Im Dezember 2018 erschien mit dem kostenlosen DLC „Overtüre“ neben Multiplayer-Inhalten auch die letzte der sogenannten War Stories von Battlefield V: „The Last Tiger“. Bei den War Stories handelt es sich um in sich abgeschlossene Kapitel der Singleplayer-Kampagne. Die bis dato erschienenen War Stories waren bis auf „Nordlys“, in der man eine norwegische Widerstandskämpferin spielt, relativ unspektakulär. „Under no Flag“ und „Tirailleur“ erinnerten inhaltlich stark an die War Stories aus Battlefield 1 und boten auch gameplaytechnisch wenig Neues. Sie enttäuschten vor allem hinsichtlich des Spannungsbogens der jeweiligen Geschichten.
„The Last Tiger“ stellt hingegen eine Neuerung dar und komplettiert die Singleplayer-Kampagne: Erstmals ist es möglich, eine War Story aus Sicht der Nationalsozialisten zu spielen. Eine Gratwanderung seitens der Entwickler von DICE, die in der nur knapp einstündigen Mission versuchen, den Zweiten Weltkrieg von der anderen Seite des Visiers aus betrachtet zu erzählen. Mir persönlich ist kein moderner Shooter bekannt, der es den Spielern erlaubt, eine Kampagnenstory als Nationalsozialist zu spielen.
Geschichte und historische Hintergründe
Doch einen Schritt zurück: Worum geht es eigentlich in „The Last Tiger“?
Die Geschichte spielt im Frühling 1945: Die zwölfte US-Armee unter General Bradley rückt auf Deutschlands Grenzen vor. Dabei handelt es sich um die größte US-Streitmacht, die je ins Feld gezogen ist: 17.000 Panzer, 28.000 Luftfahrzeuge und 4,5 Millionen Soldaten rücken nach Osten und innerhalb Deutschlands vor. In den deutschen Reihen herrscht Durcheinander, Soldatenmangel und Versorgungsknappheit: Einheiten werden aufgelöst oder getrennt. Der Tiger-Panzer ist eine legendäre Kriegsmaschine, da die Geschütze der Alliierten gegen seine Panzerung wenig ausrichten konnten. Im Vorspann der Kampagne heißt es zudem: „Nur wenige Feinde überleben den Biss des Tigers, einer 88-mm-Kanone, die die meisten alliierten Panzer mit nur einem Schuss zerstört. Deutschland baute 1.347 Tiger-Panzer, die USA 50.000 Sherman Panzer. Den Tiger-Besatzungen ging häufig die Munition aus, bevor dem Feind die Panzer ausgingen.“
Man spielt den deutschen Panzerkommandanten Peter Müller, der mit seinem Fahrer und Freund Kertz, dem frisch hinzugestoßenen Hitlerjungen Schröder und dem jungen Pionier Hartmann seinen letzten Kriegstag erlebt.
Nach Recherchen fand ich heraus, wo und wann genau die Geschehnisse der Story stattfinden, denn im Spiel selbst ist nur von „einer Stadt am Rhein“ die Rede. Auch ein genaues Datum und Hintergrunddetails zur eigentlichen Mission die man bestreitet, werden im Spiel nicht genannt. Dies verwundert, da in anderen Battlefield-Kampagnen meist sehr genau dargestellt und beschrieben wird, wo man sich zeitlich, historisch und geografisch befindet.
Es ist der 6. Mai 1945 und die Mission spielt tatsächlich in Köln. Die Brücke, die von Tiger 237 „Stefan“ und Peter Müllers Besatzung gesichert werden soll, ist keine andere als die Hohenzollernbrücke über dem Rhein, die am Abend von der Wehrmacht teilgesprengt wurde, um ein Vorrücken der Amerikaner noch irgendwie aufzuhalten. Im Gegensatz zu den Alliierten gaben die deutschen Streitkräfte ihren Vehikeln meist männliche Namen, wie Emil, Karl oder Max. Manche Werbeplakate in den Straßenzügen verweisen unter anderem auf das Gambacher Straßenfest, das allerdings in Österreich stattfand, oder zeigen Reklame aus Berlin, Wien und Hamburg. Die Plakate wurden also unter ästhetischen Gesichtspunkten ausgewählt und zeigen keine authentische Werbung aus der Region, in der das Spiel spielt.
Des Weiteren verzichtet das Spiel, auch in der internationalen Version, auf die Darstellung von Nazi-Symbolen wie dem Hakenkreuz. Ob diese Maßnahme es den Spielern leichter machen soll, sich in die Figuren einzufühlen, oder ob dies eher zensorischen Maßnahmen geschuldet ist, sei dahingestellt. Auch in den anderen War Stories wird auf Swastika-Darstellungen jeglicher Art verzichtet.
Moral und Klischee – Die Darstellung der Charaktere
Am Anfang der Story hört man einen von Peter Müllers nachdenklichen Monologen, die allesamt wohl unterstreichen sollen, dass er trotz seiner Rolle Geschehnisse reflektiert:
„Als ich ein Kind war, wurde eine Gruppe von Jungs im Dorfladen beim Klauen erwischt. Mein Vater war außer sich vor Wut, als er davon erfuhr.“ – Ich sagte: „Aber ich hab doch gar nichts gestohlen.“ „Vielleicht“ sagte er, „aber du warst dort.“ „Mein Name ist Peter Müller… Kommandant des Tiger-Panzers 237… und ich war dort.“
Als die eigentliche Mission beginnt, macht sich die Besatzung für ihren Einsatz bereit und man erkennt erste kriegskritische Untertöne, wenn sich zum Beispiel Kertz über den Hitlerjungen Schröder mokiert, der Müller „wie ein kleiner Hund“ hinterherläuft. Auf die sarkastische Frage an Müller, ob er Schröder die Parteirichtlinien erklärt habe, erwidert dieser: „Ich habe ihn lediglich daran erinnert wer wir sind, Kertz.“
Im späteren Kampfverlauf kommt es zu weiteren Äußerungen von Kertz, die erahnen lassen, wie kriegsmüde er inzwischen ist. Der junge Schröder, vollkommen indoktriniert und enthusiastisch, seinem Vaterland dienen zu können, kommentiert hingegen die Geschehnisse, wie man es von einem klischeetypischen Nazi erwarten würde. Die Veteranen Müller und Kertz versuchen, ihn mit Beschwichtigungen oder einfachem Schweigen teilweise in seiner ideologischen Euphorie zu bremsen. So sieht man im Laufe der Mission oft Deserteure, die abgeführt werden, woraufhin Schröder sie als Verräter und dumme Idioten bezeichnet; oder er vertraut blind auf die überlegene Kampfkraft des Tiger-Panzers. Schröder ist es auch, der Müller davon überzeugt, den ängstlichen Pionier Hartmann zum Spähen aus dem Panzer zu schicken, da dieser austauschbar und schwach sei. Hartmann verschwindet daraufhin spurlos. In einer Schlüsselszene rollt des Nachts der Tiger durch die Straßen, vorbei an Zivilisten, Toten und Erhängten. Unter ihnen Hartmann, der an einem Straßenschild von der SS als Deserteur aufgeknüpft wurde. Schröders Kommentar, „Hartmann? Dieser Idiot“, wird von Müller mit dem Satz: „Halten sie den Mund! Er hat seine Pflicht getan wie befohlen“, abgeschmettert. Woraufhin Schröder entgegnet: „Pflicht? Er war ein Verräter!“ Aus dem Inneren des Panzers hört man Kertz sagen: „Er war einer von uns.“
Diskrepanz zwischen Gameplay und Storytelling
Ungeachtet der heiklen Rollenverteilung, bemühen sich die Entwickler sichtlich um Kriegskritik. Dabei geht leider aufgrund der viel zu kurzen Spielzeit viel an erzählerischen Möglichkeiten verloren. Dennoch wird zwischendurch anhand der Deserteur-Szenen dem Spieler vor Augen geführt, wie unmenschlich das Nazi-Regime auch mit seinen eigenen Leuten umging. DICE gelingt es, eine Story zu erzählen, ohne das Bild der Alliierten oder Nazis zu verdrehen. Peter Müller und seine Besatzung werden als Menschen dargestellt, die ganz offenkundig ihre Fehler haben.
„Außerhalb des Panzers war die Welt unmittelbarer, Geruch, Blut und Tod. Ohne meine stählerne Hülle unterschied mich nichts von den Leichen in den Ruinen. Ich war keine gedankenlose allmächtige Maschine, sondern ein einfacher Mann voller Fehler.“ – Peter Müller
Dass die Rechnung allerdings nicht vollkommen aufgeht, ist vor allem der Diskrepanz zwischen Gameplay und Storytelling geschuldet. Abgesehen von circa zwei Ausflügen zu Fuß, als Müller einmal ein Luftabwehrgeschütz bedienen muss oder geheime Dokumente beschafft, gleicht das Spiel stark einer Schießbude. Man rollt mit dem, selbst auf hohem Schwierigkeitsgrad, kaum zerstörbaren Tiger durch zerstörte Straßenzüge und schießt auf alles, was sich bewegt oder einen selbst unter Beschuss nimmt: Sherman-Panzer, Flak-Geschütze und T34 Calliope-Raketenwerfer. Die Inszenierung ist natürlich absolut filmreif in Hochglanzoptik gehalten und technisch einwandfrei, jedoch hätten mehr Abwechslung und ein reflektierteres Spielerlebnis nicht geschadet.
Die kompromisslose Action macht es schwer, am Ende der Mission nachzuvollziehen, warum sich Peter Müller auf einmal in einen reumütigen Regime-Kritiker verwandelt. Auch wenn die Story alles daran setzt, beim Spieler in den letzten Spielminuten ein tragisches „Das Boot“-Gefühl zu vermitteln. Wer den Film kennt, versteht sicherlich was ich meine.
Der Showdown und das tragische Ende der Geschichte finden unweit der gesprengten Hohenzollernbrücke statt. Peter Müller und seine Besatzung erreichen die Brücke zwar, geraten jedoch in einen Hinterhalt und müssen feststellen, dass die Brücke bereits gesprengt wurde und ihre Mission hinsichtlich der Sicherung obsolet ist.
Eingekreist von Amerikanern hat der Tiger-Panzer nahe der gesprengten Brücke einen Defekt. Kertz verlässt den Panzer und will von dannen ziehen. Müller, der die Waffe auf ihn richtet, schießt nicht, sondern versucht Kertz noch davon zu überzeugen, dass die Mission weitergehen kann. Letztlich will er ihn ziehen lassen, als plötzlich ein Schuss fällt. Schröder schießt Kertz in den Rücken, woraufhin Müller den Panzer ebenfalls verlässt, um seinem alten Freund zu Hilfe zu eilen. Im Hintergrund hört man Schröder schreien: „Ich weiß er war ihr Freund, aber er ist desertiert. Gemeinsam sind wir stärker, richtig? Die Schwachen überleben nicht, das waren doch Ihre Worte…“
Als die Amerikaner den Panzer erreichen, reißt sich Müller das Eiserne Kreuz vom Kragen und will sich ergeben. In der letzten Szene sieht man nur noch, wie Schröder auf ihn zielt; dann wird der Bildschirm schwarz und es fällt ein Schuss. Ob nun Müller tot ist, oder Schröder von einem Amerikaner erschossen wurde, bleibt offen. Emotional hat mich zumindest das Ende berührt, trotz der kurzen Spieldauer und einiger nicht detailliert genug ausgearbeiteter Charakterzüge der Figuren.
Es gibt am Ende also keine Helden, sondern nur Täter. Im Gegensatz zu anderen War Stories der Reihe werden die Protagonisten diesmal logischerweise nicht als Helden dargestellt.
Die Entscheidung DICEs zugunsten eines Perspektivenwechsels ist eine neuartige und heikle, und dennoch meiner Meinung nach gute Idee. Leider verpufft das Potenzial der historischen Möglichkeiten der Geschichtserzählung aufgrund der zu kurzen Spielzeit. Denn obwohl die Figurenzeichnung im Ansatz gut gelungen ist, hat man als Spieler einfach nicht genügend Zeit, sich eingehend mit ihren Schicksalen auseinanderzusetzen. Kaum nimmt die Handlung Fahrt auf, da endet die War Story auch schon wieder. Die Mission schließt mit folgendem Zitat und spiegelt mit diesem auch DICEs Intention des Storytellings prägnant wider:
„Murderers are not monsters, they’re men. And that’s the most frightening thing about them.“ – Alice Sebold
[it]
Battlefield V
EA DICE / Electronic Arts 2018
PlayStation 4, Xbox One und Windows PC
Writer: Steven Hall
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Wow, das klingt wirklich interessant.Ich wusste gar nicht, dass Battlefield V überhaupt solche Ministories als DLC anbietet. Eigentlich klingt das Konzept einer kompakten Kampagne für mich sogar ganz interessant.
Ich glaube eauch, dass im Spielebereich noch viel machbar ist, was die Perspektive der Nazis angeht. Ich sehe keinen Grund, wieso ein Spiel aus Sicht der Deutschen im zweiten Weltkrieg in den richtigen Händen problematisch sein sollten.
Filme wie „Der Hauptmann“ schaffen es auch, die deutschen Armeen mit kritischer Distanz zu betrachten und das Leid aus der Perspektive der Individuen zu zeigen, welche unter der vermeintlichen Allmacht des Regimes und der Paranoia, die damit einhergeht, leiden müssen.
Mir fällt gerade Bioshock als Beispiel ein, welches die SpielerInnen ebenfalls zwang, „gegen ihren Willen“ zu handeln. (Auch, wenn die Umsetzung rückblickend etwas durchwachsen ist.) Gerade durch die Kontrolle der eigenen Figur im Spiel wäre die Darstellung von Unterdrückung und gezwungener Konformität noch besser umsetzbar als in anderen Medien.
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Eine Korrektur zum historischen Teil:
Die Brücke wurde am 6. März 1945 gesprengt, nicht erst im Mai.
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