches erfahren haben. Mit dem Wort „blind“ assoziiere ich neben dem auf der Hand liegenden Nicht-Sehen-Können auch „blinde Wut“ und „blindes Glas“. Es ist zu vermuten, dass Kuro neben ihrer Trauer und ihrem Engagement, das letzte Ei zu retten, auch Wut verspürt, denn Trauer und Wut gehen meist Hand in Hand – manchmal auch zeitversetzt. So könnten wir die „Erblindung“ des Waldes, also Kuros innerer Landschaft, als die Ausbreitung einer blinden Wut verstehen, die beinahe ein weiteres Leben, das von Ori (und indirekt auch das des verbliebenen Kükens im Ei), gekostet hätte.
Die Glas-Assoziation geht in eine ähnliche Richtung: durch blindes Glas kann man nicht mehr schauen, die Sicht wird getrübt und eingeschränkt. Auch Kuros Blick scheint sich zu verengen; sie riskiert es, den ganzen Wald zu opfern, um Rache zu nehmen und ihr letztes Küken zu retten. Erst, als sie Naru mit Ori sieht und die drei Elemente wiederhergestellt sind, scheint die „Erblindung“ aufgehoben.
Die Wiederherstellung der drei Elemente
Moment, warum eigentlich drei Elemente? Wo ist das vierte Element? Wasser, Luft und Feuer haben wir, aber was ist mit der Erde als dem vierten Element? Ich habe lange darüber nachgedacht, warum im Spiel nur drei Elemente auftauchen. Fiel den Entwicklern nichts Kreatives für die Erde ein? Wurde die Zeit zu knapp, das Spiel zu umfangreich? Funktioniert Oris Welt anders? Ich weiß es nicht. Aber eines fiel mir auf: Drei Elemente sind aus dem Gleichgewicht geraten. Kuro hat drei Küken verloren. Ihr viertes Küken überlebt im Ei. Was also, wenn jedem verstorbenen Küken eins der Elemente zukommt? Was, wenn das Wiederherstellen der Elemente gleichsam der Verarbeitung der Trauer um Kuros Küken entspricht? Um das vierte Küken muss nicht getrauert werden, durch seinen nicht vollzogenen Tod ist kein weiteres Element aus dem Gleichgewicht geraten – vielmehr noch: Es scheint die fruchtbare Erde für den zweiten Teil des Spiels, „Ori and the Will of the Wisps“ zu sein.
Die Wiederherstellung des Wassers erfolgt durch die Wiederherstellung des Ginsobaums. Spannend ist, dass C.G. Jung in seinen Werken den Baum mit Tod und Wiedergeburt in Verbindung bringt[8]. In Kuros verstorbenen Küken und dem unversehrten Ei begegnen uns Tod und (Wieder-)Geburt; in gewisser Weise tun sie das aber auch in Kuros eigener Geschichte: Wir haben oben festgehalten, dass in Kuro beim Tod ihrer Küken etwas stirbt – etwas, das offenbar in dem Moment wiedergeboren wird, als sie Naru mit Ori in ihren Armen sieht. Überdies folgt auf Kuros Opfertod das Schlüpfen ihres letzten verbliebenen Kükens – in gewisser Weise lebt Kuro in ihm also weiter, wird so gesehen wiedergeboren. So könnten wir also in der Wiederherstellung des Ginsobaums eine Vorwegnahme des großen Geschehens rund um Kuro sehen.
Die Wiederherstellung des Windes ermöglicht es uns, in einigen Bereichen ohne große Anstrengung „nach oben“ zu kommen – vielleicht so, als ob es nach langer Trauer oder Depression plötzlich wieder heller wird; ein Herauskommen aus dem „Loch“ wird leichter.
Von den Konsequenzen der Wiederherstellung des Elements der Wärme erfahren wir im Spiel nicht allzu viel, da in diesem Moment Kuro auftaucht, Ori verfolgt und Sein raubt. Die Vermutung liegt allerdings nahe, dass mit der Wiederherstellung dieses Elements die Elendsruinen von ihrem Eispanzer befreit werden. Das Eis haben wir bereits oben als Ausdruck einer inneren Erstarrung, eines „Herzens aus Eis“ verstanden. Schmilzt das Eis, nimmt es wieder seine flüssige Form an und kann neues Leben hervorbringen. Wenn Eis schmilzt, beginnt es zu tropfen. Diese Tropfen erinnern an Tränen, die bei Kuro nun vielleicht wieder zu fließen beginnen können, im Trauerprozess um das Verlorene.
Eine wichtige Rolle im Geschehen rund um den Horuberg nimmt die Lava ein. Erinnern wir uns daran, dass wir Lava als Symbol für Verschmelzung kennengelernt haben. Gestein, das in einer festen Form und Formation bestand, kann von Lava mitgerissen und aufgenommen werden – aus einzelnen Klumpen kann so ein neuer Strom entstehen. Vielleicht wird in dem Bild der Lava die Integration des überlebenden Kükens in die „neue Familie“ vorweggenommen, bestehend aus Naru, Ori, Gumo und nicht zuletzt Kuro, wie wir im folgenden Bild sehen können.
Trotz der Wiederherstellung der drei Elemente brennt der Wald Nibel noch: Erst durch Kuros mutiges Eingreifen, indem sie sich opfert und Sein zurück in den Geisterbaum bringt, scheint Nibel wieder wirklich zur Ruhe zu kommen. Auch wenn wir nur drei Elemente im Spiel wiederhergestellt haben, folgt hierin eine Art vierte Wiederherstellung. In der analytischen Psychologie nach C.G. Jung, aber auch in der Mythologie und in vielen Religionen, steht die Vier für Vollkommenheit und Ganzheit. Erst durch die umfassende, vollkommene Wandlung, die durch die Wiedereinsetzung von Sein vollzogen wird, kann der Wald, und damit Kuros Inneres, wirklich Frieden finden und neu aufblühen. So gesehen verstehe ich auch Kuros Tod als einen Wandlungsprozess, der seinen Abschluss in der Geburt ihres Nachkommens findet – in welchem sie weiterlebt.
Fazit
Betrachten wir den Wald Nibel als Spiegel der Seele Kuros, dann beschäftigen wir uns im Spiel also damit, Kuro selbst zu heilen. Die Elemente Nibels, also die zentralen (innerseelischen) Kräfte, sind aus den Fugen geraten und müssen wiederhergestellt werden, damit der Wald gesundet. Im Wasser konnten wir den lebensspendenden, mütterlichen Aspekt erkennen, der aber durch Trauer und Wut in sein Gegenteil verkehrt wurde. Den Eispanzer der Elendsruinen können wir als die „erfrorenen“ Gefühle verstehen, den ausbleibenden Wind als Ersticken (am eigenen Schmerz). Feuer und Lava im Horuberg verdeutlichen nochmals den brennenden, zerstörerischen Zorn, werden aber zugleich zu Symbolen der großen Wandlung Kuros.
Die Wiederherstellung der Elemente bringt nach und nach die Gefühle Kuros zurück und das Innerseelische wieder ins Fließen. Erfrorenes taut auf, Aufgestautes fließt wieder, es gibt „Aufwind“ aus dem tiefen Loch der Trauer. Jedem der drei Elemente könnten wir eines der verlorenen Küken zuweisen, um die erst (heilsam) getrauert werden muss, bevor die große Wiederherstellung folgen kann, die in der Auflösung der „alten“ Kuro und der (Wieder-)Geburt in ihrem Küken Ku begründet ist. Die archetypischen Symbole, die uns im Spiel begegnen, nahmen die große Verwandlung, Tod und Wiedergeburt, und die Aufnahme in eine neue Familie, bereits vorweg.
Die Autorin:
Jessica Kathmann (@JessicaKathmann)
Schreibt auf tiefengaming.blog.
Gerade vier Jahre war Jessica alt, als sie als Lagerhausverwalterin erste Verschieberätsel löste – auf dem Schoß ihres Vaters, im Computerspiel-Klassiker Sokoban. Auf eine abgeschlossene Kindheit folgten ein abgeschlossenes Psychologie-Studium in Tübingen und eine andauernde Ausbildung am C.G. Jung-Institut Stuttgart. Begleitet wurde all das von Jessicas anhaltendem Interesse an Games unterschiedlichster Genres. Die betrachtet die selbstständige Psychologin nicht nur tiefenpsychologisch-analytisch auf ihrem Blog – tiefengaming.blog – sondern nutzt sie auch in der Psychotherapie. Und wenn Jessica einmal weder mit Games noch mit Tiefenpsychologie beschäftigt ist, dann spielt sie eines von verschiedenen Instrumenten oder bespaßt ihren Zwerghamster. [sk]
Quellen und Verweise
[1] „Kuro“ bei „Baby-Vornamen.de“. https://www.baby-vornamen.de/Maedche/K/Ku/Kuro/ (zuletzt abgerufen am 14.3.2020).
[2] „Ori“ bei „Vorname.com“. https://www.vorname.com/name,Ori.html (zuletzt abgerufen am 14.3.2020).
[3] Jung, C.G. (1961/1981). Die Bedeutung der Träume. In Gesammelte Werke. Band 18/1, §432 Olten: Walter.
[4] Jung, C.G. (1954/1978). Beiträge zur Geschichte und Deutung des Baumsymbols. In Gesammelte Werke. Band 13, §418 Olten: Walter.
[5] The Archive for Research in Archetypal Symbolism (2011). Eintrag „Wind“. In Das Buch der Symbole. Betrachtungen zu archetypischen Bildern. Köln: Taschen.
[6] Müller, A. (2012). „Eis“ bei Symbolonline. https://symbolonline.de/index.php?title=Eis (zuletzt abgerufen am 28.2.2020).
[7] Die Wiederbelebung Narus erfolgt durch das beherzte Eingreifen eines schwarzen, kugeligen Wesens namens Gumo. Gumo hatte Oris Reise verfolgt und Oris guten Willen erkannt – daher brachte Gumo das Licht, welches zur Wiederherstellung des Windes gebraucht wurde, im Anschluss zu Naru, die dadurch wiedererweckt wurde.
[8] Jung, C.G. (1954/1978). Beiträge zur Geschichte und Deutung des Baumsymbols. In Gesammelte Werke. Band 13, §350. Olten: Walter.
Liebe Jessica, auch an dieser Stelle noch einmal vielen Dank für den spannenden Artikel über Ori, das ich zuvor lediglich von ein paar Screenshots kannte! :)
Du selbst hast deine Analyse (oder Interpretation) auf Twitter ja als „durchaus etwas gewagtes Gedankenspiel“ beschrieben. Für eine fundiertere Einschätzung müsste ich Ori gespielt haben, aber sofern ich das Ganze einschätzen kann, finde ich das gar nicht. Letztlich kommt es doch nicht darauf an, was von alledem vonseiten der Entwickler tatsächlich intendiert war, oder ob es bewusst oder unbewusst seinen Eingang ins Spiel fand, sondern darauf, wie das Spiel auf die Spieler, oder in dem Fall auf dich im Speziellen, gewirkt hat. Und wie du versuchst, in dem Gezeigten Struktur und Bedeutung zu finden, ist für mich an jeder Stelle deines Artikels schlüssig und sehr gut nachvollziehbar.
Ich hab außerdem noch eine Anmerkung zum Namen des Waldes, Nibel:
Nachdem du die Bedeutungen der Namen Ori und Kuro im ersten Absatz schon hergeleitet hast, hab ich einmal überlegt, was der Name des Waldes Nibel wohl bedeuten könne. Du sagtest mir im Vorfeld, dass du selbst auf keine naheliegende Bedeutung gestoßen bist, außer auf die offensichtliche Verwandtschaft mit den Nibelungen. Allerdings ist mir aufgefallen, dass „Nibel“ ein Beinhahe-Palindrom zu „blind“ ist (oder auch „blinde“ als Wortform im Deutschen). Kann natürlich reiner Zufall sein, andererseits kann ich mir schon auch vorstellen, dass die Entwickler mit den Buchstaben rumgespielt haben, als sie sich fragten, wie sie ihren „blinden Wald“ nennen sollten. ;)
Ich hab nun aber trotzdem noch einmal nachgeschaut, woher denn eigentlich der Begriff „Nibelungen“ kommt, der auch mir zuerst in den Sinn kam, mit mit sich aber nur im weitesten Sinne eine Verbindung konstruieren lässt. Und tatsächlich lässt sich der Begriff Nibelungen etymologisch wohl zurückführen auf das Wort „Nebel“. Nachzulesen etwa hier: https://www.heinrich-tischner.de/50-ku/sagen/nibelung/pers/ht-nbl.htm
Und Nebel, das passt doch auch schon wieder hervorragend zur getrübten Sicht! Ori und der neblige Wald? :)
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Lieber Sylvio,
erstmal danke ich dir sehr herzlich für die lobenden Worte! Klar, das war sicher nicht von den Entwicklern so intendiert und selbstverständlich ging es ja in meinem Artikel auch nicht darum, sondern um meinen persönlichen Eindruck. Ich könnte mir nur vorstellen, dass es für Menschen, die sich nicht schon aus beruflichen Gründen ständig mit Symbolik beschäftigen, vielleicht etwas weit hergeholt klingen mag. Umso schöner zu lesen, dass du meinen Gedankengang an allen Stellen schüssig und nachvollziehbar fandst. :)
Und ich freue mich natürlich noch ganz besonders, dass du deinen Palindrom-Gedanken zu Nibel nun hier auch noch veröffentlicht hast! Ich schrieb dir ja schon, dass ich ihn einfach fantastisch finde!
Auch der Nebel passt da richtig gut rein, vielen Dank für diese Bereicherung!
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Im Spielabschnitt Nebelforst führst du Ori durch einen nebligen Wald, der die Spielumgebung ständig verformt – tolle Spielidee.
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Stimmt! Natürlich – hatte ich gerade gar nicht mehr auf dem Schirm! Alleine das wäre eine eingehendere Betrachtung Wert…Wenn mir was Gutes dazu einfällt, gibts vielleicht mal einen kurzen Artikel auf meinem eigenen Blog. Damit da auch mal wieder was steht. ^^‘
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Eine wundervolle Interpretation zu einem wunderschönen Spiel. Ori and the Blind Forrest setzt die dargestellten Elemente spielerisch sehr gut um, was es zu einem hervorragenden Metroidvania-Spiel macht. Wo andere Genre-Vertreter irgendwelche Upgrades nutzen, nur um irgendeine Wegroute zu öffnen, verknüpft Ori Fähigkeiten mit der Spielumgebung, sodass ein einheitliches Gesamterlebnis entsteht. In der Fortsetzung kommt das Element Erde übrigens zum Einsatz. In einer Spielpassage muss man sich durch das Level hindurchwühlen. Eine Interpretation zur Fortsetzung ist hiermit erwünscht.
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Lieber Dennis,
auch dir herzlichen Dank für die lobenden Worte, ich freue mich wirklich sehr darüber! Und kann mich dir nur anschließen, was deinen Gedanken zur Verknüpfung von Fähigkeit und Spielumgebung bei Ori betrifft.
Ori and the Will of the Wisps habe ich auch bereits mit großer Freude durchgespielt! Es muss sich innerlich noch ein klein wenig bei mir setzen, bevor ich mich da an eine Deutung machen kann, aber wenn ich schon so nett drum gebeten werde, muss da natürlich eine Fortsetzung folgen… ;-)
LG,
Jessica
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