Im Laufe meines Lebens gab es genau drei Videospielmagazine, die nicht nur meinen Blick auf Spiele nachhaltig prägten. All die vielen anderen, die in zwei Jahrzehnten durch meine Hände wanderten, blieben Gelegenheitsbekanntschaften, One-Issue-Stands, unregelmäßig wiederkehrende Zweckgemeinschaften, die ich immer nur dann kaufte, wenn ich dringend eine Reiselektüre brauchte, etwas vermeintlich Interessantes drinstand oder eine spannende Vollversion dabei war. Oder wenn sie einen Informationsvorsprung vor allen anderen hatten, was bis zum Siegeszug der Online-Magazine ja durchaus noch ein Faktor war.
Doch drei Publikationen begleiteten mich über Jahre hinweg. Keine davon seit ihrer ersten Ausgabe, doch jede bis zu ihrer letzten. Mit gewissen Überschneidungen lösten sie einander ab – einerseits, weil jedes dieser Magazine schließlich eingestellt wurde, andererseits, weil mein „Herz“ längst schon dem jeweils anderen gehörte.
Kindheit und Jugend: Club Nintendo Magazin und big.N
Am Anfang stand das offizielle Club Nintendo Magazin, das ich schon mochte, noch bevor ich Videospiele richtig mochte. „Spiele machen Spaß!“, rief es mir zu, und steht mit dieser einfachen Weisheit für die naive Unschuld der Kindheitstage. Von 1997 an verschlang ich jede Ausgabe und machte mir akribische Notizen zu den darin vorgestellten Nintendo 64-Spielen, obwohl ich diese in Ermangelung eines N64 nur in den seltensten Fällen auch spielen konnte. Am 30. April des Jahres 1999 kam dann aber doch die lang herbeigesehnte N64-Konsole in mein Haus. Verließ ich mich den Rest des Jahres noch auf das, was das Club Nintendo Magazin mir besonders nahelegte, hatte ich nun genügend Gründe, über den Magazinrand der kostenlosen Nintendo-Publikation hinauszuschauen.
Mitte/Ende Januar 2000 konnte ich deshalb der Verlockung der big.N nicht widerstehen, die mich dazu verführte, die für die damalige Zeit fast schon absurd hohe Summe von 6,80 Mark am Kiosk zu lassen. Für diesen Preis bekam ich allerdings nicht nur ein 100 Seiten umfassendes Magazin, sondern auch ein 200 Seiten starkes Lösungsbuch, das ich – unabhängig davon, ob ich die gelösten Spiele auch besaß – ebenfalls von vorn bis hinten durchlas. Damit wurde die big.N, die kurz vor unserem Kennenlernen noch 64 Power geheißen hatte, das erste Spielemagazin, für das ich monatlich Geld ausgab. Ein gutes halbes Jahr nach unserem Kennenlernen hatte ich sie dann sogar im Abo (was allerdings nicht dem unbedingten Wunsch geschuldet war, das Heft in meinem Briefkasten zu wissen, sondern der unglaublichen Tatsache, dass es als Abo-Prämie Perfect Dark für das Nintendo 64 dazu gab, welches in Deutschland bekanntermaßen nicht einmal offiziell erhältlich war).
„Welche Spiele machen wie viel Spaß?“, lautete die Frage, welche die big.N mir präsentierte und die sie wie die meisten ihrer Brüder und Schwestern mit den Mitteln des klassischen Produkttest-Spielejournalismus beantworte. Einmal von der Frucht des Wertungsbaums gekostet, gab es kein Zurück mehr, und das Club Nintendo Magazin gab sich als die nicht gerade kritische Werbebroschüre zu erkennen, die es natürlich immer schon gewesen war. Die big.N wurde meine Spielebibel und mindestens zwei Jahre lang war sie meine absolute Autorität in Sachen Qualitätsurteile. Vor allem aber war sie das Heft, das mir den Kosmos der Videospiele in seiner Breite erst eröffnete.
Doch früher oder später sollte ich auch der big.N entwachsen. Ende 2001 kam der erste PC und mit ihm das Internet in mein Zuhause, dann kam der GameCube, dann hieß die big.N irgendwann N-Games, und dann verschwand sie eines Monats ankündigungslos schließlich ganz aus den Kiosken. Bis zuletzt hatte ich ihr die Treue gehalten, doch auseinandergelebt hatten wir uns schon lange. Der Glanz des Heftes war verblasst, das neue Layout und der neue Name schei… mutlos, und meine Informationen fand ich nun im Internet, unter einer Vielzahl von Meinungen, sodass die big.N bzw. N-Games ihre unumstößliche Autorität eigentlich schon Jahre vor ihrer Einstellung eingebüßt hatte, und die Verlustgefühle damit eher persönlicher, nostalgischer Art waren, als dass mir inhaltlich etwas gefehlt hätte.
Endlich erwachsen: Die Entdeckung der GEE
Gut möglich, dass „Print“ mich ganz an die Pragmatik und die Geschwindigkeit (und die langen, detaillierten Tests, und die hochauflösenden Screenshots, und die Bewegtbilder) des Internets verloren hätte, hätte ich nicht im Sommer 2004 an einem Bahnhofskiosk in Südwestdeutschland auf der Suche nach einer Reiselektüre die GEE entdeckt. Auch nicht auszuschließen, dass ohne den neuen, nochmals „erwachseneren“, nochmals Horizonte erweiternden Blick der GEE selbst Videospiele mich verloren hätten. Für Games, Entertainment und Education stand das Akronym. „Warum machen Spiele Spaß und was machen sie eigentlich sonst noch?“, fragte dieser frühe Vertreter eines New Game Journalism sinngemäß, und steht damit für die Phase einer reifen, reflektierten, nicht länger nur auf Spaß und Prozente reduzierten Spielrezeption, die mich die Faszination Videospiele ein drittes Mal neu erleben ließ.
In meiner Erinnerung ist die GEE bis heute das beste Videospiel-Magazin, das es im deutschsprachigen Raum je gab. Allerdings, die Erinnerung kann trügen. Wie die big.N das Club Nintendo Magazin obsolet machte und die GEE mir die Grenzen der big.N aufzeigte, ist es wohl nicht unwahrscheinlich, dass Realität und Erinnerung auch im Falle der GEE nicht notwendigerweise deckungsgleich sind. Das müsste ich tatsächlich einmal untersuchen, und vermutlich tue ich das irgendwann, wenn ich einen längeren Artikel über das Magazin schreibe. Über das Club Nintendo Magazin habe ich schon vieles geschrieben, wenn auch unvollendet, und über die big.N zumindest ein bisschen. Sogar dem [ple:]-Magazin, das der GEE relative ähnlich, allerdings weitaus kurzlebiger war, habe ich in einem kleinen Artikel die Ehre erwiesen. Ich bin mir daher sicher, irgendwann ist auch die GEE an der Reihe.
Bis es soweit ist, könnt ihr euch aber gern schon selbst ein Bild machen. Denn, oh Wunder, bislang fünf Ausgaben der GEE haben es in ganzer Pracht und noch dazu vollkommen legal ins Internet geschafft! Es handelt sich dabei nicht einmal um Scans, sondern um einigermaßen ansehnlich aufgelöste Druckvorlagen. Zu verdanken ist ihre Veröffentlichung dem letzten Herausgeber der GEE, Volker Hansch, der die Homepage des Magazins auch nach der Einstellung der GEE am Leben gehalten hat – wenn auch eher schlecht als recht, auf etwas befremdliche Art und Weise. So dienten die Ruinen der einstmals ganz ansehnlichen Seite in den vergangenen Jahren quasi nur noch als Nährboden für irgendwelche Sponsored Posts für Online-Casinos. Das kann man traurig finden und es tat mir als erklärten Fan des Hefts tatsächlich etwas in der Seele weh. Andererseits ist es allemal besser, als wenn die Seite ganz verschwinden würde. Und wenn ihr Betreiber darüber die laufenden Kosten deckt, und er sich jetzt, nach langer Zeit, auch noch die Mühe macht, PDFs der alten Hefte hervorzukramen und zu veröffentlichen, dann will ich gar nicht klagen.
Die GEE legal und kostenlos zum Download
Die fünf Hefte, die Volker Hansch bisher zugänglich gemacht hat, sind bereits vergleichsweise späte Ausgaben, zu denen ich auf Anhieb gar nicht so viel sagen kann. Ihr Erscheinen fällt in eine Zeit, in der ich mich am allerwenigsten mit Videospielen beschäftigt habe – die ersten Jahre meines Studiums. Manch eine Ausgabe wanderte daher ungelesen ins Regal. Ans Kündigen meines Abos habe ich aber auch damals nie gedacht, weil die Artikel in der GEE für mich stets eine gewisse Zeitlosigkeit hatten, die ihre Lektüre auch Jahre später noch lohnenswert erscheinen ließ. Warum gerade diese vier Ausgaben ausgewählt wurden, kann ich nicht sagen. Es ist rätselhaft und wirkt ziemlich random. Offenkundig ist es aber gar nicht so einfach, denn wie Volker in einem der Posts schreibt: „Ich habe hier mehrere DVDs und versuche daraus anständige PDFs zu erstellen.“
Die erste digitale Neuveröffentlichung erschien bereits vor über einem Jahr, doch konnte man sie zwischen all dem Casino-Kram leicht übersehen. Heißestes Spiel war damals gerade The Darkness. Es handelt sich um die Juli/August-Ausgabe des Jahres 2007.
Ein ganzes Jahr sollte es dauern, bis Volker dann die nächste Ausgabe online stellte. So folgte im Mai schließlich die September-Ausgabe des Jahres 2008. Wie man dem schönen Cover schon entnehmen kann, enthält diese Ausgabe unter anderem einen großen Artikel über Spore.
Seither liefert Volker relativ regelmäßig Nachschub. Seit letzten Juni ist die Oktober/November-Ausgabe des Jahres 2009 online, mit Brütal Legend als Hauptthema. Ende August folgte die Juli/August-Ausgabe desselben Jahres, mit Die Sims 3 als Titelthema. Es folgten zwei hochnotpeinliche Casino-Artikel, im September dann aber die Juni-Ausgabe des Jahres 2007 (nach hinten raus ist offenbar die Reihenfolge einiger Seiten etwas durcheinander geraten).
- Download Oktober/November 2009 (Link zum Post)
- Download Juli/August 2009 (Link zum Post)
- Download Juni 2007 (Link zum Post)
Das Ganze mutet noch immer ziemlich improvisiert an, weshalb ich allen Leserinnen und Lesern rate, die bisher verfügbaren Ausgaben doch gleich einmal herunterzuladen und offline abzuspeichern. Ich kann mir vorstellen, dass die sich vor allem auf einem großformatigen Tablet sehr schön lesen lassen. Man kann nie wissen, ob sie nicht doch wieder verschwinden – oder ob ein kräftiges Interesse dem Volker Hansch nicht Ansporn ist, schneller noch mehr Ausgaben zugänglich zu machen, vielleicht auch in einem etwas professionelleren Umfeld.
Noch ein paar Anlesetipps: Besonders lesenswert, auch oder gerade aus heutiger Perspektive, sind stets die Interviews gewesen, die in der Regel den Interviewpartner als Person in den Mittelpunkt stellten. Im Juli/August 2007 gibt es ein solches mit Ron Gilbert, im September 2008 mit Cevat Yerli, und in der jüngst erschienenen Ausgabe des Juni 2007 mit Clifford Bleszinski aka. Cliffy B. Verlässlich großartig auch die Kolumnen von Tobias O. Meißner, jeweils auf einer der letzten Seiten, und sehr sehenswert die thematischen Pixelart-Galerien von Sven Stillich, jeweils auf einer Doppelseite in der Mitte der Hefte. Also dann, viel Spaß! [sk]
PS: Erste Anlaufstelle für digitalisierte Versionen klassischer Spielemagazine aus dem deutschsprachigen Raum ist die Seite kultmags.com, die neben vielen anderen Heften auch ein vollständiges Archiv der big.N (und ihren Vorläufern und Nachfolgern, der 64 Power sowie der N-Games) online hat. Die GEE ist dort bislang allerdings nicht zu finden, was die Veröffentlichungen durch Volker Hansch so interessant macht. Wer sich für Impressionen aus alten Club Nintendo Magazinen interessiert, der folge Club Nintendo Memories auf Twitter (oder schaue einmal, was wir über das Heft geschrieben haben). Und wer Scans von englischsprachigen Magazinen sucht, der wird im Out of Print Archiv reichhaltig fündig.
Die GEE war das erste Spielemagazin, dass mir gezeigt hat, dass Spiele und die Berichterstattung mehr sein können als einfach nur Review darüber wie die Grafik ist oder wie das Gameplay ist. Es ist ein Kulturgut und das hat mir die GEE gezeigt. Leider habe ich auch nur die letzte Zeit der GEE ab 2007 mitbekommen, aber ich habe noch ein paar Hefte bei mir und schaue ab und zu nochmal rein. Nach dem letzten großen Heft gab es eine Weile ja auch noch die schmaleren Hefte die ich mir auch gerne geholt habe, auch wenn man schon gemerkt hat, dass da stark abgespeckt wurde.
Eine kleine Anekdote noch. Noch Jahre nachdem es die GEE nicht mehr gab, gab es in meiner Stadt in einem kleinen Zeitungsladen noch die allerletzte Ausgabe der GEE zu kaufen und immer wenn ich sie sah, dachte ich mir, hier ist die Welt noch in Ordnung.
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Das ist echt ne coole Anekdote. :D
Das war dann diese, ausnahmsweise wieder großformatige, Best-Of-Ausgabe?
In ihren letzten ein, zwei Jahren, als die GEE auf das kleine Format wechselte, war das ja vor allem ein Wechsel ins Digitale. Denn in elektronischer Form, zunächst für das iPad, gab es das Magazin ja weiterhin in vollem Umfang und die kleinformatigen gedruckten Hefte waren dann eine Auswahl der Inhalte der digitalen Ausgabe. So wurde es zumindest kommuniziert.
Für mich war das auf jeden Fall ein großer Schock, auch wenn ich, wie ich schon sagte, die GEE in ihren späteren Jahren ohnehin nicht mehr so intensiv gelesen habe. Die notwendige Hardware hatte ich nie und mit dem kleinen Format wurde ich schon haptisch nie warm.
Ich war aber auch überrascht darüber, dass es der GEE doch nicht so gut zu gehen schien, wie ihr stabiles Erscheinen über viele Jahre vermuten ließ. Da ihr Konzept sich eigentlich bewährt hatte, waren die Probleme wohl eher dem Einbruch des Printmarktes generell anzulasten, und insofern war der Fokus aufs Digitale auch nachvollziehbar. Aber vermutlich war die GEE damit dann wieder zu früh dran (oder ihre hochwertige Gestaltung auf Papier seit jeher eine ihrer Stärken).
Für mich sind immer noch die früheren Ausgaben der GEE die besten bzw. besseren. Ich kann jetzt aber nicht sagen, ob das tatsächlich so war, oder ob da eher nostalgische Verklärung im Spiel ist, weil die für mich so „neu“ waren, und mich das Magazin später einfach nicht mehr so sehr überraschen konnte. Egal ob big.N oder GEE, die jeweils erste Ausgabe, die ich hatte, blieb für mich immer die beste. Ein bisschen wie bei Zelda, über das man ja sagt, dass die meisten Spieler einfach das für das beste halten, das sie in einem angemessenen Alter als erstes gespielt haben.
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Meine erste GEE war, soweit ich mich erinnere, die Ausgabe zum ersten Assassin‘s Creed. Und damals dachte ich noch, es wäre einfach ein Heft wo ich mir Reviews und Tests angucken könnte. Doch die Aufmachung alleine machte mir schon klar, dass ich da ein besonderes Heft in der Hand hielt. Auch wenn man ein Heft nicht nur vom äußeren beurteilen sollte.
Ich bin aber auch überzeugt davon, dass genau das, das Problem und später der Untergang der GEE war. Die Tests hatten mich später nie sonderlich interessiert, sondern die Berichte die mit Spielen zusammenhängen oder auch darüber hinausgehen. Ähnlich wie auch bei der GAIN, die ja irgendwo der geistliche Nachfolger der GEE ist. Die Zielgruppe ist einfach nochmal Spitzer als Spitz und da muss es schon eine wirklich treue und auch kaufkräftige Klientel geben, damit ein Magazin mit dieser Ausrichtung überleben kann.
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Man hat für ein Big.N-Abo wirklich Perfect Dark bekommen? Wenn ich damals darüber informiert gewesen wäre, hätte ich meinen monatlichen N-Zone-Kauf kurzzeitig pausiert. Die Gewinnspiele haben sich für mich leider nicht ausgezahlt. Trotzdem schön zu hören, dass gedruckte Magazine digitalisiert werden. Würde mir gerne mal die Erstausgaben der N-Zone gönnen.
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Genau, man hat Perfect Dark bekommen. :D Dafür musste man allerdings auch relativ kräftig zuzahlen. Ich weiß gar nicht mehr… 60 Mark? 80 Mark? Natürlich hat sich das trotzdem kräftig gelohnt, weil das Spiel ansonsten weit über 100 Mark kostete (und in Deutschland ja nicht so leicht zu bekommen war) und ich die big.N ohnehin immer gekauft habe. Ich musste allerdings weitaus länger als versprochen auf die Prämie warten. Die Nachfrage war wohl so groß, dass sie Lieferschwierigkeiten hatten.
Und natürlich musste man, wie das damals so üblich war, eine andere Person „werben“. Also zumindest dem Schein nach. Und deshalb landete das Spiel dann bei meiner Oma, die „mich“ als neuen Abonnenten „geworben“ hatte. :D
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