Ich fasse etwas an und es passiert. Hunderte gesichtslose Kinder folgen meinem Fingerzeig. Bei Spielen wie Kids ist die Interpretation der halbe Spaß – wie bei einer Videoinstallation im Museum. Tatsächlich existiert eine Version des Spiels sogar als interaktive Installation! Kein Wunder, dass Arte in den Credits auftaucht.

Worum geht es also in Kids? Im knapp halbstündigen Spiel lenkt der eigene Finger entweder einzelne Individuen oder die graue – pardon, schwarz-weiße – Masse. Die Mannequins folgen dem weisenden Finger bedingungslos und konform. An den wenigen Stellen, in denen einzelne Figürchen aus der Reihe tanzen, werden diese mit erhobenem (und anschließend auf den Bildschirm gesenkten) Finger zurechtgewiesen. So lange, bis wieder alle Kids der gleichen Ansicht sind. Dies ist die richtige Lösung, keine andere.

Besonders an diesen Stellen zeigt das Spiel unbehagliches Mitläuferverhalten. Dieses erstreckt sich ebenfalls durch sämtliche anderen Szenen. Zu Beginn wirkt Kids sinnlos, geradezu plump – und damit entwaffnend unschuldig. Kinder brauchen keinen Anlass für ihr spielerisches Verhalten. Wieso also sollte dieses Spiel einen Grund für den Spaß an quirliger Animation benötigen?

Wenige Minuten später drücken die sinisteren Untertöne zunehmend aufs Gemüt. Die unschuldigen Kinder schwimmen durch schwarzen Morast, stürzen blindlings in bodenlose Löcher und applaudieren kurze Zeit später, als sei nichts passiert. Die vertonten Szenen mit glockenklaren Kinderstimmen kontrastieren diese Eindrücke umso mehr.

Doch wenn diese Kinder alle Mitläufer sind, wem laufen sie dann hinterher? Gibt es einen Anführer? Vielleicht ist es die Figur, die zu Spielbeginn einer zweiten ins Gesicht schlägt? Ganz eindeutig eine Machtposition, oder? Doch so einfach macht Kids es sich nicht. Die größte Macht liegt in den Händen der Spielenden.

Sind wir schlechte Vorbilder für diese Masse? Lenken wir sie leichtsinnig ins Verderben, ohne überhaupt ihre Gesichter zu kennen? Einzig im Sinne unserer eigenen Unterhaltung? Und es gefällt ihnen auch noch! Sie beeinflussen sich gegenseitig in ihrem Verhalten. Am Ende braucht es immer weniger Eingaben, um mehr und mehr Kids zu bewegen. Ist dies, was passiert, wenn wir zu viel Macht erhalten?

Kids verkörpert den unbeabsichtigten Sadismus anderer Spiele wie The Sims, in denen wir das Leben der Figuren manipulieren, ohne dass dies irgendeinen diegetischen Sinn ergibt. Kids nimmt sich diesen Sadismus und treibt ihn auf die Spitze. Ist es unethisch, das Wohl digitaler Charaktere zum Vergnügen zu missbrauchen? Wohl kaum; aber es macht Spaß, darüber nachzudenken. [pg]


Kids
Playables / Double Fine Presents, 28. Mai 2019
iOS, Android, PC, Mac, Linux
Creators: Michael Frei, Mario von Rickenbach

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