Astral Chain hat mit einem typischen Spiel des Action-Entwicklers Platinum Games ungefähr so viel gemein wie ein plattiertes Schmuckstück mit echtem Platin. Klar, dass das einigen Fans gewaltig gegen den Strich geht. Tatsächlich ist die Action das Glied der Astral Chain, das mich am wenigsten fesselte.

Obwohl ich zu den Leuten gehöre, die Bayonetta auf Infinite Climax-Schwierigkeit spielen, stehe ich Platinums Neuausrichtung offen gegenüber. Schon Nier: Automata packte Fans eher durch seine Welt und Charaktere denn durch seine auf Hochglanz polierte, aber seichte Action. Astral Chain entfernt sich sogar noch weiter von den Platinum-Wurzeln: Es ist spielerisch weit mehr als nur eine weitere Iteration der Bayonetta-Formel (oder weniger – je nach Gusto).

Wir spielen als Polizistin oder Polizist in einem apokalyptischen Cyberpunk-Setting. Eine Bedrohung aus der Astralebene überfiel die Welt und sorgte dafür, dass die komplette Menschheit auf eine gewaltige Arche flüchten musste – so gut es ging. Diese Arche, die einem kleinen Kontinent ähnelt, trägt eine Metropole, die in verschiedene Distrikte und soziale Klassen unterteilt ist. Nun liegt es in den Händen unserer Spezialpolizei, die Astralwesen und deren Chaos zu zügeln.

Dass nur etwa ein Drittel der Spielzeit für Kämpfe draufgeht, passt zu dieser Prämisse – schließlich sollte die Polizei im Idealfall andere Mittel als Gewalt bevorzugen. Die Ermittlungsarbeit, welche als Basis jeder Mission dient, deckt ein breites Spektrum spielerischer Raffinesse und Qualität ab. Astral Chain nutzt dafür geschickt sämtliche Hauptmechaniken sowie stimmige missionsspezifische Minispiele. Missionen, in denen ich meine hundeähnliche Beast-Legion nutze, um einer heißen Spur zu folgen, sind naheliegend. Wenn ich danach in einem Schiebepuzzle mit meiner Arm-Legion Fahrzeuge von einer zerstörten Fahrbahn schieben muss, ist das bereits etwas ausgefallener. Besonders Mission 6, in welcher ich ausführlich mit den zwielichtigen Bewohnern eines Slums interagieren musste, erinnerte mich eher an Yakuza als an Bayonetta. Trotz einiger durchwachsener Miniaufgaben bleiben die Ermittlungen durch ihren gewaltigen Abwechslungsreichtum sowie starkes Worldbuilding und Writing stets aufregend. 

Astral Chain gehört zu den visuell schönsten Switch-Titeln. Dank seines exzellenten Stils braucht es sich selbst vorm in derselben Woche erschienenen Ray Tracing-Blockbuster Control nicht zu schämen. Die Atmosphäre der Cyberpunk-Metropole ist von Anfang bis Ende dicht wie dystopischer Smog. Strahlende Farben und exzellent detaillierte Kulissen verleihen der Welt ein immersives Präsenzgefühl, das andere Platinum-Titel nie erreichten.

Da stört das bestenfalls solide ausbalancierte Kampfsystem nur wenig. Trotz unübersichtlicher Angriffsmuster der Gegner und ähnlicher Schwächen bleiben die Kämpfe zumindest originell und spektakulär. Stupides Buttonmashing sollte in einem Platinum-Game nicht so häufig zum Sieg reichen wie hier. Doch es gibt eben auch stupide Action, die selten langweilig wird.

Im Gegenzug glänzt Astral Chain mit einer interessanten Erzählung, tollen Erkundungspassagen sowie zentnerweise eigener Identität. Vielleicht war es – ähnlich wie bei Ringo Ishikawa – einfach das richtige Spiel zur richtigen Zeit, doch mir hat es äußerst viel Freude bereitet, einfach nur die vielseitigen Aufgaben eines Cyberpunk-Cop-Girls zu erfüllen. [pg]


Astral Chain
Platinum Games / Nintendo, 30. August 2019
Nintendo Switch
Directors: Takahisa Taura, Kaori Ando, Makoto Okazaki