Ich habe Gears 5 nur drei Stunden gespielt. Ob das hier ein Schnellschuss wird, ist mir an dieser Stelle egal. Es gibt wenige Reihen, die mich so gleichgültig zurücklassen wie Gears of War. Positive Kritiken und Berichte über signifikante Umbrüche im Writing (sowie der Xbox Game Pass) führten mich dazu, dem Spiel der Stunde doch eine Chance zu geben.
Gears 5 ist handwerklich kompetent, technisch opulent und eckt (bisher) einfach nirgendwo an. Die Entscheidung, den Kern des Spiels – den immer gleichen Deckungsshooter – so unverändert zu lassen, steht in starkem Kontrast zu den restlichen Verbesserungen.
Die Charakterinteraktionen sind meisterhaft in ihrer unterhaltsamen Eleganz. Nur die absoluten Größen des narrativen AAA-Segments schaffen es, ihre Figuren mit solch effizientem show, don’t tell zu definieren. Und ja, wir reden immer noch über die generischen Muskelberge aus Unreal Engine 3-Zeiten. Und hier beginnen die Probleme.
Auch wenn das Spiel den grau-braunen Mantel der siebten Konsolengeneration abgeworfen hat, bleibt es ästhetisch geschmacklos wie ein Reiscracker. Die Flora des ersten Levels ist so wunderschön wie künstlerisch uninspiriert. Die Gegnerdesigns schwanken zwischen fleischigen Blobs und dem 101 seltsamer Alien-Designs. Obwohl die Protagonistin im späteren Spielverlauf endlich mal kein weißer Typ aus der Fitnessbude ist, steckt sie in derselben bulligen Rüstung wie all ihre Vorgänger. Verarbeitung traumatischer Erlebnisse hin oder her – der übergreifende trashige Militärkontext hindert mich daran, die psychischen Leiden der Heldin wirklich ernst zu nehmen.
Das Gameplay ist so rund, dass ich beinahe versehentlich weiter als den ersten Akt gespielt hätte. Doch dann fiel mir auf: Wenn das Ziel eines Spielgenusses ist, mich etwas fühlen zu lassen – irgendwas – dann ist Gears 5 verlorene Zeit. Ich erlebe hier nichts, was ich nicht in anderen Spielen vor zehn Jahren schon bekommen hätte. Gut – das Writing ist diesmal wirklich unterhaltsam. Doch wenn das der einzige Motivationsfaktor eines knapp zwölfstündigen Spiels ist, kann ich auch Modern Family auf Netflix gucken.
Ich habe mich dabei erwischt, wie ich spielte, ohne wirklich spielen zu wollen. Einfach, weil der Ritt durch die Ödnis so frei von Hindernissen war. Ganz anders ging es mir mit dem Spiel, welches ich zum selben Zeitpunkt im Wechsel mit Gears 5 spielte: Mafia II.
Ein Erfahrungsvergleich mit Mafia II
Das Gangsterdrama aus dem Jahr 2010 sieht auf der Xbox 360 nicht annähernd so sauber aus wie Gears 5. Auch (und vor allem) die Schießereien wirken im direkten Vergleich unfassbar steif und antiquiert – durch die seltenen Checkpoints geradezu frustrierend. Und doch hat das Geballer mehr Gewicht. Es ist befriedigender, weil Mafia II kein Dauerfeuerwerk aus Flammen, Blut und Betonsplitter ist.
Für einen vermeintlichen Mainstream-Titel des Jahres 2010 ist Mafia II erstaunlich radikal in seiner Gestaltung der Spielzeit. Locker die Hälfte des Spiels besteht aus Autofahrten. Diese sind so lang, weil wir uns tatsächlich an die Verkehrsordnung halten müssen – inklusive Tempolimit. Bei den Ganovenjobs geht es nur selten darum, rivalisierende Gangs abzuknallen. Häufig müssen wir erstaunlich wenig aufregende Aufgaben erledigen: Geschmuggelte Zigaretten sortieren, geklaute Tankstellengutscheine verticken, Kisten schleppen… Und ich finde das hervorragend!
Wenn in Mafia II die Fetzen fliegen, dann hat die Gewalt Gewicht. Irgendwelche Typen gingen den Protagonisten so mächtig auf ihre italienischen Eier, dass ein kurzer Rachetrip sich gut anfühlt. Da ist es egal, wie unpräzise das Fadenkreuz, wie unausgereift das Deckungssystem und wie dumm die Gegner sind.
Die bedeutungsloseste Gassenschießerei in Mafia II packt mich mehr als das Bombast-Intro von Gears 5 mit all seinen schreienden Muskelmännern und Sirenen. Trotz menschlicher Dialoge sind die Gears-Charaktere in ihrer absurden Splatter-Welt aus dem Jahr 2006 so unglaubwürdig wie der gesamte Plot des ebenso verirrten Halo 5.
Mafia II hingegen erzählt die bewegende Geschichte eines in Armut wiederkehrenden WWII-Veterans, dessen kriminelle Motive das Gameplay uns am eigenen Leibe nachvollziehen lässt. LKWs zu beladen ist eben nicht so lukrativ und befriedigend wie mit geklauten Autos Reibach zu machen.
Trotz augenscheinlich schwächeren Gameplays erschafft Mafia II eine solch überzeugende Illusion des American Dream zur Nachkriegszeit, dass progressives Bremsen an einer roten Ampel mich mehr begeistert als jedwede Explosion oder Kettensäge. [pg]
Gears 5
The Coalition / Xbox Game Studios, 10. September 2019
Xbox One, Windows
Director: Rod Fergusson
Mafia II
2K Czech / 2K Games, 27. August 2010
PlayStation 3, Xbox 360, Windows
Producer: Lukáš Kuře
Quelle Bilder: Gears 5- und Mafia II-Press Kits