Wer mir auf Twitter folgt, wird vielleicht gemerkt haben: Meine Reise durch Fire Emblem: Three Houses war eine holprige. Das Meer der Emotionen schlug von den tiefsten Tiefen zu den höchsten Höhen. Überwältigendes Lob folgte auf abgrundtiefen Hass. Allein, dass ich solch ein starkes Mitteilungsbedürfnis hatte, sollte beweisen, wie sehr mich das Spiel gepackt hat – anfangs negativ, später positiv.
Dabei war der Einstieg ins Spiel ganz unscheinbar. Three Houses beginnt mit angemessenem Schwung, droht aber nicht zu überfordern. Die Wahl eines der drei Häuser ist aufregend und die ersten paar Missionen sind es auch noch. Doch schnell stellt sich ein ermüdender Gameplay-Kreislauf ein. Generische Schlachten rotieren mit dem repetitiven Professorenalltag in der Akademie. All dies eingebettet in eine bis zu diesem Zeitpunkt belanglose Handlung.
Dabei scheinen die Ambitionen im Worldbuilding bereits durchs narrative Geäst. Wie die besten Fire Emblem-Geschichten konstruiert auch Three Houses einen fiktiven Kontinent, dessen Mächte in einem komplexen Spannungsverhältnis stehen. Leider vergeudet das Spiel die Chance, mir die politischen und sozialen Strukturen des Kontinents Fódlan hautnah zu zeigen. Die Missachtung der Devise „show don’t tell“ ist die vielleicht größte erzählerische Hürde; in begrenztem Maße bis tief in die zweite Spielhälfte hinein. Schön, dass es irgendwo diesen Lord X gibt, der in Konflikt mit Fürst Y steht. Doch wenn ich Hunderte dieser Lore-Schnipsel nur durch Hörensagen erfahre, entsteht in meinem Kopf keine fiktive Welt, sondern eine fiktive Enzyklopädie. Eine, die nur mit viel mentalem Panzerband zusammenhält.
Schule – von Natur aus eintönig
Nach nahezu jeder Schlacht geht es prompt zurück in die Akademie. Dort darf meine weibliche Protagonistin mit Schülerinnen flirten und die wohl stupidesten Fetch-Quests erledigen, die ich jemals gesehen habe. Unter dieser allzu regelmäßigen Rückkehr an einen zentralen Ort leidet außerdem die glaubwürdige Konstruktion eines großen Kontinents mit verschiedenen Nationen und Kulturen. Eine Disziplin, die andere Fire Emblem-Titel – allen voran Path of Radiance und Radiant Dawn – mit Bravour gemeistert haben. Die narrative Progression dieser älteren Titel glich einem Kreuzzug in feindliche Lande; hinter jeder Ecke lauerten Gefahren und aufregende Plot-Punkte. Durch Three Houses’ Akademie als sicheren Hafen wird jedes Gefühl von Dringlichkeit im Keim erstickt – egal, wie aufregend der Cliffhanger der letzten Mission war. Zuerst wird einen kompletten weiteren Monat lang unterrichtet!
Obwohl Three Houses größeren Wert auf die Interaktion zwischen Charakteren legt als jedes andere Fire Emblem zuvor, tragen die einzelnen Figuren erst im späteren Spielverlauf dazu bei, das wankende narrative Schiff seetüchtig zu machen. Wie in jedem anderen Teil der Reihe gibt es mehrere Level für Charakter-Gespräche zwischen den Kämpfen. Leider beinhalten die unteren C-Level-Gespräche fast ausnahmslos austauschbares Geplänkel. Wenngleich hier der Grundstein für spätere, durchaus (sehr) aufregende Twists und Offenbarungen gelegt wird, tragen die frühen Charakterisierungen nur bedingt durch die erste Hälfte des Spiels.
Viele der Gespräche versuchen sich in Humor. Leider funktioniert insbesondere Anime-Humor nur dann, wenn das quirlige Gewäsch von passender Mimik, Gestik und Regie gestützt wird. Three Houses’ Figuren stehen wie angewurzelt in statischen Kulissen und verhalten sich selbst in lustigen Momenten wie bei einem Vorstellungsgespräch. Dynamisch ist anders. Immerhin ist Three Houses zu 100 Prozent vertont. Und das, obwohl das Skript wirklich viele Zeilen gleichmäßig auf Dutzende Charaktere verteilt. Lob an den tollen Voice-Cast, der nichts dafürkann, dass die Pause nach jeder automatisch abgespielten Textbox einen Tick zu lang ist.
Die besten Schlachten der Geschichte von Fire Emblem?
Die Schlachten laufen zu Beginn ein wenig dynamischer ab als die Dialoge. Doch selbst auf höchstem Schwierigkeitsgrad spürte ich in der Mitte des ersten Aktes Langeweile und Unterforderung. Ich bin kein Hardcore-Stratege und habe deshalb ursprünglich sogar auf normalem Schwierigkeitsgrad angefangen. Eine (Fehl-)Entscheidung, welche ich erst nach zwölf Stunden Spielzeit mit einem Neubeginn auf Schwer korrigiert habe.
Ja, ich habe zwölf Stunden des Spiels quasi doppelt erlebt. Beeinträchtigt das mein Bild der ersten Hälfte? Vielleicht ein wenig. Allerdings sind (mir) sämtliche meiner Kritikpunkte schon beim ersten Anlauf auf Normal aufgefallen. Tatsächlich hatte ich auf Schwer bereits deutlich mehr Freude an den ausgeklügelten Kampfmechaniken und sogar am Akademie-Gameplay. Schließlich hatte ich diesmal tatsächlich einen Grund, meine Charaktere durch gezielten Unterricht zu optimieren. Das soll jedoch nicht heißen, dass der höhere Schwierigkeitsgrad knüppelhart sei. Wie oben erwähnt, war ich auch beim zweiten Anlauf schnell unterfordert. Und das, obwohl ich mit Permadeath spiele und kein zusätzliches Leveling durch Sidequests betrieb. Mein Tipp deshalb: Im Zweifelsfall lieber auf Schwer anfangen und später herunterregeln. Eine nachträgliche Anpassung in die andere Richtung lässt das Spiel nämlich nicht zu.
Dass die Kämpfe mich so sanft anfassten, frustrierte mich vor allem deshalb, weil Three Houses das vielleicht beste Strategie-Gameplay der gesamten Fire Emblem-Reihe vorweist. Das überarbeitete System erhöht Flexibilität und Transparenz. Gleichzeitig reduziert es vermeidbare (Über-)Komplexität sowie potentielle Frustquellen. Die Kombi-Angriffe zweier Charaktere, welche die Vorgänger Awakening und vor allem Fates dominierten, gehören endlich der Vergangenheit an. Konzeptuell waren sie interessant; doch sorgten sie für unnötige Hürden in der Planung jedes Spielzugs und bremsten somit den Spielfluss.
Three Houses hingegen setzt auf maximale Klarheit. Zum ersten Mal sehen wir schon in unserem eigenen Zug, welche Gegner welche unserer Einheiten angreifen werden. Bereits der Indie-Strategiehit Into the Breach bewies, dass zu 100 Prozent berechenbare Gegner die taktische Tiefe und Herausforderung nicht trivialisieren. Zudem bewirkt diese Transparenz bei der Planung unserer Spielzüge, gepaart mit der großzügigen Rückspulfunktion, dass es noch weniger Gründe gibt, auf Permadeath zu verzichten, als zuvor.
Der Spoiler, den jeder kennt
Erzählung durchwachsen. Akademie ermüdend. Schlachten, trotz sichtbaren Potentials, vergleichsweise trivial. Da habe ich doch zu Recht so viele genervte Tweets abgefeuert, nicht wahr? Wieso habe ich überhaupt so viele Stunden gespielt, anstatt Three Houses einfach abzubrechen? Meine Hoffnung lag beim großen Wendepunkt des Spiels: dem Zeitsprung, welcher den ersten Akt vom zweiten trennt. Vorher wollte ich schlicht nicht aufhören! Da war ich stur. Und ich sollte belohnt werden.
Mit dem Ende des ersten Aktes werden nicht nur die Charaktere, sondern das gesamte Spiel schlagartig erwachsen. Die Tonalität der Handlung wird schwerer und ernster. Endlich werden die vorhandenen Parallelen zu realen politischen und ideellen Konflikten so aufbereitet, dass ich sie tatsächlich ernst nehmen kann. Die Charaktere öffnen sich in ihren späteren Support-Gesprächen und ich entdecke, dass unter der faden Hülle ihrer jungen Versionen komplexe Persönlichkeiten mit teils aufrichtig ergreifenden Schicksalen stecken. Ich benötige keinen bitteren Ernst, um Freude an Spielen haben zu können. Doch im Falle von Three Houses stand die übergreifende unbeschwerte Tonalität der ersten Hälfte in direktem Konflikt zu den Zielen, die der Plot offensichtlich seit Beginn anpeilte.
Zusammen mit der erzählerischen Qualität steigerten sich auch Anspruch und Tiefe der Taktik-Gefechte. Bereits der erste Kampf nach dem Zeitsprung trieb mich öfter an Messers Schneide als sämtliche vorherigen Schlachten zusammen. Von diesem Punkt an war nahezu jede Runde eine Gratwanderung. Mindestens jeden zweiten Zug musste ich genauestens überdenken, um das Überleben aller Charaktere zu gewährleisten. Dass ich in der ersten Hälfte keinen Sinn darin sah, meine Charaktere in Sidequests zu trainieren, führte dazu, dass ich in der zweiten Hälfte chronisch unterlevelt war. Doch hatte ich dadurch eine vielleicht noch intensivere Spielerfahrung als viele andere SpielerInnen.
Häufig saß ich auf dem Sofa und fluchte, wie absolut unmöglich eine bestimmte Situation sei – nur, um eine Viertelstunde später jubelnd durch den Raum zu tanzen. Das sind die Momente, für die ich Fire Emblem spiele. Adrenalin in brenzlichen Situationen, wie es sonst nur ein Bloodborne-Boss beschwören könnte.
Ein Sinneswandel
Wer hätte es anfangs gedacht? Nach dem Durchspielen musste ich mich stark zurückhalten, nicht sofort den nächsten 45-stündigen Durchlauf mit einem anderen der drei Häuser zu beginnen. Vielleicht würde ich die zähe erste Hälfte sogar interessanter finden; jetzt, wo ich weiß, was noch auf mich zukommen würde. Rückblickend ist der Kontrast zwischen unbeschwerter Jugend und blutigem Erwachsensein vielleicht sogar einer der Reize von Three Houses. Möglicherweise sind andere Häuser auch gar nicht so bräsig, wie meine Golden Deer es in der ersten Hälfte waren. Ich hätte es anfangs nie für möglich gehalten, dass ich diese Zeilen schreiben würde, doch Three Houses ist tatsächlich das beste Fire Emblem seit Path of Radiance. [pg]
Fire Emblem: Three Houses
Intelligent Systems, Koei Tecmo Games / Nintendo, 26. Juli 2019
Nintendo Switch
Directors: Toshiyuki Kusakihara, Genki Yokota
Writers: Yuki Ikeno, Ryohei Hayashi, Mari Okamoto