Immerhin zum vierten Mal fand der deutsche Ableger der aus Schweden stammenden DreamHack nun schon statt, und es war das vierte Mal in Leipzig. Vom 15. bis 17. Februar 2019 füllte die Veranstaltung zwei der fünf Hallen des Leipziger Messegeländes. Anders als die Kölner Gamescom oder auch die neue EGX in Berlin ist die DreamHack aber nicht in erster Linie eine Messe, sondern vor allem ein eSports-Event – und nebenher die größte LAN-Party Deutschlands.
eSports is coming home?
Eine Computerspiel-Großveranstaltung auf der Leipziger Messe – das ist nichts Neues. Beim Flanieren durch die Hallen und ihre charakteristischen gläsernen Verbindungsröhren wurden bei einigen, man muss es inzwischen wohl so sagen, älteren Semestern Erinnerungen wach: In Form der Games Convention fand hier von 2002 bis 2008 die erste echte Games-Messe Deutschlands statt, die sich in den Jahren ihres Bestehens zum besucherstärksten Gaming-Event der Welt entwickelte, dabei sogar der Tokyo Game Show den Rang ablief, und in den Jahren ohne echte E3 (2007 und 2008) unversehens zur internationalen Leitmesse wurde – und letztlich ein Opfer dieses, ihres eigenen Erfolgs. Seit 2009 gibt die Gamescom in Köln die Schlagzahl vor und der Rest ist Geschichte.
Ein Schlussakkord wie dieser ist mit Blick auf die Dreamhack bis auf Weiteres nicht zu erwarten: Von den am Ende über 200.000 Besuchern einer Games Convention ist sie weit entfernt. Auf einem bescheideneren Niveau können aber auch die Besucherzahlen der DreamHack eine respektable Erfolgsgeschichte belegen: Nicht weniger als 20.600 Besucherinnen und Besucher kamen nach Angaben der Veranstalter in diesem Jahr in die Messehallen. Seit ihrer Premiere vor drei Jahren ist die Leipziger DreamHack somit bereits kräftig gewachsen (2018: 18.500; 2017: 15.100; 2016: 13.000) und auch subjektiv hatte ich den Eindruck, dass die Hallen gerade am Samstagnachmittag tatsächlich ziemlich voll waren (zum Glück nie so sehr, dass es unangenehm geworden wäre).
LAN, Rocket League und junge Gäste
„Das Gaming-Festival“, nennt sich die DreamHack Leipzig inzwischen selbst, doch ganz so universell und zugänglich, wie dieses Motto suggerieren möchte, ist die Veranstaltung dann doch nicht: Wer mit nüchternem Blick durch die Hallen schlendert, der erkennt drei tragende Säulen, die alle auf eine passionierte Kernzielgruppe hinweisen: die großen, teils hochdotierten und internationalen eSports-Wettbewerbe, die Stände der Hardware-Hersteller, wie MSI, Samsung oder Corsair, die dort vor allem ihre High-End-Linien und dediziertes eSports-Equipment präsentieren, und schließlich die Rund-um-die-Uhr-LAN-Party mit ihren über 1.700 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Letztere fand in Halle 5 vergleichsweise isoliert vom lauten und ungleich turbulenteren Rest der Veranstaltung statt und hat Durchschnittsbesuchern, die nicht selbst aktiv daran teilnehmen, im Grunde nicht so viel zu bieten. Beeindruckend ist ihre Größe, die natürlich nicht die Ausmaße der Mutterveranstaltung in Schweden erreicht – denn die ist immerhin die größte LAN-Party der Welt – die aber doch ausreicht, um ein grandios futuristisches Bild abzugeben. Bis zu 56 Stunden verbrachten die Teilnehmer hier zwischen LED-Kakteen und Luftmatratzen und hielten dabei auch zahlreiche Turniere ab.
Die größeren Wettbewerbe fanden allerdings in der benachbarten Halle 4 statt, deren Konzept sich an das breite Publikum richtete. Die offensichtlichste Veränderung zu den Vorjahren: Die Halle war nun zweigeteilt, denn gut die Hälfte des etwa 15.000 Quadratmeter großen Areals war erstmals auch für Besucher von 12 bis 15 Jahren zugänglich. Diese hatten damit die Gelegenheit, zum ersten Mal zumindest einen Teil der DreamHack besuchen zu dürfen, die ursprünglich Besuchern ab 16 Jahren vorbehalten war. Und dieses Angebot schien anzukommen: Während sich das (anders als bei der Gamescom noch immer überwiegend männliche) Publikum am Schultag Freitag von dem des letzten Jahres nicht sichtbar unterschied, konnte ich am Samstag viele erkennbar jüngere Besucher in der Halle sehen, die es sich unter anderem vor der imposant inszenierten Rocket League-Bühne bequem gemacht hatten. Daneben umfasste der ab 12 Jahren freigegebene Teil der Halle auch die im Vergleich bescheidene Bühne des Hearthstone Win the Winter-Turniers, den Stand der Deutschen Casemod Meisterschaft (erstmals auf der DreamHack vertreten), sowie zahlreiche Merchandising-Verkaufsstände, offene Turniere in Mario Kart 8 DX und Super Smash Bros. Ultimate, und einiges anderes mehr.
Event Stage, Indies, Hardware
Durch die klare Zweiteilung der Halle war sichergestellt, dass auf zusätzliche Sichtbarrieren an den einzelnen Ständen, wie sie auf der Gamescom üblich sind, auch weiterhin verzichtet werden konnte. Für Besucher ab 16 Jahren, die auch 2019 die überwältigende Mehrheit bildeten, änderte sich daher nichts, und der hintere Bereich der Halle blieb ihnen vorbehalten.
Das Gravitationszentrum dort war die Event Stage. Am Freitag fand auf der größten Bühne der DreamHack das Finale des ESBD Vereinspokal 2019 in League of Legends statt, sowie das Finale der League of Legends Uniliga. Am Samstag folgten an gleicher Stelle das Winternational in Counter-Strike: Global Offensive sowie der von Fotografen umlagerte Cosplay-Contest am späten Abend. Neben der Bühne des DreamHack Pro Circuit von Rocket League war die Event Stage allerdings auch die einzige wirklich imposante Bühne auf der DreamHack 2019. Letztes Jahr war zusätzlich auch die World Championship Series von StarCraft II mit einer eigenen großen Stage in Leipzig vertreten gewesen. Auch die PlayStation Masters aus dem Vorjahr fehlten, sowie die Pokémon Go-Area, die 2018 aber ohnehin ein bisschen wie ein Fremdkörper gewirkt hatte.
Subjektiv hatte ich daher den Eindruck, dass es in Sachen eSports-Wettbewerbe etwas weniger zu sehen gab als noch im letzten Jahr. Andere Bereiche waren allerdings gewachsen oder zum ersten Mal auf der DreamHack Leipzig vertreten: Der von der Gamescom bekannte Indie Arena Booth beispielsweise, der stets von interessierten Besuchern umlagert war. Gut ein Dutzend unterschiedliche Spiele von ebenso vielen unabhängigen Studios waren hier zu sehen und konnten ausnahmslos auch angespielt werden. Unter ihnen waren potentielle Kleinode wie das Sammelkartenspiel Rugon und das „rogue-like couch-co-op multiplayer“ Eisenbahn-Bauspiel Unrailed, aber auch das eher großkalibrige Fade to Silence von Black Forest Games, das ein wenig wie ein Mix aus The Long Dark und Dark Souls wirkte. Nicht minder gut frequentiert waren aber auch die StreamArea, wo auf zwölf im Halbkreis angeordneten Seats insgesamt 43 mehr oder weniger bekannte Streamer sendeten, sowie die Stände von Zowie, MSI, Zotac und Co., die der DreamHack den Charakter einer Hardware-Messe verliehen.
Unter den Hardware-Ausstellern war auch Schenker Technologies, die Firma hinter den High-End-PCs der Marke XMG. Das Leipziger Unternehmen hat seinen Sitz buchstäblich nur einen Steinwurf vom Messegelände entfernt und ist Hardware-Partner und Mitorganisator der DreamHack. Diese werde von dem Unternehmen auch als eine Art Hausveranstaltung genutzt, so Geschäftsführer Robert Schenker. Dass man der DreamHack bereits seit mehreren Jahren der Gamescom gegenüber den Vorzug gebe, habe allerdings nicht nur mit der geographischen Nähe zu tun, sondern sei auch eine Frage der Event-Struktur. Statt mit Branchenriesen um die Aufmerksamkeit der Besucher wetteifern zu müssen, könne man in Leipzig davon ausgehen, dass fast jeder Gast der DreamHack im Laufe seines Tages auf der Messe zumindest einmal am Stand von XMG vorbeikomme und die dort gezeigten Produkte wahrnehme. Ein Vorteil, den die Mitbewerber an den Nachbarständen und die Entwickler am Indie Arena Booth sicherlich so unterstreichen können.
Die (eSports)-Welt zu Gast bei Freunden
Generell gelingt der DreamHack der Brückenschlag zwischen regional und international sehr gut, der Mix zwischen Gelegenheits- und Profi-eSport, die hier friedlich koexistieren und schöne Synergien entwickeln. Beim DreamHack Pro Circuit spielte die internationale Elite der Rocket League-Mannschaften in einem dreitägigen Event um Preisgelder von insgesamt 100.000 Dollar. Live-Kommentatoren vor Ort, ein im Livestream zugeschaltetes Moderatoren-Dreigespann, LED-Panele, gleißende Scheinwerfer und ein Kamerakran ließen dabei in Sachen Inszenierung viele etablierte Sportarten alt aussehen. Bis aus Kanada und den USA waren die Teilnehmer angereist, neben europäischen Mannschaften wie Mousesports aus Deutschland oder der eSports-Division von Paris Saint Germaine, welche das Vorjahresturnier für sich entscheiden konnte. In einem spannenden Finale setzten sich in diesem Jahr Dignitas durch: Beinahe wäre es Vitality gelungen, einen 0:3-Rückstand aufzuholen, doch am Ende musste sich der Underdog aus Frankreich mit 2:4 geschlagen geben – und die Favoriten von Dignitas durften sich über 50.000 Dollar freuen.
Kaum fünfzig Meter weiter ging es am Stand von eJousting und Leipzig eSports um erheblich weniger. Der hier abgehaltene Super Smash. Bros Ultimate-Wettbewerb fiel in den gut 30 Minuten meiner Anwesenheit dadurch auf, dass zumindest gefühlt die Mehrzahl der Kämpfe durch das Nicht-Erscheinen eines der angesetzten Kontrahenten entschieden wurde. Die, die da waren, nahmen es mit Humor und so konnte man hier einen charmanten Kontrast zur Ultra-Professionalität nebenan erleben, der zeigt, dass kompetitives Spielen zwar auch aber eben nicht nur glatten Leistungssport auf internationalem Niveau bedeuten muss, sondern zunächst einmal Spaß und geselliges Miteinander – wie in jeder alteingesessen Sportart eben auch.
Im Anschluss an die DreamHack sprach ich mit Patrick Dreißig – dem Vorstandsvorsitzenden des Leipzig eSports e.V. (seit 2018 der erste als gemeinnützige anerkannte reine eSports-Verein Deutschlands). Ich wollte wissen, wie der Verein eSports-Großveranstaltungen wie die DreamHack hinsichtlich ihrer Bedeutung für den eSport in Deutschland einschätzt: „In erster Linie sorgt so ein Event wie die DreamHack natürlich dafür, dass das Thema eSport in die breite Öffentlichkeit gelangt. Ich denke schon, dass so auch die Akzeptanz gefördert wird, da immer auch eine Aufklärung über die Thematik erfolgt und so klar wird, was eSport wirklich ist, beziehungsweise wofür er steht“, erklärte Dreißig. Durch ein Event wie die DreamHack werde Leipzig „wieder ein Name auf der Gaming-Landkarte“, und vom positiven Eindruck, den der eSport auch durch die DreamHack in der Region hinterlasse, profitiere schließlich auch der Verein.
Erstkontakt
Und weil die Akzeptanz und Außenwahrnehmung des eSport nach wie vor nicht optimal ist, ist die DreamHack Leipzig auch kulturell bedeutsam: Dass die Veranstaltung in Leipzig so schnell und widerstandslos angenommen wurde, hat sicher auch mit der Games Convention-Vergangenheit der Stadt zu tun, die Vorurteile abgebaut hat – und mit der Freude eines breiten, aufgeschlossenen Publikums darüber, dass auf der Leipziger Messe endlich wieder in großem Maßstab „gezockt“ wird.
Die meisten Publikumsmedien berichteten dann auch positiver über das Event, als die BILD es tat, die es sich nicht nehmen ließ, die DreamHack 2019 in schöner Demonstration ihrer Ignoranz als „Hacker-Hölle“ [sic!] zu bezeichnen, die angeblich von „bleichen Gestalten“ und dem „Duft von altem Turnbeutel“ geprägt sei. Doch auch in den wohlwollenderen Berichten dringt durch, dass eSport im Deutschland des Jahres 2019 noch längst nicht selbstverständlich ist: Bei „gewöhnlichen“ Sport-Events würden wir Spielergebnisse lesen, Porträts und Interviews von und mit den von ihren Fans gefeierten Sportlern aus aller Welt. Berichte über die DreamHack gehen selten tiefer, als zufällige Teilnehmer der LAN-Party erklären zu lassen, warum sie hier sind und was genau sie eigentlich hier machen. Fasziniert vermerkt die Presse die Gesamtlänge der verlegten Kabel, erkundigt sich nach dem erwarteten Stromverbrauch und fokussiert sich in ihrer Berichterstattung etwas zu sehr auf den (wenn auch sehr sehenswerten) Cosplay-Contest, als handele sich sich dabei um eine tragende Säule der Veranstaltung. Mit anderen Worten: Die DreamHack als „Kuriositätenkabinett“, und nicht als Sportveranstaltung wahrgenommen, die sie unter anderem auch ist.
In Hinblick auf das aufklärerische Potential der DreamHack ist es deshalb auch ein wenig schade, dass die hohen Eintrittspreise eine Hürde darstellen, die gerade die flüchtig Interessierten, die sich nicht bereits als eSports-Fans verstehen, von einem Besuch abhalten könnte. Regulär 23,50 Euro kostet ein Tagesticket in Leipzig – das ist mehr als die teuerste Gamescom-Karte und zweifellos viel für eine doch eher überschaubare Veranstaltung. Aus wirtschaftlicher Sicht kann ich verstehen, dass die Organisatoren hier eine leidenschaftliche Kernzielgruppe ansprechen, die bereit ist, für ihr Hobby etwas tiefer in die Tasche zu greifen. Im Sinne der weiteren Akzeptanz des eSport wünschte ich mir allerdings eine etwas inklusivere Preispolitik. Dass 2019 auch Kinder und Jugendliche von 12 bis 15 Jahren für vergleichsweise moderate 9,50 Euro die Veranstaltung besuchen konnten, ist ein guter Schritt in diese Richtung. Er darf aber gern um weitere Optionen ergänzt werden. So könnte ich mir einen niedrigeren Eintrittspreis am wenig frequentierten Freitag oder ein reduziertes „Schnupperticket“ für die Abendstunden vorstellen, wie es das früher auch auf der Games Convention gab.
Denn nichts kann den Eindruck vor Ort ersetzen, der eigentlich keinen Zweifel lässt an der Professionalität und der Hingabe der Athleten, an dem Menschen verbindenden Potential des eSport, und damit auch an seiner Förderwürdigkeit analog zu als solchen akzeptierten Sportarten. Am Ende des Tages dürften aber schon externe Faktoren dazu beitragen, dass die DreamHack wohl auch in den kommenden Jahren (als Termin für 2020 steht der 24. bis 26. Januar) weiter wachsen wird: Denn der ganz große Durchbruch des eSport, auch und gerade beim Zuschauerinteresse, steht uns in Deutschland vermutlich erst noch bevor. [sk]
Der Ticketvorverkauf für die DreamHack Leipzig 2020 startete am 17. September 2019. Weitere Informationen unter dreamhack-leipzig.de.
Dieser Artikel erschien zuerst im April 2019 in Ausgabe #9 des GAIN-Magazins.
Für die kommende Print-Ausgabe #11 des GAIN-Magazins testete ich Metal Wolf Chaos XD. Das Heft erscheint Ende September mit 94 Seiten und dem Titelthema Control.
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