Eine Gastkritik von Dennis Gerecke

Das Call of Duty-Franchise, mit den alljährlichen Veröffentlichungen, wurde bei einigen Spielern schon als altgediente Shooter-Klamotte ausgemustert. Ausgerechnet der aktuelle Ableger »Call of Duty: Modern Warfare« – ein Reboot des damals revolutionären Klassikers aus dem Jahr 2007 – sorgte nun für lobende Kritikerstimmen und wurde bei den Game Awards 2019 als »Best Action Game« nominiert. Doch so sehr das neueste Call of Duty auf der spielerischen Ebene überzeugt – erzählerisch schwächelt die Kampagne mehr denn je.


Ein vertraut modernes Spielgefühl

Nach diversen turbulenten Veröffentlichungen bietet das aktuelle Call of Duty nur wenige innovative Features oder Änderungen im Gameplay. Minimalistische Erweiterungen wie das Abstützen von Waffen aus der Deckung oder die Möglichkeit Türen zu öffnen sind willkommene Neuerungen, die weder den Spielfluss stören noch aufgezwungen wirken. Ansonsten präsentiert sich »Call of Duty: Modern Warfare« als gekonnt umgesetzter, letztlich aber konventioneller Kriegsshooter. Der Wechsel zwischen ruhigen und actiongeladenen Spielsituationen ist sehr ausgewogen. Das Spieltempo der variationsreichen Missionen gerät nie ins Stocken und bleibt auf einem konstant hohen Niveau.

Intensive Momente entstehen besonders beim Observieren einzelner Räume in zivilen Wohngebäuden. Das Spiel verlangt behutsames Vorgehen – denn der Spieler weiß nie genau, ob sich hinter der nächsten Tür ein unbewaffneter Bewohner oder ein als Zivilist getarnter Terrorist versteckt. Das behutsame Voranschreiten durch einen finsteren Korridor vermittelt eine unbehagliche Stille; die darauffolgende Konfrontation mit einem Gegner löst einen Schreckmoment aus. Spannende Infiltrationseinsätze, die der Spieler mithilfe von Nachtsichtgeräten absolviert, waren schon in Modern Warfare (2007) enthalten, fallen in dieser Neuauflage aber umfangreicher aus.

Gerade weil viele Spielpassagen ähnlich aufgebaut sind wie im namensgleichen Originalspiel von 2007, ist aus »Call of Duty: Modern Warfare« ein abwechslungsreiches Actionspektakel geworden. Mit einem Jagdflieger schalten Spieler wieder feindliche Kampfverbände mit mächtigen Geschützen aus. Die Mission »Gut Getarnt«, in der ein massives Söldnerheer im hohen Gras überwunden werden musste, kehrt als Neuinterpretation zurück. Im Gegensatz zu den Nachteinsätzen, fallen diese Spielmomente kürzer und einseitiger als im legendären Vorbild aus. Dafür passen sämtliche Déjà-vu-Erlebnisse wunderbar ins Spielgeschehen und hinterlassen einen stimmigen Gesamteindruck.

Zwischen die altgedienten Szenarien gesellen sich aber auch frisch rekrutierte Ideen. Mal müssen Überwachungskameras bedient werden, um eine wehrlose Mitarbeiterin aus einer von Gegnern besetzten US-Botschaft zu leiten. Ein weiterer Spielabschnitt fordert sogar etwas Rätselgeschick, wenn ihr mithilfe improvisierter Alltagsgegenstände aus einem Gefängnis flüchten müsst. Im Kern ist »Call of Duty: Modern Warfare« aber ein herkömmlicher Deckungs-Shooter, der jedoch gut strukturierte Umgebungen vorweisen kann. So sind innerhalb der linearen Levels genug Optionen für Flanken vorhanden, wodurch ein Taktikwechsel jederzeit möglich ist. Die Masse an zufällig platzierten Checkpoints überzeugt hingegen weniger, da ein Neuversuch häufig mitten im Kampfgeschehen beginnt. Immerhin verkommt das Spiel durch die Vielzahl an Rücksetzpunkten nie zu einem aussichtslosen Unterfangen und so ist selbst der höchste Schwierigkeitsgrad eine eher leichte Angelegenheit.

Bombast-Szenen mit protzigen Explosionen sind ebenfalls wieder vorhanden, werden aber dezenter als in vorherigen Teilen eingesetzt. Dank exzellenter Licht- und Partikeleffekte sind die cinematischen Sequenzen zudem hübsch anzuschauen. Der Soundtrack hätte sich dem Spielgeschehen allerdings dynamischer anpassen können. Nicht immer passen die sparsamen Kompositionen zum Geschehen, und actionlastige Momente klingen trotz wuchtiger Geräuschkulisse zu ruhig bis leblos. Der Adrenalinschub, den Call of Duty 4 einst bot, entfällt deshalb. Doch auch wenn die Musik sich oft zurückhält oder ganz verstummt, Modern Warfare ist niemals zu langatmig. Die 14 Missionen sind weder künstlich gestreckt noch repetitiv. Der Spielablauf wird flüssig voran getrieben und die Kampagne ist nach fünf bis sechs Stunden abgeschlossen.


Eine konservativ altmodische Handlung

Einmal mehr greift auch das aktuelle Modern Warfare auf die gängige Call of Duty-Erzählstruktur zurück. Wie gewohnt wird das Geschehen aus der Sicht verschiedener Elitekämpfer dargestellt: Alex, ein amerikanischer Soldat der CIA, Captain Price vom britischen Spezialkommando SAS, sowie die Freiheitskämpferin Farah Karim aus Urzikstan.

Der fiktive Staat Urzikstan ist eine Anlehnung an Länder wie den Irak, den Jemen oder Syrien (auch wenn die Lore des Spiels den arabischsprachigen Staat am Schwarzen Meer verortet). Dazu passend darf mit Farah Karim zum ersten Mal in einem Call of Duty-Spiel eine Hauptfigur aus dem arabischen Kulturraum mitkämpfen. Da auch sie den Militarismus der westlichen Staaten vertritt, unterscheidet sich die Protagonistin aus dem Nahen Osten jedoch kaum von ihren männlichen Kollegen. Ihre persönlichen Ideale werden in keiner Spielminute auch nur angedeutet. Rein optisch passt Farah allerdings ins Bild einer arabischen Kultur und auch sonst ist ihre äußere Erscheinung mehr als gelungen. Sie verkörpert nicht die typische Videospielschönheit mit makellosen Gesichtszügen und einer kurvigen Figur. Farah ist attraktiv genug, um als Werbebild auf Screenshots abgedruckt zu werden, doch sie muss nicht als überzeichnetes Lustobjekt herhalten.

Ihren Charaktereigenschaften nach zu urteilen, könnte Farah hingegen durch eine beliebige US-Soldatin ausgetauscht werden. Sie verkommt zu einer belanglosen Marketingfigur, die eine Gegenperspektive zur westlichen Sicht bieten soll, letztendlich aber Werte wie Demokratie und Toleranz nur oberflächlich vertritt. Denn Farahs Absichten sind über die gesamte Handlung sehr geradlinig. Sie will die Invasoren aus ihrem Land vertreiben und startet deshalb einen Rachefeldzug gegen den eindimensional bösartigen Kommandanten, der den Angriff auf ihre Heimat angeordnet hat. Da während des Überfalls auch chemische Waffen zum Einsatz kommen, erhält Farah Hilfe von ihren westlichen Verbündeten. Das Bündnis dient allerdings nur dem Zweck, den gemeinsamen Feind auszuschalten. Trotz des gezeigten Elends, dem die Bewohner von Urzikstan durch andauernde Kriege ausgesetzt sind, gerät der zivile Schutz in den Hintergrund. Das Volk wird als geknechtetes Opfer dargestellt, wenn es nicht wie Farah selbst bewaffnet ist. Angriff ist in diesem Konflikt nicht nur die beste Verteidigung, sondern der einzige Lösungsansatz.

Jede Mission im Nahen Osten verlangt, feindliche Vehikel zu zerstören oder Truppenverbände zu beseitigen. Im Endeffekt vertritt Modern Warfare die Position, Friedensicherung sei nur möglich, wenn man den gegnerischen Anführer eliminiert und seine Waffen vernichtet. Eine These, die im Bezug auf unsere Wirklichkeit anachronistisch erscheint. Denn mit der Ermordung des iranischen Generals Soleimani hat ein reales Ereignis vor kurzem gezeigt, wie sich feindliche Auseinandersetzungen intensivieren, wenn eine einflussreiche Person beseitigt wird. »Wir machen uns die Hände schmutzig, damit die Welt sauber bleibt«, lautet die Philosophie von Captain Price. Doch kommen unsere Spielfiguren niemals auf den Gedanken, mit ihren »dreckigen Händen« noch mehr Schmutz zu verbreiten.

Obwohl das Kampfgeschehen teilweise in zivilen Umgebungen stattfindet, lässt Modern Warfare die Gelegenheit verstreichen, einen Kommentar zur modernen Kriegsführung abzugeben. Zwar werden immer wieder Gewaltakte gegen Unschuldige gezeigt; und die Gefahr, einen Unbeteiligten im Gefecht versehentlich zu töten, wird angedeutet. Letzten Endes fehlen dem Konflikt aber die spielerischen Konsequenzen. Terror entsteht nie an dem Ort, an dem sich der Spieler befindet; wenn ein unbewaffneter Zivilist im Feuergefecht umkommt, wird der letzte Kontrollpunkt neu geladen. Statt vom Rücksetzpunkt neu anzufangen, hätte Call of Duty zeigen können, welche Folgen der Tod eines Unbeteiligten mit sich bringt. Zum Beispiel: Menschen, die um den Verlust ihrer Angehörigen trauern und im Anschluss wutentbrannt die Spielfigur attackieren. Die Gewalt, die der Spieler verursacht, führt letztendlich zur Gegengewalt. In kurzen Momenten sind solche Situationen auch spürbar, größtenteils bleibt das militärische Vorgehen aber ohne Konsequenzen. Spezialeinheiten werden nach Abschluss der Mission als Helden dargestellt, denn ihr schnelles Eingreifen rettet Familien vor gefährlichen Terroristen.


Die Call of Duty-Serie hatte zwar nie das Ziel, mit einer tiefgreifenden Handlung zu überzeugen. Doch müssten Spieler von einem Reboot nicht eine erzählerische Weiterentwicklung erwarten? Denn ausgerechnet »Call of Duty 4: Modern Warfare« hatte sich damals durch einen differenzierteren Blick auf die Schrecken moderner Konflikte ausgezeichnet. Der berühmte Prypjat-Level war nicht nur ein Abziehbild der Folgen der Tschernobyl-Katastrophe. Das Setting wurde authentisch inszeniert und konnte das Gefühl vom Zerfall einer Zivilisation glaubhaft darstellen. Zwischensequenzen zeigten zum einen die verwahrloste Umgebung, zum anderen wurde durch die spielerische Interaktion ein neuer zerstörerischer Konflikt verursacht. Nachdem der Spieler eine Zielperson ausschaltete, kam es zu Feuergefechten, bei denen Gebäude gesprengt und Wohnblöcke in Brand gesetzt wurden. Das reale Ereignis wurde durch eine fiktive Nacherzählung in einem Videospiel passend veranschaulicht. Zu diesem erinnerungswürdigen Level habe ich auch eine Videoanalyse auf YouTube hochgeladen.

Neben der unvergesslichen Inszenierung konnten auch die spielbaren Charaktere inhaltlich mehr überzeugen als im aktuellen Reboot. Zwar handelte es sich bei allen Figuren um stumme Soldaten, die nur die Waffe haben sprechen lassen, doch wurde das Kriegsszenario dadurch authentisch wiedergegeben. Es kommentierte nicht, sondern zeigte ruhmlos die Schrecken des Krieges. Als Spieler nahmen wir einen Befehl entgegen und führten diesen ohne Widerspruch aus. Wir agierten als schlichte Kriegsressource, die für den Erfolg der Mission zuständig war. Eine Ressource, die heroisch eine Soldatin rettete, und im Anschluss durch einen Atomschlag elend zugrunde ging. Ein anderer Protagonist wurde nach bewältigter Mission schwer verwundet von einem Helikopter abtransportiert. Im aktuellen Ableger sind alle Spielfiguren von Emotionen angetriebene Moralprediger, die den Glauben vertreten, für eine gerechte Sache zu töten. Es ist eine Aneinanderreihung von überzogenem Heldenpathos, die Call of Duty 4 einst nicht benötigte.

Die größte Peinlichkeit leistet sich Modern Warfare jedoch, indem es auf Russen als altbekanntes Feindbild zurückgreift und sie dabei als Monstrositäten darstellt. In den globalen Medien wird aktuell immer wieder »der neue Kalte Krieg« erwähnt. Call of Duty entfacht zumindest einen Kalten Krieg in der virtuellen Welt, da die Sichtweise auf russische Soldaten negativ und eindimensional ausfällt. Böse Russen überfallen den Nahen Osten, bombardieren Schnellstraßen und foltern Gefangene mittels Waterboarding. Kriegsverbrechen, die in der realen Welt größtenteils von westlichen Staaten begangen wurden. In der fiktiven Geschichte von Modern Warfare wird davon abweichend Russland für derartige Gräueltaten verantwortlich gemacht. Warum russische Soldaten den Staat Urzikstan blutrünstig überfallen, bleibt bis Spielende ungeklärt. Russische Spieler konnten sich die zusammenhangslose Kriegsdarstellung ebenso wenig erklären. Der Verweis auf ihre Nation in Verbindung mit Verbrechen, deren reale Vorbilder anderen Nationen zuzuschreiben sind, sorgte für Empörung.

Letztendlich überzeugt »Call of Duty: Modern Warfare« vor allem durch seine spielerischen Qualitäten. Die Handlung hingegen leidet unter stereotypen Charakterisierungen, was die mitreißend inszenierte Kampagne trübt. Infinity Ward erzählt Geschichten wie ein pubertierender Schuljunge, der, statt erwachsen zu werden, lieber ein mit Plastikgewehren spielendes Kind sein möchte. Es ist bezeichnend, dass die Community ihren Blick vor allem auf den Mehrspielermodus richtet, der mit seinen vielfältigen Modi erneut überzeugt. Als kompetitiver Wettstreit funktioniert Call of Duty, da kein unsinniger Plot in die Multiplayer-Partie eingreift. Der Sieg allein steht im Vordergrund, der Waffeneinsatz wird Teil einer sportlichen Herausforderung. Es gibt wieder wahnsinnig abwechslungsreiche Maps, Upgrades und Killstreaks. Nichtsdestotrotz gab es beim Killstreak »Weißer Phosphor« ebenso eine heftige Gegenreaktion. In einem Artikel für IGN hat ein ehemaliger US-Marine die Verharmlosung dieser Waffe kritisch kommentiert.

Wenn also schon Kriegsveteranen aus den eigenen Reihen die Inszenierung als fehlgeleitet bezeichnen, sollte Activision dringend über einen Imagewechsel im Call of Duty-Franchise nachdenken. In Zukunft sollten erzählerisch neue Geschütze aufgefahren werden. Anderenfalls läuft die Serie Gefahr, erneut einen Teil ihres Publikums vor den Kopf zu stoßen.


Der Autor: Dennis Gerecke

dennisGastautor Dennis wuchs mit dem N64 und der N-Zone auf. Er mag Kritiken, denn Kritiken sind für ihn mehr als Qualitätschecks. Eine ausführliche Spielekritik repräsentiere auch die Haltung zum Werk und fördere den kulturellen Wert von Videospielen. Darum hat Dennis sich zum Ziel gesetzt, Spielkultur weiterzutragen und ihre Errungenschaften zu analysieren. Neben seiner Leidenschaft als Gamer ist er auch als Videoredakteur aktiv. Auf seinem YouTube-Kanal Videogame Analyse verbindet er diese beiden Leidenschaften.


Call of Duty: Modern Warfare
Infinity Ward / Activision, 25. Oktober 2019
PlayStation 4, Xbox One, Windows PC
Writers: Brian Bloom, et al.
Composer: Sarah Schachner

Quelle Screenshots: eigene Screenshots aus der PC-Version; Quelle Titelbild: callofduty.com

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