Hallo miteinander und herzlich willkommen zum zweiten Teil unseres großen Geburtstagsspecials zu Ehren der SEGA Dreamcast!

Fast auf den Tag genau 20 Jahre ist es her, da kam die Dreamcast noch Europa. Der 14. Oktober 1999 war kein Montag wie in diesem Jahr, und auch kein Mittwoch wie heute, sondern ein Donnerstag. Wenige Wochen zuvor hatte die Konsole einen brillanten US-Start hingelegt und auch in Europa waren die Erwartungen enorm.

Und wer könnte es verdenken? Das Start-Lineup war famos und umfasste neben „Systemsellern“ wie Sonic Adventure, Virtua Fighter 3tb, Power Stone und Sega Rally 2 auch eine starke zweite Reihe, darunter Millennium Soldier: Expendable, Tokyo Highway Challenge, Toy Commander oder Ready 2 Rumble Boxing. Das Vorweihnachts-Lineup war nicht allzu umfangreich, konnte sich mit The House of the Dead 2, NBA 2K und nicht zuletzt dem legendären SoulCalibur aber ebenfalls sehen lassen.

Doch der Launch der Dreamcast markierte den Anfang vom Ende von SEGA als Konsolenhersteller. Es dauerte keine zwei Jahre, da wurde die kompakte weiße Kiste auch schon verramscht; und am 31. März 2001 gab SEGA die Einstellung der Konsole und den Rückzug aus dem Hardware-Geschäfte bekannt. Immerhin erschienen selbst dann, etwa bis zum Jahresende, noch erstaunlich viele, erstaunlich starke Spiele und überbrückten denen, die nicht auf die PlayStation 2 umsatteln wollten, die Monate bis zum Erscheinen der Xbox und des GameCube


Somit waren auch Early-Adoptern der Konsole in Europa gerade einmal zwei „gute“ Jahre beschert. Und deshalb frage ich mich – und will die Frage an die damaligen Dreamcast-Besitzer unter euch gern weitergeben: Wie habt ihr euch gefühlt, als im März 2001 das Ende der Konsole verkündet wurde? Wart ihr da erschüttert und meintet, eurer Geld in den Sand gesetzt zu haben? Habt ihr die Dreamcast trotzig verteidigt und seid ihr glücklich gewesen, bei so vielen innovativen Features und tollen Spielen „live“ dabei gewesen zu sein? Oder habt ihr (weil ihr eher „naiv“ gespielt habt, ohne regelmäßig Spielemagazine o.ä. zu lesen) vielleicht gar nicht mitbekommen, wie das Ende nahte, bis irgendwann die Spiele in den Regalen spärlicher wurden?

Ich wäre sehr gespannt, eure Eindrücke von damals in unserem Kommentarbereich zu lesen!

Doch zunächst: Erfreut euch an zwei weiteren Gastbeiträgen! Quasi als Appetizer gibt es einen kurzen Beitrag von Holger Krupp, der uns daran erinnert: Nachts ist es kälter als draußen und durch den Wald ist es kürzer als zu Fuß – und wenn man jung ist, nimmt man ganz schön viel auf sich, um gemeinsam zu zocken!

Danach erwartet euch ein längerer Beitrag von einer, ich sag einfach mal, Koryphäe der deutschen Dreamcast-Szene: Roberto Kracht, alteingesessener Retro- und Indie-Blogger noch dazu, erzählt uns, wie er selbst zu Dreamcast kam, und was die Konsole so einzigartig und besonders machte (und teils bis heute macht). Viel Spaß! [sk]


Mit Zombies durch die Nacht
(von Holger Krupp)

1999 war ich 17 Jahre alt. Ein Schulfreund, der circa zehn Kilometer entfernt wohnte, hatte sich die Konsole gekauft. Ich und andere Freunde wohnten in einer kleinen Stadt, er auf dem Land, mitten im Moor in Niedersachsen. Ohne Führerschein ging es also an den Wochenenden mit dem Fahrrad über Feldwege. Die Rucksäcke mit Bier befüllt, was unsere Eltern mit „wenn der Rucksack klötert, ist es ein schlechtes Zeichen“ kommentierten.

Wir spielten The House of the Dead II, Crazy Taxi, Power Stone und diverse andere Spiele im Zimmer unterm Dach des Bauernhauses, in dem mein Kumpel lebte. Fast jedes Wochenende sind wir mit mehreren Leuten die zehn Kilometer am frühen Abend hin- und spät in der Nacht bei Mondschein zurückgefahren. Manchmal war es drei Uhr morgens; die Zombies aus House of the Dead waren erledigt und wir fuhren durch die Dunkelheit über die Felder. Als es einmal regnete, meinte ein Kumpel, dass er eine Abkürzung kenne. Die Abkürzung war doppelt so lang und wir kamen durchnässt an – was uns aber nicht davon abhielt, wieder bis spät in die Nacht zu zocken und hinterher in teilweise getrockneten Klamotten unseren bekannten Weg zurück zu fahren.

Erst nach der Schulzeit habe ich mir dann meine eigene Dreamcast gekauft und liebe diese Konsole noch immer.

Der Autor:

Holger Krupp, 37, sammelt Konsolen und alte Spiele, seit er als Kind ein NES bekommen hat.


Von alter Liebe und neuen Welten
(von Roberto Kracht)

Meine erste Konsole war SEGAs Mega Drive. Mit Titeln wie Sonic, Dune II und Streets of Rage entfachte es eine Leidenschaft für Videospiele, die bis heute lodert. Mein Blut war von da an blau und doch folgte darauf nicht etwa der Sega Saturn, sondern die PlayStation. Als Kind hatte ich weder Zugang zu Spielezeitschriften, noch gab es in meiner Kleinstadt irgendwo einen Saturn im Schaufenster zu bewundern. So existierten in meiner Wahrnehmung leider nur das N64 und die PlayStation. Das heißt nicht, ich hätte nicht auch Meilensteine wie Metal Gear Solid, Final Fantasy VII & VIII oder Silent Hill mit leuchtenden Augen erlebt oder dass Sony diese Generation nicht völlig verdient dominiert hat. Ich kann aber nicht behaupten, mein Herz hinge an der PlayStation. Echte Liebe empfand ich erst einige Jahre später. Während eines Besuchs bei meinem Kumpel Patrick nahm ich unvorbereitet zum ersten Mal einen Dreamcast-Controller in die Hand und SEGA kehrte endlich zu mir zurück.

Wir spielten damals Power Stone und Dead or Alive 2. Obwohl Prügelspiele normalerweise nicht mein Genre sind, war ich sofort begeistert. Die umwerfende Grafik, das stylische Design und schließlich der ungewöhnliche Controller mit dem Display in der Mitte und den analogen Triggern. Damals war die PlayStation 2 schon knapp ein Jahr auf dem Markt und SEGA hatte bereits offiziell seinen Ausstieg aus dem Hardware-Geschäft verkündet. Der Untergang des Dreamcast war also schon besiegelt. Das war meinem jugendlichen Ich jedoch nicht wirklich bewusst. Wahrscheinlich hätte es nichts an meiner Faszination für den kleinen weißen Kasten geändert. Bei uns war das Geld immer ziemlich knapp, aber das Schicksal wollte offenbar, dass SEGA und ich wieder vereint sind. Damals eröffnete in unserem Kaff für wenige Monate ein Shop für gebrauchte Videospiele. Kurz vor Weihnachten stand ich im Laden und sah den Dreamcast, den ich wenige Tage später für mich und meinen Bruder als gemeinsames Weihnachtsgeschenk kaufte.

Ich war also schon spät dran. Dennoch durfte ich durch den Dreamcast viele Dinge zum ersten Mal erfahren. Wer ihn damals erlebt hat und bis heute liebt, behauptet gern, SEGA sei seiner Zeit voraus und die Welt einfach noch nicht bereit gewesen – und da ist etwas Wahres dran. Jede Dreamcast-Konsole kam mit einem eingebauten Modem, mit dem man über die Telefonbuchse ins Internet gehen konnte. Mit 33 kbit/s war es zwar lahm, aber auch ich machte mit einem Dreamcast-Controller – und nicht etwa mit Maus und Tastatur – meine ersten Schritte im Internet.

So kam ich in das Wolfsoft-Forum und war zum ersten Mal Teil einer Online-Community. Ein paar Jahre später veröffentlichte ich auf einer Dreamcast-Fanpage meine ersten Texte im Internet. Ohne sie gäbe es meinen Blog heute vielleicht nicht. Online-Gaming habe ich ebenfalls zum ersten Mal auf dem Dreamcast erlebt – obwohl die Dreamarena und andere Server nicht mehr lange online waren. Phantasy Star Online war für viele das erste Online-Rollenspiel. In POD 2 oder Toy Racer lieferten wir uns die ersten Online-Rennen und im exzellenten Port von Quake III Arena machte ich meine ersten Online-Frags. In Planet Ring habe ich zum ersten Mal Online-Voicechat benutzt und in Jet Set Radio zusätzlichen Content für ein Spiel heruntergeladen.

Doch nicht nur die Online-Komponente hob den Dreamcast von anderen Konsolen ab. Zum letzten Mal hielt eine Konsole mit Stolz die Arcade-Fahne hoch und brachte die Hits aus den Spielhallen in hervorragender Qualität auf die heimischen TVs. Obendrein gab es neuartige Spielerfahrungen wie Shenmue, das bis dahin teuerste Spiel aller Zeiten. Das funkige Jet Set Radio, das Cel-Shading als Grafikstil populär machte, sowie das psychedelische Techno-Kunstwerk Rez. NBA 2K hob Sportspiele auf das nächste Level und mit Metropolis Street Racer baute Bizarre Creations Metropolen wie San Francisco oder Tokyo mit unfassbarer Detailliebe nach und legte den Grundstein für das spätere Project Gotham Racing.

Zum ersten Mal waren Homebrew und Emulation auf Konsolen ein Thema. Neben zahlreichen Freeware-Emulatoren für 8- und 16-Bit-Systeme gab es mit Bleemcast sogar einen kommerziellen PlayStation-Emulator. Und zum letzten Mal wurde eine Konsole vom Mega-Publisher Electronic Arts komplett boykottiert. Allein mit technischen Raffinessen wie 480p-Ausgabe via VGA-Box, Memory Cards mit eigenem Display und Prozessor, Angel-Controllern und Breitbandadaptern könnte man ganze Artikel füllen.

Ich könnte noch ewig so weitermachen und trotzdem ist der Dreamcast für die meisten Spieler nicht mehr als eine Randnotiz in der Videospielgeschichte. Wenn ich daran denke, wie all die klugen, kreativen Köpfe bei SEGA vor 20 Jahren über sich hinauswuchsen, jedoch nicht belohnt wurden, schwingt bei mir immer ein wenig Verbitterung mit.

Der Autor:

Roberto Kracht lebt in Berlin, hat was mit Informatik gelernt und macht nun was mit Medien. Er schreibt auf Polygonien.de und fungiert als Co-Admin von SEGA-DC.de. Mit mehr als 4.000 Spielen in seiner Steam-Library und weit mehr als 1.000 in Kartons und Regalen, hat der Endzwanziger die wohl größte Spielesammlung von allen, die ich kenne. Wenn er gerade nicht videospielt und sammelt, spielt der Vater von zwei Katzen Fußball und hört gern harte Rockmusik.


Nicht vergessen: zum ersten Teil unseres Specials geht es HIER – und am Freitag geht’s mit weiter!