Das wird wohl eine dieser Kritiken, die ich irgendwann bereuen könnte. Vielleicht erwache ich eines Tages und erkenne plötzlich, wieso Bloodstained: Ritual of the Night so beliebt ist. Schließlich liebe ich Metroidvanias. Oder nicht…? Bloodstained hat mich da ein wenig ins Grübeln gebracht.

Bloodstained ist der geistige Nachfolger der Castlevania-Reihe und entstand unter der Führung des Konami-Veterans Koji Igarashi. Die Kickstarter-Kampagne des Spiels brach 2015 sämtliche Rekorde für fanfinanzierte Videospiele. Seitdem sind ganze vier Jahre verstrichen, bis Bloodstained im Juni 2019 erschien. Vier Jahre. Eine angemessene Zeitspanne für ambitionierte Spieleentwicklungen; eine Ewigkeit für Innovationen im Metroidvania-Genre.

Kaum ein Genre hat im Indie-Segment solch einen Hype erlebt wie Metroidvanias. Der Boom ist bis heute so gewaltig, dass sich selbst Spiele mit dem Genrebegriff schmücken, die nur gerade eben so als Metroidvania durchgehen. Ein wenig wie der immer schwammigere RPG-Begriff.

Zwischen der Konzeption und der Veröffentlichung von Bloodstained erschienen unter Anderem Axiom Verge, Ori and the Blind Forest, Dead Cells, Iconoclasts, The Messenger, Guacamelee 2, Owlboy, SteamWorld Dig 2, Yoku’s Island Express… Die Liste ist gewaltig. Sogar Metroid hat 2017 eine unerwartete Rückkehr in 2D gefeiert. Und das waren nur die Big Player der Metroidvania-Szene. Ghost 1.0, A Robot Named Fight, Severed… Salt and Sanctuary geht gar in eine sehr ähnliche Richtung wie Bloodstained. Doch jeden dieser Indie-Titel würde ich Bloodstained vorziehen.

Und oh, einen Titel habe ich ganz bewusst noch nicht erwähnt: Hollow Knight. Drei Personen und ein Zehntel des Kickstarter-Budgets führten zu einem Meisterwerk, welches mit Bloodstained den Boden aufwischt – und das bei der Hälfte der Entwicklungszeit.

Äpfel und Birnen, nicht wahr? Damit das Ganze nicht zu polemisch wird, schieben wir die Vergleiche von nun an beiseite. Wie gut ist Bloodstained wirklich?


Krass 3D, wie in den 90ern!

Was fällt beim Spielen von Bloodstained zuerst ins Auge? Natürlich die Optik. Ja, es nutzt 3D-Modelle; und ja, es sähe in echtem 2D sicherlich besser aus. Doch sowohl 2D-Sprites, als auch 2,5D-Polygongrafik können gut aussehen. Zuweilen sieht Bloodstained tatsächlich ganz nett aus. Größtenteils jedoch verwässern leblose Kulissen und Animationen die schaurige Atmosphäre. Nun kann man auch das noch als Geschmacksfrage abtun. Doch spätestens da, wo mittelmäßiges Art Design dazu führt, dass Plattformen und Gegner schwer zu erkennen sind, sollten bei jedem Action-Spiel die Alarmglocken läuten.

In einem der jüngeren Trailer zum Spiel schmückten die EntwicklerInnen sich damit, Bloodstained optisch komplett überarbeitet zu haben. Dadurch haben sie zumindest das Minimum des Akzeptablen erreicht. Auch in anderer Hinsicht ist Bloodstained technisch durchwachsen. Die Ladezeiten nach dem Game Over werden mitunter so lang, dass ich bei jedem Tod routiniert zum Laptop statt zum Smartphone griff. Meine Stoppuhr erreichte häufig Zeiten von zwei Minuten und aufwärts. Bei einem der zahlreichen Game Over-Bildschirme fragte meine Freundin unironisch, ob ich in der Zeit nicht kurz den Abwasch erledigen könne. Doch die Motivationsnadel saß vorerst im Arm – wenn auch wackelig.

Trotz unzähliger Frustmomente hat Bloodstained mich bis zum Ende nicht losgelassen. Es hat viele der Stärken seines großen Vorbilds Symphony of the Night und ist keinesfalls ein Totalschaden. Leider mangelt es Bloodstained an Highlights und Wow-Momenten, die ich mir bei einem 10-stündigen Spiel über ein geheimnisvolles Schloss gewünscht hätte. Das einzig Bemerkenswerte, das mir aufgefallen ist, ist eine Fähigkeit, welche das Gameplay ein wenig auf den Kopf stellt. Wer das Spiel weit genug gespielt hat, sollte wissen, was ich meine; allen anderen möchte ich dieses kurze Hochgefühl nicht ruinieren.


Hart, aber (un)fair?

Ich bin kein großer Fan von EXP- und Level Up-Mechaniken in Metroidvanias. Das Wachstum in diesen Spielen sollte durch Erkundung entstehen, nicht durch stupides Farmen von Monstern, welche (äußerst nervtötend) nach jedem Verlassen eines Raumes respawnen. Das war bereits in früheren Castlevania-Titeln ein Problem; denn ein EXP-System führt unweigerlich dazu, dass SpielerInnen sich entweder über- oder unterlevelt fühlen. Vor allem letzteres ist kein schönes Gefühl in einem Spiel mit schwammiger Schwierigkeitskurve und ewigen Ladezeiten nach dem Tod.

Viele Standardgegner der ersten Spielhälfte sind am Boden, bevor sie zum Angriff ausholen können. In der zweiten Spielhälfte jedoch ergänzt häufig eine Armee kleiner wuseliger Gegner die gestärkten Big Bois. (Castlevanias Medusa-Köpfe lassen grüßen.) Das ist keine Herausforderung, die genre-affine SpielerInnen nicht überwinden können, wird aber je nach Waffenwahl unnötig schwierig. Vor allem dann, wenn es nur um den wiederholten Weg von A nach B geht.

Die Bosse hingegen haben einige der fragwürdigsten Angriffsmuster und Hitboxen, die ich seit Langem in einem 2D-Action-Spiel gesehen habe. Besonders beim Endboss wusste ich häufig gar nicht: Wo darf ich hintreten? Wo bin ich sicher und wo nehme ich Schaden? Und wie zur Hölle soll ich diesem einen Angriff ausweichen, welcher nach einer Sekunde Anlaufzeit den kompletten Bildschirm füllt?

Zwar ist keine der Attacken unausweichbar und sicherlich existieren Strategien, mit welchen wahre Profis das Spiel fehlerlos auf Donkey Konga-Bongos beenden. Ich jedoch gehöre nicht zu dieser erlesenen Gruppe. Während Dark Souls zu Beginn des Jahrzehnts die Philosophie „hart aber fair“ geprägt hat, sind die Bosse in Bloodstained äußerst „traditionell“.

Addieren wir diese zahlreichen Bullshit-Momente zur Unsicherheit des EXP-Systems und den horrenden Ladezeiten, erhalten wir einen potenten Frust-Cocktail, welcher mit jedem Schluck härter auf den Magen schlägt.


Ein weiteres „ist das schon ein RPG?“

Der größte Spaß bei jedem Metroidvania ist die Erkundung neuer Areale. Das Entdecken spannender Geheimnisse, welche das Spiel hoffentlich aufregender oder unseren Charakter stärker machen. Auch in Bloodstained war das Aufdecken der riesigen Karte mein größter Motivationsfaktor… allerdings allein um des Aufdeckens Willen.

Wenn ich in Metroid einen Energy Tank finde, freue ich mich – denn ich bekomme mehr Lebensenergie. Wenn ich einen Missile Container finde, freue ich mich ebenso – denn ich bekomme mehr Munition. Das Entdecken geheimer Schätze in Metroid ist unmittelbar befriedigend; ganz egal, um welches Item es sich handelt. Die meisten anderen Metroidvanias wissen, wie wichtig dieses Gefühl konkreter Belohnung für anhaltende Motivation ist.

Bloodstained hingegen hat ein Crafting-System; und leider kein sonderlich gutes. Irgendwer sagte mal: „Wenn SpielerInnen die Ressourcen deines Spiels nicht mehr auseinanderhalten können, hat dein Spiel zu viele Ressourcen.“ Bloodstained badet geradezu in generischen Ressourcen.

Ich entdecke einen Geheimgang, finde eine Truhe, öffne sie und was ist drin? Oh, Mahagoniholz! Mal schauen, was mir der Typ im Shop sagt, wenn ich ihn in einer halben Stunde besuch- oh, es ist unnütz.

Die Beute der Schatztruhen und Gegner ist so zutiefst belanglos und unbefriedigend, dass ich nach einiger Zeit aufgehört habe, die Item-Einblendungen am unteren Bildschirmrand zu lesen. Was interessiert es mich, ob ich einen Rubin gefunden habe oder einen Kieselstein? Sämtliche Ressourcen, welche ich während der letzten sechs Stunden am Wegesrand gefunden habe, lassen mich ohnehin nichts herstellen, was besser wäre als meine aktuelle Ausrüstung.

Trotz hunderter Ausrüstungsgegenstände und Fähigkeiten kristallisiert sich schnell ein dominantes Set hinaus, welches dem eigenen Spielstil am besten taugt. Gefühlt 80 Prozent der gefundenen Gegenstände werden nach dieser Feststellung wertlos. So aufregend es ist, eine geheime Wand einzureißen, so enttäuschend ist es, dahinter lediglich ein Eier-Soufflé zu finden.

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Wobei – so aufregend ist das Entdecken geheimer Räume und Truhen gar nicht. Meist begnügt sich das Spiel damit, dass wir ohne viel Eigeninitiative in diese Geheimnisse hineinstolpern. Während andere Metroidvanias ihre Geheimnisse erst hinter kleinen Puzzles oder beim Verwenden neuer Fähigkeiten preisgeben, sagt Bloodstained: „Oh, du hast diese Treppe genommen? Hier ist deine Belohnung!“

Dabei hätte Bloodstained mehr als genug aufregende Fähigkeiten, mittels derer wir mit der Spielwelt interagieren könnten. Zum einen wäre da die Handvoll in der Hauptquest benötigter Skills, welche ebenfalls viel zu selten genutzt werden; manche habe ich nach erstmaliger Anwendung für mehrere Stunden vergessen. Zum anderen existieren im Spiel Dutzende Fähigkeiten, welche die Protagonistin von besiegten Gegnern gewinnt.

Ein Gegner kann mit Eiszapfen schießen? Cool, dann können wir das jetzt auch! Auf dem Papier ist das ein geniales Konzept. Nur krankt es wie so häufig in Bloodstained an der Umsetzung. Wollen wir auch nur einen Bruchteil der insgesamt gesammelten Fähigkeiten variabel nutzen, verbringen wir die Hälfte der Zeit in Menüs. Die Konfiguration der Schnellauswahl per Radmenü ist unnötig umständlich und schafft deshalb kaum Abhilfe. Bis zum Ende fragte ich mich, wieso die Kreis-Taste des PS4-Controllers nicht belegt ist. Mit diesem zusätzlichen Knopf hätte ich zumindest einen zusätzlichen Zauber mehr ausrüsten können, ohne ständig ins Menü zu gehen. Zumindest Fans der Eisenstiefel in Ocarina of Time kommen dafür voll auf ihre Kosten.


Nicht einmal Gothic Horror Trash

Eines noch: Gib mir entweder eine gute Story oder eine Story, welche so bescheuert ist, dass sie mich amüsiert. Gib mir irgendein Gefühl! Die Geschichte und Welt von Bloodstained baden weder in Gothic Horror-Klischees wie Castlevania, noch übertreffen sie das Niveau der Dialoge des Vorbilds. Das Resultat ist eine Erzählung voller hölzerner Charaktere, deren Dialogboxen ich überfliege und wegklicke, bevor die Sprachausgabe durch ist. Diese ist übrigens ebenso mittelmäßig wie der Inhalt des Gesagten – daran kann auch Solid Snake-Sprecher David Hayter nichts ändern.

Die Geschichte von Bloodstained nimmt sich todernst und bleibt dabei völlig selbstbewusst. Und das passt hervorragend zum Rest des Spiels. Bloodstained ist ein überaus solides Metroidvania mit einer Vielzahl ärgerlicher Unfeinheiten wie nur ein Spiel dieser Sorte sich sie leisten kann. Der Ruf des großen Bruders Castlevania dämpft die Kritik und solange keine allzu schweren Krankheiten auftauchen, freuen wir uns über die Rückkehr einer totgeglaubten Marke im neuen Gewand. Ich freue mich über Koji Igarashis Heimzahlung an Konami. Aber letztendlich spiele ich lieber noch einmal das 8-Bit-Prequel Bloodstained: Curse of the Moon oder Castlevanias 2D-Schwanensang Order of Ecclesia. [pg]


Bloodstained: Ritual of the Night
ArtPlay / 505 Games, 18. Juni 2019
PS4, Xbox One, Windows PC, Nintendo Switch
Director: Shutaro Iida
Producer / Writer: Koji Igarashi