Liebe Leserinnen und Leser, liebe Dreamcast-Fans und die, die es werden wollen,
schön, dass ihr unserem Geburtstagsfeature weiter treu seid. Eigentlich sollte dieser Beitrag gestern schon erscheinen und unsere Geburtstagswoche beschließen, die am 14. Oktober ihren Anfang nahm. Leider kamen wir gestern Abend kurzfristig ein paar Dinge dazwischen und deshalb gibt es den Beitrag nun heute. Und – Überraschung! – sogar noch einen weiteren am Mittwoch. Unsere „Woche“ wird also kurzerhand um einige Tage verlängert.
Heute stellt euch zunächst Roberto zwei Dreamcast-Geheimtipps vor, die es leider nie nach Europa geschafft haben. Darunter findet ihr eine kleine Kritik von mir zu Record of Lodoss War, das es glücklicherweise sehr wohl nach Europa schaffte. Anlässlich des 20. Dreamcast Geburtstags, habe ich dem Titel, der schon lange in meinem Regal stand, eine Chance gegeben – und siehe da, er mischte sich kurzerhand unter meine Dreamcast-Lieblingsspiele. [sk]
Dreamcast-Geheimtipps: Armada und Ooga Booga
(von Roberto Kracht)
Armada
Metro 3D, 31. Oktober 1999, US only
Im Dreamcast-exklusiven Armada kombinierte Metro3D zwei Arcade-Klassiker zu einem ungewöhnlichen Space-Shooter. Statt wie in StarLancer mit voller Bewegungsfreiheit durch das All zu düsen, steuert ihr euer Schiff ähnlich wie in Ataris Asteroids nur in 2D. Dementsprechend erlebt ihr auch keine rasanten Dogfights mit anderen Schiffen. Vergleichbar eher mit Gauntlet, ballert ihr euch auf recht simple Weise durch schier endloses Kanonenfutter und den einen oder anderen Boss.
Zur Belohnung gibt es natürlich Erfahrungspunkte, Credits und manchmal auch ein Item. Damit könnt ihr nach und nach euer Schiff mit stärkeren Waffen ausstatten, Schilde verbessern und es mit zunehmend gefährlicheren Gegnern aufnehmen. Rollenspiel ist aber ein zu großes Wort dafür, denn die letztlich doch eher simplen Verbesserungen sind im Grunde auch schon die einzigen RPG-Elemente. Eine wirkliche Handlung gibt es nicht und die Missionen sind selten mehr als Botengänge. Das ist aber alles halb so schlimm, denn dafür können bis zu vier Spieler auf einem Bildschirm die wirklich riesige Spielwelt bereisen. Zugegeben, ein recht großer Teil davon besteht aus leerem Raum, aber ihr entdeckt auch immer wieder kleine Raumstationen, an denen ihr mit diversen Waren handeln könnt. Gelegentlich trefft ihr auf freundliche oder feindliche NPCs und so manchen Planeten könnt ihr auch besuchen.
Wer Elite oder No Man’s Sky erwartet, kann nur enttäuscht werden, aber mit ein paar Freunden ist Armada ein kurzweiliger Genre-Mix, mit dem jeder ohne viel Übung Spaß haben kann. Ursprünglich war es übrigens als MMO konzipiert, aber SEGA hatte damals seine Online-Services noch nicht fertig und so hoben die Entwickler sich dieses Feature für einen Nachfolger auf – der Jahre später doch noch eingestampft wurde.
Ooga Booga
Visual Concepts / SEGA, 13. September 2001, US only
Ob Basketball oder American Football, auf dem Dreamcast hoben Visual Concepts das Sportspiel-Genre auf ein neues Level und federten so den Boykott von EA zumindest auf dem amerikanischen Markt etwas ab. Inzwischen gehört das Studio zu Take-Two, wo es wohl für den Rest seines Bestehens immer neue Sportspiele auf den Markt werfen wird. Und das ist schade, denn früher konnte das Team weit mehr als das.
Ihr wohl ungewöhnlichstes Spiel war Ooga Booga, das sie speziell auf die Online-Fähigkeiten des Dreamcast zugeschnitten hatten. Inspiriert von polynesischer Folklore, treten in diesem Spiel vier ulkige Stammeskrieger (und absurde Bonusfiguren wie Abe Lincoln) in launigen Wettkämpfen gegeneinander an. Auf kleinen, farbenfrohen Inseln bewerfen sie sich mit Schrumpfköpfen, reiten auf Wildschweinen und missbrauchen Papageien als Fluggeräte. Außerdem lassen sich hölzerne Tiki-Figuren mit einer kleinen Opfergabe in automatische Geschütze verwandeln – alles, um die Gunst der Vulkangöttin zu gewinnen. Sogar die Elemente können in Form von Blitzen, Tornados und Meteoritenschauern beschworen werden, um die anderen Krieger auszustechen. Darüber hinaus könnt ihr auch noch in einer Art Wildschwein-Rodeo den gewieftesten Reiter küren oder in einer skurrilen Fußball-Variante auf dem Rücken von Schweinen auf Torjagd gehen.
Ooga Booga erschien erst Ende 2001 in den USA und schaffte es daher leider nicht mehr nach Europa. Dementsprechend kurz war auch die Lebensspanne seiner Online-Server, aber dank Shouma ist es inzwischen wieder online spielbar. Als Party-Game mit vier Leuten auf der Couch funktioniert es allerdings noch etwas besser.
Der Autor:
Roberto Kracht lebt in Berlin, hat was mit Informatik gelernt und macht nun was mit Medien. Er schreibt auf Polygonien.de und fungiert als Co-Admin von SEGA-DC.de. Mit mehr als 4.000 Spielen in seiner Steam-Library und weit mehr als 1.000 in Kartons und Regalen, hat der Endzwanziger die wohl größte Spielesammlung von allen, die ich kenne. Wenn er gerade nicht videospielt und sammelt, spielt der Vater von zwei Katzen Fußball und hört gern harte Rockmusik.
Dreamcast-Geheimtipp: Record of Lodoss War
(von Sylvio Konkol)
Record of Lodoss War
Neverland / Swing! Entertainment, 15. Dezember 2000
Record of Lodoss War war einer der ersten „erwachsenen“ Anime, die ich sah. Anfang der 2000er, als Anime dieser Couleur verstärkt nach Deutschland schwappten, lief die Serie immer mal wieder bei Vox im Nachtprogramm, teils als Zusammenschnitt auf fünf Stunden oder so. In dieser Form und charmant unterbrochen von Werbung für Sex-Hotlines hab ich ihn heute noch auf VHS rumliegen. Worauf ich hinaus will: Ich habe gewisse nostalgische Gefühle für die Serie. Keine sehr intensiven, aber doch immerhin. Record of Lodoss War war nicht nur einer meiner ersten Anime, sondern auch eines meiner ersten – oder das erste? – High-Fantasy-Epos, das ich sah, noch vor dem Herrn der Ringe oder bevor ich irgendein einschlägiges Rollenspiel spielte. Elfen, das sind für mich Deedlit und Pirotess, und erst an zweiter Stelle Legolas und Co.
Ein nicht unbedeutender Teil der Faszination von Record of Lodoss War für die Dreamcast entspringt deshalb dem Wiedererkennungswert seiner Figuren und Schauplätze, auch wenn die Lodoss-typisch recht stereotyp sind. Statt allerdings Parn und die anderen Protagonisten der Serie selbst zu spielen, bekommen wir die Kontrolle über einen hünenhaften Gesellen ohne Eigenschaften überlassen, der sich NPCs gegenüber gern als „der stärkste Held“ vorstellt. Ungefähr auf diesem Level verweilt die Story dann auch. Dass mir die Erforschung der Spielwelt trotzdem Spaß macht, liegt einerseits an der dichten Atmosphäre der hoffnungslos düsteren Insel Marmo, und andererseits an den Abschnitten, in denen mein Held vorübergehend von einem oder zwei bekannten Protagonisten der Serie begleitet wird, angefangen bei Parn und Deedlit, bis hin zu Pirotess und Ashram.
Im seinem Kern ist Record of Lodoss War ein Hack & Slay-Game, das ich in Ermangelung anderer Referenzen am ehesten mit Diablo vergleichen würde. Da ich Diablo aber nie auch nur eine Minute selbst gespielt habe, kann es gut sein, dass mein Vergleich hinkt. Ihr erschlagt Feinde in Echtzeit, habt dabei stets ein Auge auf eure Lebensleiste und drückt die Taste für den Heiltrank, sobald diese in den roten Bereich fällt. Gehen eure Heiltränke zuneige, teleportiert ihr euch zurück in eure Basis, wo ihr die Tränke auffüllen und speichern könnt. Auch wenn die Ladezeiten angenehm kurz sind – häufiger als nötig mag man dieses Hin- und Her nicht auf sich nehmen, und so ist das Inventar üblicherweise mit Heiltränken vollgestopft. Zauber gibt es auch, haben aber zumindest bei meiner Charakterausrichtung keine große Bedeutung.
Relativ ungewöhnlich fand ich die Progression. Selbstverständlich erhaltet ihr für besiegte Gegner Erfahrungspunkte, und natürlich gibt es auch Loot in Form von neuen Waffen. Am wichtigsten ist allerdings das Mineral Mithrill, im Prinzip die Währung des Spiels. Diese nutzt ihr, um in eure bestehenden Ausrüstungsgegenstände wieder und wieder Runen eingravieren zu lassen, welche den Gegenstand in der gewählten Kategorie verstärken. Findet ihr doch einmal ein Schwert oder eine Rüstung mit höheren Grundwerten als euer bestehender Ausrüstungsgegenstand, könnt ihr den letzteren ganz einfach in die neue Form umschmieden lassen, und so die Vorteile der überlegenen Grundvariante mit euren bereits eingravierten Runen zu kombinieren.
Ein Highlight von Record of Lodoss War und zugleich sein größtes Problem sind die schieren Massen, die euch das Spiel gleichzeitig vor die Klinge wirft. Kurioserweise tut es das ohne Rücksicht auf Framerate und Spielbarkeit, sodass ich in der Spielmitte beinahe gewillt war zu konstatieren, Record of Lodoss War sei spielmechanisch geradezu „broken“. Immer wieder gelangt ihr in Situationen, in denen euch Feinde aus allen Richtungen angreifen, euch kaum Platz zum Bewegen lassen, umhauen und schon wieder niederschlagen, bevor ihr auch nur den nächsten Schlag setzen oder ein Stück weglaufen könnt. Einmal in eine Ecke gedrängt und von konstant auf euch einprasselnden Schlägen in die Bewegungsunfähigkeit getrieben, ist der Tod allen Heiltränken zum Trotz nur eine Frage der Zeit.
Doch ein „stärkster Held“ passt sich der Situation an und mogelt sich durch die noch vorhandene Rest-Spielbarkeit so durch: So besteht die große Kunst im Grunde darin, eure Treffer zu landen, die Zahl der Feinde sukzessive auszudünnen, während ihr euch durch geschicktes Bewegen und den einen oder anderen Zauber den Rücken freihaltet. Und so stumpf das auch ist, so blödsinnig das auch ausschaut – es macht mir seltsamerweise auch noch über 20 Stunden immer noch Spaß.
Selten habe ich ein japanisches Rollenspiel gespielt, dass spielerisch und künstlerisch so westlich anmutete, wie Record of Lodoss War. Da die Anime und Manga des Lodoss-Universums damals auch im Westen populär waren, hätte es mich nicht einmal überrascht, wenn wir es hier tatsächlich mit einer Interpretation eines amerikanischen oder europäischen Studios zu tun hätten. Doch weit gefehlt: Entwickelt wurde Record of Lodoss War für die Dreamcast von Neverland, die zuvor mit Lufia von sich Reden machten und danach für Rune Factory bekannt werden sollten.
Nur wenige Monate nach seinem Japan-Release brachte der nicht mehr existierende deutsche Publisher Swing! Entertainment das Spiel damals nach Europa und machte sich sogar die Mühe einer deutschen Sprachausgabe – etwas, mit dem nicht einmal der Anime bei Vox auftrumpfen konnte. Leider ist die Übersetzung ansonsten ausgesprochen holprig und fehlerbehaftet; und die Soundeffekte sind abgrundtief schlecht. Wer sich irgendwann fragt, wo das penetrante Gehämmer denn herkommt, ob da irgendein Bug in Endlosschleife läuft: Nein, das sind eure Eisenstiefel, die auch im sanften Gras so klingen, als schlage ein Hammer gegen eine Stahltür. Die kann man quasi nicht anziehen, wenn man den Sound eingeschaltet lassen möchte.
Der Autor:
Sylvio ist 32 und lebt seit gut zehn Jahren in Leipzig. Er studiert Religionswissenschaft und hat einen Master in Anglistik. Digitale Spiele liebt er seit Zelda: Link’s Awakening. Mit Perfect Dark auf dem Nintendo 64 hat er die meisten Stunden verbracht und mit Shenmue II verbindet er die intensivsten Erinnerungen. Mit seiner Frau spielt er Big Brain Academy und Mario Golf, mit seinen Freunden Advance Wars by Web. Er ist Chefredakteur von SPIELKRITIK.com, das er im Frühjahr 2016 ins Leben rief.
Nicht vergessen: zum ersten Teil unseres Specials geht es HIER – und am Donnerstag gibt’s den Abschluss.
Ich hatte ja kurz gehofft, Record of Lodoss War könnte mal ein Exklusivtitel für die Dreamcast sein, für den ich mir die Konsole noch anschaffen würde, aber so ansprechend ist es für mich wohl dann doch nicht :D
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Kommt wirklich auf deinen Geschmack an und ob dir das Genre insgesamt gefällt. Eine Dreamcast extra für Record of Lodoss War…? Ich finde, da müsstest du schon Genre-Liebhaber oder Fan der Vorlage sein.
Ich muss allerdings anmerken, dass sich mein Eindruck von Record of Lodoss War in den Tagen, seit ich den Text schrieb, nur noch verbessert hat. Wenn ich mal ganz klassisch eine Prozentwertung vergeben soll… Dann wäre das inzwischen schon der hohe 80er-Bereich. Also in Relation zu seinem Erscheinungsdatum. Hab nun schon seit zwei, drei Wochen kein anderes Spiel angerührt. :D
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Bin kein Hack n Slash Enthusiast, aber ein Fan der Vorlage. Aber mal ehrlich, davon erkennt man soweit ich das sehe absolut gar nichts im Spiel :(
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