Ständig klagt die Philharmonie über schwindendes Publikum. Die jungen Menschen würden sich nicht für klassische Musik interessieren. Welch erfreulicher Anblick dann, als am 06. Juli der Alfried-Krupp-Saal in Essen bis unter die Decke mit nicht-ergrauten Musikfans gefüllt war. Die Essener Philharmoniker müssten nur häufiger Musik aus Final Fantasy spielen.
Die Final Symphony-Konzertreihe ist sozusagen die kleine Schwester der großen Distant Worlds-Tour, welche regelmäßig durch die ganz großen Hallen der Welt zieht. In der Philharmonie Essen ging es dementsprechend ein wenig intimer zu. Wer schon einmal auf einem Orchesterkonzert war, weiß, dass klassische Musik grundsätzlich kaum intim genug sein kann. Ganz ohne elektronische Verstärkung ließ das Orchester selbst die hintersten Ecken des Saals beben.
Während Distant Worlds als überdimensionierte Coverband für Final Fantasy-Soundtracks fungiert und sich ganz klar an die breitest mögliche Masse richtet, wählt Final Symphony einen anderen Weg: Anstatt die einzelnen Songs der beliebten Spiele-Soundtracks weitestgehend unverändert und voneinander isoliert wiederzugeben, konstruierten die Köpfe hinter Final Symphony aufwendige Suiten, welche mehrere Songs eines Spiels zu einem Gesamtpaket schnüren. Diese Bündel von viertel- bis halbstündiger Länge ähneln dann schon viel eher klassischen Sinfonien, wie Beethoven oder Wagner sie geschrieben hätten.
Hier werden Songs abgewandelt, aneinandergereiht, miteinander vermischt und wiederaufgenommen. Wer hätte gedacht, dass Final Fantasy XIIIs Battle Theme Blinded by Light auch ohne die berühmte Violinen-Hook funktioniert? Und wem wäre vorher aufgefallen, wie hervorragend die Begleitmelodie von Battle at the Big Bridge aus Final Fantasy V zum quirligen Chocobo Theme passt?
Mit Final Fantasy V, VIII, IX und XIII stellte das Konzert die etwas kleineren Leuchttürme der Reihe ins Rampenlicht. VI, VII und X gab es schließlich schon bei der ersten Final Symphony-Tour zu hören. Spätestens, wenn man die Soundtracks auf solch großartige Weise neuarrangiert hört, wird klar, wie sagenhaft hoch das musikalische Niveau der Final Fantasy-Reihe ist. Selbst bei schwarzen Schafen wie Final Fantasy XIII oder Final Fantasy V, welches zumindest im Westen eher als Geheimtipp gilt. Die Stücke des SNES-Klassikers erstrahlen ohne die Beschränkung auf acht Tonspuren in komplett neuem Glanz.
Als Highlight vor der Pause begleitete Konzertpianist Mischa Cheung das Orchester auf eine Reise durch die Musik von Final Fantasy IX. Seine Performance war so elegant wie seine Körpersprache ausdrucksvoll war. Hier fehlte kein Fünkchen Passion, nur weil es sich um Videospielmusik statt Prokofjew handelte. Nach der großen Final Fantasy IX-Suite spielte Mischa Cheung als Zugabe das berühmte You Are Not Alone als Solodarbietung – zum erst zweiten Mal auf der gesamten Tour.
Abseits dieser besinnlichen Klaviermomente ging es in der Philharmonie Essen so laut zu, wie es der Saal nur selten hört. Das bombastische Material trieb das Orchester ständig ins gefühlte fortissimo possibile. Auch die Anzahl der Instrumente war selbst für ein Sinfoniekonzert gewaltig: Sechs Kontrabässe sowie eine ganze Reihe Perkussionsinstrumente rüttelten das Gebäude. Vor allem der Tubist kam so sehr auf seine Kosten, wie vielleicht in seiner gesamten Karriere noch nicht.
Zwischen den Auftritten moderierte Ilyass Alaoui von den Rocketbeans mit einigen Fakten zur Final Symphony-Konzertreihe. Besonders seine Interviews mit dem Dirigenten Eckehard Stier offenbarten spannende Einblicke in den Konzeptionsprozess der Konzertreihe. Stier erzählte von seiner Arbeit mit Nobuo Uematsu und davon, wie er überhaupt auf die Idee kam, Final Fantasy in die Philharmonie Essen zu bringen. Die Philharmoniker seien immer froh, Videospielmusik zu spielen, wenn die Partituren derartig hochwertig komponiert sind. Aber was hätte der Herr einem Saal voller Videospiel-Fans auch anderes sagen sollen?
Die Qualität der Stücke ist sogar für weitestgehend ungeschulte Ohren sofort spürbar. Sämtliche Facetten des Orchesters werden in jeder Minute vollständig ausgereizt. Selbst wer jeden Final Fantasy-Soundtrack im Schlaf mitsummen kann, findet bei Final Symphony II überraschende Schmankerl hinter jedem Taktstrich. Solch ein wendungsreiches Musikerlebnis ist nur möglich, wenn die ursprüngliche Spielmusik von Grund auf für ein Orchester umgewälzt wird.
Der dynamische Umfang der Stücke war leider nicht so groß wie bei klassischen Sinfonien. Das Orchester bewegte sich fast ausschließlich am oberen Ende der Lautstärkeskala, doch die entfesselte Wucht passte dennoch hervorragend zur monolithischen Statur der Final Fantasy-Reihe.
Nach knapp zwei Stunden donnerte der Applaus und das Publikum verdiente sich ganze zwei Zugaben. Vor der ersten Zugabe sahen wir etwas, das wir in der Philharmonie nur sehr selten zu Gesicht bekommen: Humor. Der Dirigent behauptete, die Zugabe sei nicht geplant gewesen und das Orchester hätte die Noten noch nie zuvor gesehen. Dass dem nicht so war, wurde recht schnell klar. Denn so schnell lernen selbst Berufsmusiker nicht, ein Stück mit über fünfzig Personen aufzuführen.
Als das Orchester dann plötzlich so tat, als wüssten sie nicht mehr weiter, machte sich dennoch Verwirrung breit. Nach und nach hörten die Instrumente auf zu spielen. Der Dirigent schaute verdutzt in seine Noten und die Notenblätter der ersten Violine. Nur der Tubist trötete entschlossen weiter; selbst, als der Dirigent ihm das Handzeichen gab, aufzuhören. Plötzlich erkannte das Publikum, was dort in tiefsten Basstönen erschallte: Es war das Chocobo Theme, welches nach dem kurzen Witz vom gesamten Orchester aufgenommen wurde.
Dieses Trolling funktionierte vor allem deshalb so gut, weil solch Irreführung zu anderen Anlässen nichts auf der Bühne der Philharmonie verloren hätte. In solch einem bierernsten Laden glaubt man eher, das Orchester hätte die Noten verloren, als dass jemand mal einen Witz reißt.
Würde jedes Orchesterkonzert ein wenig mehr ablaufen wie dieses, hätte die klassische Musik vielleicht eine etwas rosigere Zukunft; zumindest, was die jüngere Zielgruppe betrifft. Schließlich applaudierten die über tausend ZuschauerInnen mit Durchschnittsalter unter 40 am Ende für mehrere Minuten, als hätten dort die Beatles auf der Bühne gestanden. Wie häufig kommt es schon vor, dass ein Orchester trotz zweier Zugaben den Saal verlässt, bevor das Publikum den Applaus eingestellt hat? Wohlgemerkt erst, nachdem der Dirigent wie üblich fünfmal den Saal verlassen, wieder betreten und zur erneuten Verbeugung aufgerufen hat.
Solch Euphorie erfreut nicht nur das Publikum, sondern sicherlich auch die MusikerInnen und die Institution Philharmonie. Nun müssten Spiele-Publisher nur dafür sorgen, dass Videospielmusik als kulturelles musikalisches Ereignis zur Regel statt zur Ausnahme wird. Das Ausgangsmaterial ist da. Das Publikum auch. Wo sind die Lizenzen und die nötigen Partituren? Der Erfolg der Final Symphony II-Reihe lässt darauf hoffen, dass Videospielkonzerte zukünftig weiterhin einen Aufwärtstrend erleben werden. [pg]
- Final Symphony II in der Essener Philharmonie von Erik Körner, auf akduell.de
- Ihr steht auf Videospielmusik? Dann ab in die Philharmonie! – von Pascal Graßhoff, auf kritischertreffer.com
Sehr schön geschrieben. Kann es nur genau so unterstreichen. Ein wirklich schönes Erlebnis und eines, welches man sich häufiger wünscht.
Die Resonanz war von Fans und Nicht-Fans der Serie enorm gut. Vereinzelt hörte ich Leute sagen, dass ein paar visuelle Einlagen per Beamer/Leinwand schön wären. Da muss ich jedoch widersprechen – das hätte die Stimmung vom Orchester abgelenkt.
Leicht schade, dass es von den Stücken leider beschränkt war. Gerade als man zu Beginn vom FFVII Remake sprach, kam die Hoffnung auf, dass eventuell ein kurzer Umschwung dazu vorkommen könnte – aber sie blieben dem Programm treu und das haben sie echt geil gerockt.
Der Applaus alleine spricht Bände und meine Hände waren danach taub. 😅
Vielleicht eröffnet sich dadurch eine neue Ära für die Klassische Musik, die Videospielmusik und die Videospiele als mögliches Kulturgut. (wird langsam Zeit)
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