Und wieder einmal geht ein Jahr zu Ende. Und so schnell wie das geht, braucht man sich kaum zu wundern, dass die Dreamcast-Konsole nun schon 20 Jahre auf dem Buckel hat. Hin und wieder wundere ich mich dann aber doch… Passend zum Jahresausklang: Gedanken über den Release der Dreamcast und den Lauf der Zeit im Allgemeinen.
Die Dreamcast: Zukunft ist Vergangenheit
Eigentlich bin ein Nintendo-Kind. Als ich 1999 zum ersten Mal von der SEGA Dreamcast hörte, war ich zwölf und besaß seit einigen Monaten mein lang ersehntes eigenes Nintendo 64. Als aufmerksamer Leser des Club Nintendo Magazins wusste ich natürlich, dass das N64 im SNES einen Vorgänger hatte, und im NES einen Vorvorgänger – dass Nintendo also eine Historie hatte. Doch mit meinen zwölf Jahren und bewussten Erinnerungen, die kaum bis Mitte der 1990er zurückreichten, erschien mir selbst das Super Nintendo wie graue Vorzeit. Es kam mir nicht in den Sinn, dass auch das N64 einmal Vergangenheit sein oder auf andere wie graue Vorzeit wirken würde.
Oder meine Kindheit enden. Die ewige Kindheit: Ein Segen, das schleichend langsame Fortschreiten der Zeit. Unendlich, die Freiheit und die Möglichkeiten; zwischen den spärlichen Krümeln von Vergangenheit hier und einem unermesslichen Meer an Zukunft da. Eine Zukunft, die irgendwo am Horizont zwar schwelte, die es aber unterließ, mit schwindelerregender Geschwindigkeit gen Gegenwart zu rasen.
Bis zum Auftauchen der Dreamcast erschien mir die Welt der Videospiele unbeweglich, statisch. Aus der Perspektive der Kindheit sah ich im Nintendo 64 das ewige Nonplusultra, und in der PlayStation seinen ewigen, ungeliebte Begleiter. Und wer hätte es verdenken können? Der GameBoy war quasi seit 10 Jahren stets derselbe – woran auch der 1998 erschienene GameBoy Color nichts änderte. Der ewige Handheld. Der PC war ein Buch mit sieben Siegeln. Und vom Kommen einer PS2 hatte zumindest ich noch nie etwas gehört. Das jemals andere Konsolen als die aktuellen vor den Fernsehern stehen und ganz neue Spielerlebnisse ermöglichen würden – undenkbar.
Es war schließlich das Erscheinen von SEGAs Dreamcast, das mich zum ersten Mal erkennen ließ, dass die Welt der Videospiele nicht stillsteht, dass sie einer Entwicklung und einem Wandel unterliegt: Erstmals gab es ein System, das „meinem“ Nintendo 64 überlegen war, dass sich also anschickte, die Zukunft zu sein, das neue Nonplusultra der Spiele-Hardware. Und damit das Ende aller Nonplusultras. Der Anfang von Geschichte.
Fast forward 20 Jahre. Inzwischen bin ich in dem Alter, in dem die Zeit vergeht wie im Flug. Während mir die drei Jahre, die ich von 1999 bis 2002 mit dem N64 verbrachte, erscheinen wie eine kleine Ewigkeit, kommt es mir wie gestern vor, dass ich Ende 2012 eine Wii U und damit zum vorerst letzten Mal eine Konsole am Erscheinungstag kaufte. Und trotzdem wirkt es wunderlich, dass nun schon 20 Jahre vergangen sein sollen, seit die Dreamcast nach Europa kam und mir gezeigt hat, dass da noch mehr kommt, dass es eine Zukunft geben wird, die sich vom Heute unterscheidet, und eine Zukunft nach der Zukunft, und dass alle diese Zukünfte immer wieder – immer mehr? – von der idealen Zukunft abzuweichen scheinen, wie ich sie mir gern wünschen würde.
Doch 20 Jahre nach dem Erscheinen der Dreamcast hat sich zu Gegenwart und Zukunft längst auch eine Vergangenheit gesellt, die diesen Namen auch verdient hat – und zu meiner Vergangenheit die Vergangenheiten vieler anderer, die anlässlich unseres Specials zum 20. Geburtstag der Konsole ihre Erinnerungen an die Dreamcast mit uns teilten. Erinnerungen von vor 21 Jahren, Erinnerungen von vor ein paar Monaten. Auf jeden Fall aber Erinnerungen, die es zu sammeln, zu bewahren, und weiterzutragen gilt, denen Bestand und Raum zu geben ist, wie allem, was „inmitten der Hölle nicht Hölle ist“, wie der große Italo Calvino einst schrieb.
Ganz am Ende dieses schönen Jahres möchte ich eine der schönsten Aktion auf SPIELKRITIK.com in diesem Jahr deshalb noch einmal Revue passieren lassen. Wie es für unsere Geburtstagsspecials Tradition ist, haben wir uns am Europa-Launch der Dreamcast orientiert, da dieser für den Durchschnittsspieler wohl relevanter ist als ein Release in Japan oder sonst wo. Insgesamt zehn Beiträge haben wir im Rahmen des Specials veröffentlicht, sieben davon Gastbeiträge. Wir haben sie in fünf Sammelposts zusammengefasst:
20 Jahre SEGA Dreamcast! Das Geburtstagsspecial (I)
- Der Dreamcast und der Zoll – ein Geduldsspiel (von Rüdiger Grapatin)
- Die 24 Stunden von Le Mans auf der Dreamcast – Sei legendär! (von Rafał Londo und Morton)
Im ersten Sammelpost erzählt Gastautor Rüdiger Grapatin, wie er seine Dreamcast im Herbst 1998 importierte. Danach berichten Rafał Londo und Morton von ihren 24-Stunden-Sessions mit 24 Stunden von Le Mans.
20 Jahre SEGA Dreamcast! Das Geburtstagsspecial (II)
- Mit Zombies durch die Nacht (von Holger Krupp)
- Von alter Liebe und neuen Welten (von Roberto Kracht)
Im zweiten Sammelpost erzählt Holger Krupp, wie er und seine Freunde zum Dreamcast-Spielen durch Nacht und Regen fuhren. Danach erklärt Roberto Kracht, wie die Dreamcast sein Interesse weckte und was sie damals und heute so besonders machte.
20 Jahre SEGA Dreamcast! Das Geburtstagsspecial (III)
- Shenmue: Ein One-Night-Stand (von Erik Körner)
- Make Love and War: Sakura Taisen (von Mathias)
Im dritten Sammelpost geht es erneut um ganz konkrete Spiele. Spielkritik-Redakteur Erik Körner erzählt, was ihn an Shenmue heute fasziniert – obwohl er das Spiel gar nicht mag. Danach erklärt Mathias, warum die Sakura Wars-Reihe so toll ist und die besten Spiele der Serie auf der Dreamcast zu finden sind.
20 Jahre SEGA Dreamcast! Das Geburtstagsspecial (IV)
- Dreamcast-Geheimtipp: Armada (von Roberto Kracht)
- Dreamcast-Geheimtipp: Ooga Booga (von Roberto Kracht)
- Dreamcast-Geheimtipp: Record of Lodoss War (von Sylvio Konkol)
Der vierte Teil unserer Specials steht ganz im Zeichen von Geheimtipps. Roberto Kracht schrieb zwei weitere Texte für uns und stellt dabei die leider US-exklusiven Kleinode Ooga Booga und Armada vor. Nicht ganz so geheim, aber weit weniger bekannt, als es sein sollte: Das Diablo-like Record of Lodoss War, das ich in einer kurzen Kritik vorstelle.
20 Jahre SEGA Dreamcast! Das Geburtstagsspecial (V)
- Meine Dreamcast-Geschichte (von Sylvio Konkol)
Spontan ließ ich das Special in die Verlängerung gehen und erzähle im letzten Teil noch einmal im Detail, wie ich eigentlich an meine Dreamcast kam, warum ich sie mir gerade im zweiten Jahr des GameCube kaufte, und wie viel (oder eher: wie wenig) ich damals dafür hinlegen musste.
Das ist übrigens nicht alles, was es zum Thema Dreamcast auf SPIELKRITIK.com zu lesen gibt: Des Weiteren findet ihr bei uns eine Kritik zum Actionspiel Headhunter, sowie zahlreiche Artikel zum wohl legendärsten aller Dreamcast-Spiele: Shenmue.
- Kritik: Headhunter
- Preview: Shenmue III
- Shenmue I & II: The Road Not Taken
- Das Spiel mit der Nostalgie: Shenmue
- Cities and Memories: Shenmue’s Yokosuka
Die meisten der Shenmue-Artikel sind übrigens zuerst im GAIN-Magazin erschienen, in dessen neuester Ausgabe ihr auch meine Kritik zu Shenmue III findet.
Sollte euch der Sinn weniger nach der Dreamcast als nach alten Konsolen stehen, die Geburtstage feiern, seien euch noch einmal unsere anderen beiden Geburtstags-Features ans Herz gelegt; das zur Xbox oder das zum GameCube. Vielleicht machen wir 2020 ja ein weiteres? Eine Konsole mit einer 2 im Namen, und eine andere mit einer 360, sollen da ebenfalls feiern…
- 15 Jahre Xbox! Das Geburtstagsspecial (I bis IV)
- 15 Jahre GameCube! Das Geburtstagsspecial (I bis III)
Doch egal, wonach der Sinn euch steht, ich wünsche viel Spaß – und einen guten Rutsch ins neue Jahrzehnt! Ganz besonders natürlich denen, die sich am 20. Geburtstag der Dreamcast beteiligt haben. Vielen Dank! [sk]